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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Auge", kriegte Zufälle und verweigerte die Annahme einer fernern Dosis. Es
half ihm aber nichts; auch die andre Hälfte wurde ihm beigebracht. Jetzt wurde
er blau im Gesicht, vergaß Angstschweiß und war nahe am Tode. Die Weitungen
kriegte Angst, aber die Nachbarinnen, die sich edel, hilfreich und gut erwiesen
hatten, rühmten die Medizin. Die greife die Krankheit ordentlich an und sei viel
besser als dem Doktor seine Tropfen. Und nach drei Tagen war Geschwulst und
Schmerz verschwunden, und in acht Tagen war Weidling gesund und konnte auf
die Arbeit gehn. Er besann sich kurz, kehrte zu Happich reumütig zurück, und
Happich nahm ihn mit Freuden wieder auf.

Diese Kur brachte dem Wunderdoktor großen Ruhm ein. Er nahm die Lob¬
sprüche mit dem Selbstbewußtsein entgegen, zu den: ihn sein Erfolg berechtigte. --
Machen wir, sagte er. Hier! wo allens im Buche steht von wejen die saure Gärung
und det jnnze Register. -- Die Frauen brachten ihre Kinder, und Dnttmüller hatte
es gleich heraus, daß ihr Leiden saure Gärung war, rechtsseitige von oben nach
unten, oder linksseitige von unten nach oben, und füllte Seifenwasser in die
Kinder hinein, um die Porusse zu reinigen, und ließ sie schwitzen, um den Krank¬
heitsstoff auszutreiben -- und hatte Erfolg. Mit dem Erfolge wuchs aber
die Kühnheit, und bald gestaltete sich ihm in seinem schöpferischen Gehirn eine
neue Theorie, die in dem Satze zusammengefaßt wurde: Äußere Mittel müssen
innerlich gegeben werden.

So folgte der alte Duttmüller den Spuren seines Sohnes Louis. Wo dieser
Hin! ja! sagte, vorsichtig mit salichlsauerm Natron anfing und dann allmählich die
Reihe der Mittel durchprobierte, die nach Gebrauch und Übung für den betreffenden
Fall in Betracht kamen, da that Dnttmüller-Senn, wie er sich nannte, einen tiefen
Blick in die Natur, gab äußere Mittel innerlich, öffnete die Porusse mit Seifen¬
wasser -- und hatte Erfolg, oder die Leute bildeten es sich ein, Erfolg zu spüren.
Wenn sie von Duttmüllers Latwerge" Beschwerden hatten, so fühlten sie es ordentlich,
wie die Medizin die Krankheit angriff, rechtsseitig oder linksseitig. Und wenn
Duttmüller-Senn seine Sache erklärte und auf die rechte oder linke saure Gärung
brachte, so verstanden sie das viel besser als Dnttmüllers junior gelehrte Aus¬
einandersetzungen mit den unverständlichen lateinischen Namen. Wenn aber vor¬
sichtige Leute, die um einmal auf die Krankenkasse und auf Doktor Duttmüller
als Krnnkenkassenarzt angewiesen waren, Bedenken trugen, sich dem alten Duttmüller
anzuvertrauen, so sagte dieser: Mein Sohn Louis ist eine Schafsnase, wo der
nicht einmal weiß, was Zentraljeerung is, und wo der weiter nichts kann, als
die Leute beschmusen und hernach blechen lassen, daß et ihnen windelweich int
Jemüte wird. Und was dat vierte Gebot ist, da hat er keinen Schimmer von, denn
sonst würde er nicht so jnietschig sein und seinem Vater sein väterliches Erbteil vor¬
enthalten. Hier, wo ick jetzt fünfundsechzig Jahre alt bin und mein Altenteil bean¬
spruchen kann. Und wo ick doch dem alten Schäfer Matthias fein Medizinbuch habe,
Wo alles drin steht, und wo ick doch Weitungen, dem kein Doktor helfen konnte,
in drei Tagen uf de Beene gebracht habe.

Das letzte Argument zog am meisten, ferner auch das, daß Duttmüller-Senn
keine Bezahlung forderte, sondern nahm, was man ihm heimlich in die Hand
drückte. Dnttmüller-Senn machte die tollsten Sachen, besonders in den Zeiten
seines Quartalsuffs. Er begnügte sich nicht mit der Kundschaft der kleinen Leute,
er drang auch in die Häuser der Großen. Er ließ sich von Heinrich Quarg in
Asseborn konsultieren und führte die Altersbeschwerden der alten Klausewitzen in
Klein-Siebendorf zu deren großer Erleichterung ans saure Zentralgärnng zurück
und behandelte sie mit innerlich gegebnen Hirschtalg und Bleiwasser.

Und Doktor Duttmüller merkte nichts davon. Die Kleinen hielten gegen den
Kassenarzt zusammen wie Pech, und den Großen machte es Vergnügen, den Doktor
zu hintergehn und sich klüger zu dünken als er. Und so erlitt er Einbuße an Ein¬
kommen, viel mehr aber noch an Ansehen. Denn bisher hatte sein Wort allein ge¬
golten, niemand hatte gewagt, an der Unfehlbarkeit seiner Diagnosen zu zweifeln.
Nun kam zu seineu Monologen eine kritische Stimme, man wurde mißtrauisch und


Doktor Duttmüller und sein Freund

Auge», kriegte Zufälle und verweigerte die Annahme einer fernern Dosis. Es
half ihm aber nichts; auch die andre Hälfte wurde ihm beigebracht. Jetzt wurde
er blau im Gesicht, vergaß Angstschweiß und war nahe am Tode. Die Weitungen
kriegte Angst, aber die Nachbarinnen, die sich edel, hilfreich und gut erwiesen
hatten, rühmten die Medizin. Die greife die Krankheit ordentlich an und sei viel
besser als dem Doktor seine Tropfen. Und nach drei Tagen war Geschwulst und
Schmerz verschwunden, und in acht Tagen war Weidling gesund und konnte auf
die Arbeit gehn. Er besann sich kurz, kehrte zu Happich reumütig zurück, und
Happich nahm ihn mit Freuden wieder auf.

Diese Kur brachte dem Wunderdoktor großen Ruhm ein. Er nahm die Lob¬
sprüche mit dem Selbstbewußtsein entgegen, zu den: ihn sein Erfolg berechtigte. —
Machen wir, sagte er. Hier! wo allens im Buche steht von wejen die saure Gärung
und det jnnze Register. — Die Frauen brachten ihre Kinder, und Dnttmüller hatte
es gleich heraus, daß ihr Leiden saure Gärung war, rechtsseitige von oben nach
unten, oder linksseitige von unten nach oben, und füllte Seifenwasser in die
Kinder hinein, um die Porusse zu reinigen, und ließ sie schwitzen, um den Krank¬
heitsstoff auszutreiben — und hatte Erfolg. Mit dem Erfolge wuchs aber
die Kühnheit, und bald gestaltete sich ihm in seinem schöpferischen Gehirn eine
neue Theorie, die in dem Satze zusammengefaßt wurde: Äußere Mittel müssen
innerlich gegeben werden.

So folgte der alte Duttmüller den Spuren seines Sohnes Louis. Wo dieser
Hin! ja! sagte, vorsichtig mit salichlsauerm Natron anfing und dann allmählich die
Reihe der Mittel durchprobierte, die nach Gebrauch und Übung für den betreffenden
Fall in Betracht kamen, da that Dnttmüller-Senn, wie er sich nannte, einen tiefen
Blick in die Natur, gab äußere Mittel innerlich, öffnete die Porusse mit Seifen¬
wasser — und hatte Erfolg, oder die Leute bildeten es sich ein, Erfolg zu spüren.
Wenn sie von Duttmüllers Latwerge« Beschwerden hatten, so fühlten sie es ordentlich,
wie die Medizin die Krankheit angriff, rechtsseitig oder linksseitig. Und wenn
Duttmüller-Senn seine Sache erklärte und auf die rechte oder linke saure Gärung
brachte, so verstanden sie das viel besser als Dnttmüllers junior gelehrte Aus¬
einandersetzungen mit den unverständlichen lateinischen Namen. Wenn aber vor¬
sichtige Leute, die um einmal auf die Krankenkasse und auf Doktor Duttmüller
als Krnnkenkassenarzt angewiesen waren, Bedenken trugen, sich dem alten Duttmüller
anzuvertrauen, so sagte dieser: Mein Sohn Louis ist eine Schafsnase, wo der
nicht einmal weiß, was Zentraljeerung is, und wo der weiter nichts kann, als
die Leute beschmusen und hernach blechen lassen, daß et ihnen windelweich int
Jemüte wird. Und was dat vierte Gebot ist, da hat er keinen Schimmer von, denn
sonst würde er nicht so jnietschig sein und seinem Vater sein väterliches Erbteil vor¬
enthalten. Hier, wo ick jetzt fünfundsechzig Jahre alt bin und mein Altenteil bean¬
spruchen kann. Und wo ick doch dem alten Schäfer Matthias fein Medizinbuch habe,
Wo alles drin steht, und wo ick doch Weitungen, dem kein Doktor helfen konnte,
in drei Tagen uf de Beene gebracht habe.

Das letzte Argument zog am meisten, ferner auch das, daß Duttmüller-Senn
keine Bezahlung forderte, sondern nahm, was man ihm heimlich in die Hand
drückte. Dnttmüller-Senn machte die tollsten Sachen, besonders in den Zeiten
seines Quartalsuffs. Er begnügte sich nicht mit der Kundschaft der kleinen Leute,
er drang auch in die Häuser der Großen. Er ließ sich von Heinrich Quarg in
Asseborn konsultieren und führte die Altersbeschwerden der alten Klausewitzen in
Klein-Siebendorf zu deren großer Erleichterung ans saure Zentralgärnng zurück
und behandelte sie mit innerlich gegebnen Hirschtalg und Bleiwasser.

Und Doktor Duttmüller merkte nichts davon. Die Kleinen hielten gegen den
Kassenarzt zusammen wie Pech, und den Großen machte es Vergnügen, den Doktor
zu hintergehn und sich klüger zu dünken als er. Und so erlitt er Einbuße an Ein¬
kommen, viel mehr aber noch an Ansehen. Denn bisher hatte sein Wort allein ge¬
golten, niemand hatte gewagt, an der Unfehlbarkeit seiner Diagnosen zu zweifeln.
Nun kam zu seineu Monologen eine kritische Stimme, man wurde mißtrauisch und


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[0453] Doktor Duttmüller und sein Freund Auge», kriegte Zufälle und verweigerte die Annahme einer fernern Dosis. Es half ihm aber nichts; auch die andre Hälfte wurde ihm beigebracht. Jetzt wurde er blau im Gesicht, vergaß Angstschweiß und war nahe am Tode. Die Weitungen kriegte Angst, aber die Nachbarinnen, die sich edel, hilfreich und gut erwiesen hatten, rühmten die Medizin. Die greife die Krankheit ordentlich an und sei viel besser als dem Doktor seine Tropfen. Und nach drei Tagen war Geschwulst und Schmerz verschwunden, und in acht Tagen war Weidling gesund und konnte auf die Arbeit gehn. Er besann sich kurz, kehrte zu Happich reumütig zurück, und Happich nahm ihn mit Freuden wieder auf. Diese Kur brachte dem Wunderdoktor großen Ruhm ein. Er nahm die Lob¬ sprüche mit dem Selbstbewußtsein entgegen, zu den: ihn sein Erfolg berechtigte. — Machen wir, sagte er. Hier! wo allens im Buche steht von wejen die saure Gärung und det jnnze Register. — Die Frauen brachten ihre Kinder, und Dnttmüller hatte es gleich heraus, daß ihr Leiden saure Gärung war, rechtsseitige von oben nach unten, oder linksseitige von unten nach oben, und füllte Seifenwasser in die Kinder hinein, um die Porusse zu reinigen, und ließ sie schwitzen, um den Krank¬ heitsstoff auszutreiben — und hatte Erfolg. Mit dem Erfolge wuchs aber die Kühnheit, und bald gestaltete sich ihm in seinem schöpferischen Gehirn eine neue Theorie, die in dem Satze zusammengefaßt wurde: Äußere Mittel müssen innerlich gegeben werden. So folgte der alte Duttmüller den Spuren seines Sohnes Louis. Wo dieser Hin! ja! sagte, vorsichtig mit salichlsauerm Natron anfing und dann allmählich die Reihe der Mittel durchprobierte, die nach Gebrauch und Übung für den betreffenden Fall in Betracht kamen, da that Dnttmüller-Senn, wie er sich nannte, einen tiefen Blick in die Natur, gab äußere Mittel innerlich, öffnete die Porusse mit Seifen¬ wasser — und hatte Erfolg, oder die Leute bildeten es sich ein, Erfolg zu spüren. Wenn sie von Duttmüllers Latwerge« Beschwerden hatten, so fühlten sie es ordentlich, wie die Medizin die Krankheit angriff, rechtsseitig oder linksseitig. Und wenn Duttmüller-Senn seine Sache erklärte und auf die rechte oder linke saure Gärung brachte, so verstanden sie das viel besser als Dnttmüllers junior gelehrte Aus¬ einandersetzungen mit den unverständlichen lateinischen Namen. Wenn aber vor¬ sichtige Leute, die um einmal auf die Krankenkasse und auf Doktor Duttmüller als Krnnkenkassenarzt angewiesen waren, Bedenken trugen, sich dem alten Duttmüller anzuvertrauen, so sagte dieser: Mein Sohn Louis ist eine Schafsnase, wo der nicht einmal weiß, was Zentraljeerung is, und wo der weiter nichts kann, als die Leute beschmusen und hernach blechen lassen, daß et ihnen windelweich int Jemüte wird. Und was dat vierte Gebot ist, da hat er keinen Schimmer von, denn sonst würde er nicht so jnietschig sein und seinem Vater sein väterliches Erbteil vor¬ enthalten. Hier, wo ick jetzt fünfundsechzig Jahre alt bin und mein Altenteil bean¬ spruchen kann. Und wo ick doch dem alten Schäfer Matthias fein Medizinbuch habe, Wo alles drin steht, und wo ick doch Weitungen, dem kein Doktor helfen konnte, in drei Tagen uf de Beene gebracht habe. Das letzte Argument zog am meisten, ferner auch das, daß Duttmüller-Senn keine Bezahlung forderte, sondern nahm, was man ihm heimlich in die Hand drückte. Dnttmüller-Senn machte die tollsten Sachen, besonders in den Zeiten seines Quartalsuffs. Er begnügte sich nicht mit der Kundschaft der kleinen Leute, er drang auch in die Häuser der Großen. Er ließ sich von Heinrich Quarg in Asseborn konsultieren und führte die Altersbeschwerden der alten Klausewitzen in Klein-Siebendorf zu deren großer Erleichterung ans saure Zentralgärnng zurück und behandelte sie mit innerlich gegebnen Hirschtalg und Bleiwasser. Und Doktor Duttmüller merkte nichts davon. Die Kleinen hielten gegen den Kassenarzt zusammen wie Pech, und den Großen machte es Vergnügen, den Doktor zu hintergehn und sich klüger zu dünken als er. Und so erlitt er Einbuße an Ein¬ kommen, viel mehr aber noch an Ansehen. Denn bisher hatte sein Wort allein ge¬ golten, niemand hatte gewagt, an der Unfehlbarkeit seiner Diagnosen zu zweifeln. Nun kam zu seineu Monologen eine kritische Stimme, man wurde mißtrauisch und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/453>, abgerufen am 29.06.2024.