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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Gin sächsisches Gymiiasinm vor vierzig Jahren

muß zugestanden werden, daß eine so wohlgeordnete Aufsicht in den Pausen weder
ans den Korridoren noch vollends innerhalb der Klassen bestand; in jenen war sie
bei der Verteilung der Klassenzimmer ganz unmöglich, und in diesen blieb sie den
Pruni überlassen, die dieses Vertrauen nicht immer zu rechtfertigen vermochten, um
wenigsten in Tertia, wie ich aus eigner leidvoller Erfahrung eingestehn muß. Auch
die langen Burke waren allmählich zu Archiven ganzer Generationen geworden.
Mit der Beleuchtung durften wir, nachdem die Periode der hängenden Öllampen
und der Talglichter überwunden war, im ganzen zufrieden sein, obgleich wir noch
kein Auerlicht mit rosigen Schützern hatten.

Trotz mancher Mängel liebten wir unsern "alten Kasten" und empfanden es
schmerzlich, als wir für einige Zeit in das neue, lichte, geräumige Gebäude der
Baugewerkschule an der Promenade übersiedeln mußten. Denn seit Ostern 1855,
ein Jahr nach meinem Eintritt, wurde das Gymnasium mit einer aus der frühern
Gewerbeschule gestalteten Realschule in der Weise unter derselben Leitung verbunden,
daß die Sexta und die Quinta als "Proghmnasium" den gemeinsamen Unterbau
beider Anstalten bildeten und von da ab das Gymnasium in vier, die Realschule
in drei Klasse" aufwärts stieg. Obwohl auch das Kollegium eine Einheit bildete,
waren doch die beiden Schulen innerlich ganz selbständig, und ihre Schüler trugen
sogar verschiedne Mützen. So recht ebenbürtig erschienen freilich uns Gymnasiasten
die Realschüler keineswegs; wir lagen einander deshalb oft in den Haaren, buch¬
stäblich und figürlich verstanden, und namentlich die wenigen gemeinsamen Stunden
in den Mittelklassen wurden zuweilen durch stürmische Auftritte eingeleitet. Erst
seit Ostern 1861 begann nach dem ersten Realschulregulativ vom 2. Juli 1860
eine weitere Trennung, sodaß die Realschule sechs selbständige einjährige Klassen
erhielt, und das Latein nur von denen gefordert wurde, die das Reifezeugnis er¬
strebten.

Diese bis 1882 aufrecht erhaltne Verbindung veränderte auch die Zusammen¬
setzung des Kollegiums wie die Zahl und die Beschaffenheit der Schülerschaft ganz
wesentlich. Als mein Vater zu Michaelis 1854 das Rektorat des Gymnasiums
übernahm, bestand dessen Kollegium nach alter Art, den Rektor eingeschlossen, aus
sieben wissenschaftlichen Lehrern entsprechend den damaligen sieben Klassen, dem
Direktor (Rektor), Korrektor, Subrektor (ein außerhalb der Oberlausitz nicht üblicher
und seitdem verschwnndner Titel) oder Tertius, dem Quartus, der zugleich Kantor
war, dem Quintus, dem Sextus und dem Septimus, zu denen der Mathematikus
und noch einige Fachlehrer für Zeichnen und Turnen kamen, Diese sieben Lehrer
Waren ihrer Vorbildung nach alle Theologen, stammten fast alle aus der Stadt
oder ihrer nächsten Umgebung, hatten ihr Triennium gewöhnlich in Leipzig absol¬
viert und waren als Kandidaten in ihre Vaterstadt zurückgekehrt, um hier zunächst
etwa an der Bürgerschule als Lehrer einzutreten und dann entweder ins geistliche
Amt überzugehn oder ein Lehramt am Gymnasium zu übernehmen. Doch hatten
sie auf der Universität die damals noch nicht so sehr umfängliche Philologie keines¬
wegs als bloßes Nebenfach behandelt -- mein Vater hat z. B. sämtliche Vorlesungen
^- Hermanns gehört --, und der vielfache Gebrauch des Lateinischen bei .Kollegien,
Übungen und Prüfungen gab den jungen Leuten eine Sicherheit und Gewandtheit
in dieser alten "Muttersprache der Gelehrten," die heutzutage nirgends mehr er¬
reicht wird. Deu modernen philosophischen Doktortitel, der jetzt bei einem Gym¬
nasiallehrer als selbstverständlich gilt, führte nur einer, der Mathematiker; dagegen
hatte der älteste von ihnen, der Kantor, noch den jetzt verschwundueu Titel eines
UaFist-ör ub. -ut.

Erst 1843 wurde eine besondre Prüfungskommission für Philologen in Leipzig
gebildet, und erst nach und nach drangen solche mich in das alte Gefüge des
^Ymnasialkollcginms ein. Jener alte Stamm aber blieb seiner Schule bis aus
Ende treu. Sie stiegen mir an ihr auf, langsam genug -- eiuer vou ihnen wollte
sogar die bescheidne Stellung des Quintus niemals verlassen --, wurden niemals


Grenzboten II 1902 83
Gin sächsisches Gymiiasinm vor vierzig Jahren

muß zugestanden werden, daß eine so wohlgeordnete Aufsicht in den Pausen weder
ans den Korridoren noch vollends innerhalb der Klassen bestand; in jenen war sie
bei der Verteilung der Klassenzimmer ganz unmöglich, und in diesen blieb sie den
Pruni überlassen, die dieses Vertrauen nicht immer zu rechtfertigen vermochten, um
wenigsten in Tertia, wie ich aus eigner leidvoller Erfahrung eingestehn muß. Auch
die langen Burke waren allmählich zu Archiven ganzer Generationen geworden.
Mit der Beleuchtung durften wir, nachdem die Periode der hängenden Öllampen
und der Talglichter überwunden war, im ganzen zufrieden sein, obgleich wir noch
kein Auerlicht mit rosigen Schützern hatten.

Trotz mancher Mängel liebten wir unsern „alten Kasten" und empfanden es
schmerzlich, als wir für einige Zeit in das neue, lichte, geräumige Gebäude der
Baugewerkschule an der Promenade übersiedeln mußten. Denn seit Ostern 1855,
ein Jahr nach meinem Eintritt, wurde das Gymnasium mit einer aus der frühern
Gewerbeschule gestalteten Realschule in der Weise unter derselben Leitung verbunden,
daß die Sexta und die Quinta als „Proghmnasium" den gemeinsamen Unterbau
beider Anstalten bildeten und von da ab das Gymnasium in vier, die Realschule
in drei Klasse» aufwärts stieg. Obwohl auch das Kollegium eine Einheit bildete,
waren doch die beiden Schulen innerlich ganz selbständig, und ihre Schüler trugen
sogar verschiedne Mützen. So recht ebenbürtig erschienen freilich uns Gymnasiasten
die Realschüler keineswegs; wir lagen einander deshalb oft in den Haaren, buch¬
stäblich und figürlich verstanden, und namentlich die wenigen gemeinsamen Stunden
in den Mittelklassen wurden zuweilen durch stürmische Auftritte eingeleitet. Erst
seit Ostern 1861 begann nach dem ersten Realschulregulativ vom 2. Juli 1860
eine weitere Trennung, sodaß die Realschule sechs selbständige einjährige Klassen
erhielt, und das Latein nur von denen gefordert wurde, die das Reifezeugnis er¬
strebten.

Diese bis 1882 aufrecht erhaltne Verbindung veränderte auch die Zusammen¬
setzung des Kollegiums wie die Zahl und die Beschaffenheit der Schülerschaft ganz
wesentlich. Als mein Vater zu Michaelis 1854 das Rektorat des Gymnasiums
übernahm, bestand dessen Kollegium nach alter Art, den Rektor eingeschlossen, aus
sieben wissenschaftlichen Lehrern entsprechend den damaligen sieben Klassen, dem
Direktor (Rektor), Korrektor, Subrektor (ein außerhalb der Oberlausitz nicht üblicher
und seitdem verschwnndner Titel) oder Tertius, dem Quartus, der zugleich Kantor
war, dem Quintus, dem Sextus und dem Septimus, zu denen der Mathematikus
und noch einige Fachlehrer für Zeichnen und Turnen kamen, Diese sieben Lehrer
Waren ihrer Vorbildung nach alle Theologen, stammten fast alle aus der Stadt
oder ihrer nächsten Umgebung, hatten ihr Triennium gewöhnlich in Leipzig absol¬
viert und waren als Kandidaten in ihre Vaterstadt zurückgekehrt, um hier zunächst
etwa an der Bürgerschule als Lehrer einzutreten und dann entweder ins geistliche
Amt überzugehn oder ein Lehramt am Gymnasium zu übernehmen. Doch hatten
sie auf der Universität die damals noch nicht so sehr umfängliche Philologie keines¬
wegs als bloßes Nebenfach behandelt — mein Vater hat z. B. sämtliche Vorlesungen
^- Hermanns gehört —, und der vielfache Gebrauch des Lateinischen bei .Kollegien,
Übungen und Prüfungen gab den jungen Leuten eine Sicherheit und Gewandtheit
in dieser alten „Muttersprache der Gelehrten," die heutzutage nirgends mehr er¬
reicht wird. Deu modernen philosophischen Doktortitel, der jetzt bei einem Gym¬
nasiallehrer als selbstverständlich gilt, führte nur einer, der Mathematiker; dagegen
hatte der älteste von ihnen, der Kantor, noch den jetzt verschwundueu Titel eines
UaFist-ör ub. -ut.

Erst 1843 wurde eine besondre Prüfungskommission für Philologen in Leipzig
gebildet, und erst nach und nach drangen solche mich in das alte Gefüge des
^Ymnasialkollcginms ein. Jener alte Stamm aber blieb seiner Schule bis aus
Ende treu. Sie stiegen mir an ihr auf, langsam genug — eiuer vou ihnen wollte
sogar die bescheidne Stellung des Quintus niemals verlassen —, wurden niemals


Grenzboten II 1902 83
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[0665] Gin sächsisches Gymiiasinm vor vierzig Jahren muß zugestanden werden, daß eine so wohlgeordnete Aufsicht in den Pausen weder ans den Korridoren noch vollends innerhalb der Klassen bestand; in jenen war sie bei der Verteilung der Klassenzimmer ganz unmöglich, und in diesen blieb sie den Pruni überlassen, die dieses Vertrauen nicht immer zu rechtfertigen vermochten, um wenigsten in Tertia, wie ich aus eigner leidvoller Erfahrung eingestehn muß. Auch die langen Burke waren allmählich zu Archiven ganzer Generationen geworden. Mit der Beleuchtung durften wir, nachdem die Periode der hängenden Öllampen und der Talglichter überwunden war, im ganzen zufrieden sein, obgleich wir noch kein Auerlicht mit rosigen Schützern hatten. Trotz mancher Mängel liebten wir unsern „alten Kasten" und empfanden es schmerzlich, als wir für einige Zeit in das neue, lichte, geräumige Gebäude der Baugewerkschule an der Promenade übersiedeln mußten. Denn seit Ostern 1855, ein Jahr nach meinem Eintritt, wurde das Gymnasium mit einer aus der frühern Gewerbeschule gestalteten Realschule in der Weise unter derselben Leitung verbunden, daß die Sexta und die Quinta als „Proghmnasium" den gemeinsamen Unterbau beider Anstalten bildeten und von da ab das Gymnasium in vier, die Realschule in drei Klasse» aufwärts stieg. Obwohl auch das Kollegium eine Einheit bildete, waren doch die beiden Schulen innerlich ganz selbständig, und ihre Schüler trugen sogar verschiedne Mützen. So recht ebenbürtig erschienen freilich uns Gymnasiasten die Realschüler keineswegs; wir lagen einander deshalb oft in den Haaren, buch¬ stäblich und figürlich verstanden, und namentlich die wenigen gemeinsamen Stunden in den Mittelklassen wurden zuweilen durch stürmische Auftritte eingeleitet. Erst seit Ostern 1861 begann nach dem ersten Realschulregulativ vom 2. Juli 1860 eine weitere Trennung, sodaß die Realschule sechs selbständige einjährige Klassen erhielt, und das Latein nur von denen gefordert wurde, die das Reifezeugnis er¬ strebten. Diese bis 1882 aufrecht erhaltne Verbindung veränderte auch die Zusammen¬ setzung des Kollegiums wie die Zahl und die Beschaffenheit der Schülerschaft ganz wesentlich. Als mein Vater zu Michaelis 1854 das Rektorat des Gymnasiums übernahm, bestand dessen Kollegium nach alter Art, den Rektor eingeschlossen, aus sieben wissenschaftlichen Lehrern entsprechend den damaligen sieben Klassen, dem Direktor (Rektor), Korrektor, Subrektor (ein außerhalb der Oberlausitz nicht üblicher und seitdem verschwnndner Titel) oder Tertius, dem Quartus, der zugleich Kantor war, dem Quintus, dem Sextus und dem Septimus, zu denen der Mathematikus und noch einige Fachlehrer für Zeichnen und Turnen kamen, Diese sieben Lehrer Waren ihrer Vorbildung nach alle Theologen, stammten fast alle aus der Stadt oder ihrer nächsten Umgebung, hatten ihr Triennium gewöhnlich in Leipzig absol¬ viert und waren als Kandidaten in ihre Vaterstadt zurückgekehrt, um hier zunächst etwa an der Bürgerschule als Lehrer einzutreten und dann entweder ins geistliche Amt überzugehn oder ein Lehramt am Gymnasium zu übernehmen. Doch hatten sie auf der Universität die damals noch nicht so sehr umfängliche Philologie keines¬ wegs als bloßes Nebenfach behandelt — mein Vater hat z. B. sämtliche Vorlesungen ^- Hermanns gehört —, und der vielfache Gebrauch des Lateinischen bei .Kollegien, Übungen und Prüfungen gab den jungen Leuten eine Sicherheit und Gewandtheit in dieser alten „Muttersprache der Gelehrten," die heutzutage nirgends mehr er¬ reicht wird. Deu modernen philosophischen Doktortitel, der jetzt bei einem Gym¬ nasiallehrer als selbstverständlich gilt, führte nur einer, der Mathematiker; dagegen hatte der älteste von ihnen, der Kantor, noch den jetzt verschwundueu Titel eines UaFist-ör ub. -ut. Erst 1843 wurde eine besondre Prüfungskommission für Philologen in Leipzig gebildet, und erst nach und nach drangen solche mich in das alte Gefüge des ^Ymnasialkollcginms ein. Jener alte Stamm aber blieb seiner Schule bis aus Ende treu. Sie stiegen mir an ihr auf, langsam genug — eiuer vou ihnen wollte sogar die bescheidne Stellung des Quintus niemals verlassen —, wurden niemals Grenzboten II 1902 83

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/665>, abgerufen am 26.06.2024.