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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden als deutscher Staatsmann

greifen, daß ich das nicht kann." Am 16. Juni früh meldete der Telegraph,
die Preußen seien in Sachsen eingerückt, und Sachsen habe daraufhin die
Hilfe des Bundes angerufen. Da eilten die Minister aufs Schloß, und
"der Großherzog ergab sich."

Dieses wochenlange Ringen um die Durchführung seiner persönlichen
politischen Überzeugung hat etwas Heroisches und zugleich etwas Tragisches.
Verlassen von allen und gedrängt von allen, ohne jede Möglichkeit, eine Ne¬
gierung nach seinem Sinne zu bilden, wurde der Großherzog durch das
greuliche Wirrsal der deutschen Dinge endlich gezwungen, gegen seine Über¬
zeugung, im Widerspruch mit allem, was er seit zehn Jahren erstrebt hatte,
für das längst unbrauchbare Bundesrecht das Schwert zu ziehn, gegen den
Staat zu ziehn, von dem allein er eine Wiedergeburt Deutschlands erwartete;
konstitutionelle Rücksichten, von denen man wohl geredet hat, haben ihn nicht
bestimmt und konnten ihn gar nicht bestimmen. Er empfand die Notlage auch
nach der Entscheidung aufs tiefste; als Mathy mit Jolly seine Entlassung
nahm, um Edelsheim vollends das Feld zu räumen, und sich am 1. Juli von
seinem Herrn verabschiedete, da sagte ihm dieser wehmütig: "Sie haben es
gut, Sie können gehn, ich muß bleiben."

Ja er mußte bleiben, er mußte weiter erleben, daß seine Truppen beim
achten Bundesarmeekorps unter der unfähigen Führung des Prinzen Alexander
von Hessen in den kläglichen Mainfeldzug verwickelt wurden. Als in Böhmen
am 3. Juli die Entscheidung schon gefallen war, und Waffenstillstandsver¬
handlungen schon begonnen hatten, also die Fortsetzung des Kampfes in Süd¬
deutschland zwecklos geworden war, sandte er Edelsheim nach München, um
auf den raschen. Abschluß eines gemeinsamen Waffenstillstandes zu dringen.
Aber die Verhandlungen (19. bis 21. Juli) in München blieben vergeblich,
und noch vom 23. bis zum 25. Juli standen die Badner auf heimischem Boden
gegen die siegreichen Preußen im Feuer und mußten ihr Blut verspritzen für
eine schon Verlorne und aufgegebne Sache. In denselben Tagen, am
23. Juli, entließ der Großherzog ungnädig Edelsheim, am 26. auch Stahel
und Lauch, am 27. bildete der treue Mathy mit Jollh und Freydorf sein
Ministerium, am 29. wurden die Truppen heimberufen. Auch die Volks¬
stimmung schlug um; schon seit dem 21. forderte sie in zahlreichen Adressen
die Beendigung des Krieges ebenso stürmisch wie vorher den Krieg -- ein
schwankendes Rohr im Winde --, und am 1. August wurden in Heidelberg
und Mannheim die einrückenden Preußen als Freunde begrüßt. Daß der Friedens¬
schluß vom 17. August dem badischen Lande eine Kriegsentschädigung von
sechs Millionen Gulden auferlegte, war ganz in der Ordnung; mit Recht
bemerkte Bismarck seinem König, sie werde nicht vom Großherzog bezahlt,
sondern vom Volke, und das sei der schuldige Teil.

Welche schmerzliche Enttäuschung war es nun für den Großherzog, daß
die französische Einmischung die Ausdehnung des neuen Bundes unter der
Führung Preußens auf Süddeutschland verhinderte, und für dessen Staaten
ein besondres Bündnis in Aussicht genommen wurde! Nur die Fortdauer
des Zollvereins und das (bis 1867 geheime) Schlitz- und Trutzbündnis ver-


Großherzog Friedrich von Baden als deutscher Staatsmann

greifen, daß ich das nicht kann." Am 16. Juni früh meldete der Telegraph,
die Preußen seien in Sachsen eingerückt, und Sachsen habe daraufhin die
Hilfe des Bundes angerufen. Da eilten die Minister aufs Schloß, und
„der Großherzog ergab sich."

Dieses wochenlange Ringen um die Durchführung seiner persönlichen
politischen Überzeugung hat etwas Heroisches und zugleich etwas Tragisches.
Verlassen von allen und gedrängt von allen, ohne jede Möglichkeit, eine Ne¬
gierung nach seinem Sinne zu bilden, wurde der Großherzog durch das
greuliche Wirrsal der deutschen Dinge endlich gezwungen, gegen seine Über¬
zeugung, im Widerspruch mit allem, was er seit zehn Jahren erstrebt hatte,
für das längst unbrauchbare Bundesrecht das Schwert zu ziehn, gegen den
Staat zu ziehn, von dem allein er eine Wiedergeburt Deutschlands erwartete;
konstitutionelle Rücksichten, von denen man wohl geredet hat, haben ihn nicht
bestimmt und konnten ihn gar nicht bestimmen. Er empfand die Notlage auch
nach der Entscheidung aufs tiefste; als Mathy mit Jolly seine Entlassung
nahm, um Edelsheim vollends das Feld zu räumen, und sich am 1. Juli von
seinem Herrn verabschiedete, da sagte ihm dieser wehmütig: „Sie haben es
gut, Sie können gehn, ich muß bleiben."

Ja er mußte bleiben, er mußte weiter erleben, daß seine Truppen beim
achten Bundesarmeekorps unter der unfähigen Führung des Prinzen Alexander
von Hessen in den kläglichen Mainfeldzug verwickelt wurden. Als in Böhmen
am 3. Juli die Entscheidung schon gefallen war, und Waffenstillstandsver¬
handlungen schon begonnen hatten, also die Fortsetzung des Kampfes in Süd¬
deutschland zwecklos geworden war, sandte er Edelsheim nach München, um
auf den raschen. Abschluß eines gemeinsamen Waffenstillstandes zu dringen.
Aber die Verhandlungen (19. bis 21. Juli) in München blieben vergeblich,
und noch vom 23. bis zum 25. Juli standen die Badner auf heimischem Boden
gegen die siegreichen Preußen im Feuer und mußten ihr Blut verspritzen für
eine schon Verlorne und aufgegebne Sache. In denselben Tagen, am
23. Juli, entließ der Großherzog ungnädig Edelsheim, am 26. auch Stahel
und Lauch, am 27. bildete der treue Mathy mit Jollh und Freydorf sein
Ministerium, am 29. wurden die Truppen heimberufen. Auch die Volks¬
stimmung schlug um; schon seit dem 21. forderte sie in zahlreichen Adressen
die Beendigung des Krieges ebenso stürmisch wie vorher den Krieg — ein
schwankendes Rohr im Winde —, und am 1. August wurden in Heidelberg
und Mannheim die einrückenden Preußen als Freunde begrüßt. Daß der Friedens¬
schluß vom 17. August dem badischen Lande eine Kriegsentschädigung von
sechs Millionen Gulden auferlegte, war ganz in der Ordnung; mit Recht
bemerkte Bismarck seinem König, sie werde nicht vom Großherzog bezahlt,
sondern vom Volke, und das sei der schuldige Teil.

Welche schmerzliche Enttäuschung war es nun für den Großherzog, daß
die französische Einmischung die Ausdehnung des neuen Bundes unter der
Führung Preußens auf Süddeutschland verhinderte, und für dessen Staaten
ein besondres Bündnis in Aussicht genommen wurde! Nur die Fortdauer
des Zollvereins und das (bis 1867 geheime) Schlitz- und Trutzbündnis ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/416>, abgerufen am 29.06.2024.