Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus italienischen Sommerfrischen

Süditalien überlegen. Von Seebädern hat Viareggio schnell eine ausschlaggebende
Bedeutung nicht nur für Toskana erlangt, an dessen Küste nördlich von Pisa es
liegt, sondern für ganz Italien und dessen Fremdenpublikum. Der Ort, dessen
Anfänge im Schatten der meerbeherrschenden Republiken Lucca, Pisa und Genua ge¬
wachsen sind, die um seinen Besitz erbitterte Kampfe führten, ist jetzt eine "reinlich
artige" Stadt von etwa 16000 Einwohnern. Das edle Stein- und Marmor¬
material des nahen Gebirges hat eine gewisse Eleganz der Bauart der zwei¬
stöckigen Häuser erlaubt, in denen fast überall Badegäste Aufnahme finden können.
Größere und kleinere Hotels sind ebenfalls in Menge vorhanden, sodciß für jeden
Geschmack und sür jede Börse gesorgt ist. Die Langweiligkeit der schnurgeraden,
sich rechtwinklig schneidenden Straßen und der regelmäßigen Plätze wird durch
Limonen- und Oleandcrbäume gemildert, die gerade zum Beginn der Badezeit ihre
roten Blütenbüschel entfalten. Aber in dieser steinernen Stadt lebt der Badegast
eigentlich mir nachts und während der Mahlzeiten. Für das Badeleben und die
Stunden des Genießens und der Erholung ist die hölzerne Stadt da, die am
Strande und teilweise über den Wellen des Mittelländischen Meeres aufgebaut ist
oder sich zu Beginn der Badezeit aufbaut, und die dem sichtbar jedes Jahr weiter
zurückweichenden Meere, oder richtiger dem vordringenden Strande, dem Neuland
der Anspülungen der aus dem Gebirge kommenden Flüsse, folgen muß. Hier er¬
heben sich zunächst großartige Badeetablissemeuts mit den kühnsten mythologischen
und symbolischen Benennungen, und sie umschließen An- und Auskleidezellen, Re¬
staurants, Tnnzsäle, Orchesterpodien und Aussichtsterrassen. Daneben sind Sominer-
theater, Gelaterien und Sorbetterien, Modemagazine und photographische Ateliers,
Kinematographen und Verkaufsbuden aller Art entstanden. Dazwischen schieben sich
einfachere Strandhäuschen, die Residenzen einzelner Familien, eine Metamorphose
unsers nordischen Strandkorbs ins großartige. Der etwa einen halben Meter über
dem Sande erbaute, dem Meere möglichst nnhegerückte Bau enthält zwei Räume
mit einem Vorplatz. Auf diesem empfängt man Freunde, und hier sitzt man bei
gutem Wetter; der eine der geschlossenen Räume ist Wohu- und Eßzimmer bei
schlechtem Wetter, der andre dient der Badetoilette. Ein Herren-, Damen- und
Kinderbad, Bademeister und Badefrau, Badevorschrifteu, Badetaxe usw. -- alle
diese Einrichtungen unsers strenger denkenden Vaterlandes sind hier nicht zu finden.
Männlein, Weiblein und Kinder baden gemeinsam in mehr oder weniger eleganten,
jedenfalls durchaus dezenten Badeanzügen, liegen gemeinsam nach dem Bade ein-
gegraben im wärmenden Sande, vertilgen gemeinsam wie überall und bei allen
Gelegenheiten in Italien unglaubliche Mengen von Süßigkeiten, flirten, scherzen
und tollen gemeinsam, und so mag für das italienische Badeleben in Viareggio der
italienische Ausspruch wohl seiue Berechtigung haben: "Viareggio ist das Paradies
der Kinder, das Fegefeuer der Frauen, die Hölle der Ehemänner."

Wer dieses "mondäne" Leben der gesellschaftlichen Kolonien von Florenz,
Livorno, Lucca, Pisa usw. nicht mitmachen, wer auch die höhern Preise der großen
Badeetablissements uicht zahlen will, erwirbt sich sein hölzernes Heim am stillern
nördlichen Teil des Strandes nach der Z?iuotu, eonmiurlo zu und wird da bei
mehr Ruhe und Stille des Bndestrandes auch auf seine Rechnung kommen. Dieser
große städtische Pinienwnld, dem nach Süden zu ein gleicher im Besitz der ältesten
Tochter von Don Carlos, der Erzherzogin Leopold Salvator, entspricht, ist im
waldarmen Italien ein wertvoller Besitz. Ich habe schöne Stunden unter diesen
Pinienkronen verlebt, unter denen Unterholz jeder Art lustig und üppig empvr-
wuchert, worin Singvögel ungestört von dem Knallen dilettantischer Schützen ihr
Lied ertönen lassen, und wo sogar ganz wie bei uns im deutschen Walde ein
Häschen seinen Unterschlupf findet. Überhaupt kann man sich hier ohne große
Mühe in deutschen Kiefernhvchwald hineinträumen, denn die Pinie entwickelt sich,
wenn sie ihre Krone neben ihren Schwestern nicht frei entfalten kann, fast ganz
wie unsre Kiefer, und in den entferntem Teilen des Waldes ist mau sicher, aus


Aus italienischen Sommerfrischen

Süditalien überlegen. Von Seebädern hat Viareggio schnell eine ausschlaggebende
Bedeutung nicht nur für Toskana erlangt, an dessen Küste nördlich von Pisa es
liegt, sondern für ganz Italien und dessen Fremdenpublikum. Der Ort, dessen
Anfänge im Schatten der meerbeherrschenden Republiken Lucca, Pisa und Genua ge¬
wachsen sind, die um seinen Besitz erbitterte Kampfe führten, ist jetzt eine „reinlich
artige" Stadt von etwa 16000 Einwohnern. Das edle Stein- und Marmor¬
material des nahen Gebirges hat eine gewisse Eleganz der Bauart der zwei¬
stöckigen Häuser erlaubt, in denen fast überall Badegäste Aufnahme finden können.
Größere und kleinere Hotels sind ebenfalls in Menge vorhanden, sodciß für jeden
Geschmack und sür jede Börse gesorgt ist. Die Langweiligkeit der schnurgeraden,
sich rechtwinklig schneidenden Straßen und der regelmäßigen Plätze wird durch
Limonen- und Oleandcrbäume gemildert, die gerade zum Beginn der Badezeit ihre
roten Blütenbüschel entfalten. Aber in dieser steinernen Stadt lebt der Badegast
eigentlich mir nachts und während der Mahlzeiten. Für das Badeleben und die
Stunden des Genießens und der Erholung ist die hölzerne Stadt da, die am
Strande und teilweise über den Wellen des Mittelländischen Meeres aufgebaut ist
oder sich zu Beginn der Badezeit aufbaut, und die dem sichtbar jedes Jahr weiter
zurückweichenden Meere, oder richtiger dem vordringenden Strande, dem Neuland
der Anspülungen der aus dem Gebirge kommenden Flüsse, folgen muß. Hier er¬
heben sich zunächst großartige Badeetablissemeuts mit den kühnsten mythologischen
und symbolischen Benennungen, und sie umschließen An- und Auskleidezellen, Re¬
staurants, Tnnzsäle, Orchesterpodien und Aussichtsterrassen. Daneben sind Sominer-
theater, Gelaterien und Sorbetterien, Modemagazine und photographische Ateliers,
Kinematographen und Verkaufsbuden aller Art entstanden. Dazwischen schieben sich
einfachere Strandhäuschen, die Residenzen einzelner Familien, eine Metamorphose
unsers nordischen Strandkorbs ins großartige. Der etwa einen halben Meter über
dem Sande erbaute, dem Meere möglichst nnhegerückte Bau enthält zwei Räume
mit einem Vorplatz. Auf diesem empfängt man Freunde, und hier sitzt man bei
gutem Wetter; der eine der geschlossenen Räume ist Wohu- und Eßzimmer bei
schlechtem Wetter, der andre dient der Badetoilette. Ein Herren-, Damen- und
Kinderbad, Bademeister und Badefrau, Badevorschrifteu, Badetaxe usw. — alle
diese Einrichtungen unsers strenger denkenden Vaterlandes sind hier nicht zu finden.
Männlein, Weiblein und Kinder baden gemeinsam in mehr oder weniger eleganten,
jedenfalls durchaus dezenten Badeanzügen, liegen gemeinsam nach dem Bade ein-
gegraben im wärmenden Sande, vertilgen gemeinsam wie überall und bei allen
Gelegenheiten in Italien unglaubliche Mengen von Süßigkeiten, flirten, scherzen
und tollen gemeinsam, und so mag für das italienische Badeleben in Viareggio der
italienische Ausspruch wohl seiue Berechtigung haben: „Viareggio ist das Paradies
der Kinder, das Fegefeuer der Frauen, die Hölle der Ehemänner."

Wer dieses „mondäne" Leben der gesellschaftlichen Kolonien von Florenz,
Livorno, Lucca, Pisa usw. nicht mitmachen, wer auch die höhern Preise der großen
Badeetablissements uicht zahlen will, erwirbt sich sein hölzernes Heim am stillern
nördlichen Teil des Strandes nach der Z?iuotu, eonmiurlo zu und wird da bei
mehr Ruhe und Stille des Bndestrandes auch auf seine Rechnung kommen. Dieser
große städtische Pinienwnld, dem nach Süden zu ein gleicher im Besitz der ältesten
Tochter von Don Carlos, der Erzherzogin Leopold Salvator, entspricht, ist im
waldarmen Italien ein wertvoller Besitz. Ich habe schöne Stunden unter diesen
Pinienkronen verlebt, unter denen Unterholz jeder Art lustig und üppig empvr-
wuchert, worin Singvögel ungestört von dem Knallen dilettantischer Schützen ihr
Lied ertönen lassen, und wo sogar ganz wie bei uns im deutschen Walde ein
Häschen seinen Unterschlupf findet. Überhaupt kann man sich hier ohne große
Mühe in deutschen Kiefernhvchwald hineinträumen, denn die Pinie entwickelt sich,
wenn sie ihre Krone neben ihren Schwestern nicht frei entfalten kann, fast ganz
wie unsre Kiefer, und in den entferntem Teilen des Waldes ist mau sicher, aus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237788"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus italienischen Sommerfrischen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2507" prev="#ID_2506"> Süditalien überlegen. Von Seebädern hat Viareggio schnell eine ausschlaggebende<lb/>
Bedeutung nicht nur für Toskana erlangt, an dessen Küste nördlich von Pisa es<lb/>
liegt, sondern für ganz Italien und dessen Fremdenpublikum. Der Ort, dessen<lb/>
Anfänge im Schatten der meerbeherrschenden Republiken Lucca, Pisa und Genua ge¬<lb/>
wachsen sind, die um seinen Besitz erbitterte Kampfe führten, ist jetzt eine &#x201E;reinlich<lb/>
artige" Stadt von etwa 16000 Einwohnern. Das edle Stein- und Marmor¬<lb/>
material des nahen Gebirges hat eine gewisse Eleganz der Bauart der zwei¬<lb/>
stöckigen Häuser erlaubt, in denen fast überall Badegäste Aufnahme finden können.<lb/>
Größere und kleinere Hotels sind ebenfalls in Menge vorhanden, sodciß für jeden<lb/>
Geschmack und sür jede Börse gesorgt ist. Die Langweiligkeit der schnurgeraden,<lb/>
sich rechtwinklig schneidenden Straßen und der regelmäßigen Plätze wird durch<lb/>
Limonen- und Oleandcrbäume gemildert, die gerade zum Beginn der Badezeit ihre<lb/>
roten Blütenbüschel entfalten. Aber in dieser steinernen Stadt lebt der Badegast<lb/>
eigentlich mir nachts und während der Mahlzeiten. Für das Badeleben und die<lb/>
Stunden des Genießens und der Erholung ist die hölzerne Stadt da, die am<lb/>
Strande und teilweise über den Wellen des Mittelländischen Meeres aufgebaut ist<lb/>
oder sich zu Beginn der Badezeit aufbaut, und die dem sichtbar jedes Jahr weiter<lb/>
zurückweichenden Meere, oder richtiger dem vordringenden Strande, dem Neuland<lb/>
der Anspülungen der aus dem Gebirge kommenden Flüsse, folgen muß. Hier er¬<lb/>
heben sich zunächst großartige Badeetablissemeuts mit den kühnsten mythologischen<lb/>
und symbolischen Benennungen, und sie umschließen An- und Auskleidezellen, Re¬<lb/>
staurants, Tnnzsäle, Orchesterpodien und Aussichtsterrassen. Daneben sind Sominer-<lb/>
theater, Gelaterien und Sorbetterien, Modemagazine und photographische Ateliers,<lb/>
Kinematographen und Verkaufsbuden aller Art entstanden. Dazwischen schieben sich<lb/>
einfachere Strandhäuschen, die Residenzen einzelner Familien, eine Metamorphose<lb/>
unsers nordischen Strandkorbs ins großartige. Der etwa einen halben Meter über<lb/>
dem Sande erbaute, dem Meere möglichst nnhegerückte Bau enthält zwei Räume<lb/>
mit einem Vorplatz. Auf diesem empfängt man Freunde, und hier sitzt man bei<lb/>
gutem Wetter; der eine der geschlossenen Räume ist Wohu- und Eßzimmer bei<lb/>
schlechtem Wetter, der andre dient der Badetoilette. Ein Herren-, Damen- und<lb/>
Kinderbad, Bademeister und Badefrau, Badevorschrifteu, Badetaxe usw. &#x2014; alle<lb/>
diese Einrichtungen unsers strenger denkenden Vaterlandes sind hier nicht zu finden.<lb/>
Männlein, Weiblein und Kinder baden gemeinsam in mehr oder weniger eleganten,<lb/>
jedenfalls durchaus dezenten Badeanzügen, liegen gemeinsam nach dem Bade ein-<lb/>
gegraben im wärmenden Sande, vertilgen gemeinsam wie überall und bei allen<lb/>
Gelegenheiten in Italien unglaubliche Mengen von Süßigkeiten, flirten, scherzen<lb/>
und tollen gemeinsam, und so mag für das italienische Badeleben in Viareggio der<lb/>
italienische Ausspruch wohl seiue Berechtigung haben: &#x201E;Viareggio ist das Paradies<lb/>
der Kinder, das Fegefeuer der Frauen, die Hölle der Ehemänner."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2508" next="#ID_2509"> Wer dieses &#x201E;mondäne" Leben der gesellschaftlichen Kolonien von Florenz,<lb/>
Livorno, Lucca, Pisa usw. nicht mitmachen, wer auch die höhern Preise der großen<lb/>
Badeetablissements uicht zahlen will, erwirbt sich sein hölzernes Heim am stillern<lb/>
nördlichen Teil des Strandes nach der Z?iuotu, eonmiurlo zu und wird da bei<lb/>
mehr Ruhe und Stille des Bndestrandes auch auf seine Rechnung kommen. Dieser<lb/>
große städtische Pinienwnld, dem nach Süden zu ein gleicher im Besitz der ältesten<lb/>
Tochter von Don Carlos, der Erzherzogin Leopold Salvator, entspricht, ist im<lb/>
waldarmen Italien ein wertvoller Besitz. Ich habe schöne Stunden unter diesen<lb/>
Pinienkronen verlebt, unter denen Unterholz jeder Art lustig und üppig empvr-<lb/>
wuchert, worin Singvögel ungestört von dem Knallen dilettantischer Schützen ihr<lb/>
Lied ertönen lassen, und wo sogar ganz wie bei uns im deutschen Walde ein<lb/>
Häschen seinen Unterschlupf findet. Überhaupt kann man sich hier ohne große<lb/>
Mühe in deutschen Kiefernhvchwald hineinträumen, denn die Pinie entwickelt sich,<lb/>
wenn sie ihre Krone neben ihren Schwestern nicht frei entfalten kann, fast ganz<lb/>
wie unsre Kiefer, und in den entferntem Teilen des Waldes ist mau sicher, aus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0502] Aus italienischen Sommerfrischen Süditalien überlegen. Von Seebädern hat Viareggio schnell eine ausschlaggebende Bedeutung nicht nur für Toskana erlangt, an dessen Küste nördlich von Pisa es liegt, sondern für ganz Italien und dessen Fremdenpublikum. Der Ort, dessen Anfänge im Schatten der meerbeherrschenden Republiken Lucca, Pisa und Genua ge¬ wachsen sind, die um seinen Besitz erbitterte Kampfe führten, ist jetzt eine „reinlich artige" Stadt von etwa 16000 Einwohnern. Das edle Stein- und Marmor¬ material des nahen Gebirges hat eine gewisse Eleganz der Bauart der zwei¬ stöckigen Häuser erlaubt, in denen fast überall Badegäste Aufnahme finden können. Größere und kleinere Hotels sind ebenfalls in Menge vorhanden, sodciß für jeden Geschmack und sür jede Börse gesorgt ist. Die Langweiligkeit der schnurgeraden, sich rechtwinklig schneidenden Straßen und der regelmäßigen Plätze wird durch Limonen- und Oleandcrbäume gemildert, die gerade zum Beginn der Badezeit ihre roten Blütenbüschel entfalten. Aber in dieser steinernen Stadt lebt der Badegast eigentlich mir nachts und während der Mahlzeiten. Für das Badeleben und die Stunden des Genießens und der Erholung ist die hölzerne Stadt da, die am Strande und teilweise über den Wellen des Mittelländischen Meeres aufgebaut ist oder sich zu Beginn der Badezeit aufbaut, und die dem sichtbar jedes Jahr weiter zurückweichenden Meere, oder richtiger dem vordringenden Strande, dem Neuland der Anspülungen der aus dem Gebirge kommenden Flüsse, folgen muß. Hier er¬ heben sich zunächst großartige Badeetablissemeuts mit den kühnsten mythologischen und symbolischen Benennungen, und sie umschließen An- und Auskleidezellen, Re¬ staurants, Tnnzsäle, Orchesterpodien und Aussichtsterrassen. Daneben sind Sominer- theater, Gelaterien und Sorbetterien, Modemagazine und photographische Ateliers, Kinematographen und Verkaufsbuden aller Art entstanden. Dazwischen schieben sich einfachere Strandhäuschen, die Residenzen einzelner Familien, eine Metamorphose unsers nordischen Strandkorbs ins großartige. Der etwa einen halben Meter über dem Sande erbaute, dem Meere möglichst nnhegerückte Bau enthält zwei Räume mit einem Vorplatz. Auf diesem empfängt man Freunde, und hier sitzt man bei gutem Wetter; der eine der geschlossenen Räume ist Wohu- und Eßzimmer bei schlechtem Wetter, der andre dient der Badetoilette. Ein Herren-, Damen- und Kinderbad, Bademeister und Badefrau, Badevorschrifteu, Badetaxe usw. — alle diese Einrichtungen unsers strenger denkenden Vaterlandes sind hier nicht zu finden. Männlein, Weiblein und Kinder baden gemeinsam in mehr oder weniger eleganten, jedenfalls durchaus dezenten Badeanzügen, liegen gemeinsam nach dem Bade ein- gegraben im wärmenden Sande, vertilgen gemeinsam wie überall und bei allen Gelegenheiten in Italien unglaubliche Mengen von Süßigkeiten, flirten, scherzen und tollen gemeinsam, und so mag für das italienische Badeleben in Viareggio der italienische Ausspruch wohl seiue Berechtigung haben: „Viareggio ist das Paradies der Kinder, das Fegefeuer der Frauen, die Hölle der Ehemänner." Wer dieses „mondäne" Leben der gesellschaftlichen Kolonien von Florenz, Livorno, Lucca, Pisa usw. nicht mitmachen, wer auch die höhern Preise der großen Badeetablissements uicht zahlen will, erwirbt sich sein hölzernes Heim am stillern nördlichen Teil des Strandes nach der Z?iuotu, eonmiurlo zu und wird da bei mehr Ruhe und Stille des Bndestrandes auch auf seine Rechnung kommen. Dieser große städtische Pinienwnld, dem nach Süden zu ein gleicher im Besitz der ältesten Tochter von Don Carlos, der Erzherzogin Leopold Salvator, entspricht, ist im waldarmen Italien ein wertvoller Besitz. Ich habe schöne Stunden unter diesen Pinienkronen verlebt, unter denen Unterholz jeder Art lustig und üppig empvr- wuchert, worin Singvögel ungestört von dem Knallen dilettantischer Schützen ihr Lied ertönen lassen, und wo sogar ganz wie bei uns im deutschen Walde ein Häschen seinen Unterschlupf findet. Überhaupt kann man sich hier ohne große Mühe in deutschen Kiefernhvchwald hineinträumen, denn die Pinie entwickelt sich, wenn sie ihre Krone neben ihren Schwestern nicht frei entfalten kann, fast ganz wie unsre Kiefer, und in den entferntem Teilen des Waldes ist mau sicher, aus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/502
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/502>, abgerufen am 29.06.2024.