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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Ein sächsisches Gymnasium vor vierzig Jahren

Neuphilologen damals noch nicht gab, und der einzige Vertreter der beiden modernen
Sprachen an der Realschule für das Gymnasium nicht verwendbar war, schon weil
er keine eigentlich wissenschaftliche Vorbildung hatte, so blieb das Gymnasialfrnnzösisch
den Theologen und Philologen, die sich dafür zu eignen schienen, aber niemals in
Frankreich gewesen waren, überlassen, und die Heranbildung zum Sprechen und
Schreiben, die für eine moderne Sprache schließlich doch eine Hauptsache ist, wahr¬
scheinlich mangelhaft genug, obwohl wir es bis zu freien Aufsätzen brachten. In der
Lektüre haben wir von der klassischen Litteratur des Wels <le I^ouis XIV fast nichts
zu sehen bekommen; in der Hauptsache wurden Chrestomathie" benutzt, wie das da¬
mals weit verbreitete Buch von Ideler und Rolle. Dagegen wird der Unterricht
im Hebräischen dem jetzigen kaum nachgestanden haben, und er fand mehr Teilnahme
als heute, weil ihn damals nicht uur die künstigen Theologen, souderu auch die
spätern Philologen zu besuchen pflegten.

Im deutschen Unterricht möchte ich es als eine Schwäche des alten Gymna¬
siums im Vergleich mit dem heutigen bezeichnen, daß auf den untern Stufen zu¬
viel theoretische Grammatik getrieben und zu wenig gelesen wurde. Dieser Mangel
machte sich auch in Sekunda und in Prima geltend. In Sekunda wurde eine von
den drei Wochenstunden auf Rhetorik und Poetik verwandt, denen wir nicht viel
Interesse abzugewinnen vermochten, daneben wurde ein oder höchstens zwei Stücke von
Schiller oder etwa Hermann und Dorothea gelesen, Stunden, von denen ich keinerlei
Eindruck behalte" habe. Die Litteraturgeschichte begann erst in Prima; in deren
erstes Jahr fiel deshalb anch das Mittelhochdeutsche, dem heute das ganze Jahr
der Obersekuuda zugewiesen ist, aber es blieb dafür und für die Lektüre etwa des
Nibelungenliedes und einiger Lieder Walthers zu wenig Zeit. Von der modernen
klassischen Dichtung wurde in der Stunde selbst eigentlich nichts gelesen. Aber eine
kräftige Anregung, sich mit ihr privatim zu beschäftigen, gaben hänfig die Themen
Zu den deutschen Vorträgen und Aufsätzen. Aufsätze wurde" in Prima in jedem
Jahre vier geschrieben, zu denen noch zwei Prüfungsaufsätze kamen.

Mein Vater Pflegte dazu jedesmal drei Themen aus verschiednen Gebieten zu
stellen, um den verschiednen Interessen gerecht zu werden, z. B. über Schillers Aus¬
spruch: Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die
Schuld; Warum wendet das Vvlksgefühl den großen Heerführern vor andern aus¬
gezeichneten Männern Teilnahme und Bewundrung zu? Hatte Hütten zu dem
Ausspruche: O Jahrhundert, es ist eine Lust in dir zu leben! ausreichende Gründe?
Oder: Schillers Max Piccolomini eine Tragödie in der Tragödie. -- Erlernen und
Erleben. -- Goethes Vater in des Sohnes Wahrheit und Dichtung. Die Themen
wurden mit der Klasse sorgfältig besprochen, zur Bearbeitung sechs bis acht Wochen
Frist gewährt, und wir verschoben die Arbeit nicht etwa bis auf die letzten Tage,
sondern sie bildete wirklich für die gnuze Zeit den Mittelpunkt einer gewissen selb¬
ständigen Thätigkeit, etwa wie früher die "Quartalaufsätze" in den Fürstenschulen.
Aus ihr gingen zuweilen sehr umfängliche Arbeiten hervor, die in Thema, Anlage
und Ausführung sehr weit über das Hinansgriffen, was heutzutage möglich ist und
verlangt werdeu turn. Ich habe im letzten Jahre der Prima damals folgende
Themen bearbeitet: Mit welchem Rechte tuum man behaupten, daß alles Heidentum
den Meuscheu an die Gegenwart kelte? -- Die Christen in Lessings Nathan. --
Alexnnder der Große als Vertreter der griechischen Zivilisation. -- Die Griechen
und Römer in der Auffassung und Behandlung fremder Nationalitäten. Es sind
Themen, über die sich ebenso gut Bücher schreiben ließen, und manche werden ein¬
zelne von ihnen verstiegen" nennen; in der That muteten sie dem Gymnasiasten
^ne sehr energische Arbeit zu, die sich z. B. bei deu beiden letzten Themen auch
"uf Ritters Erdkunde richtete und nicht selten bis auf die Quellen zurückging, aber
ste gaben eine kräftige Anregung und eine Vorbereitung zu wissenschaftlicher Be¬
handlung eiues wichtigen Gegenstandes, die ich noch heute dankbar empfinde.

Daß der Religionsunterricht in guten Händen war, wird man bei der grünt-


Ein sächsisches Gymnasium vor vierzig Jahren

Neuphilologen damals noch nicht gab, und der einzige Vertreter der beiden modernen
Sprachen an der Realschule für das Gymnasium nicht verwendbar war, schon weil
er keine eigentlich wissenschaftliche Vorbildung hatte, so blieb das Gymnasialfrnnzösisch
den Theologen und Philologen, die sich dafür zu eignen schienen, aber niemals in
Frankreich gewesen waren, überlassen, und die Heranbildung zum Sprechen und
Schreiben, die für eine moderne Sprache schließlich doch eine Hauptsache ist, wahr¬
scheinlich mangelhaft genug, obwohl wir es bis zu freien Aufsätzen brachten. In der
Lektüre haben wir von der klassischen Litteratur des Wels <le I^ouis XIV fast nichts
zu sehen bekommen; in der Hauptsache wurden Chrestomathie» benutzt, wie das da¬
mals weit verbreitete Buch von Ideler und Rolle. Dagegen wird der Unterricht
im Hebräischen dem jetzigen kaum nachgestanden haben, und er fand mehr Teilnahme
als heute, weil ihn damals nicht uur die künstigen Theologen, souderu auch die
spätern Philologen zu besuchen pflegten.

Im deutschen Unterricht möchte ich es als eine Schwäche des alten Gymna¬
siums im Vergleich mit dem heutigen bezeichnen, daß auf den untern Stufen zu¬
viel theoretische Grammatik getrieben und zu wenig gelesen wurde. Dieser Mangel
machte sich auch in Sekunda und in Prima geltend. In Sekunda wurde eine von
den drei Wochenstunden auf Rhetorik und Poetik verwandt, denen wir nicht viel
Interesse abzugewinnen vermochten, daneben wurde ein oder höchstens zwei Stücke von
Schiller oder etwa Hermann und Dorothea gelesen, Stunden, von denen ich keinerlei
Eindruck behalte» habe. Die Litteraturgeschichte begann erst in Prima; in deren
erstes Jahr fiel deshalb anch das Mittelhochdeutsche, dem heute das ganze Jahr
der Obersekuuda zugewiesen ist, aber es blieb dafür und für die Lektüre etwa des
Nibelungenliedes und einiger Lieder Walthers zu wenig Zeit. Von der modernen
klassischen Dichtung wurde in der Stunde selbst eigentlich nichts gelesen. Aber eine
kräftige Anregung, sich mit ihr privatim zu beschäftigen, gaben hänfig die Themen
Zu den deutschen Vorträgen und Aufsätzen. Aufsätze wurde» in Prima in jedem
Jahre vier geschrieben, zu denen noch zwei Prüfungsaufsätze kamen.

Mein Vater Pflegte dazu jedesmal drei Themen aus verschiednen Gebieten zu
stellen, um den verschiednen Interessen gerecht zu werden, z. B. über Schillers Aus¬
spruch: Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die
Schuld; Warum wendet das Vvlksgefühl den großen Heerführern vor andern aus¬
gezeichneten Männern Teilnahme und Bewundrung zu? Hatte Hütten zu dem
Ausspruche: O Jahrhundert, es ist eine Lust in dir zu leben! ausreichende Gründe?
Oder: Schillers Max Piccolomini eine Tragödie in der Tragödie. — Erlernen und
Erleben. — Goethes Vater in des Sohnes Wahrheit und Dichtung. Die Themen
wurden mit der Klasse sorgfältig besprochen, zur Bearbeitung sechs bis acht Wochen
Frist gewährt, und wir verschoben die Arbeit nicht etwa bis auf die letzten Tage,
sondern sie bildete wirklich für die gnuze Zeit den Mittelpunkt einer gewissen selb¬
ständigen Thätigkeit, etwa wie früher die „Quartalaufsätze" in den Fürstenschulen.
Aus ihr gingen zuweilen sehr umfängliche Arbeiten hervor, die in Thema, Anlage
und Ausführung sehr weit über das Hinansgriffen, was heutzutage möglich ist und
verlangt werdeu turn. Ich habe im letzten Jahre der Prima damals folgende
Themen bearbeitet: Mit welchem Rechte tuum man behaupten, daß alles Heidentum
den Meuscheu an die Gegenwart kelte? — Die Christen in Lessings Nathan. —
Alexnnder der Große als Vertreter der griechischen Zivilisation. — Die Griechen
und Römer in der Auffassung und Behandlung fremder Nationalitäten. Es sind
Themen, über die sich ebenso gut Bücher schreiben ließen, und manche werden ein¬
zelne von ihnen verstiegen" nennen; in der That muteten sie dem Gymnasiasten
^ne sehr energische Arbeit zu, die sich z. B. bei deu beiden letzten Themen auch
"uf Ritters Erdkunde richtete und nicht selten bis auf die Quellen zurückging, aber
ste gaben eine kräftige Anregung und eine Vorbereitung zu wissenschaftlicher Be¬
handlung eiues wichtigen Gegenstandes, die ich noch heute dankbar empfinde.

Daß der Religionsunterricht in guten Händen war, wird man bei der grünt-


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[0669] Ein sächsisches Gymnasium vor vierzig Jahren Neuphilologen damals noch nicht gab, und der einzige Vertreter der beiden modernen Sprachen an der Realschule für das Gymnasium nicht verwendbar war, schon weil er keine eigentlich wissenschaftliche Vorbildung hatte, so blieb das Gymnasialfrnnzösisch den Theologen und Philologen, die sich dafür zu eignen schienen, aber niemals in Frankreich gewesen waren, überlassen, und die Heranbildung zum Sprechen und Schreiben, die für eine moderne Sprache schließlich doch eine Hauptsache ist, wahr¬ scheinlich mangelhaft genug, obwohl wir es bis zu freien Aufsätzen brachten. In der Lektüre haben wir von der klassischen Litteratur des Wels <le I^ouis XIV fast nichts zu sehen bekommen; in der Hauptsache wurden Chrestomathie» benutzt, wie das da¬ mals weit verbreitete Buch von Ideler und Rolle. Dagegen wird der Unterricht im Hebräischen dem jetzigen kaum nachgestanden haben, und er fand mehr Teilnahme als heute, weil ihn damals nicht uur die künstigen Theologen, souderu auch die spätern Philologen zu besuchen pflegten. Im deutschen Unterricht möchte ich es als eine Schwäche des alten Gymna¬ siums im Vergleich mit dem heutigen bezeichnen, daß auf den untern Stufen zu¬ viel theoretische Grammatik getrieben und zu wenig gelesen wurde. Dieser Mangel machte sich auch in Sekunda und in Prima geltend. In Sekunda wurde eine von den drei Wochenstunden auf Rhetorik und Poetik verwandt, denen wir nicht viel Interesse abzugewinnen vermochten, daneben wurde ein oder höchstens zwei Stücke von Schiller oder etwa Hermann und Dorothea gelesen, Stunden, von denen ich keinerlei Eindruck behalte» habe. Die Litteraturgeschichte begann erst in Prima; in deren erstes Jahr fiel deshalb anch das Mittelhochdeutsche, dem heute das ganze Jahr der Obersekuuda zugewiesen ist, aber es blieb dafür und für die Lektüre etwa des Nibelungenliedes und einiger Lieder Walthers zu wenig Zeit. Von der modernen klassischen Dichtung wurde in der Stunde selbst eigentlich nichts gelesen. Aber eine kräftige Anregung, sich mit ihr privatim zu beschäftigen, gaben hänfig die Themen Zu den deutschen Vorträgen und Aufsätzen. Aufsätze wurde» in Prima in jedem Jahre vier geschrieben, zu denen noch zwei Prüfungsaufsätze kamen. Mein Vater Pflegte dazu jedesmal drei Themen aus verschiednen Gebieten zu stellen, um den verschiednen Interessen gerecht zu werden, z. B. über Schillers Aus¬ spruch: Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld; Warum wendet das Vvlksgefühl den großen Heerführern vor andern aus¬ gezeichneten Männern Teilnahme und Bewundrung zu? Hatte Hütten zu dem Ausspruche: O Jahrhundert, es ist eine Lust in dir zu leben! ausreichende Gründe? Oder: Schillers Max Piccolomini eine Tragödie in der Tragödie. — Erlernen und Erleben. — Goethes Vater in des Sohnes Wahrheit und Dichtung. Die Themen wurden mit der Klasse sorgfältig besprochen, zur Bearbeitung sechs bis acht Wochen Frist gewährt, und wir verschoben die Arbeit nicht etwa bis auf die letzten Tage, sondern sie bildete wirklich für die gnuze Zeit den Mittelpunkt einer gewissen selb¬ ständigen Thätigkeit, etwa wie früher die „Quartalaufsätze" in den Fürstenschulen. Aus ihr gingen zuweilen sehr umfängliche Arbeiten hervor, die in Thema, Anlage und Ausführung sehr weit über das Hinansgriffen, was heutzutage möglich ist und verlangt werdeu turn. Ich habe im letzten Jahre der Prima damals folgende Themen bearbeitet: Mit welchem Rechte tuum man behaupten, daß alles Heidentum den Meuscheu an die Gegenwart kelte? — Die Christen in Lessings Nathan. — Alexnnder der Große als Vertreter der griechischen Zivilisation. — Die Griechen und Römer in der Auffassung und Behandlung fremder Nationalitäten. Es sind Themen, über die sich ebenso gut Bücher schreiben ließen, und manche werden ein¬ zelne von ihnen verstiegen" nennen; in der That muteten sie dem Gymnasiasten ^ne sehr energische Arbeit zu, die sich z. B. bei deu beiden letzten Themen auch "uf Ritters Erdkunde richtete und nicht selten bis auf die Quellen zurückging, aber ste gaben eine kräftige Anregung und eine Vorbereitung zu wissenschaftlicher Be¬ handlung eiues wichtigen Gegenstandes, die ich noch heute dankbar empfinde. Daß der Religionsunterricht in guten Händen war, wird man bei der grünt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/669>, abgerufen am 26.06.2024.