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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Nnnicißgel'liebes

Ketzerei an der Parteiliche. Die Großstadt ist ihm zuwider -- die meisten der
hier veröffentlichte" Aufsätze hat er in Marburg geschrieben --, und er warnt die
Genossen davor, die "Aufklärung" (die Gänsefüßchen sind natürlich nicht von ihm)
zum intoleranten Dogma zu macheu. "Es ist nun einmal so: wir haben auch eine
Seele, eine unvernünftig schwärmende Seele. Auch die will ihr Recht haben. Ein
Tropfen aufgeklärten Berliuertums fort und dafür ein Tropfen des romantischen
Sozialismus der jungen Talarsozialisten von der Art des Pastor Naumann! sdas
ist vor neun Jahren geschrieben, j Ich glaube, sie werden diesen Tausch nicht zu
bereuen haben." Man sieht ungefähr, wie er zu den Sozialdemokraten gekommen
ist. Es drängte ihn, sich an der praktischen Politik zu beteiligen, aber er war zu
sehr Denker, als daß er die theoretische Rechtfertigung seiner praktischen Thätigkeit
hätte entbehren können. Solche schien ihm nnr bei der Sozialdemokratie möglich,
weil die alten Parteien mit Ausnahme des Zentrums, das für ihn nicht in Frage
kam, nur noch Interessen, aber keine Theorie mehr haben. Egidy nennt er einen
politischen Temperenzler, der dem alten Wahne huldige, man könne die Welt durch
gut zureden gut machen. "Feind bleibt Feind. Versöhnung stiften soll man nnter den
Freunden, die Gleichfühlenden bilden zu Gleichdenkenden und Gleichhandelnden. Die
freien und feinen, über dem engen Fraktionsgeist schwärmenden Ideen ^Idealisten?j
seien Werber und Bildner schaffensstarker Machte, nicht Gründer von ohnmächtigen
Sekten! Herr von Egidy, der Utopist der Versöhnung, ist einer nur vou vielen
beiseite stehenden Feingeistern. Sie mögen aufhören, den Fusel zu scheuen!"
So hat er denn selbst den Widerwillen gegen den Fusel überwunden und ist
Genosse geworden. Den letzten Stoß mag ihm seine Verurteilung wegen Majestäts¬
beleidigung gegeben haben, deren Geschichte als höchst merkwürdiger Beitrag zur
Theorie des clow8 sventualis dem Studium der Juristen empfohlen sei. Eismer
versichert, daß wenn er den Kaiser hätte angreifen "vollen, er es offen gethan hätte,
da er die Caligulamanier der Quitte und Konsorten verachte. Die größere Hälfte
des Buches ist Politischen Inhalts. Kulturfragen im engern Sinne, namentlich
litterarische, behandeln die Aufsätze der zweite" und der dritten Abteilung, darunter
Kritiken von Werken Nietzsches, Ibsens und Gerhard Hauptmanns. In der
Schätzung des Wertes der Kultur im allgemeinen steht uns der Verfasser nahe,
wie folgender Satz beweist: "Die Technik beglückt das menschliche Bewußtsein
mehr deshalb, weil es an dem Stolz blühend emporwächst, daß alles dies die
Leistung des Menschenwitzes sei, als durch die Förderung der äußern Behaglichkeit.
Diese kaun der Mensch entbehren, jenes Gefühl niemals." Wenn er meint, die
Zeit sei noch fern, wo die Wissenschaft die Religion werde ersetzen können, in der
Übergangszeit bleibe uns die Kunst als Ersatz, so überlassen wir es dem Leser,
zu entscheide", was daran Wahrheit und was Irrtum ist. -- Hieronymus Lorm
ist in Person die Lösung nicht bloß einer, sondern der Kulturfrage, der Frage, ob
Kultur an sich einen Wert hat. Zwar die bewundruugswürdige Energie, mit der
er sich einen sinnreichen Ersatz für die beiden wichtigsten Sinne geschaffen hat, ist
Naturgabe, aber ohne den Gedankenschatz, den ihm unsre reiche Kultur bis zum
zwanzigsten Jahre geliefert hatte, wo er, schon erblindet, auch uoch das Gehör
vollständig verlor, würde er weder seine sinnreiche Zeichensprache erfunden noch
jenes inwendige Paradies angebaut haben, aus dem er vollsinnigcn Menschen edle
Früchte spendet. Daß ein Mann, dem so schweres beschicken ist, Pessimist wird,
ist erklärlich und entschuldbar. Die Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit seines
Pessimismus aber beweist, daß dieser nur noch im Kopfe nicht mehr im Herzen
steckt. Grundlosen Optimismus nennt er selbst seine Lebensauffassung in dem (bei
Karl Prochaska in Teschen 1901 in zweiter Anfluge erschienenen) Büchlein: Der
Naturgenuß. Ein Beitrag zur Glückseligkeitslehre. Wenn man bekennt,
daß man sich innerlich heiter fühlt, und wenn man zur Erheiterung andrer bei¬
trägt, so beweist man damit, daß es wahres Glück giebt in dieser Welt. In der
Zeit, wo man dieses Glück uoch uicht errungen, noch nicht einmal kennen gelernt
hatte, schien einem das Gegenteil bewiesen, und da man die mit viel Mühe und


Maßgebliches und Nnnicißgel'liebes

Ketzerei an der Parteiliche. Die Großstadt ist ihm zuwider — die meisten der
hier veröffentlichte« Aufsätze hat er in Marburg geschrieben —, und er warnt die
Genossen davor, die „Aufklärung" (die Gänsefüßchen sind natürlich nicht von ihm)
zum intoleranten Dogma zu macheu. „Es ist nun einmal so: wir haben auch eine
Seele, eine unvernünftig schwärmende Seele. Auch die will ihr Recht haben. Ein
Tropfen aufgeklärten Berliuertums fort und dafür ein Tropfen des romantischen
Sozialismus der jungen Talarsozialisten von der Art des Pastor Naumann! sdas
ist vor neun Jahren geschrieben, j Ich glaube, sie werden diesen Tausch nicht zu
bereuen haben." Man sieht ungefähr, wie er zu den Sozialdemokraten gekommen
ist. Es drängte ihn, sich an der praktischen Politik zu beteiligen, aber er war zu
sehr Denker, als daß er die theoretische Rechtfertigung seiner praktischen Thätigkeit
hätte entbehren können. Solche schien ihm nnr bei der Sozialdemokratie möglich,
weil die alten Parteien mit Ausnahme des Zentrums, das für ihn nicht in Frage
kam, nur noch Interessen, aber keine Theorie mehr haben. Egidy nennt er einen
politischen Temperenzler, der dem alten Wahne huldige, man könne die Welt durch
gut zureden gut machen. „Feind bleibt Feind. Versöhnung stiften soll man nnter den
Freunden, die Gleichfühlenden bilden zu Gleichdenkenden und Gleichhandelnden. Die
freien und feinen, über dem engen Fraktionsgeist schwärmenden Ideen ^Idealisten?j
seien Werber und Bildner schaffensstarker Machte, nicht Gründer von ohnmächtigen
Sekten! Herr von Egidy, der Utopist der Versöhnung, ist einer nur vou vielen
beiseite stehenden Feingeistern. Sie mögen aufhören, den Fusel zu scheuen!"
So hat er denn selbst den Widerwillen gegen den Fusel überwunden und ist
Genosse geworden. Den letzten Stoß mag ihm seine Verurteilung wegen Majestäts¬
beleidigung gegeben haben, deren Geschichte als höchst merkwürdiger Beitrag zur
Theorie des clow8 sventualis dem Studium der Juristen empfohlen sei. Eismer
versichert, daß wenn er den Kaiser hätte angreifen »vollen, er es offen gethan hätte,
da er die Caligulamanier der Quitte und Konsorten verachte. Die größere Hälfte
des Buches ist Politischen Inhalts. Kulturfragen im engern Sinne, namentlich
litterarische, behandeln die Aufsätze der zweite» und der dritten Abteilung, darunter
Kritiken von Werken Nietzsches, Ibsens und Gerhard Hauptmanns. In der
Schätzung des Wertes der Kultur im allgemeinen steht uns der Verfasser nahe,
wie folgender Satz beweist: „Die Technik beglückt das menschliche Bewußtsein
mehr deshalb, weil es an dem Stolz blühend emporwächst, daß alles dies die
Leistung des Menschenwitzes sei, als durch die Förderung der äußern Behaglichkeit.
Diese kaun der Mensch entbehren, jenes Gefühl niemals." Wenn er meint, die
Zeit sei noch fern, wo die Wissenschaft die Religion werde ersetzen können, in der
Übergangszeit bleibe uns die Kunst als Ersatz, so überlassen wir es dem Leser,
zu entscheide», was daran Wahrheit und was Irrtum ist. — Hieronymus Lorm
ist in Person die Lösung nicht bloß einer, sondern der Kulturfrage, der Frage, ob
Kultur an sich einen Wert hat. Zwar die bewundruugswürdige Energie, mit der
er sich einen sinnreichen Ersatz für die beiden wichtigsten Sinne geschaffen hat, ist
Naturgabe, aber ohne den Gedankenschatz, den ihm unsre reiche Kultur bis zum
zwanzigsten Jahre geliefert hatte, wo er, schon erblindet, auch uoch das Gehör
vollständig verlor, würde er weder seine sinnreiche Zeichensprache erfunden noch
jenes inwendige Paradies angebaut haben, aus dem er vollsinnigcn Menschen edle
Früchte spendet. Daß ein Mann, dem so schweres beschicken ist, Pessimist wird,
ist erklärlich und entschuldbar. Die Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit seines
Pessimismus aber beweist, daß dieser nur noch im Kopfe nicht mehr im Herzen
steckt. Grundlosen Optimismus nennt er selbst seine Lebensauffassung in dem (bei
Karl Prochaska in Teschen 1901 in zweiter Anfluge erschienenen) Büchlein: Der
Naturgenuß. Ein Beitrag zur Glückseligkeitslehre. Wenn man bekennt,
daß man sich innerlich heiter fühlt, und wenn man zur Erheiterung andrer bei¬
trägt, so beweist man damit, daß es wahres Glück giebt in dieser Welt. In der
Zeit, wo man dieses Glück uoch uicht errungen, noch nicht einmal kennen gelernt
hatte, schien einem das Gegenteil bewiesen, und da man die mit viel Mühe und


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[0686] Maßgebliches und Nnnicißgel'liebes Ketzerei an der Parteiliche. Die Großstadt ist ihm zuwider — die meisten der hier veröffentlichte« Aufsätze hat er in Marburg geschrieben —, und er warnt die Genossen davor, die „Aufklärung" (die Gänsefüßchen sind natürlich nicht von ihm) zum intoleranten Dogma zu macheu. „Es ist nun einmal so: wir haben auch eine Seele, eine unvernünftig schwärmende Seele. Auch die will ihr Recht haben. Ein Tropfen aufgeklärten Berliuertums fort und dafür ein Tropfen des romantischen Sozialismus der jungen Talarsozialisten von der Art des Pastor Naumann! sdas ist vor neun Jahren geschrieben, j Ich glaube, sie werden diesen Tausch nicht zu bereuen haben." Man sieht ungefähr, wie er zu den Sozialdemokraten gekommen ist. Es drängte ihn, sich an der praktischen Politik zu beteiligen, aber er war zu sehr Denker, als daß er die theoretische Rechtfertigung seiner praktischen Thätigkeit hätte entbehren können. Solche schien ihm nnr bei der Sozialdemokratie möglich, weil die alten Parteien mit Ausnahme des Zentrums, das für ihn nicht in Frage kam, nur noch Interessen, aber keine Theorie mehr haben. Egidy nennt er einen politischen Temperenzler, der dem alten Wahne huldige, man könne die Welt durch gut zureden gut machen. „Feind bleibt Feind. Versöhnung stiften soll man nnter den Freunden, die Gleichfühlenden bilden zu Gleichdenkenden und Gleichhandelnden. Die freien und feinen, über dem engen Fraktionsgeist schwärmenden Ideen ^Idealisten?j seien Werber und Bildner schaffensstarker Machte, nicht Gründer von ohnmächtigen Sekten! Herr von Egidy, der Utopist der Versöhnung, ist einer nur vou vielen beiseite stehenden Feingeistern. Sie mögen aufhören, den Fusel zu scheuen!" So hat er denn selbst den Widerwillen gegen den Fusel überwunden und ist Genosse geworden. Den letzten Stoß mag ihm seine Verurteilung wegen Majestäts¬ beleidigung gegeben haben, deren Geschichte als höchst merkwürdiger Beitrag zur Theorie des clow8 sventualis dem Studium der Juristen empfohlen sei. Eismer versichert, daß wenn er den Kaiser hätte angreifen »vollen, er es offen gethan hätte, da er die Caligulamanier der Quitte und Konsorten verachte. Die größere Hälfte des Buches ist Politischen Inhalts. Kulturfragen im engern Sinne, namentlich litterarische, behandeln die Aufsätze der zweite» und der dritten Abteilung, darunter Kritiken von Werken Nietzsches, Ibsens und Gerhard Hauptmanns. In der Schätzung des Wertes der Kultur im allgemeinen steht uns der Verfasser nahe, wie folgender Satz beweist: „Die Technik beglückt das menschliche Bewußtsein mehr deshalb, weil es an dem Stolz blühend emporwächst, daß alles dies die Leistung des Menschenwitzes sei, als durch die Förderung der äußern Behaglichkeit. Diese kaun der Mensch entbehren, jenes Gefühl niemals." Wenn er meint, die Zeit sei noch fern, wo die Wissenschaft die Religion werde ersetzen können, in der Übergangszeit bleibe uns die Kunst als Ersatz, so überlassen wir es dem Leser, zu entscheide», was daran Wahrheit und was Irrtum ist. — Hieronymus Lorm ist in Person die Lösung nicht bloß einer, sondern der Kulturfrage, der Frage, ob Kultur an sich einen Wert hat. Zwar die bewundruugswürdige Energie, mit der er sich einen sinnreichen Ersatz für die beiden wichtigsten Sinne geschaffen hat, ist Naturgabe, aber ohne den Gedankenschatz, den ihm unsre reiche Kultur bis zum zwanzigsten Jahre geliefert hatte, wo er, schon erblindet, auch uoch das Gehör vollständig verlor, würde er weder seine sinnreiche Zeichensprache erfunden noch jenes inwendige Paradies angebaut haben, aus dem er vollsinnigcn Menschen edle Früchte spendet. Daß ein Mann, dem so schweres beschicken ist, Pessimist wird, ist erklärlich und entschuldbar. Die Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit seines Pessimismus aber beweist, daß dieser nur noch im Kopfe nicht mehr im Herzen steckt. Grundlosen Optimismus nennt er selbst seine Lebensauffassung in dem (bei Karl Prochaska in Teschen 1901 in zweiter Anfluge erschienenen) Büchlein: Der Naturgenuß. Ein Beitrag zur Glückseligkeitslehre. Wenn man bekennt, daß man sich innerlich heiter fühlt, und wenn man zur Erheiterung andrer bei¬ trägt, so beweist man damit, daß es wahres Glück giebt in dieser Welt. In der Zeit, wo man dieses Glück uoch uicht errungen, noch nicht einmal kennen gelernt hatte, schien einem das Gegenteil bewiesen, und da man die mit viel Mühe und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/686>, abgerufen am 26.06.2024.