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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

den Verhandlungen des Westfälischen Friedens seine Diplomatie allein wenig
geholfen.

In aller Erinnerung ist es, wie Deutschland endlich in den ruhigen Besitz
der Samoainseln gekommen ist. Der unselige Krieg, in den England durch
den Widerstand der Buren verwickelt wurde, hat dessen Diplomatie in der
Behandlung dieser so wichtigen Kolonialfrage geschmeidige, aber alle ihre süd¬
afrikanischen Bedrängnisse würden diese Macht gegen die deutschen Wünsche
nicht willfähriger gemacht haben, wenn die deutsche Flotte nur noch ein Spiel¬
zeug in britischen Augen gewesen wäre. Seitdem hat der Krieg in den Buren-
republikcn seinen wie immer gearteten Fortgang genommen. Ob Orss-ehr Lrit-um
durch die Erfahrungen, die es hiermit gemacht hat und alle Tage weiter
macht, noch traktcibler für die Ansprüche seiner Konkurrenten geworden ist.
darüber auch nur Vermutungen aufzustellen, dürfte wenig am Platze sein, aber
was man sagen darf, ist, daß Deutschland, wie auch immer die Entscheidung
in Südafrika fallen mag, nnr Vorteil von dem schließlichen Friedenstraktat
haben kann.

Nicht bloß den allgemeinen, den alle Welt von der Herstellung der Ruhe
und der Ordnung in dem vielgeprüften Lande haben wird, sondern den des
Nachbarn, ans dessen Wünsche der Sieger, mag er sein, wer er will, Rücksicht
nehmen muß. Es ist auch müßig zu fragen, nach welcher Richtung hin diese
Wünsche liegen, und in welcher Weise sie verwirklicht werden könnten. Das
findet sich beim Friedensschluß oder schon bei den Vorarbeiten dazu. Darauf
kommt es an, daß der Sieger, wenn er sich in dem verödeten Lande einzu¬
richten hat, der Dienste eines guten Nachbarn bedarf, auf dessen Wohlwollen
er sich unbedingt verlassen kann. Wie auch die Transaktionen beschaffen sein
mögen, die auf dieses Wohlwollen abzielen, sie werden immer von dem aus¬
gehn, dem es um den guten Willen zu thun ist.

In der Capriviperiode siud wir in der Abschließung unsrer Handelsver¬
träge von der ganzen Welt übers Ohr gehauen worden, und England hat
seinen ganz besonders guten Handel mit Sansibar gemacht. Aber seit jener
Zeit sind wir zu den bewährten Grundsätzen des ersten Kanzlers zurückgekehrt,
und es wird wieder ganze Arbeit in der Politik gemacht. Die frische, kräftige
nationale Luft, die in diesen Tagen vom Regiernngstische her zum Unterschied
von der frühern weichlich anschmieglichen internationalen die Debatten über den
Zolltarif belebte, ist der genaue Gradmesser für die Höhe, mit der unsre über¬
seeischen und kolonialen Interessen dem Ausland gegenüber angesetzt werden.
Die alö ut ÜL8-Politik ist in deu letzten Jahren gelegentlich verächtlich gemacht
worden, und doch besagt sie nichts andres als die Wahrheit des Satzes, daß alle
Politik auf Kompromissen beruht. Freilich muß es auch drusig mit ebensoviel
Energie wie Ruhe heißen: Gieb erst, damit auch ich imstande bin, zu geben.

Das Verhältnis der Reziprozität ist in den politischen Geschäften von
außerordentlichem Belang, und wohl dem Staate, der in der Lage ist, auch
an auswärtigen Besitz die Fäden seiner Unterhandlungen anknüpfen zu können.
Nachdem schon während des achtzehnten Jahrhunderts alles aus sich selber
ergiebige Laud Außereuropas verteilt war, ist in gegenwärtiger Zeitlnge nicht


Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

den Verhandlungen des Westfälischen Friedens seine Diplomatie allein wenig
geholfen.

In aller Erinnerung ist es, wie Deutschland endlich in den ruhigen Besitz
der Samoainseln gekommen ist. Der unselige Krieg, in den England durch
den Widerstand der Buren verwickelt wurde, hat dessen Diplomatie in der
Behandlung dieser so wichtigen Kolonialfrage geschmeidige, aber alle ihre süd¬
afrikanischen Bedrängnisse würden diese Macht gegen die deutschen Wünsche
nicht willfähriger gemacht haben, wenn die deutsche Flotte nur noch ein Spiel¬
zeug in britischen Augen gewesen wäre. Seitdem hat der Krieg in den Buren-
republikcn seinen wie immer gearteten Fortgang genommen. Ob Orss-ehr Lrit-um
durch die Erfahrungen, die es hiermit gemacht hat und alle Tage weiter
macht, noch traktcibler für die Ansprüche seiner Konkurrenten geworden ist.
darüber auch nur Vermutungen aufzustellen, dürfte wenig am Platze sein, aber
was man sagen darf, ist, daß Deutschland, wie auch immer die Entscheidung
in Südafrika fallen mag, nnr Vorteil von dem schließlichen Friedenstraktat
haben kann.

Nicht bloß den allgemeinen, den alle Welt von der Herstellung der Ruhe
und der Ordnung in dem vielgeprüften Lande haben wird, sondern den des
Nachbarn, ans dessen Wünsche der Sieger, mag er sein, wer er will, Rücksicht
nehmen muß. Es ist auch müßig zu fragen, nach welcher Richtung hin diese
Wünsche liegen, und in welcher Weise sie verwirklicht werden könnten. Das
findet sich beim Friedensschluß oder schon bei den Vorarbeiten dazu. Darauf
kommt es an, daß der Sieger, wenn er sich in dem verödeten Lande einzu¬
richten hat, der Dienste eines guten Nachbarn bedarf, auf dessen Wohlwollen
er sich unbedingt verlassen kann. Wie auch die Transaktionen beschaffen sein
mögen, die auf dieses Wohlwollen abzielen, sie werden immer von dem aus¬
gehn, dem es um den guten Willen zu thun ist.

In der Capriviperiode siud wir in der Abschließung unsrer Handelsver¬
träge von der ganzen Welt übers Ohr gehauen worden, und England hat
seinen ganz besonders guten Handel mit Sansibar gemacht. Aber seit jener
Zeit sind wir zu den bewährten Grundsätzen des ersten Kanzlers zurückgekehrt,
und es wird wieder ganze Arbeit in der Politik gemacht. Die frische, kräftige
nationale Luft, die in diesen Tagen vom Regiernngstische her zum Unterschied
von der frühern weichlich anschmieglichen internationalen die Debatten über den
Zolltarif belebte, ist der genaue Gradmesser für die Höhe, mit der unsre über¬
seeischen und kolonialen Interessen dem Ausland gegenüber angesetzt werden.
Die alö ut ÜL8-Politik ist in deu letzten Jahren gelegentlich verächtlich gemacht
worden, und doch besagt sie nichts andres als die Wahrheit des Satzes, daß alle
Politik auf Kompromissen beruht. Freilich muß es auch drusig mit ebensoviel
Energie wie Ruhe heißen: Gieb erst, damit auch ich imstande bin, zu geben.

Das Verhältnis der Reziprozität ist in den politischen Geschäften von
außerordentlichem Belang, und wohl dem Staate, der in der Lage ist, auch
an auswärtigen Besitz die Fäden seiner Unterhandlungen anknüpfen zu können.
Nachdem schon während des achtzehnten Jahrhunderts alles aus sich selber
ergiebige Laud Außereuropas verteilt war, ist in gegenwärtiger Zeitlnge nicht


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[0478] Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands den Verhandlungen des Westfälischen Friedens seine Diplomatie allein wenig geholfen. In aller Erinnerung ist es, wie Deutschland endlich in den ruhigen Besitz der Samoainseln gekommen ist. Der unselige Krieg, in den England durch den Widerstand der Buren verwickelt wurde, hat dessen Diplomatie in der Behandlung dieser so wichtigen Kolonialfrage geschmeidige, aber alle ihre süd¬ afrikanischen Bedrängnisse würden diese Macht gegen die deutschen Wünsche nicht willfähriger gemacht haben, wenn die deutsche Flotte nur noch ein Spiel¬ zeug in britischen Augen gewesen wäre. Seitdem hat der Krieg in den Buren- republikcn seinen wie immer gearteten Fortgang genommen. Ob Orss-ehr Lrit-um durch die Erfahrungen, die es hiermit gemacht hat und alle Tage weiter macht, noch traktcibler für die Ansprüche seiner Konkurrenten geworden ist. darüber auch nur Vermutungen aufzustellen, dürfte wenig am Platze sein, aber was man sagen darf, ist, daß Deutschland, wie auch immer die Entscheidung in Südafrika fallen mag, nnr Vorteil von dem schließlichen Friedenstraktat haben kann. Nicht bloß den allgemeinen, den alle Welt von der Herstellung der Ruhe und der Ordnung in dem vielgeprüften Lande haben wird, sondern den des Nachbarn, ans dessen Wünsche der Sieger, mag er sein, wer er will, Rücksicht nehmen muß. Es ist auch müßig zu fragen, nach welcher Richtung hin diese Wünsche liegen, und in welcher Weise sie verwirklicht werden könnten. Das findet sich beim Friedensschluß oder schon bei den Vorarbeiten dazu. Darauf kommt es an, daß der Sieger, wenn er sich in dem verödeten Lande einzu¬ richten hat, der Dienste eines guten Nachbarn bedarf, auf dessen Wohlwollen er sich unbedingt verlassen kann. Wie auch die Transaktionen beschaffen sein mögen, die auf dieses Wohlwollen abzielen, sie werden immer von dem aus¬ gehn, dem es um den guten Willen zu thun ist. In der Capriviperiode siud wir in der Abschließung unsrer Handelsver¬ träge von der ganzen Welt übers Ohr gehauen worden, und England hat seinen ganz besonders guten Handel mit Sansibar gemacht. Aber seit jener Zeit sind wir zu den bewährten Grundsätzen des ersten Kanzlers zurückgekehrt, und es wird wieder ganze Arbeit in der Politik gemacht. Die frische, kräftige nationale Luft, die in diesen Tagen vom Regiernngstische her zum Unterschied von der frühern weichlich anschmieglichen internationalen die Debatten über den Zolltarif belebte, ist der genaue Gradmesser für die Höhe, mit der unsre über¬ seeischen und kolonialen Interessen dem Ausland gegenüber angesetzt werden. Die alö ut ÜL8-Politik ist in deu letzten Jahren gelegentlich verächtlich gemacht worden, und doch besagt sie nichts andres als die Wahrheit des Satzes, daß alle Politik auf Kompromissen beruht. Freilich muß es auch drusig mit ebensoviel Energie wie Ruhe heißen: Gieb erst, damit auch ich imstande bin, zu geben. Das Verhältnis der Reziprozität ist in den politischen Geschäften von außerordentlichem Belang, und wohl dem Staate, der in der Lage ist, auch an auswärtigen Besitz die Fäden seiner Unterhandlungen anknüpfen zu können. Nachdem schon während des achtzehnten Jahrhunderts alles aus sich selber ergiebige Laud Außereuropas verteilt war, ist in gegenwärtiger Zeitlnge nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/478>, abgerufen am 29.06.2024.