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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

war also keine Gefahr vorhanden. Aber der Ausgang des Schienenweges war
nur mit einem Lattenthore verschlossen. Und hier drängte eine aufgeregte Menge
von außen, während Rummel und ein paar Beamte und Bergleute bemüht waren,
das Thor geschlossen zu halten. Eine Anzahl von Arbeitern und Bergleuten
stand unbeteiligt dabei, wie die Schmaltiere, wenn sich die Hirsche raufen. >--
Heran hier, rief Wandrer. Aber die Leute betrachteten sich gleichsam als Kampf¬
preis und hatten keine Lust, Partei zu ergreifen. Als Wandrer einen von ihnen
beim Kragen faßte, drückte ihm dieser einen Gummischlauch in die Hand und
verschwand im Dunkeln. Diese Waffe war Wandrer willkommen, denn obgleich er
einen Konstablerstock in der Tasche trug, eine Art Totschläger, wie ihn die Londoner
Polizisten führen, so war ihm der schwere und biegsame Schlauch lieber. Man
konnte damit derb zuschlagen, ohne den Gegner arg zu verletzen.

Gerade als Wandrer an dem Lattenthor ankam, gab dasselbe dem Andrange
nach und ging in Stücken. Die Verteidiger wichen zurück, und die Menge drängte
herein. -- Hier kommt niemand herein, rief Wandrer mit Heller Kampfesstimme
und ließ seinen Schlauch auf die Köpfe und Schultern der Hereindrängenden sausen.
Das hatte man nicht erwartet. Man schrie, drohte und wich zurück. Wandrer,
gefolgt von den Steigern und Beamten, drängte, wuchtige Streiche austeilend, nach
und befand sich einem Menschen gegenüber, den er noch nie gesehen hatte. Er
sah in ein gelbes Gesicht, wutfunkelnde Augen und ein blinkendes, zum Stoße
erhabnes Messer. Wandrer suchte sich zu decken, aber sein Gummischlauch war
uicht dazu geeignet. Schon erwog er, ob er den Menschen unterrennen und um¬
fassen sollte, was freilich eine gefährliche Sache gewesen wäre, als an seiner Seite
eine Flamme aufleuchtete, und eine Fackel dem Menschen unter die Nase fuhr, und
Drillhose mit seinen schmerzlichsten Tönen rief: Da riech dran, du Meuchelmörder! --
Zugleich erschienen noch einige Fackeln, vor denen sich die Angreifenden eiligst zurück¬
zogen. Ein paar Menschen, die über die Planke steigen wollten, wurden wieder
hinausgeräuchert. Die Unentschiednen gewannen Mut, griffen zu und rühmten sich
hernach ihrer Heldenthaten. Und so war der Angriff glücklich abgeschlagen.

Wandrer wandte sich aufatmend zu Drillhose, reichte ihm die Hand und sagte:
Das haben Sie gut gemacht, Drillhose. Das werde ich Ihnen gedenken.

Drillhvse strahlte und erbat sich die Erlaubnis, an der Stelle des zertrüm¬
merten Thores aus seinen Materialien eine Barrikade zu errichten. Diese Erlaubnis
erhielt er natürlich, und sogleich machte er sich mit Feuereifer und Sachverständnis
an die Arbeit. Alle Hände griffen zu, und es währte nicht lange, so war der
Schaden ausgebessert. Es wurden Posten aufgestellt, an alle vier Ecken des Werkes
stellte Drillhose einen seiner Leute mit einer Trompete auf. Das wäre nicht nötig
gewesen. Es fiel ein sanfter Regen, und der hat sich in aufgeregten Zeiten schon
immer als ein ausgezeichnetes Beschwichtigungsmittel bewährt.

Die nächsten Tage vergingen eintönig und trübe. Es war, als wenn nichts
gewesen wäre, und doch fühlte man sich keinen Augenblick sicher. Der Nest der
Arbeiter, der sich nicht am Aufstande beteiligt hatte, wurde immer kleiner. Es
gehörte auch etwas dazu, sich jedesmal, wenn es zur Arbeit ging, durchschlagen
oder durch eine Gasse schmähender und drohender Genossen durchdrängen zu
müssen. Ein einzelner Mann kam überhaupt uicht durch. Überall ans den Zu¬
gangswegen standen Streikposten. Wandrer sah ein, daß das nicht so fortgehn
konnte. Er machte den Arbeitern den Vorschlag, sich auf dem Werke einzuquar¬
tieren, richtete die Lagerräume zu Wohnräumen ein, ließ in der Kantine für die
Arbeiter kochen und sorgte für große Vorräte von Lebensmitteln. Einzelne nahmen
es mit Dank an, andre, besonders die Hausbesitzer in Holzwcißig, trugen Bedenken,
ihre Häuser ohne Aufsicht zu lasse". -- Aber Leute, sagte Wandrer, seht ihr denn nicht
ein, daß eure Häuser hier verteidigt werden müssen? Wenn das Werk Schaden
leidet und seine Arbeiter entlassen muß, dann stehn eure Hänser leer, und ihr seid
ruiniert. -- Ja ja, sagten die Hausbesitzer, das ist so. Aber einige gingen doch davon.


Doktor Duttmüller und sein Freund

war also keine Gefahr vorhanden. Aber der Ausgang des Schienenweges war
nur mit einem Lattenthore verschlossen. Und hier drängte eine aufgeregte Menge
von außen, während Rummel und ein paar Beamte und Bergleute bemüht waren,
das Thor geschlossen zu halten. Eine Anzahl von Arbeitern und Bergleuten
stand unbeteiligt dabei, wie die Schmaltiere, wenn sich die Hirsche raufen. >—
Heran hier, rief Wandrer. Aber die Leute betrachteten sich gleichsam als Kampf¬
preis und hatten keine Lust, Partei zu ergreifen. Als Wandrer einen von ihnen
beim Kragen faßte, drückte ihm dieser einen Gummischlauch in die Hand und
verschwand im Dunkeln. Diese Waffe war Wandrer willkommen, denn obgleich er
einen Konstablerstock in der Tasche trug, eine Art Totschläger, wie ihn die Londoner
Polizisten führen, so war ihm der schwere und biegsame Schlauch lieber. Man
konnte damit derb zuschlagen, ohne den Gegner arg zu verletzen.

Gerade als Wandrer an dem Lattenthor ankam, gab dasselbe dem Andrange
nach und ging in Stücken. Die Verteidiger wichen zurück, und die Menge drängte
herein. — Hier kommt niemand herein, rief Wandrer mit Heller Kampfesstimme
und ließ seinen Schlauch auf die Köpfe und Schultern der Hereindrängenden sausen.
Das hatte man nicht erwartet. Man schrie, drohte und wich zurück. Wandrer,
gefolgt von den Steigern und Beamten, drängte, wuchtige Streiche austeilend, nach
und befand sich einem Menschen gegenüber, den er noch nie gesehen hatte. Er
sah in ein gelbes Gesicht, wutfunkelnde Augen und ein blinkendes, zum Stoße
erhabnes Messer. Wandrer suchte sich zu decken, aber sein Gummischlauch war
uicht dazu geeignet. Schon erwog er, ob er den Menschen unterrennen und um¬
fassen sollte, was freilich eine gefährliche Sache gewesen wäre, als an seiner Seite
eine Flamme aufleuchtete, und eine Fackel dem Menschen unter die Nase fuhr, und
Drillhose mit seinen schmerzlichsten Tönen rief: Da riech dran, du Meuchelmörder! —
Zugleich erschienen noch einige Fackeln, vor denen sich die Angreifenden eiligst zurück¬
zogen. Ein paar Menschen, die über die Planke steigen wollten, wurden wieder
hinausgeräuchert. Die Unentschiednen gewannen Mut, griffen zu und rühmten sich
hernach ihrer Heldenthaten. Und so war der Angriff glücklich abgeschlagen.

Wandrer wandte sich aufatmend zu Drillhose, reichte ihm die Hand und sagte:
Das haben Sie gut gemacht, Drillhose. Das werde ich Ihnen gedenken.

Drillhvse strahlte und erbat sich die Erlaubnis, an der Stelle des zertrüm¬
merten Thores aus seinen Materialien eine Barrikade zu errichten. Diese Erlaubnis
erhielt er natürlich, und sogleich machte er sich mit Feuereifer und Sachverständnis
an die Arbeit. Alle Hände griffen zu, und es währte nicht lange, so war der
Schaden ausgebessert. Es wurden Posten aufgestellt, an alle vier Ecken des Werkes
stellte Drillhose einen seiner Leute mit einer Trompete auf. Das wäre nicht nötig
gewesen. Es fiel ein sanfter Regen, und der hat sich in aufgeregten Zeiten schon
immer als ein ausgezeichnetes Beschwichtigungsmittel bewährt.

Die nächsten Tage vergingen eintönig und trübe. Es war, als wenn nichts
gewesen wäre, und doch fühlte man sich keinen Augenblick sicher. Der Nest der
Arbeiter, der sich nicht am Aufstande beteiligt hatte, wurde immer kleiner. Es
gehörte auch etwas dazu, sich jedesmal, wenn es zur Arbeit ging, durchschlagen
oder durch eine Gasse schmähender und drohender Genossen durchdrängen zu
müssen. Ein einzelner Mann kam überhaupt uicht durch. Überall ans den Zu¬
gangswegen standen Streikposten. Wandrer sah ein, daß das nicht so fortgehn
konnte. Er machte den Arbeitern den Vorschlag, sich auf dem Werke einzuquar¬
tieren, richtete die Lagerräume zu Wohnräumen ein, ließ in der Kantine für die
Arbeiter kochen und sorgte für große Vorräte von Lebensmitteln. Einzelne nahmen
es mit Dank an, andre, besonders die Hausbesitzer in Holzwcißig, trugen Bedenken,
ihre Häuser ohne Aufsicht zu lasse». — Aber Leute, sagte Wandrer, seht ihr denn nicht
ein, daß eure Häuser hier verteidigt werden müssen? Wenn das Werk Schaden
leidet und seine Arbeiter entlassen muß, dann stehn eure Hänser leer, und ihr seid
ruiniert. — Ja ja, sagten die Hausbesitzer, das ist so. Aber einige gingen doch davon.


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[0512] Doktor Duttmüller und sein Freund war also keine Gefahr vorhanden. Aber der Ausgang des Schienenweges war nur mit einem Lattenthore verschlossen. Und hier drängte eine aufgeregte Menge von außen, während Rummel und ein paar Beamte und Bergleute bemüht waren, das Thor geschlossen zu halten. Eine Anzahl von Arbeitern und Bergleuten stand unbeteiligt dabei, wie die Schmaltiere, wenn sich die Hirsche raufen. >— Heran hier, rief Wandrer. Aber die Leute betrachteten sich gleichsam als Kampf¬ preis und hatten keine Lust, Partei zu ergreifen. Als Wandrer einen von ihnen beim Kragen faßte, drückte ihm dieser einen Gummischlauch in die Hand und verschwand im Dunkeln. Diese Waffe war Wandrer willkommen, denn obgleich er einen Konstablerstock in der Tasche trug, eine Art Totschläger, wie ihn die Londoner Polizisten führen, so war ihm der schwere und biegsame Schlauch lieber. Man konnte damit derb zuschlagen, ohne den Gegner arg zu verletzen. Gerade als Wandrer an dem Lattenthor ankam, gab dasselbe dem Andrange nach und ging in Stücken. Die Verteidiger wichen zurück, und die Menge drängte herein. — Hier kommt niemand herein, rief Wandrer mit Heller Kampfesstimme und ließ seinen Schlauch auf die Köpfe und Schultern der Hereindrängenden sausen. Das hatte man nicht erwartet. Man schrie, drohte und wich zurück. Wandrer, gefolgt von den Steigern und Beamten, drängte, wuchtige Streiche austeilend, nach und befand sich einem Menschen gegenüber, den er noch nie gesehen hatte. Er sah in ein gelbes Gesicht, wutfunkelnde Augen und ein blinkendes, zum Stoße erhabnes Messer. Wandrer suchte sich zu decken, aber sein Gummischlauch war uicht dazu geeignet. Schon erwog er, ob er den Menschen unterrennen und um¬ fassen sollte, was freilich eine gefährliche Sache gewesen wäre, als an seiner Seite eine Flamme aufleuchtete, und eine Fackel dem Menschen unter die Nase fuhr, und Drillhose mit seinen schmerzlichsten Tönen rief: Da riech dran, du Meuchelmörder! — Zugleich erschienen noch einige Fackeln, vor denen sich die Angreifenden eiligst zurück¬ zogen. Ein paar Menschen, die über die Planke steigen wollten, wurden wieder hinausgeräuchert. Die Unentschiednen gewannen Mut, griffen zu und rühmten sich hernach ihrer Heldenthaten. Und so war der Angriff glücklich abgeschlagen. Wandrer wandte sich aufatmend zu Drillhose, reichte ihm die Hand und sagte: Das haben Sie gut gemacht, Drillhose. Das werde ich Ihnen gedenken. Drillhvse strahlte und erbat sich die Erlaubnis, an der Stelle des zertrüm¬ merten Thores aus seinen Materialien eine Barrikade zu errichten. Diese Erlaubnis erhielt er natürlich, und sogleich machte er sich mit Feuereifer und Sachverständnis an die Arbeit. Alle Hände griffen zu, und es währte nicht lange, so war der Schaden ausgebessert. Es wurden Posten aufgestellt, an alle vier Ecken des Werkes stellte Drillhose einen seiner Leute mit einer Trompete auf. Das wäre nicht nötig gewesen. Es fiel ein sanfter Regen, und der hat sich in aufgeregten Zeiten schon immer als ein ausgezeichnetes Beschwichtigungsmittel bewährt. Die nächsten Tage vergingen eintönig und trübe. Es war, als wenn nichts gewesen wäre, und doch fühlte man sich keinen Augenblick sicher. Der Nest der Arbeiter, der sich nicht am Aufstande beteiligt hatte, wurde immer kleiner. Es gehörte auch etwas dazu, sich jedesmal, wenn es zur Arbeit ging, durchschlagen oder durch eine Gasse schmähender und drohender Genossen durchdrängen zu müssen. Ein einzelner Mann kam überhaupt uicht durch. Überall ans den Zu¬ gangswegen standen Streikposten. Wandrer sah ein, daß das nicht so fortgehn konnte. Er machte den Arbeitern den Vorschlag, sich auf dem Werke einzuquar¬ tieren, richtete die Lagerräume zu Wohnräumen ein, ließ in der Kantine für die Arbeiter kochen und sorgte für große Vorräte von Lebensmitteln. Einzelne nahmen es mit Dank an, andre, besonders die Hausbesitzer in Holzwcißig, trugen Bedenken, ihre Häuser ohne Aufsicht zu lasse». — Aber Leute, sagte Wandrer, seht ihr denn nicht ein, daß eure Häuser hier verteidigt werden müssen? Wenn das Werk Schaden leidet und seine Arbeiter entlassen muß, dann stehn eure Hänser leer, und ihr seid ruiniert. — Ja ja, sagten die Hausbesitzer, das ist so. Aber einige gingen doch davon.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/512>, abgerufen am 29.06.2024.