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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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und Weise, wie er begangen wird, und diese weist Verschiedenheiten auf, die
sich nicht nach den schwarz-weißen, weiß-grünen oder blau-weißen Grenzpfähle",
sondern vielmehr nach den Gruppen der darauf Wandelnden abgrenzen lassen.
Freilich wird man diese Gruppen, die sich nach dem oben über die Gründe
der Berufswahl Gesagten ergeben, nicht allzuscharf voneinander absondern
dürfen. Es versteht sich von selbst, daß z, B. in der der Indifferenten mancher
ist, der mit der Zeit Interesse an seiner Wissenschaft und an seinem Beruf
gewinnt und die kleine Schar der ernsten Jünger vermehren hilft, die sich
aus bewußtem Interesse zur Sache der Themis geweiht haben. Es ist auch
klar, daß aus der Zahl der Streber mancher mit der Zeit müde und stumpf
wird und in der Gruppe der Indifferenten weitertrottet. Im ganzen wird
man aber sagen können, daß sich die Motive, die für die Berufswahl den
Ausschlag gegeben haben, sehr deutlich in der Art und Weise außer"., wie
die Studienzeit und die Ansbildungsperiode benutzt und verbracht werden,
und man wird immer beobachten können, daß die angemessene Verwertung der
juristischen Lehrzeit in demselben Verhältnis steht zu der Neigung, die der
angehende Jurist für seine Wissenschaft als solche, nicht für die Jurisprudenz,
soweit sie nur Mittel zum Zweck ist, empfindet. Daß dabei auch die Ver¬
schiedenheit der Charaktere und der äußern Umstände eine modifizierende
Wirkung ausübt, liegt auf der Hand.

Über die Art und Weise, wie viele Juristen ihr Studium betreiben, ist
schon so oft und von so berufner Seite geklagt worden, daß ich es mir ver¬
sagen darf, im einzelnen darauf einzugehn. Aus eigner mannigfacher Be¬
obachtung kann ich bestätigen, daß die Schilderungen, wie sie z. B. der ver¬
storbne Staatsminister von Bosse wiederholt als Grundlage ernster Mahnungen
hat in die "Öffentlichkeit gelangen lassen, durchaus der Wirklichkeit entsprechen.
Es ist Thatsache, daß durchschnittlich in keiner Fakultät so wenig studiert
wird -- und auch zur Erreichung des äußern Studienzwecks, zum Bestehn
der Prüfungen, so wenig studiert zu werden braucht, wie in der juristischen;
es ist Thatsache, daß Leute, die vier Semester glatt verbummelt haben, nach
zwei Semestern Repetitor ins Rcferendarexamen steigen und es ganz gut be¬
stehn können; und es ist Thatsache, daß die Mehrzahl der in den letzten
zwanzig Jahren ins Amt getretner Juristen nicht viel mehr als diese eben
geschilderte Vorbildung genossen hat.

Nur die kleine Zahl derer, die entweder von vornherein der Rechts¬
wissenschaft Interesse entgegenbringen, oder die hinreichend offnen Sinn und
klare Fassungsgabe mit einer gewissen Dosis Idealismus verbinden, svdnß sie
den: für den Anfänger sicher etwas trocknen und abstrakten Stoff das wissen¬
schaftliche Interesse allmählich abgewinnen, wird die auf den Universitäten ge-
botne reiche Fülle von Gelegenheit zu wirklich wissenschaftlicher Ausbildung
benützen und verwerten wollen und können. Und wenn ein solcher auch ein¬
mal die Vorlesungen nicht ganz regelmäßig besucht, wenn er sich vielleicht ein
paar Semester mehr mit Nebenfächern, sei es Nationalökonomie, Philosophie
oder Geschichte, befaßt, als mit der Jurisprudenz, so wird ihm das vielleicht
viel nützen, sicher aber nichts schaden; die Auffassung, die er von seinem


und Weise, wie er begangen wird, und diese weist Verschiedenheiten auf, die
sich nicht nach den schwarz-weißen, weiß-grünen oder blau-weißen Grenzpfähle»,
sondern vielmehr nach den Gruppen der darauf Wandelnden abgrenzen lassen.
Freilich wird man diese Gruppen, die sich nach dem oben über die Gründe
der Berufswahl Gesagten ergeben, nicht allzuscharf voneinander absondern
dürfen. Es versteht sich von selbst, daß z, B. in der der Indifferenten mancher
ist, der mit der Zeit Interesse an seiner Wissenschaft und an seinem Beruf
gewinnt und die kleine Schar der ernsten Jünger vermehren hilft, die sich
aus bewußtem Interesse zur Sache der Themis geweiht haben. Es ist auch
klar, daß aus der Zahl der Streber mancher mit der Zeit müde und stumpf
wird und in der Gruppe der Indifferenten weitertrottet. Im ganzen wird
man aber sagen können, daß sich die Motive, die für die Berufswahl den
Ausschlag gegeben haben, sehr deutlich in der Art und Weise außer«., wie
die Studienzeit und die Ansbildungsperiode benutzt und verbracht werden,
und man wird immer beobachten können, daß die angemessene Verwertung der
juristischen Lehrzeit in demselben Verhältnis steht zu der Neigung, die der
angehende Jurist für seine Wissenschaft als solche, nicht für die Jurisprudenz,
soweit sie nur Mittel zum Zweck ist, empfindet. Daß dabei auch die Ver¬
schiedenheit der Charaktere und der äußern Umstände eine modifizierende
Wirkung ausübt, liegt auf der Hand.

Über die Art und Weise, wie viele Juristen ihr Studium betreiben, ist
schon so oft und von so berufner Seite geklagt worden, daß ich es mir ver¬
sagen darf, im einzelnen darauf einzugehn. Aus eigner mannigfacher Be¬
obachtung kann ich bestätigen, daß die Schilderungen, wie sie z. B. der ver¬
storbne Staatsminister von Bosse wiederholt als Grundlage ernster Mahnungen
hat in die «Öffentlichkeit gelangen lassen, durchaus der Wirklichkeit entsprechen.
Es ist Thatsache, daß durchschnittlich in keiner Fakultät so wenig studiert
wird — und auch zur Erreichung des äußern Studienzwecks, zum Bestehn
der Prüfungen, so wenig studiert zu werden braucht, wie in der juristischen;
es ist Thatsache, daß Leute, die vier Semester glatt verbummelt haben, nach
zwei Semestern Repetitor ins Rcferendarexamen steigen und es ganz gut be¬
stehn können; und es ist Thatsache, daß die Mehrzahl der in den letzten
zwanzig Jahren ins Amt getretner Juristen nicht viel mehr als diese eben
geschilderte Vorbildung genossen hat.

Nur die kleine Zahl derer, die entweder von vornherein der Rechts¬
wissenschaft Interesse entgegenbringen, oder die hinreichend offnen Sinn und
klare Fassungsgabe mit einer gewissen Dosis Idealismus verbinden, svdnß sie
den: für den Anfänger sicher etwas trocknen und abstrakten Stoff das wissen¬
schaftliche Interesse allmählich abgewinnen, wird die auf den Universitäten ge-
botne reiche Fülle von Gelegenheit zu wirklich wissenschaftlicher Ausbildung
benützen und verwerten wollen und können. Und wenn ein solcher auch ein¬
mal die Vorlesungen nicht ganz regelmäßig besucht, wenn er sich vielleicht ein
paar Semester mehr mit Nebenfächern, sei es Nationalökonomie, Philosophie
oder Geschichte, befaßt, als mit der Jurisprudenz, so wird ihm das vielleicht
viel nützen, sicher aber nichts schaden; die Auffassung, die er von seinem


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[0532] und Weise, wie er begangen wird, und diese weist Verschiedenheiten auf, die sich nicht nach den schwarz-weißen, weiß-grünen oder blau-weißen Grenzpfähle», sondern vielmehr nach den Gruppen der darauf Wandelnden abgrenzen lassen. Freilich wird man diese Gruppen, die sich nach dem oben über die Gründe der Berufswahl Gesagten ergeben, nicht allzuscharf voneinander absondern dürfen. Es versteht sich von selbst, daß z, B. in der der Indifferenten mancher ist, der mit der Zeit Interesse an seiner Wissenschaft und an seinem Beruf gewinnt und die kleine Schar der ernsten Jünger vermehren hilft, die sich aus bewußtem Interesse zur Sache der Themis geweiht haben. Es ist auch klar, daß aus der Zahl der Streber mancher mit der Zeit müde und stumpf wird und in der Gruppe der Indifferenten weitertrottet. Im ganzen wird man aber sagen können, daß sich die Motive, die für die Berufswahl den Ausschlag gegeben haben, sehr deutlich in der Art und Weise außer«., wie die Studienzeit und die Ansbildungsperiode benutzt und verbracht werden, und man wird immer beobachten können, daß die angemessene Verwertung der juristischen Lehrzeit in demselben Verhältnis steht zu der Neigung, die der angehende Jurist für seine Wissenschaft als solche, nicht für die Jurisprudenz, soweit sie nur Mittel zum Zweck ist, empfindet. Daß dabei auch die Ver¬ schiedenheit der Charaktere und der äußern Umstände eine modifizierende Wirkung ausübt, liegt auf der Hand. Über die Art und Weise, wie viele Juristen ihr Studium betreiben, ist schon so oft und von so berufner Seite geklagt worden, daß ich es mir ver¬ sagen darf, im einzelnen darauf einzugehn. Aus eigner mannigfacher Be¬ obachtung kann ich bestätigen, daß die Schilderungen, wie sie z. B. der ver¬ storbne Staatsminister von Bosse wiederholt als Grundlage ernster Mahnungen hat in die «Öffentlichkeit gelangen lassen, durchaus der Wirklichkeit entsprechen. Es ist Thatsache, daß durchschnittlich in keiner Fakultät so wenig studiert wird — und auch zur Erreichung des äußern Studienzwecks, zum Bestehn der Prüfungen, so wenig studiert zu werden braucht, wie in der juristischen; es ist Thatsache, daß Leute, die vier Semester glatt verbummelt haben, nach zwei Semestern Repetitor ins Rcferendarexamen steigen und es ganz gut be¬ stehn können; und es ist Thatsache, daß die Mehrzahl der in den letzten zwanzig Jahren ins Amt getretner Juristen nicht viel mehr als diese eben geschilderte Vorbildung genossen hat. Nur die kleine Zahl derer, die entweder von vornherein der Rechts¬ wissenschaft Interesse entgegenbringen, oder die hinreichend offnen Sinn und klare Fassungsgabe mit einer gewissen Dosis Idealismus verbinden, svdnß sie den: für den Anfänger sicher etwas trocknen und abstrakten Stoff das wissen¬ schaftliche Interesse allmählich abgewinnen, wird die auf den Universitäten ge- botne reiche Fülle von Gelegenheit zu wirklich wissenschaftlicher Ausbildung benützen und verwerten wollen und können. Und wenn ein solcher auch ein¬ mal die Vorlesungen nicht ganz regelmäßig besucht, wenn er sich vielleicht ein paar Semester mehr mit Nebenfächern, sei es Nationalökonomie, Philosophie oder Geschichte, befaßt, als mit der Jurisprudenz, so wird ihm das vielleicht viel nützen, sicher aber nichts schaden; die Auffassung, die er von seinem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/532>, abgerufen am 28.09.2024.