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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Drei Wiener Unnstlniefe

lind wo? Mehr als der Kopf darf nicht auftauchen! Seinen nackten Körper,
seine Haltung haben wir nun und nimmer so sehen können. Wir haben ja
nicht wirklich mit ihm gelebt.

Das Übrige also ist die Phantasie des Künstlers, der den Kopf in diesem
Zustand der Bearbeitung gelassen hat. Auf die Erkennung des Dargestellten
folgt unmittelbar eine andre Jdeenassoziation: Stehn wir am Ende vor dem
langerwarteten Werke, von dem man uns oftmals schon viel versprochen hat?
Ist das der Beethoven von Max Klinger?

Freilich, muß er es sein. Immer deutlicher drängen sich die Merkmale auf,
die wir schon als Eigentümlichkeiten seiner Arbeiten kennen. Das Gefühl für
die Formensprache des Bildners, für die Knotenpunkte seines Gestaltens und
die seltsamen Gedankenstriche seines Geschmacks nur ist es, was wir uns zum
Bewußtsein bringen, wenn dieser Künstlername über die Schwelle tritt und
sich dem Eindruck des Ganzen da gesellt.

Damit aber werden wir den vollzognen Lauf unsrer eignen Vorstellungen
nicht los. Das also ist die Frucht zwölfjähriger Thätigkeit, die er seinein
Beethoven gewidmet hat -- und wir müssen uns ganz anders damit abfinden.
Aber auch die Anschauung unsrer sehenden Augen hält stand. Dieser
summarisch nur mich der Totenmaske, doch mit dem leise verzognen Mund
sogar, die Ähnlichkeit festhaltende Kopf -- ohne Zweifel ist er in bestimmter
Absicht, nach der wir weiter fragen müssen, gerade so behandelt, d. h. im
Vergleich zu der Erwartung, die wir einem Beethovendenkmal entgegenbringen,
auffallend allgemein gehalten. Und dieser Kopf des großen Komponisten, den
wir auch so als Bildnis anerkennen wollen, sitzt er nicht auf einem Rumpfe,
der uns absolut unbekannt erscheinen muß, auch wenn wir noch so bereitwillig
hinzutreten, den Intentionen des Künstlers zu folgen, der ihn gemeißelt hat?

Dieser Leib ist nackt. Also sollen wir auf den Boden der Voraussetzungen
übertreten, die unsre moderne Skulptur aus der Tradition des klassischen Alter¬
tums übernommen hat?

Dann ist die Absicht des Bildners, dem Geistesheroen, den er vor uns
hinstellt, dem Vorrecht seiner Kunst gemäß, einen Körper anzudichten, der das
innerste Wesen seines Genius widerspiegelt. Die Plastik verfügt über kein
andres Mittel geistigen Ausdrucks als über die sinnlich sichtbare Gestalt. Bei
ihr muß die Annahme gelten: es ist der Geist, der sich den Körper baut.
Wir würden dein Künstler anstandslos folgen, auch wenn er die Sprache der
überlegneu Schöpferkraft nur wie der Grieche in Apoll und den Musen zu
finden glaubte und für den Meister der Tonkunst hier die Formen eines
Olympischen wählte. Wir würden kaum eine" Einspruch erheben, wenn dieser
ganz Moderne wieder zu der Überzeugung Goethes zurückgriffe, gelänge es
ihm nur, wie Thorwaldsen seinen Schiller, nach dem Götteridcal der Antike
auch unsern Beethoven zu verkörpern. Aber was ist uns Beethoven heute?
Ein absolutes Ideal, eine unbedingt anerkannte Größe, ein Höchster, dem
wir rückhaltlos huldigen? Und ist das Wesentliche seiner Leistungen so fest
umschrieben, daß die unsterbliche Form sich ungerufen einstellte, sich wie von
selber verstttude?


Drei Wiener Unnstlniefe

lind wo? Mehr als der Kopf darf nicht auftauchen! Seinen nackten Körper,
seine Haltung haben wir nun und nimmer so sehen können. Wir haben ja
nicht wirklich mit ihm gelebt.

Das Übrige also ist die Phantasie des Künstlers, der den Kopf in diesem
Zustand der Bearbeitung gelassen hat. Auf die Erkennung des Dargestellten
folgt unmittelbar eine andre Jdeenassoziation: Stehn wir am Ende vor dem
langerwarteten Werke, von dem man uns oftmals schon viel versprochen hat?
Ist das der Beethoven von Max Klinger?

Freilich, muß er es sein. Immer deutlicher drängen sich die Merkmale auf,
die wir schon als Eigentümlichkeiten seiner Arbeiten kennen. Das Gefühl für
die Formensprache des Bildners, für die Knotenpunkte seines Gestaltens und
die seltsamen Gedankenstriche seines Geschmacks nur ist es, was wir uns zum
Bewußtsein bringen, wenn dieser Künstlername über die Schwelle tritt und
sich dem Eindruck des Ganzen da gesellt.

Damit aber werden wir den vollzognen Lauf unsrer eignen Vorstellungen
nicht los. Das also ist die Frucht zwölfjähriger Thätigkeit, die er seinein
Beethoven gewidmet hat — und wir müssen uns ganz anders damit abfinden.
Aber auch die Anschauung unsrer sehenden Augen hält stand. Dieser
summarisch nur mich der Totenmaske, doch mit dem leise verzognen Mund
sogar, die Ähnlichkeit festhaltende Kopf — ohne Zweifel ist er in bestimmter
Absicht, nach der wir weiter fragen müssen, gerade so behandelt, d. h. im
Vergleich zu der Erwartung, die wir einem Beethovendenkmal entgegenbringen,
auffallend allgemein gehalten. Und dieser Kopf des großen Komponisten, den
wir auch so als Bildnis anerkennen wollen, sitzt er nicht auf einem Rumpfe,
der uns absolut unbekannt erscheinen muß, auch wenn wir noch so bereitwillig
hinzutreten, den Intentionen des Künstlers zu folgen, der ihn gemeißelt hat?

Dieser Leib ist nackt. Also sollen wir auf den Boden der Voraussetzungen
übertreten, die unsre moderne Skulptur aus der Tradition des klassischen Alter¬
tums übernommen hat?

Dann ist die Absicht des Bildners, dem Geistesheroen, den er vor uns
hinstellt, dem Vorrecht seiner Kunst gemäß, einen Körper anzudichten, der das
innerste Wesen seines Genius widerspiegelt. Die Plastik verfügt über kein
andres Mittel geistigen Ausdrucks als über die sinnlich sichtbare Gestalt. Bei
ihr muß die Annahme gelten: es ist der Geist, der sich den Körper baut.
Wir würden dein Künstler anstandslos folgen, auch wenn er die Sprache der
überlegneu Schöpferkraft nur wie der Grieche in Apoll und den Musen zu
finden glaubte und für den Meister der Tonkunst hier die Formen eines
Olympischen wählte. Wir würden kaum eine» Einspruch erheben, wenn dieser
ganz Moderne wieder zu der Überzeugung Goethes zurückgriffe, gelänge es
ihm nur, wie Thorwaldsen seinen Schiller, nach dem Götteridcal der Antike
auch unsern Beethoven zu verkörpern. Aber was ist uns Beethoven heute?
Ein absolutes Ideal, eine unbedingt anerkannte Größe, ein Höchster, dem
wir rückhaltlos huldigen? Und ist das Wesentliche seiner Leistungen so fest
umschrieben, daß die unsterbliche Form sich ungerufen einstellte, sich wie von
selber verstttude?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/381>, abgerufen am 28.09.2024.