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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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gab da beiderseits manche bemerkte und unbemerkte Verspätung. Namentlich nach
etwaigen Tanzstunden und Bällen empfand der Primaner den Anfang um sieben
Uhr schwer. Und nun gar im Sommer die oft so heiße, traumbefnngne Stunde
um ein Uhr! Auch die Ferien waren kürzer als heute. Sie begannen zu Ostern
thatsächlich erst am Ende der Karwoche, umfaßten also nur etwa zehn Tage, wie
heute leider wieder an unsern großstädtischen höhern Schulen, und die großen
Ferien dauerten nur drei Wochen, dagegen die Ferien zu Pfingsten, Michaelis und
Weihnachten die jetzt im allgemeinen übliche Zeit. Dafür gab es nun eine Reihe
von schulfreien Tagen. An jedem der vier Jahrmärkte waren zwei Tage frei, weil
da der Lärm des Markttreibens um das alte Gymnasium störte, und die Eltern
der Schüler aus der Nachbarschaft hereinzukommen Pflegten, also auch mit ihren
Sprößlingen zusammen sein wollten. Sodann hielt es jeder dieser Auswärtigen
für sein natürliches Menschenrecht, zur Kirmesfeier seines Heimatsorts zwei weitere
Tage frei zu haben, was im Herbst den Unterricht oft genug unterbrach, aber au-
stnndslos bewilligt wurde.

Der Abschluß des Schuljahrs gestaltete sich etwas anders und in mancher Be¬
ziehung feierlicher als heute, und es trat dabei wieder der charakteristische Zug her¬
vor, daß die Schule nach allen Richtungen hin fester mit ihrer ganzen Umgebung
verwachsen war und ein viel bedeutsameres Stück vou ihr bildete als heute, nament¬
lich als ein großstädtisches Gymnasium, das nur eine unter vielen höhern Schulen ist.
Die öffentlichen Klassenprüfungen nahmen zwei bis drei Tage in Anspruch, wurden
und Gesang eröffnet und durch Schülerdeklmnationen belebt und waren im ganzen
gut besucht. Am Sonnabend vor Palmarum folgten "Zensur" und "Translokation,"
die in den einzelnen Klassen vorgenommen wurden, um Montag danach die feier-
"che Entlassung der Abiturienten, zu deren "Maturitätsexamen" -- so sagten wir
noch -- damals kein königlicher Konunissar erschien, Dienstag die Prüfung der
von einem der Theologen unter den Lehrern zusammen vorbereiteten Konfirmanden
der Schule durch eiuen Geistlichen und die Konfirmation selbst als eine Angelegen-
^it auch der Schule, Mittwoch Beichte, Gründonnerstag Kommunion für das
Kollegium und die konfirmierten Schüler.

Schon daraus ergiebt sich, daß die Beziehungen der Schule zur Kirche enger
^ren, als sie heute, namentlich bei großstädtischen Gymnasien, zu sein Pflegen.
Die konfirmierten Schüler besuchten klassenweise unter der "Inspektion" von Lehrern
den Gottesdienst, und außer zu Ostern fanden noch zweimal im Jahre Beichte und
Abendmahl statt. Dazu bestand von altersher ein Singechor unter der Leitung
des Kantors und in selner Stellvertretung des "Präfekten," meist aus ärmern
Schülern des Gymnasiums gebildet, die dafür ein "Fixum" und für die besondern
Leistungen anch noch meist wesentlich höhere "Accidentien" bei der halbjährigen
"Chorteilung" erhielten. Dafür mußten diese "Choristen" in der Hauptkirche zu
^ ^°hannis "u den Sonn- und Festtagen und bei großen Trauungen, sogenannten
"Brautmessen," den Gesang ausführen, ferner auf Bestellung am Tage vor einem
Aegräbnis vor oder in dem Trauerhause singen ("Absingen"), endlich bei größern
Begräbnissen, sogenannten "Leichenpredigten," dem Trauerzuge mit dem Kruzifix
unter Gesang vorangehn und in der Kirche singen. In beiden Fällen trugen die
^horisten, goß und klein, zum schwarzen Rock auch den hohen schwarzen Hut, was
^ vielen sehr possierlich aussah, uns aber nicht auffiel. Bei solchen "Leichenpre¬
digten" und auch bei dem sehr selten vorkommenden Begräbnis erster Klasse, dem
'"genannten "großen Fignral," mußten auch die Schüler der obern drei Klassen
""t einigen Lehrern vor dem Sarge herziehn, und ich kann noch jetzt die Straße
"ach dem Friedhof nicht sehen, ohne mich an das Bild des langen dunkeln Trauer-
öugs und die Klänge eines Sterbelieds zu erinnern. Jetzt sind diese Bräuche als
unzeitgemäß längst abgeschafft, wir fanden damals nichts darin, am wenigsten etwas
Unwürdiges, und da^wir mit dem Gemüt bei dem Trauerfall gar nicht beteiligt
"^'en, ja uicht einmal den Namen des Verstorbnen erfuhren, so freuten wir uns


gab da beiderseits manche bemerkte und unbemerkte Verspätung. Namentlich nach
etwaigen Tanzstunden und Bällen empfand der Primaner den Anfang um sieben
Uhr schwer. Und nun gar im Sommer die oft so heiße, traumbefnngne Stunde
um ein Uhr! Auch die Ferien waren kürzer als heute. Sie begannen zu Ostern
thatsächlich erst am Ende der Karwoche, umfaßten also nur etwa zehn Tage, wie
heute leider wieder an unsern großstädtischen höhern Schulen, und die großen
Ferien dauerten nur drei Wochen, dagegen die Ferien zu Pfingsten, Michaelis und
Weihnachten die jetzt im allgemeinen übliche Zeit. Dafür gab es nun eine Reihe
von schulfreien Tagen. An jedem der vier Jahrmärkte waren zwei Tage frei, weil
da der Lärm des Markttreibens um das alte Gymnasium störte, und die Eltern
der Schüler aus der Nachbarschaft hereinzukommen Pflegten, also auch mit ihren
Sprößlingen zusammen sein wollten. Sodann hielt es jeder dieser Auswärtigen
für sein natürliches Menschenrecht, zur Kirmesfeier seines Heimatsorts zwei weitere
Tage frei zu haben, was im Herbst den Unterricht oft genug unterbrach, aber au-
stnndslos bewilligt wurde.

Der Abschluß des Schuljahrs gestaltete sich etwas anders und in mancher Be¬
ziehung feierlicher als heute, und es trat dabei wieder der charakteristische Zug her¬
vor, daß die Schule nach allen Richtungen hin fester mit ihrer ganzen Umgebung
verwachsen war und ein viel bedeutsameres Stück vou ihr bildete als heute, nament¬
lich als ein großstädtisches Gymnasium, das nur eine unter vielen höhern Schulen ist.
Die öffentlichen Klassenprüfungen nahmen zwei bis drei Tage in Anspruch, wurden
und Gesang eröffnet und durch Schülerdeklmnationen belebt und waren im ganzen
gut besucht. Am Sonnabend vor Palmarum folgten „Zensur" und „Translokation,"
die in den einzelnen Klassen vorgenommen wurden, um Montag danach die feier-
"che Entlassung der Abiturienten, zu deren „Maturitätsexamen" — so sagten wir
noch — damals kein königlicher Konunissar erschien, Dienstag die Prüfung der
von einem der Theologen unter den Lehrern zusammen vorbereiteten Konfirmanden
der Schule durch eiuen Geistlichen und die Konfirmation selbst als eine Angelegen-
^it auch der Schule, Mittwoch Beichte, Gründonnerstag Kommunion für das
Kollegium und die konfirmierten Schüler.

Schon daraus ergiebt sich, daß die Beziehungen der Schule zur Kirche enger
^ren, als sie heute, namentlich bei großstädtischen Gymnasien, zu sein Pflegen.
Die konfirmierten Schüler besuchten klassenweise unter der „Inspektion" von Lehrern
den Gottesdienst, und außer zu Ostern fanden noch zweimal im Jahre Beichte und
Abendmahl statt. Dazu bestand von altersher ein Singechor unter der Leitung
des Kantors und in selner Stellvertretung des „Präfekten," meist aus ärmern
Schülern des Gymnasiums gebildet, die dafür ein „Fixum" und für die besondern
Leistungen anch noch meist wesentlich höhere „Accidentien" bei der halbjährigen
"Chorteilung" erhielten. Dafür mußten diese „Choristen" in der Hauptkirche zu
^ ^°hannis "u den Sonn- und Festtagen und bei großen Trauungen, sogenannten
"Brautmessen," den Gesang ausführen, ferner auf Bestellung am Tage vor einem
Aegräbnis vor oder in dem Trauerhause singen („Absingen"), endlich bei größern
Begräbnissen, sogenannten „Leichenpredigten," dem Trauerzuge mit dem Kruzifix
unter Gesang vorangehn und in der Kirche singen. In beiden Fällen trugen die
^horisten, goß und klein, zum schwarzen Rock auch den hohen schwarzen Hut, was
^ vielen sehr possierlich aussah, uns aber nicht auffiel. Bei solchen „Leichenpre¬
digten" und auch bei dem sehr selten vorkommenden Begräbnis erster Klasse, dem
'"genannten „großen Fignral," mußten auch die Schüler der obern drei Klassen
""t einigen Lehrern vor dem Sarge herziehn, und ich kann noch jetzt die Straße
"ach dem Friedhof nicht sehen, ohne mich an das Bild des langen dunkeln Trauer-
öugs und die Klänge eines Sterbelieds zu erinnern. Jetzt sind diese Bräuche als
unzeitgemäß längst abgeschafft, wir fanden damals nichts darin, am wenigsten etwas
Unwürdiges, und da^wir mit dem Gemüt bei dem Trauerfall gar nicht beteiligt
"^'en, ja uicht einmal den Namen des Verstorbnen erfuhren, so freuten wir uns


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[0671] gab da beiderseits manche bemerkte und unbemerkte Verspätung. Namentlich nach etwaigen Tanzstunden und Bällen empfand der Primaner den Anfang um sieben Uhr schwer. Und nun gar im Sommer die oft so heiße, traumbefnngne Stunde um ein Uhr! Auch die Ferien waren kürzer als heute. Sie begannen zu Ostern thatsächlich erst am Ende der Karwoche, umfaßten also nur etwa zehn Tage, wie heute leider wieder an unsern großstädtischen höhern Schulen, und die großen Ferien dauerten nur drei Wochen, dagegen die Ferien zu Pfingsten, Michaelis und Weihnachten die jetzt im allgemeinen übliche Zeit. Dafür gab es nun eine Reihe von schulfreien Tagen. An jedem der vier Jahrmärkte waren zwei Tage frei, weil da der Lärm des Markttreibens um das alte Gymnasium störte, und die Eltern der Schüler aus der Nachbarschaft hereinzukommen Pflegten, also auch mit ihren Sprößlingen zusammen sein wollten. Sodann hielt es jeder dieser Auswärtigen für sein natürliches Menschenrecht, zur Kirmesfeier seines Heimatsorts zwei weitere Tage frei zu haben, was im Herbst den Unterricht oft genug unterbrach, aber au- stnndslos bewilligt wurde. Der Abschluß des Schuljahrs gestaltete sich etwas anders und in mancher Be¬ ziehung feierlicher als heute, und es trat dabei wieder der charakteristische Zug her¬ vor, daß die Schule nach allen Richtungen hin fester mit ihrer ganzen Umgebung verwachsen war und ein viel bedeutsameres Stück vou ihr bildete als heute, nament¬ lich als ein großstädtisches Gymnasium, das nur eine unter vielen höhern Schulen ist. Die öffentlichen Klassenprüfungen nahmen zwei bis drei Tage in Anspruch, wurden und Gesang eröffnet und durch Schülerdeklmnationen belebt und waren im ganzen gut besucht. Am Sonnabend vor Palmarum folgten „Zensur" und „Translokation," die in den einzelnen Klassen vorgenommen wurden, um Montag danach die feier- "che Entlassung der Abiturienten, zu deren „Maturitätsexamen" — so sagten wir noch — damals kein königlicher Konunissar erschien, Dienstag die Prüfung der von einem der Theologen unter den Lehrern zusammen vorbereiteten Konfirmanden der Schule durch eiuen Geistlichen und die Konfirmation selbst als eine Angelegen- ^it auch der Schule, Mittwoch Beichte, Gründonnerstag Kommunion für das Kollegium und die konfirmierten Schüler. Schon daraus ergiebt sich, daß die Beziehungen der Schule zur Kirche enger ^ren, als sie heute, namentlich bei großstädtischen Gymnasien, zu sein Pflegen. Die konfirmierten Schüler besuchten klassenweise unter der „Inspektion" von Lehrern den Gottesdienst, und außer zu Ostern fanden noch zweimal im Jahre Beichte und Abendmahl statt. Dazu bestand von altersher ein Singechor unter der Leitung des Kantors und in selner Stellvertretung des „Präfekten," meist aus ärmern Schülern des Gymnasiums gebildet, die dafür ein „Fixum" und für die besondern Leistungen anch noch meist wesentlich höhere „Accidentien" bei der halbjährigen "Chorteilung" erhielten. Dafür mußten diese „Choristen" in der Hauptkirche zu ^ ^°hannis "u den Sonn- und Festtagen und bei großen Trauungen, sogenannten "Brautmessen," den Gesang ausführen, ferner auf Bestellung am Tage vor einem Aegräbnis vor oder in dem Trauerhause singen („Absingen"), endlich bei größern Begräbnissen, sogenannten „Leichenpredigten," dem Trauerzuge mit dem Kruzifix unter Gesang vorangehn und in der Kirche singen. In beiden Fällen trugen die ^horisten, goß und klein, zum schwarzen Rock auch den hohen schwarzen Hut, was ^ vielen sehr possierlich aussah, uns aber nicht auffiel. Bei solchen „Leichenpre¬ digten" und auch bei dem sehr selten vorkommenden Begräbnis erster Klasse, dem '"genannten „großen Fignral," mußten auch die Schüler der obern drei Klassen ""t einigen Lehrern vor dem Sarge herziehn, und ich kann noch jetzt die Straße "ach dem Friedhof nicht sehen, ohne mich an das Bild des langen dunkeln Trauer- öugs und die Klänge eines Sterbelieds zu erinnern. Jetzt sind diese Bräuche als unzeitgemäß längst abgeschafft, wir fanden damals nichts darin, am wenigsten etwas Unwürdiges, und da^wir mit dem Gemüt bei dem Trauerfall gar nicht beteiligt "^'en, ja uicht einmal den Namen des Verstorbnen erfuhren, so freuten wir uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/671>, abgerufen am 26.06.2024.