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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Rummel, sagte Wandrer zu dem Obersteiger, ist denn der Zugang zur toten
Strecke vermauert?

Nein, Herr Wandrer, erwiderte Rummel, der Herr Direktor wollte es nicht
haben. Es müßten jetzt alle Stellen in Angriff genommen werden.

Wandrer unterdrückte einen Ausruf des Unwillens und sagte: Dann lassen
Sie die tote Strecke gleich schließe".

Wir haben keine Maurer, Herr Wandrer.

So versetzen Sie den Zugang mit Holz. Aber beeilen Sie sich, bitte.

Wandrer wandte sich ab und seufzte. Er erkannte den Ernst der Lage und
die Schwere der Verantwortung, die auf ihn fiel. Er hatte das Unheil kommen
sehen, er hatte gewarnt, aber immer mir vergeblich. Nun, wo es zur Entscheidung
kam, spannte der Direktor aus, und er mußte eintreten und sür die Fehler auf¬
kommen, die andre gemacht hatten, und die Verantwortung übernehmen für ein
Werk, das einen Wert von Millionen darstellte, und für das Wohl von Hunderten
von Arbeitern, deren Existenz mit der des Werkes verbunden war. Zürnen konnte
er dem Direktor nicht. Der arme Mann war schwer genug bestraft. Er lag mit
fieberglänzenden Augen apathisch in seinem Bette wie einer, der mit dem Leben
abgeschlossen hat, sich aber vor dem Gnadenstöße, der ihm den Garaus machen soll,
fürchtet. Da nun kein andrer da war, so mußte freilich er die Last auf sich
nehmen. Er erinnerte sich in Ägypten gesehen zu haben, wie die Kamele, wenn
sie beladen werden, erbärmlich stöhnen und beißen, aber wenn sie erst auf die
Beine gebracht sind, unverdrossen ihre Last tragen. Er verglich sich im stillen
mit einem solchen Kamele, lachte und stellte sich auf die Beine, das heißt griff
frisch z" und ließ sich von des Gedankens Blässe nicht weiter ankränkeln.

Nach gemessener Zeit, das heißt keineswegs eilig, kam Herr Doktor Duttmüller,
um nach dem Patienten zu sehen. Es war dem Doktor Dnttmüller höchst unbehaglich
zu Mute. Unruhe und außerordentliche Ereignisse konnte er durchaus nicht leiden.
Früh auf die Praxis, dann ordentlich essen, abends in das Hauptbuch eintragen,
was man verdient hatte, und alle Vierteljahre die Rechnungen ausschreiben, das
war ihm das liebste. Er war sich dessen bewußt, daß er die Honorarschranbe
etwas kräftig ungezogen habe, und daß seine Krankenkasscnpatienteu immer
erst dann drangekommen waren, wenn die zahlenden Patienten besorgt worden
waren. Er merkte wohl, daß das Volk ihm nicht besonders günstig gesinnt war.
Daraus hatte er sich solange nichts gemacht, als er die Macht auf seiner Seite
wußte. Jetzt änderte sich die Lage; man sah, daß die Arbeiter ihren eiguen
Willen und eigne Kraft hatten. Und was daraus alles noch werden konnte, wer
mochte das wissen? Und so hatte er vor den Ohren seiner Frau, seiner
Mutter und seiner Schwägerin eben erst mit großer innerer Überzeugung den Satz
vertreten, daß der Arzt über den Parteien stehn müsse. Der Arzt dürfe weder
sozial noch konservativ sein, sondern den Konservativen ein Konservativer und den
Sozialen ein Sozialer. -- Jawohl, hatte Ellen dazu gesagt, um von den Konser¬
vativen konservatives und von den Sozialen soziales Geld zu verdienen, ein rühm¬
licher und praktischer Stnndpuukt. -- Und nun tum dieser unglückselige Direktor.
Und nun mußte er die Ära seines neuen Standpunkts damit einleiten, daß er
hinaus aufs Werk fuhr und in das Haus des verhaßtesten Mannes der Gegend
trat. Das war ihm sehr fatal, ließ sich aber nicht ändern, ebensowenig, daß er
sehen mußte, wie sein Vater auf offner Straße einem Kreise von Arbeitern medi¬
zinische Vorlesungen hielt, und daß diese Arbeiter hinter ihm, dem Manne der
Wissenschaft, her spotteten.

- Doktor Duttmüller besichtigte den Kranken mit dem gebührenden Ernste, ließ
sich Bericht erstatten, sagte: Hin ja! zählte den Pulsschlag, was sich der Kranke
Sühneklappernd gefallen ließ, und äußerte sich dahin, daß der Zustand in Verbindung
unt Hysterie und Herzverfettung eine nervös-maniakalische Schwache darstelle, falls
nicht das vorhandne Fieber den Beginn einer Hirnhautentzündung indiziere. Lydia


Grenzboten II 1902 64
Doktor Duttmüller und sein Freund

Rummel, sagte Wandrer zu dem Obersteiger, ist denn der Zugang zur toten
Strecke vermauert?

Nein, Herr Wandrer, erwiderte Rummel, der Herr Direktor wollte es nicht
haben. Es müßten jetzt alle Stellen in Angriff genommen werden.

Wandrer unterdrückte einen Ausruf des Unwillens und sagte: Dann lassen
Sie die tote Strecke gleich schließe».

Wir haben keine Maurer, Herr Wandrer.

So versetzen Sie den Zugang mit Holz. Aber beeilen Sie sich, bitte.

Wandrer wandte sich ab und seufzte. Er erkannte den Ernst der Lage und
die Schwere der Verantwortung, die auf ihn fiel. Er hatte das Unheil kommen
sehen, er hatte gewarnt, aber immer mir vergeblich. Nun, wo es zur Entscheidung
kam, spannte der Direktor aus, und er mußte eintreten und sür die Fehler auf¬
kommen, die andre gemacht hatten, und die Verantwortung übernehmen für ein
Werk, das einen Wert von Millionen darstellte, und für das Wohl von Hunderten
von Arbeitern, deren Existenz mit der des Werkes verbunden war. Zürnen konnte
er dem Direktor nicht. Der arme Mann war schwer genug bestraft. Er lag mit
fieberglänzenden Augen apathisch in seinem Bette wie einer, der mit dem Leben
abgeschlossen hat, sich aber vor dem Gnadenstöße, der ihm den Garaus machen soll,
fürchtet. Da nun kein andrer da war, so mußte freilich er die Last auf sich
nehmen. Er erinnerte sich in Ägypten gesehen zu haben, wie die Kamele, wenn
sie beladen werden, erbärmlich stöhnen und beißen, aber wenn sie erst auf die
Beine gebracht sind, unverdrossen ihre Last tragen. Er verglich sich im stillen
mit einem solchen Kamele, lachte und stellte sich auf die Beine, das heißt griff
frisch z« und ließ sich von des Gedankens Blässe nicht weiter ankränkeln.

Nach gemessener Zeit, das heißt keineswegs eilig, kam Herr Doktor Duttmüller,
um nach dem Patienten zu sehen. Es war dem Doktor Dnttmüller höchst unbehaglich
zu Mute. Unruhe und außerordentliche Ereignisse konnte er durchaus nicht leiden.
Früh auf die Praxis, dann ordentlich essen, abends in das Hauptbuch eintragen,
was man verdient hatte, und alle Vierteljahre die Rechnungen ausschreiben, das
war ihm das liebste. Er war sich dessen bewußt, daß er die Honorarschranbe
etwas kräftig ungezogen habe, und daß seine Krankenkasscnpatienteu immer
erst dann drangekommen waren, wenn die zahlenden Patienten besorgt worden
waren. Er merkte wohl, daß das Volk ihm nicht besonders günstig gesinnt war.
Daraus hatte er sich solange nichts gemacht, als er die Macht auf seiner Seite
wußte. Jetzt änderte sich die Lage; man sah, daß die Arbeiter ihren eiguen
Willen und eigne Kraft hatten. Und was daraus alles noch werden konnte, wer
mochte das wissen? Und so hatte er vor den Ohren seiner Frau, seiner
Mutter und seiner Schwägerin eben erst mit großer innerer Überzeugung den Satz
vertreten, daß der Arzt über den Parteien stehn müsse. Der Arzt dürfe weder
sozial noch konservativ sein, sondern den Konservativen ein Konservativer und den
Sozialen ein Sozialer. — Jawohl, hatte Ellen dazu gesagt, um von den Konser¬
vativen konservatives und von den Sozialen soziales Geld zu verdienen, ein rühm¬
licher und praktischer Stnndpuukt. — Und nun tum dieser unglückselige Direktor.
Und nun mußte er die Ära seines neuen Standpunkts damit einleiten, daß er
hinaus aufs Werk fuhr und in das Haus des verhaßtesten Mannes der Gegend
trat. Das war ihm sehr fatal, ließ sich aber nicht ändern, ebensowenig, daß er
sehen mußte, wie sein Vater auf offner Straße einem Kreise von Arbeitern medi¬
zinische Vorlesungen hielt, und daß diese Arbeiter hinter ihm, dem Manne der
Wissenschaft, her spotteten.

- Doktor Duttmüller besichtigte den Kranken mit dem gebührenden Ernste, ließ
sich Bericht erstatten, sagte: Hin ja! zählte den Pulsschlag, was sich der Kranke
Sühneklappernd gefallen ließ, und äußerte sich dahin, daß der Zustand in Verbindung
unt Hysterie und Herzverfettung eine nervös-maniakalische Schwache darstelle, falls
nicht das vorhandne Fieber den Beginn einer Hirnhautentzündung indiziere. Lydia


Grenzboten II 1902 64
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[0513] Doktor Duttmüller und sein Freund Rummel, sagte Wandrer zu dem Obersteiger, ist denn der Zugang zur toten Strecke vermauert? Nein, Herr Wandrer, erwiderte Rummel, der Herr Direktor wollte es nicht haben. Es müßten jetzt alle Stellen in Angriff genommen werden. Wandrer unterdrückte einen Ausruf des Unwillens und sagte: Dann lassen Sie die tote Strecke gleich schließe». Wir haben keine Maurer, Herr Wandrer. So versetzen Sie den Zugang mit Holz. Aber beeilen Sie sich, bitte. Wandrer wandte sich ab und seufzte. Er erkannte den Ernst der Lage und die Schwere der Verantwortung, die auf ihn fiel. Er hatte das Unheil kommen sehen, er hatte gewarnt, aber immer mir vergeblich. Nun, wo es zur Entscheidung kam, spannte der Direktor aus, und er mußte eintreten und sür die Fehler auf¬ kommen, die andre gemacht hatten, und die Verantwortung übernehmen für ein Werk, das einen Wert von Millionen darstellte, und für das Wohl von Hunderten von Arbeitern, deren Existenz mit der des Werkes verbunden war. Zürnen konnte er dem Direktor nicht. Der arme Mann war schwer genug bestraft. Er lag mit fieberglänzenden Augen apathisch in seinem Bette wie einer, der mit dem Leben abgeschlossen hat, sich aber vor dem Gnadenstöße, der ihm den Garaus machen soll, fürchtet. Da nun kein andrer da war, so mußte freilich er die Last auf sich nehmen. Er erinnerte sich in Ägypten gesehen zu haben, wie die Kamele, wenn sie beladen werden, erbärmlich stöhnen und beißen, aber wenn sie erst auf die Beine gebracht sind, unverdrossen ihre Last tragen. Er verglich sich im stillen mit einem solchen Kamele, lachte und stellte sich auf die Beine, das heißt griff frisch z« und ließ sich von des Gedankens Blässe nicht weiter ankränkeln. Nach gemessener Zeit, das heißt keineswegs eilig, kam Herr Doktor Duttmüller, um nach dem Patienten zu sehen. Es war dem Doktor Dnttmüller höchst unbehaglich zu Mute. Unruhe und außerordentliche Ereignisse konnte er durchaus nicht leiden. Früh auf die Praxis, dann ordentlich essen, abends in das Hauptbuch eintragen, was man verdient hatte, und alle Vierteljahre die Rechnungen ausschreiben, das war ihm das liebste. Er war sich dessen bewußt, daß er die Honorarschranbe etwas kräftig ungezogen habe, und daß seine Krankenkasscnpatienteu immer erst dann drangekommen waren, wenn die zahlenden Patienten besorgt worden waren. Er merkte wohl, daß das Volk ihm nicht besonders günstig gesinnt war. Daraus hatte er sich solange nichts gemacht, als er die Macht auf seiner Seite wußte. Jetzt änderte sich die Lage; man sah, daß die Arbeiter ihren eiguen Willen und eigne Kraft hatten. Und was daraus alles noch werden konnte, wer mochte das wissen? Und so hatte er vor den Ohren seiner Frau, seiner Mutter und seiner Schwägerin eben erst mit großer innerer Überzeugung den Satz vertreten, daß der Arzt über den Parteien stehn müsse. Der Arzt dürfe weder sozial noch konservativ sein, sondern den Konservativen ein Konservativer und den Sozialen ein Sozialer. — Jawohl, hatte Ellen dazu gesagt, um von den Konser¬ vativen konservatives und von den Sozialen soziales Geld zu verdienen, ein rühm¬ licher und praktischer Stnndpuukt. — Und nun tum dieser unglückselige Direktor. Und nun mußte er die Ära seines neuen Standpunkts damit einleiten, daß er hinaus aufs Werk fuhr und in das Haus des verhaßtesten Mannes der Gegend trat. Das war ihm sehr fatal, ließ sich aber nicht ändern, ebensowenig, daß er sehen mußte, wie sein Vater auf offner Straße einem Kreise von Arbeitern medi¬ zinische Vorlesungen hielt, und daß diese Arbeiter hinter ihm, dem Manne der Wissenschaft, her spotteten. - Doktor Duttmüller besichtigte den Kranken mit dem gebührenden Ernste, ließ sich Bericht erstatten, sagte: Hin ja! zählte den Pulsschlag, was sich der Kranke Sühneklappernd gefallen ließ, und äußerte sich dahin, daß der Zustand in Verbindung unt Hysterie und Herzverfettung eine nervös-maniakalische Schwache darstelle, falls nicht das vorhandne Fieber den Beginn einer Hirnhautentzündung indiziere. Lydia Grenzboten II 1902 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/513>, abgerufen am 28.09.2024.