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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zeiten (vierter Band des Jahrgangs 1899 der Grenzboten Seite 83) dargestellt
und hebt auch diesesmal wieder die Verdienste Tycho Brahes um die Begründung
der Naturwissenschaften hervor. Sollte es noch Leute geben, die das Christentum
für die mittelalterliche Finsternis verantwortlich machen, so können sie mich aus
diesem Buche lernen, wie falsch ihre Ansicht ist. Zwar daran erinnert Troels-Lund
nicht, daß für die theoretischen Studien Kräfte erst frei werden konnten, nachdem
die jungen Volker des Nordens durch Abwehr asiatischer Räuberhorden, Urbar¬
machung des Bodens und Städtegründung ihr materielles Dasein gesichert hatten,
und daß von einer allgemeinen Verbreitung wissenschaftlicher Errungenschaften, die
den raschen und sichern Fortschritt erst möglich macht, vor der Erfindung und
Vervollkommnung der "schwarzen Kunst" keine Rede sein konnte. Aber er zeigt
doch, daß auch die abenteuerlichsten Phantastereien aus dem ehrlichen Drange
nach Erkenntnis hervorgegangen sind, daß sie ein Tasten nach wissenschaftlichen
Methoden waren, die anders als durch viel vergebliches Probieren nicht ge¬
funden werden konnten, und daß die große Masse von den Ergebnissen immer
nur das aufnahm und mit Fanatismus festhielt, was ihrem groben Sinn, ihrer
Einfalt und ihren Leidenschaften am meisten zusagte. Daß die führenden Geister
der Kirche immer vernünftig geurteilt haben, dafür wollen wir, da in dem be-
sprochnen Buche so viel von Astrologie'die Rede ist, ein Zeugnis aus Augustinus
anführen. Im zweiten Kapitel des fünften Buches vo eivitats ohl erwähnt er, daß,
wie er bei Cicero gelesen habe, Hippokrntes aus dem gleichzeitigen Erkranken zweier
Brüder und aus dem gleichartigen Verlauf ihrer Krankheit geschlossen habe, sie
Mer wahrscheinlich Zwillinge. Der Stoiker Posidonius dagegen habe behauptet,
f>e müßten unter derselben Konstellation empfangen und geboren sein. Die Konjektur
des Arztes sei viel annehmbarer als die des Philosophen. Denn bei gleichem
Gesundheitszustande der Eltern gezeugt, bei demselben Zustande des Mutterleibes
entwickelt, unter denselben Lebensbedingungen nnfgewachsen, konnten sie wohl von
^ner so gleichartigen Leibesbeschnffenheit sein, daß sie dieselben Gesundheitsstörungen
SU derselben Zeit erlitten. Wenn aber, fährt Augustinus fort, vieler Zwillinge
<-eben ganz verschieden verläuft, so würde das Hippokrates ohne Zweifel ganz
nichtig daraus erklären, daß sie nach der Geburt verschiedne Schicksale erleiden
und infolge abweichender Ansichten und Neigungen verschiedne Lebensgewohnheiten
annehmen. Dagegen ist es geradezu unverschämt, die Gleichartigkeit und Gleich¬
zeitigkeit der Erkrankungen auf die Gestirne zurückführen zu wollen, da wir doch
^"glich sehen, daß den verschiednen Menschen unter derselben Konstellation die ver¬
schiedensten Schicksale zustoßen. (Könnte man nicht dasselbe auch gegen Falb ein¬
wenden, da doch seine "Flntfaktoren" für die ganze Erde immer dieselben sind,
Während das Wetter jederzeit ans den verschiednen Punkten der Erdoberfläche ver¬
schieden ist?) -- Georg Kellen hat 32 kleine, hübsche und leicht lesbare Plaudereien
ZU einem Büchlein vereinigt, das er Fnckelzug durch Kunst und Kultur betitelt
Berlin. Ernst Hofmann u. Co., 1901). Das Christentum und die Kirchen schätzt
^,zu niedrig ein, sonst aber spricht er über manchen Kultnrunsinn, wie über die
Ästige Massenabfütternng und über den Wunderglauben um Namen, den die
Hlakatreklame ausnutzt, manches verständige Wort. Er hat auch eigne Gedanken,
S- B.: Die Satire kennt keine Toten. Nur das Lebende kann schaden und muß,
no es das verdient, durch Spott gestraft werden. Im Genie entwickeln sich die
höchsten Anlagen ans Kosten der niedern, und diese Einseitigkeit ist seine einzige
^erwandtschnft mit dem Wahnsinn. Weit mehr als das Genie ist die Leidenschaft
dem Wahnsinn verwandt. -- Eine viel umfangreichere Sammlung von Zeitungs-
^d Jonrnalartikeln, die er Kulturglossen nennt, hat Kurt Elsner (bei John
^delheim, Berlin, 1901) uuter dem Titel Taggeist herausgegeben, ein Wort, das,
^ uns der Verleger belehrt, bloß die Verdeutschung von Journalismus sein soll,
^'sners Leier ist, besonders in der Politik, nicht auf den Grenzbotenton gestimmt;
M nämlich seit ein paar Jahren Vvrwärtsredaktenr. Aber er gehört nicht zur
im Garde der Unentwegten und Verbohrten und versündigt sich durch so manche


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zeiten (vierter Band des Jahrgangs 1899 der Grenzboten Seite 83) dargestellt
und hebt auch diesesmal wieder die Verdienste Tycho Brahes um die Begründung
der Naturwissenschaften hervor. Sollte es noch Leute geben, die das Christentum
für die mittelalterliche Finsternis verantwortlich machen, so können sie mich aus
diesem Buche lernen, wie falsch ihre Ansicht ist. Zwar daran erinnert Troels-Lund
nicht, daß für die theoretischen Studien Kräfte erst frei werden konnten, nachdem
die jungen Volker des Nordens durch Abwehr asiatischer Räuberhorden, Urbar¬
machung des Bodens und Städtegründung ihr materielles Dasein gesichert hatten,
und daß von einer allgemeinen Verbreitung wissenschaftlicher Errungenschaften, die
den raschen und sichern Fortschritt erst möglich macht, vor der Erfindung und
Vervollkommnung der „schwarzen Kunst" keine Rede sein konnte. Aber er zeigt
doch, daß auch die abenteuerlichsten Phantastereien aus dem ehrlichen Drange
nach Erkenntnis hervorgegangen sind, daß sie ein Tasten nach wissenschaftlichen
Methoden waren, die anders als durch viel vergebliches Probieren nicht ge¬
funden werden konnten, und daß die große Masse von den Ergebnissen immer
nur das aufnahm und mit Fanatismus festhielt, was ihrem groben Sinn, ihrer
Einfalt und ihren Leidenschaften am meisten zusagte. Daß die führenden Geister
der Kirche immer vernünftig geurteilt haben, dafür wollen wir, da in dem be-
sprochnen Buche so viel von Astrologie'die Rede ist, ein Zeugnis aus Augustinus
anführen. Im zweiten Kapitel des fünften Buches vo eivitats ohl erwähnt er, daß,
wie er bei Cicero gelesen habe, Hippokrntes aus dem gleichzeitigen Erkranken zweier
Brüder und aus dem gleichartigen Verlauf ihrer Krankheit geschlossen habe, sie
Mer wahrscheinlich Zwillinge. Der Stoiker Posidonius dagegen habe behauptet,
f>e müßten unter derselben Konstellation empfangen und geboren sein. Die Konjektur
des Arztes sei viel annehmbarer als die des Philosophen. Denn bei gleichem
Gesundheitszustande der Eltern gezeugt, bei demselben Zustande des Mutterleibes
entwickelt, unter denselben Lebensbedingungen nnfgewachsen, konnten sie wohl von
^ner so gleichartigen Leibesbeschnffenheit sein, daß sie dieselben Gesundheitsstörungen
SU derselben Zeit erlitten. Wenn aber, fährt Augustinus fort, vieler Zwillinge
<-eben ganz verschieden verläuft, so würde das Hippokrates ohne Zweifel ganz
nichtig daraus erklären, daß sie nach der Geburt verschiedne Schicksale erleiden
und infolge abweichender Ansichten und Neigungen verschiedne Lebensgewohnheiten
annehmen. Dagegen ist es geradezu unverschämt, die Gleichartigkeit und Gleich¬
zeitigkeit der Erkrankungen auf die Gestirne zurückführen zu wollen, da wir doch
^"glich sehen, daß den verschiednen Menschen unter derselben Konstellation die ver¬
schiedensten Schicksale zustoßen. (Könnte man nicht dasselbe auch gegen Falb ein¬
wenden, da doch seine „Flntfaktoren" für die ganze Erde immer dieselben sind,
Während das Wetter jederzeit ans den verschiednen Punkten der Erdoberfläche ver¬
schieden ist?) — Georg Kellen hat 32 kleine, hübsche und leicht lesbare Plaudereien
ZU einem Büchlein vereinigt, das er Fnckelzug durch Kunst und Kultur betitelt
Berlin. Ernst Hofmann u. Co., 1901). Das Christentum und die Kirchen schätzt
^,zu niedrig ein, sonst aber spricht er über manchen Kultnrunsinn, wie über die
Ästige Massenabfütternng und über den Wunderglauben um Namen, den die
Hlakatreklame ausnutzt, manches verständige Wort. Er hat auch eigne Gedanken,
S- B.: Die Satire kennt keine Toten. Nur das Lebende kann schaden und muß,
no es das verdient, durch Spott gestraft werden. Im Genie entwickeln sich die
höchsten Anlagen ans Kosten der niedern, und diese Einseitigkeit ist seine einzige
^erwandtschnft mit dem Wahnsinn. Weit mehr als das Genie ist die Leidenschaft
dem Wahnsinn verwandt. — Eine viel umfangreichere Sammlung von Zeitungs-
^d Jonrnalartikeln, die er Kulturglossen nennt, hat Kurt Elsner (bei John
^delheim, Berlin, 1901) uuter dem Titel Taggeist herausgegeben, ein Wort, das,
^ uns der Verleger belehrt, bloß die Verdeutschung von Journalismus sein soll,
^'sners Leier ist, besonders in der Politik, nicht auf den Grenzbotenton gestimmt;
M nämlich seit ein paar Jahren Vvrwärtsredaktenr. Aber er gehört nicht zur
im Garde der Unentwegten und Verbohrten und versündigt sich durch so manche


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[0685] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zeiten (vierter Band des Jahrgangs 1899 der Grenzboten Seite 83) dargestellt und hebt auch diesesmal wieder die Verdienste Tycho Brahes um die Begründung der Naturwissenschaften hervor. Sollte es noch Leute geben, die das Christentum für die mittelalterliche Finsternis verantwortlich machen, so können sie mich aus diesem Buche lernen, wie falsch ihre Ansicht ist. Zwar daran erinnert Troels-Lund nicht, daß für die theoretischen Studien Kräfte erst frei werden konnten, nachdem die jungen Volker des Nordens durch Abwehr asiatischer Räuberhorden, Urbar¬ machung des Bodens und Städtegründung ihr materielles Dasein gesichert hatten, und daß von einer allgemeinen Verbreitung wissenschaftlicher Errungenschaften, die den raschen und sichern Fortschritt erst möglich macht, vor der Erfindung und Vervollkommnung der „schwarzen Kunst" keine Rede sein konnte. Aber er zeigt doch, daß auch die abenteuerlichsten Phantastereien aus dem ehrlichen Drange nach Erkenntnis hervorgegangen sind, daß sie ein Tasten nach wissenschaftlichen Methoden waren, die anders als durch viel vergebliches Probieren nicht ge¬ funden werden konnten, und daß die große Masse von den Ergebnissen immer nur das aufnahm und mit Fanatismus festhielt, was ihrem groben Sinn, ihrer Einfalt und ihren Leidenschaften am meisten zusagte. Daß die führenden Geister der Kirche immer vernünftig geurteilt haben, dafür wollen wir, da in dem be- sprochnen Buche so viel von Astrologie'die Rede ist, ein Zeugnis aus Augustinus anführen. Im zweiten Kapitel des fünften Buches vo eivitats ohl erwähnt er, daß, wie er bei Cicero gelesen habe, Hippokrntes aus dem gleichzeitigen Erkranken zweier Brüder und aus dem gleichartigen Verlauf ihrer Krankheit geschlossen habe, sie Mer wahrscheinlich Zwillinge. Der Stoiker Posidonius dagegen habe behauptet, f>e müßten unter derselben Konstellation empfangen und geboren sein. Die Konjektur des Arztes sei viel annehmbarer als die des Philosophen. Denn bei gleichem Gesundheitszustande der Eltern gezeugt, bei demselben Zustande des Mutterleibes entwickelt, unter denselben Lebensbedingungen nnfgewachsen, konnten sie wohl von ^ner so gleichartigen Leibesbeschnffenheit sein, daß sie dieselben Gesundheitsstörungen SU derselben Zeit erlitten. Wenn aber, fährt Augustinus fort, vieler Zwillinge <-eben ganz verschieden verläuft, so würde das Hippokrates ohne Zweifel ganz nichtig daraus erklären, daß sie nach der Geburt verschiedne Schicksale erleiden und infolge abweichender Ansichten und Neigungen verschiedne Lebensgewohnheiten annehmen. Dagegen ist es geradezu unverschämt, die Gleichartigkeit und Gleich¬ zeitigkeit der Erkrankungen auf die Gestirne zurückführen zu wollen, da wir doch ^"glich sehen, daß den verschiednen Menschen unter derselben Konstellation die ver¬ schiedensten Schicksale zustoßen. (Könnte man nicht dasselbe auch gegen Falb ein¬ wenden, da doch seine „Flntfaktoren" für die ganze Erde immer dieselben sind, Während das Wetter jederzeit ans den verschiednen Punkten der Erdoberfläche ver¬ schieden ist?) — Georg Kellen hat 32 kleine, hübsche und leicht lesbare Plaudereien ZU einem Büchlein vereinigt, das er Fnckelzug durch Kunst und Kultur betitelt Berlin. Ernst Hofmann u. Co., 1901). Das Christentum und die Kirchen schätzt ^,zu niedrig ein, sonst aber spricht er über manchen Kultnrunsinn, wie über die Ästige Massenabfütternng und über den Wunderglauben um Namen, den die Hlakatreklame ausnutzt, manches verständige Wort. Er hat auch eigne Gedanken, S- B.: Die Satire kennt keine Toten. Nur das Lebende kann schaden und muß, no es das verdient, durch Spott gestraft werden. Im Genie entwickeln sich die höchsten Anlagen ans Kosten der niedern, und diese Einseitigkeit ist seine einzige ^erwandtschnft mit dem Wahnsinn. Weit mehr als das Genie ist die Leidenschaft dem Wahnsinn verwandt. — Eine viel umfangreichere Sammlung von Zeitungs- ^d Jonrnalartikeln, die er Kulturglossen nennt, hat Kurt Elsner (bei John ^delheim, Berlin, 1901) uuter dem Titel Taggeist herausgegeben, ein Wort, das, ^ uns der Verleger belehrt, bloß die Verdeutschung von Journalismus sein soll, ^'sners Leier ist, besonders in der Politik, nicht auf den Grenzbotenton gestimmt; M nämlich seit ein paar Jahren Vvrwärtsredaktenr. Aber er gehört nicht zur im Garde der Unentwegten und Verbohrten und versündigt sich durch so manche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/685>, abgerufen am 22.07.2024.