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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Drei U?louer Runstbriefe

So weit hat Klinger nicht gehn wollen. Dieser Leib da ist keines
Gottes, keines Heros, überhaupt keines unsterblichen Geistes Ebenbild. Das
Übergewicht des breiten Kopfes über die eingeengte Brust, die Haltung des
Körpers widersprechen der Vorstellung einer freien, ganz mit sich selber einigen
Person, geschweige denn der Harmonie der ewigen Urbilder, die eine lange
glorreiche Reihe plastischer Schöpfungen der Hellenen so überzeugend vor
Augen gestellt haben, als wären sie Abbilder nur eines wirklich lebenden
Geschlechts. Hier ist UnVollkommenheit und Hemmung des Gefäßes sichtbar,
also ein Gegensatz gegen den beseligten Aufschwung des Geistes gewollt, den
wir seinerseits doch anch -- eben das ist die unverbrüchliche Bedingung der
plastischen Kunst -- nur in Entfaltung und Bewegung der Körperform zu
schauen vermögen. Ist es die Absicht des Künstlers, uns die Befangenheit
und die Anstrengung zu zeigen, dann geht auch die Voraussetzung der klassischen
Tradition in die Brüche. Fällt damit auch das Vorrecht der Nacktheit? wäre
die eigentliche Frage.

Klinger greift mit Entschiedenheit zum nackten, will aber die Idealität
der Antike nicht in den Kauf nehmen. Er will keinen Göttlichen schaffen,
sondern einen Menschen -- keinen abstrakten Inbegriff eines Geistes, sondern
den Mann. Also den geschichtlichen Beethoven, drängt man uns weiter, also
ein historisches Bildnis? Soweit sind wir noch nicht. Doch eröffnen wir
einmal diese Perspektive von Möglichkeiten. Statt der idealen Verklärung,
die nur die bleibenden Züge seines Wesens festhält und die vorübergehenden
Bedingungen seiner irdischen Laufbahn abstreift, erhielten wir dann ein Abbild
des Ringenden, immer noch Strebenden, der das Höchste will, aber nur mühsam
und stückweise die Schätze zu Tage fördert, die ein Gott -- so sagen wir --
in seine Seele gegossen hat. Vielleicht entspricht das dem heutigen Bedürf¬
nis besser.

Doch auch dazu hat Klinger nicht die überlieferten Mittel der Skulptur,
wie sie sich seit den Zeiten der Romantik ausgebildet haben, übernommen: nennen
wir nur seinen eignen Landsmann Rietschel. Wir sind es gewohnt, uns die ent¬
schlossene Wiedergabe des Zeitkostüms mit all seinen unplastischen, vielleicht
nicht einmal malerischen Bedingungen gefallen zu lassen, vorausgesetzt, daß
eben der Mensch in seiner zeitlichen Befangenheit vorgeführt werden soll. In
der Tracht seiner eignen Zeit würden wir bereitwillig anch den Komponisten in
der vorübergehenden Unzulänglichkeit, in den Banden einer ganz bestimmten
Situation hinnehmen, wenn nur mitten darin das Feuer seines Geistes auf¬
sprühte. Eine konventionelle Kostümfignr, nur mit dem Portrütkopf darauf,
wie so häufig sonst, hätten wir von Klinger gewiß nicht zu fürchten. Wir
würden diesem hochbegabten Meister gewiß gern bis hinein in die Erregung
des Augenblicks, in die zufällige Entstehungsgeschichte eines bestimmten Werkes,
in einen denkwürdigen Akt aus dem Schöpferleben Beethovens zu folgen
bereit sein. Aber der Bildner, der den sagbaren und den unsagbaren Inhalt
einer musikalischen Komposition für sein lebendiges Gefühl heraufzuschwören
vermag, wird gerade dagegen mehr Bedenken haben als der Laie, wird sich
fragen, ob ein solches Wagnis für den Maler, für den graphischen Künstler


Drei U?louer Runstbriefe

So weit hat Klinger nicht gehn wollen. Dieser Leib da ist keines
Gottes, keines Heros, überhaupt keines unsterblichen Geistes Ebenbild. Das
Übergewicht des breiten Kopfes über die eingeengte Brust, die Haltung des
Körpers widersprechen der Vorstellung einer freien, ganz mit sich selber einigen
Person, geschweige denn der Harmonie der ewigen Urbilder, die eine lange
glorreiche Reihe plastischer Schöpfungen der Hellenen so überzeugend vor
Augen gestellt haben, als wären sie Abbilder nur eines wirklich lebenden
Geschlechts. Hier ist UnVollkommenheit und Hemmung des Gefäßes sichtbar,
also ein Gegensatz gegen den beseligten Aufschwung des Geistes gewollt, den
wir seinerseits doch anch — eben das ist die unverbrüchliche Bedingung der
plastischen Kunst — nur in Entfaltung und Bewegung der Körperform zu
schauen vermögen. Ist es die Absicht des Künstlers, uns die Befangenheit
und die Anstrengung zu zeigen, dann geht auch die Voraussetzung der klassischen
Tradition in die Brüche. Fällt damit auch das Vorrecht der Nacktheit? wäre
die eigentliche Frage.

Klinger greift mit Entschiedenheit zum nackten, will aber die Idealität
der Antike nicht in den Kauf nehmen. Er will keinen Göttlichen schaffen,
sondern einen Menschen — keinen abstrakten Inbegriff eines Geistes, sondern
den Mann. Also den geschichtlichen Beethoven, drängt man uns weiter, also
ein historisches Bildnis? Soweit sind wir noch nicht. Doch eröffnen wir
einmal diese Perspektive von Möglichkeiten. Statt der idealen Verklärung,
die nur die bleibenden Züge seines Wesens festhält und die vorübergehenden
Bedingungen seiner irdischen Laufbahn abstreift, erhielten wir dann ein Abbild
des Ringenden, immer noch Strebenden, der das Höchste will, aber nur mühsam
und stückweise die Schätze zu Tage fördert, die ein Gott — so sagen wir —
in seine Seele gegossen hat. Vielleicht entspricht das dem heutigen Bedürf¬
nis besser.

Doch auch dazu hat Klinger nicht die überlieferten Mittel der Skulptur,
wie sie sich seit den Zeiten der Romantik ausgebildet haben, übernommen: nennen
wir nur seinen eignen Landsmann Rietschel. Wir sind es gewohnt, uns die ent¬
schlossene Wiedergabe des Zeitkostüms mit all seinen unplastischen, vielleicht
nicht einmal malerischen Bedingungen gefallen zu lassen, vorausgesetzt, daß
eben der Mensch in seiner zeitlichen Befangenheit vorgeführt werden soll. In
der Tracht seiner eignen Zeit würden wir bereitwillig anch den Komponisten in
der vorübergehenden Unzulänglichkeit, in den Banden einer ganz bestimmten
Situation hinnehmen, wenn nur mitten darin das Feuer seines Geistes auf¬
sprühte. Eine konventionelle Kostümfignr, nur mit dem Portrütkopf darauf,
wie so häufig sonst, hätten wir von Klinger gewiß nicht zu fürchten. Wir
würden diesem hochbegabten Meister gewiß gern bis hinein in die Erregung
des Augenblicks, in die zufällige Entstehungsgeschichte eines bestimmten Werkes,
in einen denkwürdigen Akt aus dem Schöpferleben Beethovens zu folgen
bereit sein. Aber der Bildner, der den sagbaren und den unsagbaren Inhalt
einer musikalischen Komposition für sein lebendiges Gefühl heraufzuschwören
vermag, wird gerade dagegen mehr Bedenken haben als der Laie, wird sich
fragen, ob ein solches Wagnis für den Maler, für den graphischen Künstler


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[0382] Drei U?louer Runstbriefe So weit hat Klinger nicht gehn wollen. Dieser Leib da ist keines Gottes, keines Heros, überhaupt keines unsterblichen Geistes Ebenbild. Das Übergewicht des breiten Kopfes über die eingeengte Brust, die Haltung des Körpers widersprechen der Vorstellung einer freien, ganz mit sich selber einigen Person, geschweige denn der Harmonie der ewigen Urbilder, die eine lange glorreiche Reihe plastischer Schöpfungen der Hellenen so überzeugend vor Augen gestellt haben, als wären sie Abbilder nur eines wirklich lebenden Geschlechts. Hier ist UnVollkommenheit und Hemmung des Gefäßes sichtbar, also ein Gegensatz gegen den beseligten Aufschwung des Geistes gewollt, den wir seinerseits doch anch — eben das ist die unverbrüchliche Bedingung der plastischen Kunst — nur in Entfaltung und Bewegung der Körperform zu schauen vermögen. Ist es die Absicht des Künstlers, uns die Befangenheit und die Anstrengung zu zeigen, dann geht auch die Voraussetzung der klassischen Tradition in die Brüche. Fällt damit auch das Vorrecht der Nacktheit? wäre die eigentliche Frage. Klinger greift mit Entschiedenheit zum nackten, will aber die Idealität der Antike nicht in den Kauf nehmen. Er will keinen Göttlichen schaffen, sondern einen Menschen — keinen abstrakten Inbegriff eines Geistes, sondern den Mann. Also den geschichtlichen Beethoven, drängt man uns weiter, also ein historisches Bildnis? Soweit sind wir noch nicht. Doch eröffnen wir einmal diese Perspektive von Möglichkeiten. Statt der idealen Verklärung, die nur die bleibenden Züge seines Wesens festhält und die vorübergehenden Bedingungen seiner irdischen Laufbahn abstreift, erhielten wir dann ein Abbild des Ringenden, immer noch Strebenden, der das Höchste will, aber nur mühsam und stückweise die Schätze zu Tage fördert, die ein Gott — so sagen wir — in seine Seele gegossen hat. Vielleicht entspricht das dem heutigen Bedürf¬ nis besser. Doch auch dazu hat Klinger nicht die überlieferten Mittel der Skulptur, wie sie sich seit den Zeiten der Romantik ausgebildet haben, übernommen: nennen wir nur seinen eignen Landsmann Rietschel. Wir sind es gewohnt, uns die ent¬ schlossene Wiedergabe des Zeitkostüms mit all seinen unplastischen, vielleicht nicht einmal malerischen Bedingungen gefallen zu lassen, vorausgesetzt, daß eben der Mensch in seiner zeitlichen Befangenheit vorgeführt werden soll. In der Tracht seiner eignen Zeit würden wir bereitwillig anch den Komponisten in der vorübergehenden Unzulänglichkeit, in den Banden einer ganz bestimmten Situation hinnehmen, wenn nur mitten darin das Feuer seines Geistes auf¬ sprühte. Eine konventionelle Kostümfignr, nur mit dem Portrütkopf darauf, wie so häufig sonst, hätten wir von Klinger gewiß nicht zu fürchten. Wir würden diesem hochbegabten Meister gewiß gern bis hinein in die Erregung des Augenblicks, in die zufällige Entstehungsgeschichte eines bestimmten Werkes, in einen denkwürdigen Akt aus dem Schöpferleben Beethovens zu folgen bereit sein. Aber der Bildner, der den sagbaren und den unsagbaren Inhalt einer musikalischen Komposition für sein lebendiges Gefühl heraufzuschwören vermag, wird gerade dagegen mehr Bedenken haben als der Laie, wird sich fragen, ob ein solches Wagnis für den Maler, für den graphischen Künstler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/382>, abgerufen am 28.09.2024.