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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Gin sächsisches Gymnasium vor vierzig Jahren

thätigkeit erst der umliegenden, volkreichen Jndustriedörfer, dann auch auf dem mo¬
dernen Fabrikbetrieb in der Stadt selbst beruhte, und ein regeres geistiges Leben
als heute, da damals wissenschaftliche Beschäftigung noch nicht einen so weitschich¬
tigen Apparat erforderte, wie er heute notwendig ist und natürlich nnr in großen
Mittelpunkten vorhanden sein kann. Die Stadt trug in den Bauten noch das
Gepräge ihrer Blütezeit in der zweiten Hälfte des siebzehnten und der ersten des
achtzehnten Jahrhunderts, zeigte aber auch noch die Spuren der zerstörenden Be¬
schießung durch die Österreicher am 23. Juli 1757 in zahlreichen sogenannten "Brand¬
stellen," deren Hänser seitdem nicht wieder aufgebaut und meist durch Gärten ersetzt
worden waren.

Die Vorstädte waren nieist noch ganz ländlich, denn sie bestanden noch aus
Gemüsegärten und Bauernhäusern. Nur hier und da quälende schon ein Fabrik¬
schornstein, oder zeigte sich ein neues städtisch gebautes Haus; im allgemeinen wohnte
man noch in der innern Stadt, deren malerische Mauerreste und Thortürme erst
in meiner Schulzeit allmählich verschwanden. So lag sie in sich abgeschlossen in¬
mitten eines reichen Kranzes großer Dörfer gegenüber der schönen Gebirgskette, die
hier die Oberlausitz von Böhmen trennt, auf drei Seiten von böhmischen Gebiet
umgeben, dicht an der Grenze und mit dem Nachbarlande in mannigfachen Be¬
ziehungen trotz der scheidenden Zolllinie. Aber es lebte in ihrer Bevölkerung auch
etwas von dem Stolze des Grenzers, der als Protestant und im Besitz einer
höhern Kultur etwas besseres zu sein glaubte als das katholische Volk da drüben,
das jeden Sonntag und Markttag in schreienden Farben aufgeputzt herüber zu
kommen Pflegte und uns seine Beerenweiber und Holzsuhrleute jederzeit ins Haus
schickte. Vollends auf die "Stockböhmen," die Tschechen weit drinnen im Binnen¬
lande, die so beschränkt waren, daß sie nicht einmal Deutsch verstanden, sah man
mit einer gewissen Verachtung herab. Kurz, es war nichts kleines, ein Zittauer zu
sein, und auch wir Gymnasiasten fühlten uns mit Stolz als Zittauer.

Aber auch die Stadt war stolz auf ihr Gymnasium, denn es war eine städtische
Schule, und es hörte auch mit dem Kollaturvertrage von 1855 nicht auf, das zu
sein. Aus einer dürftigen Lateinschule, die ursprünglich dem Johanniterorden ge¬
hörte, hatte es die Stadtgemeinde 1586 in ein Gymnasium verwandelt und ihm
die Gebäude des Johanuiterkomtnrs hinter der Hauptkirche zu Se. Johmmis über¬
wiesen. Dieses damals und später vielfach verbesserte, verschönerte und erweiterte
Haus nahm sich viel stattlicher aus als etwa die alte Nikolaischule. Es steht noch heute
fast unverändert und ist ein langgestreckter einstöckiger Bau mit einem vorspringenden,
später angesetzten Flügel im Osten; in der Mitte ist er von einem stattlichen
Renaissancethorbogen unterbrochen, das Dach ist von drei Nenaissancegiebeln ge¬
krönt, und die Front mannigfach mit lateinische" Inschriften geschmückt. Den
Westflügel nahm die Rektorwohnung ein. Nur im Erdgeschoß darunter war eine
Klasse, die Sexta, untergebracht, eine etwas unheimliche Nachbarschaft, nämlich für
die Sextaner, denn wenn sie in der Pause einmal allzusehr tobten, dann erschien
Wohl plötzlich als durchaus unerwünschter asu" ex inaLning. der Herr Direktor
und stellte durch ganz unzweideutige, wirksame Handbewegungen die Ruhe wieder
her, denn damals begründete eine Ohrfeige noch keine Anklage auf Körperverletzung.
Der Ostflügel gehörte der Schule, doch enthielt er noch keine Aula. Unten lagen
vier Klassen, von denen aber die Quinta einen besondern Eingang hatte, oben zwei
mit dem Konferenzzimmer, das zugleich die naturgeschichtlichen Sammlungen in
großen Schränken barg. Das ansehnlichste Zimmer hatte die Prima, einen langen,
verhältnismäßig niedrigen Raum, dessen vordere Fensterreihe auf den Kirchplatz und die
hohe Kirche ging, während die Hintere nach dem großen, schattigen und obstreichen
Nektorgarten hinaussah. Ein hohes, breites Doppelkatheder nahm die Mitte der west¬
lichen Schmalwand ein; der vordere Raum, wo der riesige grüne Kachelofen und
der Flügel standen, diente zugleich als Musikzimmer und in den Pausen gelegentlich
auch zur Austragung von Differenzen in der Klasse. Denn verglichen mit heute


Gin sächsisches Gymnasium vor vierzig Jahren

thätigkeit erst der umliegenden, volkreichen Jndustriedörfer, dann auch auf dem mo¬
dernen Fabrikbetrieb in der Stadt selbst beruhte, und ein regeres geistiges Leben
als heute, da damals wissenschaftliche Beschäftigung noch nicht einen so weitschich¬
tigen Apparat erforderte, wie er heute notwendig ist und natürlich nnr in großen
Mittelpunkten vorhanden sein kann. Die Stadt trug in den Bauten noch das
Gepräge ihrer Blütezeit in der zweiten Hälfte des siebzehnten und der ersten des
achtzehnten Jahrhunderts, zeigte aber auch noch die Spuren der zerstörenden Be¬
schießung durch die Österreicher am 23. Juli 1757 in zahlreichen sogenannten „Brand¬
stellen," deren Hänser seitdem nicht wieder aufgebaut und meist durch Gärten ersetzt
worden waren.

Die Vorstädte waren nieist noch ganz ländlich, denn sie bestanden noch aus
Gemüsegärten und Bauernhäusern. Nur hier und da quälende schon ein Fabrik¬
schornstein, oder zeigte sich ein neues städtisch gebautes Haus; im allgemeinen wohnte
man noch in der innern Stadt, deren malerische Mauerreste und Thortürme erst
in meiner Schulzeit allmählich verschwanden. So lag sie in sich abgeschlossen in¬
mitten eines reichen Kranzes großer Dörfer gegenüber der schönen Gebirgskette, die
hier die Oberlausitz von Böhmen trennt, auf drei Seiten von böhmischen Gebiet
umgeben, dicht an der Grenze und mit dem Nachbarlande in mannigfachen Be¬
ziehungen trotz der scheidenden Zolllinie. Aber es lebte in ihrer Bevölkerung auch
etwas von dem Stolze des Grenzers, der als Protestant und im Besitz einer
höhern Kultur etwas besseres zu sein glaubte als das katholische Volk da drüben,
das jeden Sonntag und Markttag in schreienden Farben aufgeputzt herüber zu
kommen Pflegte und uns seine Beerenweiber und Holzsuhrleute jederzeit ins Haus
schickte. Vollends auf die „Stockböhmen," die Tschechen weit drinnen im Binnen¬
lande, die so beschränkt waren, daß sie nicht einmal Deutsch verstanden, sah man
mit einer gewissen Verachtung herab. Kurz, es war nichts kleines, ein Zittauer zu
sein, und auch wir Gymnasiasten fühlten uns mit Stolz als Zittauer.

Aber auch die Stadt war stolz auf ihr Gymnasium, denn es war eine städtische
Schule, und es hörte auch mit dem Kollaturvertrage von 1855 nicht auf, das zu
sein. Aus einer dürftigen Lateinschule, die ursprünglich dem Johanniterorden ge¬
hörte, hatte es die Stadtgemeinde 1586 in ein Gymnasium verwandelt und ihm
die Gebäude des Johanuiterkomtnrs hinter der Hauptkirche zu Se. Johmmis über¬
wiesen. Dieses damals und später vielfach verbesserte, verschönerte und erweiterte
Haus nahm sich viel stattlicher aus als etwa die alte Nikolaischule. Es steht noch heute
fast unverändert und ist ein langgestreckter einstöckiger Bau mit einem vorspringenden,
später angesetzten Flügel im Osten; in der Mitte ist er von einem stattlichen
Renaissancethorbogen unterbrochen, das Dach ist von drei Nenaissancegiebeln ge¬
krönt, und die Front mannigfach mit lateinische» Inschriften geschmückt. Den
Westflügel nahm die Rektorwohnung ein. Nur im Erdgeschoß darunter war eine
Klasse, die Sexta, untergebracht, eine etwas unheimliche Nachbarschaft, nämlich für
die Sextaner, denn wenn sie in der Pause einmal allzusehr tobten, dann erschien
Wohl plötzlich als durchaus unerwünschter asu« ex inaLning. der Herr Direktor
und stellte durch ganz unzweideutige, wirksame Handbewegungen die Ruhe wieder
her, denn damals begründete eine Ohrfeige noch keine Anklage auf Körperverletzung.
Der Ostflügel gehörte der Schule, doch enthielt er noch keine Aula. Unten lagen
vier Klassen, von denen aber die Quinta einen besondern Eingang hatte, oben zwei
mit dem Konferenzzimmer, das zugleich die naturgeschichtlichen Sammlungen in
großen Schränken barg. Das ansehnlichste Zimmer hatte die Prima, einen langen,
verhältnismäßig niedrigen Raum, dessen vordere Fensterreihe auf den Kirchplatz und die
hohe Kirche ging, während die Hintere nach dem großen, schattigen und obstreichen
Nektorgarten hinaussah. Ein hohes, breites Doppelkatheder nahm die Mitte der west¬
lichen Schmalwand ein; der vordere Raum, wo der riesige grüne Kachelofen und
der Flügel standen, diente zugleich als Musikzimmer und in den Pausen gelegentlich
auch zur Austragung von Differenzen in der Klasse. Denn verglichen mit heute


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[0664] Gin sächsisches Gymnasium vor vierzig Jahren thätigkeit erst der umliegenden, volkreichen Jndustriedörfer, dann auch auf dem mo¬ dernen Fabrikbetrieb in der Stadt selbst beruhte, und ein regeres geistiges Leben als heute, da damals wissenschaftliche Beschäftigung noch nicht einen so weitschich¬ tigen Apparat erforderte, wie er heute notwendig ist und natürlich nnr in großen Mittelpunkten vorhanden sein kann. Die Stadt trug in den Bauten noch das Gepräge ihrer Blütezeit in der zweiten Hälfte des siebzehnten und der ersten des achtzehnten Jahrhunderts, zeigte aber auch noch die Spuren der zerstörenden Be¬ schießung durch die Österreicher am 23. Juli 1757 in zahlreichen sogenannten „Brand¬ stellen," deren Hänser seitdem nicht wieder aufgebaut und meist durch Gärten ersetzt worden waren. Die Vorstädte waren nieist noch ganz ländlich, denn sie bestanden noch aus Gemüsegärten und Bauernhäusern. Nur hier und da quälende schon ein Fabrik¬ schornstein, oder zeigte sich ein neues städtisch gebautes Haus; im allgemeinen wohnte man noch in der innern Stadt, deren malerische Mauerreste und Thortürme erst in meiner Schulzeit allmählich verschwanden. So lag sie in sich abgeschlossen in¬ mitten eines reichen Kranzes großer Dörfer gegenüber der schönen Gebirgskette, die hier die Oberlausitz von Böhmen trennt, auf drei Seiten von böhmischen Gebiet umgeben, dicht an der Grenze und mit dem Nachbarlande in mannigfachen Be¬ ziehungen trotz der scheidenden Zolllinie. Aber es lebte in ihrer Bevölkerung auch etwas von dem Stolze des Grenzers, der als Protestant und im Besitz einer höhern Kultur etwas besseres zu sein glaubte als das katholische Volk da drüben, das jeden Sonntag und Markttag in schreienden Farben aufgeputzt herüber zu kommen Pflegte und uns seine Beerenweiber und Holzsuhrleute jederzeit ins Haus schickte. Vollends auf die „Stockböhmen," die Tschechen weit drinnen im Binnen¬ lande, die so beschränkt waren, daß sie nicht einmal Deutsch verstanden, sah man mit einer gewissen Verachtung herab. Kurz, es war nichts kleines, ein Zittauer zu sein, und auch wir Gymnasiasten fühlten uns mit Stolz als Zittauer. Aber auch die Stadt war stolz auf ihr Gymnasium, denn es war eine städtische Schule, und es hörte auch mit dem Kollaturvertrage von 1855 nicht auf, das zu sein. Aus einer dürftigen Lateinschule, die ursprünglich dem Johanniterorden ge¬ hörte, hatte es die Stadtgemeinde 1586 in ein Gymnasium verwandelt und ihm die Gebäude des Johanuiterkomtnrs hinter der Hauptkirche zu Se. Johmmis über¬ wiesen. Dieses damals und später vielfach verbesserte, verschönerte und erweiterte Haus nahm sich viel stattlicher aus als etwa die alte Nikolaischule. Es steht noch heute fast unverändert und ist ein langgestreckter einstöckiger Bau mit einem vorspringenden, später angesetzten Flügel im Osten; in der Mitte ist er von einem stattlichen Renaissancethorbogen unterbrochen, das Dach ist von drei Nenaissancegiebeln ge¬ krönt, und die Front mannigfach mit lateinische» Inschriften geschmückt. Den Westflügel nahm die Rektorwohnung ein. Nur im Erdgeschoß darunter war eine Klasse, die Sexta, untergebracht, eine etwas unheimliche Nachbarschaft, nämlich für die Sextaner, denn wenn sie in der Pause einmal allzusehr tobten, dann erschien Wohl plötzlich als durchaus unerwünschter asu« ex inaLning. der Herr Direktor und stellte durch ganz unzweideutige, wirksame Handbewegungen die Ruhe wieder her, denn damals begründete eine Ohrfeige noch keine Anklage auf Körperverletzung. Der Ostflügel gehörte der Schule, doch enthielt er noch keine Aula. Unten lagen vier Klassen, von denen aber die Quinta einen besondern Eingang hatte, oben zwei mit dem Konferenzzimmer, das zugleich die naturgeschichtlichen Sammlungen in großen Schränken barg. Das ansehnlichste Zimmer hatte die Prima, einen langen, verhältnismäßig niedrigen Raum, dessen vordere Fensterreihe auf den Kirchplatz und die hohe Kirche ging, während die Hintere nach dem großen, schattigen und obstreichen Nektorgarten hinaussah. Ein hohes, breites Doppelkatheder nahm die Mitte der west¬ lichen Schmalwand ein; der vordere Raum, wo der riesige grüne Kachelofen und der Flügel standen, diente zugleich als Musikzimmer und in den Pausen gelegentlich auch zur Austragung von Differenzen in der Klasse. Denn verglichen mit heute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/664>, abgerufen am 26.06.2024.