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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Vielleicht wäre es sogar gut, wenn wir ärmer an Silber und Gold, dafür
aber um so reicher an Liebe und Entsagung, an Hingebung und Treue wären.
Moralische Tugenden gedeihen nicht besonders, wo angeschwollne Lebern und
verfettete Herzen die Thätigkeit und die Spannkraft des natürlichen Organismus
lähmen. Wenn nun der Staat mit seinen Anordnungen dieser Verseuchung
all seinen Gliedmaßen möglichst entgegentritt, so verfolgt er damit nicht etwa
den moralischen Selbstzweck, sondern er will damit nur verhindern, daß die
Sicherheit seines eignen Gedeihens gefährdet werde.

Es war einmal ein allgemein für richtig gehaltner nntionalökonomischer
Grundsatz, und noch jetzt hat er seinen Spuk auf der großen Heerstraße des
Lebens, daß alle Ausgaben für Soldaten wie für jedwede Heeres- und Ver-
teidigungseinrichtung unproduktiv seien. Im Bereich aller Wissenschaft läßt
sich kaum ein mechanischeres Verfahren denken. Abgesehen davon, daß kein
Thaler für eine Kompagnie Soldaten ausgegeben wird, der nicht an irgend
einem Platze niederfiele und neue Werte ins Leben riefe, läßt die Theorie von
der Unproduktivität die sogenannten Imponderabilien außer acht. Daß diese
sich nicht direkt in Geld umsetzen lassen, liegt schon in dem Worte, aber einmal
und irgendwo verdichten sie sich doch, und dann schlagen sie als Werte nieder,
die sehr realer Natur sind. Was hat man nicht alles gegen die preußische
Armeereorganisatiou im Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
geltend gemacht, und doch hat sie nicht bloß Deutschlands machtvolle politische
Stellung, sondern auch dessen wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge gehabt.
Auch England kann mit seinem südafrikanischen Kriege, wenn auch nur nach
der negativen Seite, als Beispiel dienen. Hätte sich diese Macht wie Deutsch¬
land die nationale Erziehung im allgemeinen Heerdienste auferlegt, so würde
sie den Streit mit den Buren entweder nicht angefangen und dadurch die
Milliarden gespart haben, oder es wäre in ebensoviel Monaten damit fertig
geworden, wie es jetzt Jahre damit zubringt, seine unzulänglichen Waffen zu
schwingen.

Damit der Mensch gesund bleibe, thut er gut, den Reichtum mit seinen
Genüssen nicht Herr über sich werden zu lassen; nicht anders ist es mit dem
Staate. Auch er hat, um seinen sichern Weg gehn zu können, starke, sehnige
und elastische Gliedmaßen nötig, die nicht gedeihn wollen, wenn, wie einstmals
in Holland und jetzt in England, die Fettablagerungen des Kapitalismus auf
ihnen ruhn und das Atmen erschweren. Die deutsche Regierung weiß, wo sie
bei uns das Geld haben kann, um starken Bedürfnissen Befriedigung zu ver¬
schaffen. Schon an sich ist es gefährlich, übermäßigem Reichtum zu freien
Spielraum zu lassen, aber wir haben Kolonien und eine starke Flotte nötig.
Wahrhaftig Grund genug, mit der Sorge und den Ausgaben für diese der
Überwucheruna des Kapitals nach Kräften vorzubeugen.
^'^


Arnold Lotte


Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Vielleicht wäre es sogar gut, wenn wir ärmer an Silber und Gold, dafür
aber um so reicher an Liebe und Entsagung, an Hingebung und Treue wären.
Moralische Tugenden gedeihen nicht besonders, wo angeschwollne Lebern und
verfettete Herzen die Thätigkeit und die Spannkraft des natürlichen Organismus
lähmen. Wenn nun der Staat mit seinen Anordnungen dieser Verseuchung
all seinen Gliedmaßen möglichst entgegentritt, so verfolgt er damit nicht etwa
den moralischen Selbstzweck, sondern er will damit nur verhindern, daß die
Sicherheit seines eignen Gedeihens gefährdet werde.

Es war einmal ein allgemein für richtig gehaltner nntionalökonomischer
Grundsatz, und noch jetzt hat er seinen Spuk auf der großen Heerstraße des
Lebens, daß alle Ausgaben für Soldaten wie für jedwede Heeres- und Ver-
teidigungseinrichtung unproduktiv seien. Im Bereich aller Wissenschaft läßt
sich kaum ein mechanischeres Verfahren denken. Abgesehen davon, daß kein
Thaler für eine Kompagnie Soldaten ausgegeben wird, der nicht an irgend
einem Platze niederfiele und neue Werte ins Leben riefe, läßt die Theorie von
der Unproduktivität die sogenannten Imponderabilien außer acht. Daß diese
sich nicht direkt in Geld umsetzen lassen, liegt schon in dem Worte, aber einmal
und irgendwo verdichten sie sich doch, und dann schlagen sie als Werte nieder,
die sehr realer Natur sind. Was hat man nicht alles gegen die preußische
Armeereorganisatiou im Anfang der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
geltend gemacht, und doch hat sie nicht bloß Deutschlands machtvolle politische
Stellung, sondern auch dessen wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge gehabt.
Auch England kann mit seinem südafrikanischen Kriege, wenn auch nur nach
der negativen Seite, als Beispiel dienen. Hätte sich diese Macht wie Deutsch¬
land die nationale Erziehung im allgemeinen Heerdienste auferlegt, so würde
sie den Streit mit den Buren entweder nicht angefangen und dadurch die
Milliarden gespart haben, oder es wäre in ebensoviel Monaten damit fertig
geworden, wie es jetzt Jahre damit zubringt, seine unzulänglichen Waffen zu
schwingen.

Damit der Mensch gesund bleibe, thut er gut, den Reichtum mit seinen
Genüssen nicht Herr über sich werden zu lassen; nicht anders ist es mit dem
Staate. Auch er hat, um seinen sichern Weg gehn zu können, starke, sehnige
und elastische Gliedmaßen nötig, die nicht gedeihn wollen, wenn, wie einstmals
in Holland und jetzt in England, die Fettablagerungen des Kapitalismus auf
ihnen ruhn und das Atmen erschweren. Die deutsche Regierung weiß, wo sie
bei uns das Geld haben kann, um starken Bedürfnissen Befriedigung zu ver¬
schaffen. Schon an sich ist es gefährlich, übermäßigem Reichtum zu freien
Spielraum zu lassen, aber wir haben Kolonien und eine starke Flotte nötig.
Wahrhaftig Grund genug, mit der Sorge und den Ausgaben für diese der
Überwucheruna des Kapitals nach Kräften vorzubeugen.
^'^


Arnold Lotte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/487>, abgerufen am 29.06.2024.