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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Es ist nicht möglich, daß mit dieser Kolonisation alle Seetüchtigkeit von
den deutschen Küsten an die von England übergesiedelt sei. Dieselben Ur¬
sachen haben immer und überall dieselben Wirkungen: das beweist auch die
Geschichte der deutschen Nordsee. Andrerseits ist es eine Thorheit, zu glauben,
daß eine vorgelagerte Insel von vornherein vor dem Festlande, zu dem sie
gehört, den Vorzug habe. Man hat nie davon vernommen, daß die Britannier
in der Vorzeit durch Aus- und Einfuhr den Verkehr Germaniens mit der
Außenwelt vermittelt hätten. Mag einer die Sache betrachten, von welcher
Seite er will, überall stößt ihm die Wahrheit ins Gesicht, daß es eine der
größern Verkehrtheiten des deutschen Volkes gewesen ist, den starken Finger¬
zeigen, die ihm die Natur seines Landes, die Abdachung seines Bodens gab,
nicht gefolgt zu sein.

Wem die Schuld daran beizumessen ist, darüber soll es hier still sein,
aber wundern darf man sich immer noch, daß nicht einmal die Leistungen der
Hansa eine Änderung in den trüben Gang der deutscheu Dinge haben bringen
können. Spät ist in Deutschland die Erkenntnis von seiner günstigen Lage
am Meere aufgegangen, aber je größer noch immer der Abstand ist, der es
von den vorauseilenden Weltmächten trennt, um so nachdrücklicher sollte mit
seiner Regierung das Volk bemüht sein, das früher Versäumte nachzuholen.
Oder will man uns immer noch einreden, daß das unmöglich sei? Es giebt
keine trübseligere, unhistorischere Auffassung als die, daß der einmal im Völker¬
leben verpaßte Augenblick für immerdar verloren sei. Dagegen ist es trost¬
reich, zu wissen, daß in jeder wahrhaften Nation der unversiegliche Born
ewiger Verjüngung quillt. Nicht einmal das von den smarten Jankees so un¬
säglich verachtete Spanien braucht sich endgiltig in die Niederwerfung zu finden,
die die stolzen "Vollstrecker des Schicksals" über seine Weltstellung verhängt
haben. Und Deutschland?

Der Weg des neuen Deutschen Reichs geht steil aufwärts und ist von
mancherlei Gefahren umlagert. Aber wenn auch die ganze Welt an seinen
Grenzen von Waffen starrt, so dürfen sich doch gerade seine Angehörigen am
allerwenigsten durch dergleichen schrecken lassen. Was in Waffen starren heißt,
davon hat es in drei Landkriegen genügende Proben abgelegt, und auch zur
See hat es Gelegenheit gehabt, einen Stachel hervorzukehren, der den Feind
mit tödlicher Sicherheit traf. Nur Feigheit und Bosheit oder eine unglaubliche
historische Verbohrtheit kann diesem kriegerischen Volke den Rat geben, sich mit
dem Hut in der Hand vor dem Vorsprung zu verbeugen, den die großen Mächte
einmal haben, und sich im übrigen demütig ans ihrem Wege zu halten. England
baut Schiffe und Frankreich, nicht minder Nußland und Nordamerika, und
von seiten ihrer Mittel steht nichts im Wege, daß sie diesem Panzerbau jeden
beliebigen Umfang geben. Himmel, so mögen sie rüsten, so viel sie wollen:
kann denn das eine andre Wirkung haben, als daß wir es ihnen gleich thun
und sie womöglich zu überbieten suchen?

Sie zu überbieten, und wenn wir noch so arm wären. Aber wir sind
nicht arm, wenigstens nicht an den Mitteln, mit denen man gepanzerte Mauern
baut, um der Gefahr überall zu begegnen, wo sie ans Vaterland herandrängt.


Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Es ist nicht möglich, daß mit dieser Kolonisation alle Seetüchtigkeit von
den deutschen Küsten an die von England übergesiedelt sei. Dieselben Ur¬
sachen haben immer und überall dieselben Wirkungen: das beweist auch die
Geschichte der deutschen Nordsee. Andrerseits ist es eine Thorheit, zu glauben,
daß eine vorgelagerte Insel von vornherein vor dem Festlande, zu dem sie
gehört, den Vorzug habe. Man hat nie davon vernommen, daß die Britannier
in der Vorzeit durch Aus- und Einfuhr den Verkehr Germaniens mit der
Außenwelt vermittelt hätten. Mag einer die Sache betrachten, von welcher
Seite er will, überall stößt ihm die Wahrheit ins Gesicht, daß es eine der
größern Verkehrtheiten des deutschen Volkes gewesen ist, den starken Finger¬
zeigen, die ihm die Natur seines Landes, die Abdachung seines Bodens gab,
nicht gefolgt zu sein.

Wem die Schuld daran beizumessen ist, darüber soll es hier still sein,
aber wundern darf man sich immer noch, daß nicht einmal die Leistungen der
Hansa eine Änderung in den trüben Gang der deutscheu Dinge haben bringen
können. Spät ist in Deutschland die Erkenntnis von seiner günstigen Lage
am Meere aufgegangen, aber je größer noch immer der Abstand ist, der es
von den vorauseilenden Weltmächten trennt, um so nachdrücklicher sollte mit
seiner Regierung das Volk bemüht sein, das früher Versäumte nachzuholen.
Oder will man uns immer noch einreden, daß das unmöglich sei? Es giebt
keine trübseligere, unhistorischere Auffassung als die, daß der einmal im Völker¬
leben verpaßte Augenblick für immerdar verloren sei. Dagegen ist es trost¬
reich, zu wissen, daß in jeder wahrhaften Nation der unversiegliche Born
ewiger Verjüngung quillt. Nicht einmal das von den smarten Jankees so un¬
säglich verachtete Spanien braucht sich endgiltig in die Niederwerfung zu finden,
die die stolzen „Vollstrecker des Schicksals" über seine Weltstellung verhängt
haben. Und Deutschland?

Der Weg des neuen Deutschen Reichs geht steil aufwärts und ist von
mancherlei Gefahren umlagert. Aber wenn auch die ganze Welt an seinen
Grenzen von Waffen starrt, so dürfen sich doch gerade seine Angehörigen am
allerwenigsten durch dergleichen schrecken lassen. Was in Waffen starren heißt,
davon hat es in drei Landkriegen genügende Proben abgelegt, und auch zur
See hat es Gelegenheit gehabt, einen Stachel hervorzukehren, der den Feind
mit tödlicher Sicherheit traf. Nur Feigheit und Bosheit oder eine unglaubliche
historische Verbohrtheit kann diesem kriegerischen Volke den Rat geben, sich mit
dem Hut in der Hand vor dem Vorsprung zu verbeugen, den die großen Mächte
einmal haben, und sich im übrigen demütig ans ihrem Wege zu halten. England
baut Schiffe und Frankreich, nicht minder Nußland und Nordamerika, und
von seiten ihrer Mittel steht nichts im Wege, daß sie diesem Panzerbau jeden
beliebigen Umfang geben. Himmel, so mögen sie rüsten, so viel sie wollen:
kann denn das eine andre Wirkung haben, als daß wir es ihnen gleich thun
und sie womöglich zu überbieten suchen?

Sie zu überbieten, und wenn wir noch so arm wären. Aber wir sind
nicht arm, wenigstens nicht an den Mitteln, mit denen man gepanzerte Mauern
baut, um der Gefahr überall zu begegnen, wo sie ans Vaterland herandrängt.


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[0486] Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands Es ist nicht möglich, daß mit dieser Kolonisation alle Seetüchtigkeit von den deutschen Küsten an die von England übergesiedelt sei. Dieselben Ur¬ sachen haben immer und überall dieselben Wirkungen: das beweist auch die Geschichte der deutschen Nordsee. Andrerseits ist es eine Thorheit, zu glauben, daß eine vorgelagerte Insel von vornherein vor dem Festlande, zu dem sie gehört, den Vorzug habe. Man hat nie davon vernommen, daß die Britannier in der Vorzeit durch Aus- und Einfuhr den Verkehr Germaniens mit der Außenwelt vermittelt hätten. Mag einer die Sache betrachten, von welcher Seite er will, überall stößt ihm die Wahrheit ins Gesicht, daß es eine der größern Verkehrtheiten des deutschen Volkes gewesen ist, den starken Finger¬ zeigen, die ihm die Natur seines Landes, die Abdachung seines Bodens gab, nicht gefolgt zu sein. Wem die Schuld daran beizumessen ist, darüber soll es hier still sein, aber wundern darf man sich immer noch, daß nicht einmal die Leistungen der Hansa eine Änderung in den trüben Gang der deutscheu Dinge haben bringen können. Spät ist in Deutschland die Erkenntnis von seiner günstigen Lage am Meere aufgegangen, aber je größer noch immer der Abstand ist, der es von den vorauseilenden Weltmächten trennt, um so nachdrücklicher sollte mit seiner Regierung das Volk bemüht sein, das früher Versäumte nachzuholen. Oder will man uns immer noch einreden, daß das unmöglich sei? Es giebt keine trübseligere, unhistorischere Auffassung als die, daß der einmal im Völker¬ leben verpaßte Augenblick für immerdar verloren sei. Dagegen ist es trost¬ reich, zu wissen, daß in jeder wahrhaften Nation der unversiegliche Born ewiger Verjüngung quillt. Nicht einmal das von den smarten Jankees so un¬ säglich verachtete Spanien braucht sich endgiltig in die Niederwerfung zu finden, die die stolzen „Vollstrecker des Schicksals" über seine Weltstellung verhängt haben. Und Deutschland? Der Weg des neuen Deutschen Reichs geht steil aufwärts und ist von mancherlei Gefahren umlagert. Aber wenn auch die ganze Welt an seinen Grenzen von Waffen starrt, so dürfen sich doch gerade seine Angehörigen am allerwenigsten durch dergleichen schrecken lassen. Was in Waffen starren heißt, davon hat es in drei Landkriegen genügende Proben abgelegt, und auch zur See hat es Gelegenheit gehabt, einen Stachel hervorzukehren, der den Feind mit tödlicher Sicherheit traf. Nur Feigheit und Bosheit oder eine unglaubliche historische Verbohrtheit kann diesem kriegerischen Volke den Rat geben, sich mit dem Hut in der Hand vor dem Vorsprung zu verbeugen, den die großen Mächte einmal haben, und sich im übrigen demütig ans ihrem Wege zu halten. England baut Schiffe und Frankreich, nicht minder Nußland und Nordamerika, und von seiten ihrer Mittel steht nichts im Wege, daß sie diesem Panzerbau jeden beliebigen Umfang geben. Himmel, so mögen sie rüsten, so viel sie wollen: kann denn das eine andre Wirkung haben, als daß wir es ihnen gleich thun und sie womöglich zu überbieten suchen? Sie zu überbieten, und wenn wir noch so arm wären. Aber wir sind nicht arm, wenigstens nicht an den Mitteln, mit denen man gepanzerte Mauern baut, um der Gefahr überall zu begegnen, wo sie ans Vaterland herandrängt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/486>, abgerufen am 29.06.2024.