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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

konnten? Entrüstungsversammlungen? Wenn sich die doch wenigstens die
Holländer hätten sparen wollen! Die Engländer können gar nicht anders
handeln, als wie sie thun. Es liegt in dem Gang ihrer Geschichte, den diese
einmal eingeschlagen hat, und den sie durchlaufen muß, mag es im Thal oder
auf der Höhe sein, wenn sie sich nicht selber aufgeben wollen. Chamberlain
und Cecil Rhodes sind die natürlichen Erben und Fortsetzer der Politik, die
einst in Indien unter Warren Hastings und Lord Clive ihre blutigen
Furchen zog.

Da Hütten die Holländer eher zusehen müssen. Noch war es Zeit, als
der Utrechter Friede geschlossen war. Was wahrend der Verhandlungen in
dieser Stadt selbst ihrem Gesandten widerfuhr, konnten sie als Beispiel für
das ansehen, was ihnen selber beschieden war, wenn sie sich nicht vorsahen
und nicht von Grund aus ihre Politik auf die andre Basis stellten. Aber es
ist unnötig, von der Höhe der Gegenwart rückblickend Betrachtungen darüber
anzustellen, was hätte geschehn müssen, da es nicht geschehn ist. Statt daß
eine freiere Zeit der Selbsterkenntnis die nationale Erhebung herausführte,
legte sich die des Verkennens der eignen Kraft immer tastender und lähmender
auf Volk und Regierung. Jetzt kam das, wovon die Rede war, mehr und
mehr zur Entfaltung, es kommen die Tage der Fülle der Rede und des
Mangels an Thatkraft.

Aus dem Jahrhundert, das zwischen dem Frieden von Utrecht und dein
Wiener Kongreß liegt, braucht nur Weniges hervorgehoben zu werden: die Dinge
reden alle dieselbe Sprache. Zu den tüchtigsten Unterhändlern auf hollän¬
discher Seite während des spanischen Erbfolgekriegs hatte Buys gehört, auch
war er, aus der Schule Wilhelms, immer für kräftige Fortführung des Kriegs
an der Seite Englands gewesen. Aber die Erfahrungen, die er seit dem Jahre
1710 mit dieser Macht gemacht hatte, waren stark genug, ihn der entgegen¬
gesetzten politischen Auffassung zuzuführen. Im Jahre 1715 handelte es sich
um ein Bündnis zwischen Frankreich, England und den Niederlanden, von dein
nur die beiden ersten Mächte Vorteil hatten, Frankreich die Sicherung der
Orleansschen Regentschaft gegen die Machenschaften Alberonis, England die
der protestantischen hannoverschen Erbfolge gegen die Stuarts. Buys wider¬
riet die Abschließung des Vertrags aufs entschiedenste mit Gründen, die, um
es kurz zu sagen, von der Fabel der mit dem Löwen jagenden Tiere her¬
genommen waren. Aber wie einleuchtend seine Darstellungen auch warm, so
schlugen sie doch nicht durch, und das Bündnis kam zustande. Holland nahm
daran mit einer reichlichen Ausgabe vou Worten, aber keineswegs mit einer
nennenswerten Rüstung von Kampfmitteln teil.

Aus diesem Bündnis ging im Jahre 1718 die sogenannte Quadrupel¬
allianz hervor, die geschlossen wurde, ohne daß man die Beitrittserklärung
Hollands abgewartet hatte. Nur hierin liegt denn auch das Interesse, das
wir an dieser Stelle um dem Vorgange nehmen dürfen. Es ist charakteristisch,
daß die drei abschließenden Mächte nach außen des Namens der zweiten "See¬
macht" nicht entbehren konnten, daß sie aber unter sich der beratenden Stimme
Hollands wohl entraten zu können glaubten. Wie die Voraussetzung gewesen


Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

konnten? Entrüstungsversammlungen? Wenn sich die doch wenigstens die
Holländer hätten sparen wollen! Die Engländer können gar nicht anders
handeln, als wie sie thun. Es liegt in dem Gang ihrer Geschichte, den diese
einmal eingeschlagen hat, und den sie durchlaufen muß, mag es im Thal oder
auf der Höhe sein, wenn sie sich nicht selber aufgeben wollen. Chamberlain
und Cecil Rhodes sind die natürlichen Erben und Fortsetzer der Politik, die
einst in Indien unter Warren Hastings und Lord Clive ihre blutigen
Furchen zog.

Da Hütten die Holländer eher zusehen müssen. Noch war es Zeit, als
der Utrechter Friede geschlossen war. Was wahrend der Verhandlungen in
dieser Stadt selbst ihrem Gesandten widerfuhr, konnten sie als Beispiel für
das ansehen, was ihnen selber beschieden war, wenn sie sich nicht vorsahen
und nicht von Grund aus ihre Politik auf die andre Basis stellten. Aber es
ist unnötig, von der Höhe der Gegenwart rückblickend Betrachtungen darüber
anzustellen, was hätte geschehn müssen, da es nicht geschehn ist. Statt daß
eine freiere Zeit der Selbsterkenntnis die nationale Erhebung herausführte,
legte sich die des Verkennens der eignen Kraft immer tastender und lähmender
auf Volk und Regierung. Jetzt kam das, wovon die Rede war, mehr und
mehr zur Entfaltung, es kommen die Tage der Fülle der Rede und des
Mangels an Thatkraft.

Aus dem Jahrhundert, das zwischen dem Frieden von Utrecht und dein
Wiener Kongreß liegt, braucht nur Weniges hervorgehoben zu werden: die Dinge
reden alle dieselbe Sprache. Zu den tüchtigsten Unterhändlern auf hollän¬
discher Seite während des spanischen Erbfolgekriegs hatte Buys gehört, auch
war er, aus der Schule Wilhelms, immer für kräftige Fortführung des Kriegs
an der Seite Englands gewesen. Aber die Erfahrungen, die er seit dem Jahre
1710 mit dieser Macht gemacht hatte, waren stark genug, ihn der entgegen¬
gesetzten politischen Auffassung zuzuführen. Im Jahre 1715 handelte es sich
um ein Bündnis zwischen Frankreich, England und den Niederlanden, von dein
nur die beiden ersten Mächte Vorteil hatten, Frankreich die Sicherung der
Orleansschen Regentschaft gegen die Machenschaften Alberonis, England die
der protestantischen hannoverschen Erbfolge gegen die Stuarts. Buys wider¬
riet die Abschließung des Vertrags aufs entschiedenste mit Gründen, die, um
es kurz zu sagen, von der Fabel der mit dem Löwen jagenden Tiere her¬
genommen waren. Aber wie einleuchtend seine Darstellungen auch warm, so
schlugen sie doch nicht durch, und das Bündnis kam zustande. Holland nahm
daran mit einer reichlichen Ausgabe vou Worten, aber keineswegs mit einer
nennenswerten Rüstung von Kampfmitteln teil.

Aus diesem Bündnis ging im Jahre 1718 die sogenannte Quadrupel¬
allianz hervor, die geschlossen wurde, ohne daß man die Beitrittserklärung
Hollands abgewartet hatte. Nur hierin liegt denn auch das Interesse, das
wir an dieser Stelle um dem Vorgange nehmen dürfen. Es ist charakteristisch,
daß die drei abschließenden Mächte nach außen des Namens der zweiten „See¬
macht" nicht entbehren konnten, daß sie aber unter sich der beratenden Stimme
Hollands wohl entraten zu können glaubten. Wie die Voraussetzung gewesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/360>, abgerufen am 29.06.2024.