Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Aus italienischen Sommerfrischen deutschen Träumereien nicht durch italienische Laute, italienische Spaziergänger auf¬ Vielleicht werden die Bestrebungen des Club Alpino, des Touring Club und Viareggio hat nicht nur in unmittelbarer Nahe seine beiden Pinienwälder, Aus italienischen Sommerfrischen deutschen Träumereien nicht durch italienische Laute, italienische Spaziergänger auf¬ Vielleicht werden die Bestrebungen des Club Alpino, des Touring Club und Viareggio hat nicht nur in unmittelbarer Nahe seine beiden Pinienwälder, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237789"/> <fw type="header" place="top"> Aus italienischen Sommerfrischen</fw><lb/> <p xml:id="ID_2509" prev="#ID_2508"> deutschen Träumereien nicht durch italienische Laute, italienische Spaziergänger auf¬<lb/> geschreckt zu werden. Denn uuter den heutigen Bewohnern des Landes, dessen<lb/> Naturschönheit Petrarca gewissermaßen zuerst entdeckte und dichterisch zum Aus¬<lb/> druck brachte, ist nur selten jemand zu finden, der für Naturgenuß das Opfer eines<lb/> längern Spaziergnngs, eines Ausflugs zu bringen geneigt wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2510"> Vielleicht werden die Bestrebungen des Club Alpino, des Touring Club und<lb/> andrer italienischer Sportvereine nach einigen Generationen eine höhere Wert¬<lb/> schätzung des mit körperlichen Leistungen errnugnen Naturgenusses bewirkt haben.<lb/> Vorläufig ist, mit Ausnahme etwa der an Österreich und die Schweiz angrenzenden<lb/> Alpenregionen, bei Vornehm und Gering, bei Alt und Jung noch ein ungeheucheltes<lb/> Erstaunen zu finden, wenn jemand, der es nicht nötig hat, längere Strecken zu Fuß<lb/> zurücklegt, anstatt irgend ein künstliches Fortbewegungsmittel zu benutzen. Solche<lb/> Beobachtungen überraschen den naturfrohen und wanderlustigen Deutschen immer<lb/> wieder, namentlich in schönen Umgebungen von Bädern und Sommerfrischen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2511" next="#ID_2512"> Viareggio hat nicht nur in unmittelbarer Nahe seine beiden Pinienwälder,<lb/> es hat auch eine weitere Umgebung von mannigfaltiger Schönheit. Im Norden<lb/> und im Osten begrenzen den Horizont die charakteristisch geformten, scharf gezackten<lb/> Gipfel der apuauischeu Alpen, nu denen ausgedehnte Marmorbrüche in der Sonne<lb/> wie Firnschnee leuchten, nach Regen wie herabstürzende Gießbäche. Nach Süden<lb/> zeichnen sich vom tiefblauen Himmel die sanftern begrünten Linien der Pisaner-<lb/> Berge ab. Und überall öffnen sich lachende Thäler mit freundlichen und behäbigen<lb/> Dörfern, mit Landsitzen, Kirchen und Kapellen, die von üppiger Vegetation um¬<lb/> geben, von Oliven, Edelkastanien, Steineichen umbuscht sind. Herrliche Aussichten<lb/> über die Gebirge, das Meer mit den wie Spielzeug aussehenden Jnselchen bei<lb/> La Spezia und Livorno, über die von den Kanälen der Reisfelder durchschnittne<lb/> Anschweinmungsebne des Serchio kaun man mit wenig Stunden Wanderns und<lb/> Steigens erreichen, und in dieser Ebne fehlt auch nicht der Binnensee, der malerische<lb/> Lcigo Mnssacinccoli, an dessen Ufer sich der große Schiffbauer Orlando aus Livorno,<lb/> der Majvlikafnbrikant Ginori aus Florenz und der Komponist der „Boheme"<lb/> Puccini ihre Villen erbaut haben. Stndteperlen und Schatzkammern der Kunst<lb/> der Renaissance wie Lucca und Visa kann man von Viareggio aus in einem<lb/> Tagesausflüge genießen, und wer auch das moderne Italien kennen und schätzen<lb/> lernen will, kann mit dem selben Zeitaufwand Livorno und La Spezia be¬<lb/> suchen. Aber darauf darf man nicht rechnen, daß man von Landeseinwohnern<lb/> oder Badegästen über Weg und Steg, Fahrgelegenheit oder Wohnung Auskunft<lb/> erhält. Reisen, Ausflüge und gar Fußreisen rechnet man in Italien zu den<lb/> Lebensmühen, denen man um liebsten ausweicht. Man geht überhaupt nicht in die<lb/> Sommerfrische, um dort Natur und ein der Natur näher gerücktes Leben zu ge¬<lb/> nießen, sondern lediglich, um der ärgsten Hitze der im Flach- und Binnenlande<lb/> hegenden Städte zu entfliehn, um im Schutz der kühlern Temperatur des Meeres-<lb/> strnudes oder des Gebirges das nach unsern deutschen Begriffen recht öde gesell-<lb/> ichnftliche Leben des Winters fortzusetzen. Zu deu Grundbedingungen der italie¬<lb/> nischen Sonnnerfrische gehört der Tanzsaal, wo jeden Abend getanzt wird, und in<lb/> °>»er großen Sommerfrische des obern Valtellinthals, in S. Catarina, fand ich<lb/> dus Tanzen von 9 bis ^12 am Abend sogar ans der gedruckten Hausordnung<lb/> "or. Die Berichterstattung der Zeitungen versäumt auch nicht, genan wie sie es<lb/> ^ ihrer oberflächliche» Weise bei Theater- oder Musikaufführungen thut, gewissenhaft<lb/> "ne Anwesenden von irgendwelcher Bedeutung aufzuzählen, die die Sommerfrische<lb/> ""t ihrer Gegenwart verschönen. Auch in Viareggio sorgen die Badeetablissements<lb/> Sö^r ^""Am, aber unser einfaches, gut geführtes und preiswertes Hotel Bretagne<lb/> ouch bis Ende Juni von der Tanzscuche verschont, wie denn überhaupt die rechte<lb/> und eigentliche italienische Stagione des Sommers erst mit dein Juli beginnt und<lb/> u» allgemeinen Anfang September schon wieder endet. An dieser Beschränkung<lb/> er Sommerfreudeu in Italien mag wohl oft, um mit Reuter zu sprechen, die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0503]
Aus italienischen Sommerfrischen
deutschen Träumereien nicht durch italienische Laute, italienische Spaziergänger auf¬
geschreckt zu werden. Denn uuter den heutigen Bewohnern des Landes, dessen
Naturschönheit Petrarca gewissermaßen zuerst entdeckte und dichterisch zum Aus¬
druck brachte, ist nur selten jemand zu finden, der für Naturgenuß das Opfer eines
längern Spaziergnngs, eines Ausflugs zu bringen geneigt wäre.
Vielleicht werden die Bestrebungen des Club Alpino, des Touring Club und
andrer italienischer Sportvereine nach einigen Generationen eine höhere Wert¬
schätzung des mit körperlichen Leistungen errnugnen Naturgenusses bewirkt haben.
Vorläufig ist, mit Ausnahme etwa der an Österreich und die Schweiz angrenzenden
Alpenregionen, bei Vornehm und Gering, bei Alt und Jung noch ein ungeheucheltes
Erstaunen zu finden, wenn jemand, der es nicht nötig hat, längere Strecken zu Fuß
zurücklegt, anstatt irgend ein künstliches Fortbewegungsmittel zu benutzen. Solche
Beobachtungen überraschen den naturfrohen und wanderlustigen Deutschen immer
wieder, namentlich in schönen Umgebungen von Bädern und Sommerfrischen.
Viareggio hat nicht nur in unmittelbarer Nahe seine beiden Pinienwälder,
es hat auch eine weitere Umgebung von mannigfaltiger Schönheit. Im Norden
und im Osten begrenzen den Horizont die charakteristisch geformten, scharf gezackten
Gipfel der apuauischeu Alpen, nu denen ausgedehnte Marmorbrüche in der Sonne
wie Firnschnee leuchten, nach Regen wie herabstürzende Gießbäche. Nach Süden
zeichnen sich vom tiefblauen Himmel die sanftern begrünten Linien der Pisaner-
Berge ab. Und überall öffnen sich lachende Thäler mit freundlichen und behäbigen
Dörfern, mit Landsitzen, Kirchen und Kapellen, die von üppiger Vegetation um¬
geben, von Oliven, Edelkastanien, Steineichen umbuscht sind. Herrliche Aussichten
über die Gebirge, das Meer mit den wie Spielzeug aussehenden Jnselchen bei
La Spezia und Livorno, über die von den Kanälen der Reisfelder durchschnittne
Anschweinmungsebne des Serchio kaun man mit wenig Stunden Wanderns und
Steigens erreichen, und in dieser Ebne fehlt auch nicht der Binnensee, der malerische
Lcigo Mnssacinccoli, an dessen Ufer sich der große Schiffbauer Orlando aus Livorno,
der Majvlikafnbrikant Ginori aus Florenz und der Komponist der „Boheme"
Puccini ihre Villen erbaut haben. Stndteperlen und Schatzkammern der Kunst
der Renaissance wie Lucca und Visa kann man von Viareggio aus in einem
Tagesausflüge genießen, und wer auch das moderne Italien kennen und schätzen
lernen will, kann mit dem selben Zeitaufwand Livorno und La Spezia be¬
suchen. Aber darauf darf man nicht rechnen, daß man von Landeseinwohnern
oder Badegästen über Weg und Steg, Fahrgelegenheit oder Wohnung Auskunft
erhält. Reisen, Ausflüge und gar Fußreisen rechnet man in Italien zu den
Lebensmühen, denen man um liebsten ausweicht. Man geht überhaupt nicht in die
Sommerfrische, um dort Natur und ein der Natur näher gerücktes Leben zu ge¬
nießen, sondern lediglich, um der ärgsten Hitze der im Flach- und Binnenlande
hegenden Städte zu entfliehn, um im Schutz der kühlern Temperatur des Meeres-
strnudes oder des Gebirges das nach unsern deutschen Begriffen recht öde gesell-
ichnftliche Leben des Winters fortzusetzen. Zu deu Grundbedingungen der italie¬
nischen Sonnnerfrische gehört der Tanzsaal, wo jeden Abend getanzt wird, und in
°>»er großen Sommerfrische des obern Valtellinthals, in S. Catarina, fand ich
dus Tanzen von 9 bis ^12 am Abend sogar ans der gedruckten Hausordnung
"or. Die Berichterstattung der Zeitungen versäumt auch nicht, genan wie sie es
^ ihrer oberflächliche» Weise bei Theater- oder Musikaufführungen thut, gewissenhaft
"ne Anwesenden von irgendwelcher Bedeutung aufzuzählen, die die Sommerfrische
""t ihrer Gegenwart verschönen. Auch in Viareggio sorgen die Badeetablissements
Sö^r ^""Am, aber unser einfaches, gut geführtes und preiswertes Hotel Bretagne
ouch bis Ende Juni von der Tanzscuche verschont, wie denn überhaupt die rechte
und eigentliche italienische Stagione des Sommers erst mit dein Juli beginnt und
u» allgemeinen Anfang September schon wieder endet. An dieser Beschränkung
er Sommerfreudeu in Italien mag wohl oft, um mit Reuter zu sprechen, die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |