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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Uursächsische Streifzüge

den Jungbrunnen der reliqiös-geistig-sittlichen Erneuerung Deutschlands er¬
schlossen: aus seiner ausgeschlagnen Bibel und aus der Fülle seiner Flug¬
schriften rauschte der Strom innigster Erquickung und erhebendster Begeistrung
durch die wundersamen Lante der neugebornen Muttersprache in die Herzen
der Deutschen, an dem Bilde seiner Mannheit und Glaubenskraft erwuchs em
neues Geschlecht opfermutiger Männer, an der Milde und Freundlichkeit
seines Hausstandes formte sich das neue Ideal der christlichen Familie.

Besonders nach Luthers Heimkehr von der Wartburg (1522), rend nach¬
dem auch die Universität durch Friedrichs Nachfolger, seinen als Charakter
noch bedeutendem Bruder Johann den Beständiger (1525 bis 1532) eme
gewisse Reorganisation erfahren hatte, schwoll der Ruf Wittenbergs als der
Heimstätte eines neuen religiös-humanistischen Geistes lawinenartig an; wie
bis vor kurzer Zeit die italienischen Universitäten Padua und Bologna das
Hauptziel der wandernden Jünger der Wissenschaft gewesen waren, so strömten
jetzt Hunderte und Tausende und zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Aus¬
länder uach Wittenberg, Es kamen nach Luthers Ausspruche "Reußen und
Preußen, Holländer und Enqellender, Dänemarker und Schweden, Böhmen,
Polen, .^ungern, Wenden und Winden, Walen und Franzosen, Spanier und
Gräten" ° -- auch Shakespeare läßt seinen Prinzen Hamlet in Wittenberg
studieren. Schon im Jahre 1505 hatte der junge Christoph Scheurl (s, oben
S. 487) beim Rektoratswechsel in Bologna als Syndikus der dortigen
Universität mit vollen Tönen das Lob Friedrichs des Weisen, der "unter den
Fürsten der gebildetste und uuter deu Gebildeten ein Fürst sei," gesungen,
der in Wittenberg "den Wissenschaften ein Asyl" geschaffen und diese Stadt
"aus eiuer Ziegclftadt zur Marmorstadt gewandelt habe." Wie sehr
mag ihn dann die Wirklichkeit enttäuscht haben, als er 1507, vom Kurfürsten
berufen, Wittenberg mit Augen sah. Denn "es war Wittenberg bis daher
eine arme, unansehnliche Stadt, mit kleinen, alten, niedrigen, hölzernen Häuf¬
lein, einem alten Dorfe ähnlicher als einer Stadt." Nun aber, als Luther
der Hohe seines Wirkens zustrebte, veränderte sich schnell der ganze Charakter
Wittenbergs: die Häuser und Straßen schössen gewaltig heraus, und trotzdem
war schwer Quartier zu bekommen. Auch der bessere Teil der Bürgerschaft
erwies sich der großen Zeit und ihren Aufgaben gewachsen. Auf dem Markt
erhob sich seit' 1523 das stattliche, an der Hauptfront mit vier schönen
Giebeln gezierte Rathaus, ein Bau. bei dem der neue Stil der Renaissance
schon völlig über die Gotik gesiegt hat. Die reichgeschmückte Vorhalle mit
dem Balkon, an dem manche symbolische Figur und mancher schöne Spruch
angebracht ist. stammt sogar erst aus dem Jahre 1573. deshalb trügt er die
Wappen des Kurfürsten Änqnst und seiner Gemahlin Anna.'

^ Der edelste Typus desdamaligen Wittenberger Bürgers ist ohne Zweifel
^utas Kranach (so genannt nach seinem Geburtsorte Kronach in Franken).
°er 1504 als Hofmaler Friedrichs des Weisen nach Wittenberg kam, 1520
mich die Apotheke mit dein Privilegium zum "süßen Weinschank" kaufte, em ver¬
trauter Freund Luthers. 1537 Bürgermeister und auch seinem Kurfürsten Johann
Kiedrich so zugethan, daß er mit ihm die Gefangenschaft teilte und wie dieser in
-Weimar starb. 'Noch steht sein stattliches Wohnhaus mit seinem Wappen, einer ge¬
kugelten Schlange, und zwei Gedenktafeln geschmückt an der Ecke der Eid- und der
^chloßstmße. Das Wittenberger Leben zeigte aber natürlich auch Schattenseiten,
^chou ehe Luther zu Einfluß gekommen war. hatte sich der öfters erwähnte Jurist
^lMrl, der zuvor nenn Jahre in Italien gelebt hatte, dnrch eine gewisse ur¬
wüchsige Viergemütlichkeit, die er bei der Wittenberger Bürgerschaft aber auch
W Universitätskreisen vorfand, abgestoßen gefühlt; er verordnete deshalb als
Ne lor 1507. "daß den Studenten der Besuch der Wirtshäuser des Trinkens
Über schlechthin untersagt sein solle." Dieser Satz fand auch in die
Statuten Aufnahme; ferner sollte jeder Nenankommeude gefragt werden, ob


Grenzboten II 1902 62
Uursächsische Streifzüge

den Jungbrunnen der reliqiös-geistig-sittlichen Erneuerung Deutschlands er¬
schlossen: aus seiner ausgeschlagnen Bibel und aus der Fülle seiner Flug¬
schriften rauschte der Strom innigster Erquickung und erhebendster Begeistrung
durch die wundersamen Lante der neugebornen Muttersprache in die Herzen
der Deutschen, an dem Bilde seiner Mannheit und Glaubenskraft erwuchs em
neues Geschlecht opfermutiger Männer, an der Milde und Freundlichkeit
seines Hausstandes formte sich das neue Ideal der christlichen Familie.

Besonders nach Luthers Heimkehr von der Wartburg (1522), rend nach¬
dem auch die Universität durch Friedrichs Nachfolger, seinen als Charakter
noch bedeutendem Bruder Johann den Beständiger (1525 bis 1532) eme
gewisse Reorganisation erfahren hatte, schwoll der Ruf Wittenbergs als der
Heimstätte eines neuen religiös-humanistischen Geistes lawinenartig an; wie
bis vor kurzer Zeit die italienischen Universitäten Padua und Bologna das
Hauptziel der wandernden Jünger der Wissenschaft gewesen waren, so strömten
jetzt Hunderte und Tausende und zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Aus¬
länder uach Wittenberg, Es kamen nach Luthers Ausspruche „Reußen und
Preußen, Holländer und Enqellender, Dänemarker und Schweden, Böhmen,
Polen, .^ungern, Wenden und Winden, Walen und Franzosen, Spanier und
Gräten" ° — auch Shakespeare läßt seinen Prinzen Hamlet in Wittenberg
studieren. Schon im Jahre 1505 hatte der junge Christoph Scheurl (s, oben
S. 487) beim Rektoratswechsel in Bologna als Syndikus der dortigen
Universität mit vollen Tönen das Lob Friedrichs des Weisen, der „unter den
Fürsten der gebildetste und uuter deu Gebildeten ein Fürst sei," gesungen,
der in Wittenberg „den Wissenschaften ein Asyl" geschaffen und diese Stadt
„aus eiuer Ziegclftadt zur Marmorstadt gewandelt habe." Wie sehr
mag ihn dann die Wirklichkeit enttäuscht haben, als er 1507, vom Kurfürsten
berufen, Wittenberg mit Augen sah. Denn „es war Wittenberg bis daher
eine arme, unansehnliche Stadt, mit kleinen, alten, niedrigen, hölzernen Häuf¬
lein, einem alten Dorfe ähnlicher als einer Stadt." Nun aber, als Luther
der Hohe seines Wirkens zustrebte, veränderte sich schnell der ganze Charakter
Wittenbergs: die Häuser und Straßen schössen gewaltig heraus, und trotzdem
war schwer Quartier zu bekommen. Auch der bessere Teil der Bürgerschaft
erwies sich der großen Zeit und ihren Aufgaben gewachsen. Auf dem Markt
erhob sich seit' 1523 das stattliche, an der Hauptfront mit vier schönen
Giebeln gezierte Rathaus, ein Bau. bei dem der neue Stil der Renaissance
schon völlig über die Gotik gesiegt hat. Die reichgeschmückte Vorhalle mit
dem Balkon, an dem manche symbolische Figur und mancher schöne Spruch
angebracht ist. stammt sogar erst aus dem Jahre 1573. deshalb trügt er die
Wappen des Kurfürsten Änqnst und seiner Gemahlin Anna.'

^ Der edelste Typus desdamaligen Wittenberger Bürgers ist ohne Zweifel
^utas Kranach (so genannt nach seinem Geburtsorte Kronach in Franken).
°er 1504 als Hofmaler Friedrichs des Weisen nach Wittenberg kam, 1520
mich die Apotheke mit dein Privilegium zum „süßen Weinschank" kaufte, em ver¬
trauter Freund Luthers. 1537 Bürgermeister und auch seinem Kurfürsten Johann
Kiedrich so zugethan, daß er mit ihm die Gefangenschaft teilte und wie dieser in
-Weimar starb. 'Noch steht sein stattliches Wohnhaus mit seinem Wappen, einer ge¬
kugelten Schlange, und zwei Gedenktafeln geschmückt an der Ecke der Eid- und der
^chloßstmße. Das Wittenberger Leben zeigte aber natürlich auch Schattenseiten,
^chou ehe Luther zu Einfluß gekommen war. hatte sich der öfters erwähnte Jurist
^lMrl, der zuvor nenn Jahre in Italien gelebt hatte, dnrch eine gewisse ur¬
wüchsige Viergemütlichkeit, die er bei der Wittenberger Bürgerschaft aber auch
W Universitätskreisen vorfand, abgestoßen gefühlt; er verordnete deshalb als
Ne lor 1507. „daß den Studenten der Besuch der Wirtshäuser des Trinkens
Über schlechthin untersagt sein solle." Dieser Satz fand auch in die
Statuten Aufnahme; ferner sollte jeder Nenankommeude gefragt werden, ob


Grenzboten II 1902 62
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[0497] Uursächsische Streifzüge den Jungbrunnen der reliqiös-geistig-sittlichen Erneuerung Deutschlands er¬ schlossen: aus seiner ausgeschlagnen Bibel und aus der Fülle seiner Flug¬ schriften rauschte der Strom innigster Erquickung und erhebendster Begeistrung durch die wundersamen Lante der neugebornen Muttersprache in die Herzen der Deutschen, an dem Bilde seiner Mannheit und Glaubenskraft erwuchs em neues Geschlecht opfermutiger Männer, an der Milde und Freundlichkeit seines Hausstandes formte sich das neue Ideal der christlichen Familie. Besonders nach Luthers Heimkehr von der Wartburg (1522), rend nach¬ dem auch die Universität durch Friedrichs Nachfolger, seinen als Charakter noch bedeutendem Bruder Johann den Beständiger (1525 bis 1532) eme gewisse Reorganisation erfahren hatte, schwoll der Ruf Wittenbergs als der Heimstätte eines neuen religiös-humanistischen Geistes lawinenartig an; wie bis vor kurzer Zeit die italienischen Universitäten Padua und Bologna das Hauptziel der wandernden Jünger der Wissenschaft gewesen waren, so strömten jetzt Hunderte und Tausende und zwar nicht nur Deutsche, sondern auch Aus¬ länder uach Wittenberg, Es kamen nach Luthers Ausspruche „Reußen und Preußen, Holländer und Enqellender, Dänemarker und Schweden, Böhmen, Polen, .^ungern, Wenden und Winden, Walen und Franzosen, Spanier und Gräten" ° — auch Shakespeare läßt seinen Prinzen Hamlet in Wittenberg studieren. Schon im Jahre 1505 hatte der junge Christoph Scheurl (s, oben S. 487) beim Rektoratswechsel in Bologna als Syndikus der dortigen Universität mit vollen Tönen das Lob Friedrichs des Weisen, der „unter den Fürsten der gebildetste und uuter deu Gebildeten ein Fürst sei," gesungen, der in Wittenberg „den Wissenschaften ein Asyl" geschaffen und diese Stadt „aus eiuer Ziegclftadt zur Marmorstadt gewandelt habe." Wie sehr mag ihn dann die Wirklichkeit enttäuscht haben, als er 1507, vom Kurfürsten berufen, Wittenberg mit Augen sah. Denn „es war Wittenberg bis daher eine arme, unansehnliche Stadt, mit kleinen, alten, niedrigen, hölzernen Häuf¬ lein, einem alten Dorfe ähnlicher als einer Stadt." Nun aber, als Luther der Hohe seines Wirkens zustrebte, veränderte sich schnell der ganze Charakter Wittenbergs: die Häuser und Straßen schössen gewaltig heraus, und trotzdem war schwer Quartier zu bekommen. Auch der bessere Teil der Bürgerschaft erwies sich der großen Zeit und ihren Aufgaben gewachsen. Auf dem Markt erhob sich seit' 1523 das stattliche, an der Hauptfront mit vier schönen Giebeln gezierte Rathaus, ein Bau. bei dem der neue Stil der Renaissance schon völlig über die Gotik gesiegt hat. Die reichgeschmückte Vorhalle mit dem Balkon, an dem manche symbolische Figur und mancher schöne Spruch angebracht ist. stammt sogar erst aus dem Jahre 1573. deshalb trügt er die Wappen des Kurfürsten Änqnst und seiner Gemahlin Anna.' ^ Der edelste Typus desdamaligen Wittenberger Bürgers ist ohne Zweifel ^utas Kranach (so genannt nach seinem Geburtsorte Kronach in Franken). °er 1504 als Hofmaler Friedrichs des Weisen nach Wittenberg kam, 1520 mich die Apotheke mit dein Privilegium zum „süßen Weinschank" kaufte, em ver¬ trauter Freund Luthers. 1537 Bürgermeister und auch seinem Kurfürsten Johann Kiedrich so zugethan, daß er mit ihm die Gefangenschaft teilte und wie dieser in -Weimar starb. 'Noch steht sein stattliches Wohnhaus mit seinem Wappen, einer ge¬ kugelten Schlange, und zwei Gedenktafeln geschmückt an der Ecke der Eid- und der ^chloßstmße. Das Wittenberger Leben zeigte aber natürlich auch Schattenseiten, ^chou ehe Luther zu Einfluß gekommen war. hatte sich der öfters erwähnte Jurist ^lMrl, der zuvor nenn Jahre in Italien gelebt hatte, dnrch eine gewisse ur¬ wüchsige Viergemütlichkeit, die er bei der Wittenberger Bürgerschaft aber auch W Universitätskreisen vorfand, abgestoßen gefühlt; er verordnete deshalb als Ne lor 1507. „daß den Studenten der Besuch der Wirtshäuser des Trinkens Über schlechthin untersagt sein solle." Dieser Satz fand auch in die Statuten Aufnahme; ferner sollte jeder Nenankommeude gefragt werden, ob Grenzboten II 1902 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/497>, abgerufen am 28.09.2024.