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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Unsre Themisjünger

lichen Behandlung mit auf den Weg erhält, hat ihm die Schule auch uicht den ge¬
ringsten Anhalt geboten, sich von der Jurisprudenz eine Vorstellung zu formen.

Und das Leben? Nun, wohl dem Jüngling, dem es erspart geblieben
ist, auf diesem Wege einen Einblick in die juristische Praxis zu gewinnen; er
wird seelisch dadurch nichts verloren haben.

Bleibt noch die Vermittlung einer solchen Vorstellung durch das Eltern¬
haus, wenn etwa der Vater oder der ältere Bruder Jurist ist. Das ist in
der That wohl der einzige Weg, der geeignet ist, einen annähernd richtigen
Begriff von dem, was den Jünger der Themis erwartet, dem vor die Berufs¬
wahl gestelltem Jüngling zu vermitteln. Ob er sehr häusig begnügen wird,
wo die Möglichkeit dazu gegeben wäre, bezweifle ich sehr; als Sohn eines
Juristen kaun ich versichern, daß ich in das Wesen der Berufsthätigkeit meines
Vaters erst einen Einblick erhalten habe, als ich schon etliche Semester hinter
mir hatte, und ich weiß von andern Juristensöhnen, daß es ihnen ganz genau
ebenso gegangen ist.

Man wird also nicht fehlgehn, wenn man behauptet, daß von den
Füchsen, die sich als srncliosi oris immatrikulieren lassen, bei weitem noch
nicht einer von hundert sich eine ähnliche Vorstellung von der Wissenschaft,
der er sich weiht, und der Berufsthätigkeit, die ihn erwartet, macheu kann,
wie etwa der junge Mathematiker, Philologe oder Mediziner es vermag. Es
kann darum bei der Berufswahl im Gegensatz zu allen andern akademischen
Berufszweigen das für die Jurisprudenz ausschlaggebende für gewöhnlich nicht
der Stoff des Studiums und der Berufsthätigkeit sein, und in dieser That¬
sache liegt, wie ich glaube, die gewichtigste und am schwersten zu beseitigende
Ursache für die -- wir wollen nicht sagen "Minderwertigkeit," sondern nur --
Ungeeignetheit des Menschenmaterials, das die Maschine unsrer Rechtspflege
bedient.

Ein ungünstigeres Bild gewinnen wir, wenn wir nach dieser negativen
Feststellung, daß nicht die Art der Beschäftigung das Anziehende bei der Be¬
rufswahl der meisten Juristen, sein kann, die weitere Frage auswerfen, was
denn nun wohl in der Mehrzahl der Fülle von entscheidenden Einfluß ge¬
wesen ist. Denn die Antwort auf diese Frage wird bei einer beschämend
großen Mehrheit lauten müssen: Strebertum oder Indifferenz.

Konnte der Stoff an sich den vor die Berufswahl gestellten nnr äußerst
selten zum juristischen Studium locken, so ist es um so mehr der nach Absol¬
vierung der juristischen Vorbereitungszeit erreichbare Erfolg, der der edeln
Jurisprudenz die Jünger in die Arme treibt. Ja, der Erfolg, mag er nun
je nach Charakteranlagen und Fähigkeiten sich dem einen in dem glänzenden
Bilde eines hohen Justiz- oder Berwaltungsbecnuteu, dem andern in den
hohen Einnahmezahlen eines vielbeschäftigten Urwalds, oder dem dritten in
dem bescheidnen Idyll eines Amtsrichters in einem kleinen Städtchen vor die
Seele malen.


Deutscher Jüngling, wohin steht dein Sinn auf Erden?
"Vortragender Rat im Ministerium möcht ich werden!"

so begann ein "Berufswahl" überschriebues Spottgedicht, das kürzlich in einer


Unsre Themisjünger

lichen Behandlung mit auf den Weg erhält, hat ihm die Schule auch uicht den ge¬
ringsten Anhalt geboten, sich von der Jurisprudenz eine Vorstellung zu formen.

Und das Leben? Nun, wohl dem Jüngling, dem es erspart geblieben
ist, auf diesem Wege einen Einblick in die juristische Praxis zu gewinnen; er
wird seelisch dadurch nichts verloren haben.

Bleibt noch die Vermittlung einer solchen Vorstellung durch das Eltern¬
haus, wenn etwa der Vater oder der ältere Bruder Jurist ist. Das ist in
der That wohl der einzige Weg, der geeignet ist, einen annähernd richtigen
Begriff von dem, was den Jünger der Themis erwartet, dem vor die Berufs¬
wahl gestelltem Jüngling zu vermitteln. Ob er sehr häusig begnügen wird,
wo die Möglichkeit dazu gegeben wäre, bezweifle ich sehr; als Sohn eines
Juristen kaun ich versichern, daß ich in das Wesen der Berufsthätigkeit meines
Vaters erst einen Einblick erhalten habe, als ich schon etliche Semester hinter
mir hatte, und ich weiß von andern Juristensöhnen, daß es ihnen ganz genau
ebenso gegangen ist.

Man wird also nicht fehlgehn, wenn man behauptet, daß von den
Füchsen, die sich als srncliosi oris immatrikulieren lassen, bei weitem noch
nicht einer von hundert sich eine ähnliche Vorstellung von der Wissenschaft,
der er sich weiht, und der Berufsthätigkeit, die ihn erwartet, macheu kann,
wie etwa der junge Mathematiker, Philologe oder Mediziner es vermag. Es
kann darum bei der Berufswahl im Gegensatz zu allen andern akademischen
Berufszweigen das für die Jurisprudenz ausschlaggebende für gewöhnlich nicht
der Stoff des Studiums und der Berufsthätigkeit sein, und in dieser That¬
sache liegt, wie ich glaube, die gewichtigste und am schwersten zu beseitigende
Ursache für die — wir wollen nicht sagen „Minderwertigkeit," sondern nur —
Ungeeignetheit des Menschenmaterials, das die Maschine unsrer Rechtspflege
bedient.

Ein ungünstigeres Bild gewinnen wir, wenn wir nach dieser negativen
Feststellung, daß nicht die Art der Beschäftigung das Anziehende bei der Be¬
rufswahl der meisten Juristen, sein kann, die weitere Frage auswerfen, was
denn nun wohl in der Mehrzahl der Fülle von entscheidenden Einfluß ge¬
wesen ist. Denn die Antwort auf diese Frage wird bei einer beschämend
großen Mehrheit lauten müssen: Strebertum oder Indifferenz.

Konnte der Stoff an sich den vor die Berufswahl gestellten nnr äußerst
selten zum juristischen Studium locken, so ist es um so mehr der nach Absol¬
vierung der juristischen Vorbereitungszeit erreichbare Erfolg, der der edeln
Jurisprudenz die Jünger in die Arme treibt. Ja, der Erfolg, mag er nun
je nach Charakteranlagen und Fähigkeiten sich dem einen in dem glänzenden
Bilde eines hohen Justiz- oder Berwaltungsbecnuteu, dem andern in den
hohen Einnahmezahlen eines vielbeschäftigten Urwalds, oder dem dritten in
dem bescheidnen Idyll eines Amtsrichters in einem kleinen Städtchen vor die
Seele malen.


Deutscher Jüngling, wohin steht dein Sinn auf Erden?
„Vortragender Rat im Ministerium möcht ich werden!"

so begann ein „Berufswahl" überschriebues Spottgedicht, das kürzlich in einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/530>, abgerufen am 29.06.2024.