Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Apotheke und Drogenhandlnng gröbliche und gewiß nicht zu verteidigende Handlungsweise eines Wiesbadner Niemand beklagt vielleicht mehr als der gesamte ernsthaft vorwärtsstrebendc Bei dem Erlaß der kaiserlichen Verordnung von 1875 mochten im ganzen Apotheke und Drogenhandlnng gröbliche und gewiß nicht zu verteidigende Handlungsweise eines Wiesbadner Niemand beklagt vielleicht mehr als der gesamte ernsthaft vorwärtsstrebendc Bei dem Erlaß der kaiserlichen Verordnung von 1875 mochten im ganzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0660" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237946"/> <fw type="header" place="top"> Apotheke und Drogenhandlnng</fw><lb/> <p xml:id="ID_3298" prev="#ID_3297"> gröbliche und gewiß nicht zu verteidigende Handlungsweise eines Wiesbadner<lb/> Drogisten gegeißelt wurde, und kurze Zeit darauf brachten die Tagesblätter<lb/> eiuen Bericht über eine Gerichtsverhandlung in Celle, in der zwei Verwalter<lb/> der dortigen Schloßnpotheke wegen mehr als zwei tausendmaliger ungesetzlicher<lb/> Abgabe von Opiumtropfen an eine junge Frau in eine Strafe von 200 Mark<lb/> und 75 Mark verurteilt wurden. Hier hatten zwei Apotheker tausendmal<lb/> ihre eidlichen Verpflichtungen überschritten; ist das nicht ein Fall, der weit<lb/> schlimmer und verwerflicher ist, als die Handlungsweise des Wiesbadner<lb/> Drogisten, bei der das Unglück nur dadurch entstanden war, daß das von<lb/> ihm abgegebne Salol auf bisher nicht aufgeklärte Weise mit Strychnin ver¬<lb/> mischt war? Ein ganz ähnlicher Fall ereignete sich vor wenig Jahren in<lb/> einer süddeutschen Apotheke. Mit Recht könnte sich der Apothekerstand be¬<lb/> klagen, wenn die Drogisten den Fall aus Celle dem ganzen Apothekerstande<lb/> zur Last legten, und wenn sie an die im Prozeß festgestellte Unzuverlässigkeit<lb/> zweier Apotheker ähnliche Schlußfolgerungen anknüpfen wollten, wie in dem<lb/> Artikel über den Wiesbadner Fall, worin obendrein die Folgerungen auf un¬<lb/> wahre Thatsachen ausgebaut wurden. Wer in einem Glashause sitzt, sollte<lb/> nicht mit Steinen werfen, hat vor Jahren einmal Dr. Brunnengräber, der<lb/> damalige Vorsitzende des Apothekervereins, in einer Versammlung gesagt, in<lb/> der die Drogisten in gar zu scharfer Weise angegriffen wurden.</p><lb/> <p xml:id="ID_3299"> Niemand beklagt vielleicht mehr als der gesamte ernsthaft vorwärtsstrebendc<lb/> Drogistenstand die groben Übertretungen einzelner Standesgenossen, denn nichts<lb/> schadet dem Ansehen des Standes mehr, als derartige grobe Gesetzesver¬<lb/> letzungen. Der Deutsche Drogistenverband hat deshalb in seine Satzungen<lb/> einen Paragraphen aufgenommen, der den Ausschluß eines Mitgliedes be¬<lb/> stimmt, sobald er sich des Rezeptierens oder der Abgabe starkwirkender Heil¬<lb/> mittel schuldig macht. Einzelne Vereine, z. B. der Hamburger Lokalverein,<lb/> haben sogar ihre Mitglieder unter Androhung des Ausschlusses auf Ehrenwort<lb/> verpflichtet, sich derartiger Übertretungen zu enthalten.</p><lb/> <p xml:id="ID_3300" next="#ID_3301"> Bei dem Erlaß der kaiserlichen Verordnung von 1875 mochten im ganzen<lb/> Deutschen Reiche etwa 500 Detaildrogisten vorhanden sein; heute dürfte die<lb/> Zahl der wirklichen Drogenhandlungen mehr als das zehnfache betragen. Es<lb/> ist dies eine Entwicklung, wie sie in gleicher Weise wohl selten vorkommt,<lb/> und die am besten zeigt, daß ein dringendes Bedürfnis diesen Stand geschaffen<lb/> hat. Der Drogist ist der natürliche Vermittler zwischen dem Großhandel und<lb/> den Bedürfnissen des Kleingewerbes und der Haushaltung; aber er war auch<lb/> notwendig, wenn man endlich die übermäßig hohen Preise der einfachsten<lb/> Haus- und Heilmittel auf ein richtiges Maß Herabdrücken wollte. Daß eine so<lb/> schnelle Entwicklung, wie sie bei dem Drogistenstande erfolgt ist, auch manche<lb/> unangenehme Nebenerscheinung gezeitigt hat, ist erklärlich. Wir rechnen hierzu<lb/> vor allem das sogenannte „wilde Apothekertum," wie es sich namentlich in<lb/> den achtziger Jahren in einzelnen Großstädten breit machte, eine Erscheinung,<lb/> die heute, dank dem Vorgehn einzelner Vereine und einer strengern Gesetz¬<lb/> gebung, fast ganz verschwunden ist. Ein zweiter Auswuchs sind die sogenannten<lb/> „Drogenschränke," die durch spekulative Fabrikanten an Wirte, Handwerker</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0660]
Apotheke und Drogenhandlnng
gröbliche und gewiß nicht zu verteidigende Handlungsweise eines Wiesbadner
Drogisten gegeißelt wurde, und kurze Zeit darauf brachten die Tagesblätter
eiuen Bericht über eine Gerichtsverhandlung in Celle, in der zwei Verwalter
der dortigen Schloßnpotheke wegen mehr als zwei tausendmaliger ungesetzlicher
Abgabe von Opiumtropfen an eine junge Frau in eine Strafe von 200 Mark
und 75 Mark verurteilt wurden. Hier hatten zwei Apotheker tausendmal
ihre eidlichen Verpflichtungen überschritten; ist das nicht ein Fall, der weit
schlimmer und verwerflicher ist, als die Handlungsweise des Wiesbadner
Drogisten, bei der das Unglück nur dadurch entstanden war, daß das von
ihm abgegebne Salol auf bisher nicht aufgeklärte Weise mit Strychnin ver¬
mischt war? Ein ganz ähnlicher Fall ereignete sich vor wenig Jahren in
einer süddeutschen Apotheke. Mit Recht könnte sich der Apothekerstand be¬
klagen, wenn die Drogisten den Fall aus Celle dem ganzen Apothekerstande
zur Last legten, und wenn sie an die im Prozeß festgestellte Unzuverlässigkeit
zweier Apotheker ähnliche Schlußfolgerungen anknüpfen wollten, wie in dem
Artikel über den Wiesbadner Fall, worin obendrein die Folgerungen auf un¬
wahre Thatsachen ausgebaut wurden. Wer in einem Glashause sitzt, sollte
nicht mit Steinen werfen, hat vor Jahren einmal Dr. Brunnengräber, der
damalige Vorsitzende des Apothekervereins, in einer Versammlung gesagt, in
der die Drogisten in gar zu scharfer Weise angegriffen wurden.
Niemand beklagt vielleicht mehr als der gesamte ernsthaft vorwärtsstrebendc
Drogistenstand die groben Übertretungen einzelner Standesgenossen, denn nichts
schadet dem Ansehen des Standes mehr, als derartige grobe Gesetzesver¬
letzungen. Der Deutsche Drogistenverband hat deshalb in seine Satzungen
einen Paragraphen aufgenommen, der den Ausschluß eines Mitgliedes be¬
stimmt, sobald er sich des Rezeptierens oder der Abgabe starkwirkender Heil¬
mittel schuldig macht. Einzelne Vereine, z. B. der Hamburger Lokalverein,
haben sogar ihre Mitglieder unter Androhung des Ausschlusses auf Ehrenwort
verpflichtet, sich derartiger Übertretungen zu enthalten.
Bei dem Erlaß der kaiserlichen Verordnung von 1875 mochten im ganzen
Deutschen Reiche etwa 500 Detaildrogisten vorhanden sein; heute dürfte die
Zahl der wirklichen Drogenhandlungen mehr als das zehnfache betragen. Es
ist dies eine Entwicklung, wie sie in gleicher Weise wohl selten vorkommt,
und die am besten zeigt, daß ein dringendes Bedürfnis diesen Stand geschaffen
hat. Der Drogist ist der natürliche Vermittler zwischen dem Großhandel und
den Bedürfnissen des Kleingewerbes und der Haushaltung; aber er war auch
notwendig, wenn man endlich die übermäßig hohen Preise der einfachsten
Haus- und Heilmittel auf ein richtiges Maß Herabdrücken wollte. Daß eine so
schnelle Entwicklung, wie sie bei dem Drogistenstande erfolgt ist, auch manche
unangenehme Nebenerscheinung gezeitigt hat, ist erklärlich. Wir rechnen hierzu
vor allem das sogenannte „wilde Apothekertum," wie es sich namentlich in
den achtziger Jahren in einzelnen Großstädten breit machte, eine Erscheinung,
die heute, dank dem Vorgehn einzelner Vereine und einer strengern Gesetz¬
gebung, fast ganz verschwunden ist. Ein zweiter Auswuchs sind die sogenannten
„Drogenschränke," die durch spekulative Fabrikanten an Wirte, Handwerker
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |