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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Schatten des Trompschcn Besens wagte man auf die englische Wand fallen
zu lassen. Im Jahre 1704 eroberte holländische Tapferkeit Gibraltar. Dem
aus der Schule de Nuyters stammenden Admiral Calleuberg, der die Stadt
zur Übergabe gezwungen hatte, wurde deshalb vom König Karl ein eigen¬
händiges Dankschreiben zu teil, das in den Ausdrücken wärmster Anerkennung
abgefaßt war. Auch erklärte die Königin Anna dem holländischen Gesandten
van Vrhbergen, daß die Erhaltung der "gemeinsamen Eroberung" ein Gegen¬
stand ihrer Unterhandlungen mit den Generalstaaten sein werde. Seitdem ist
diese wichtige Festung in den alleinigen Besitz Großbritanniens übergegangen;
in den Verhandlungen aber, die zum Utrechter Frieden führten, hört man auch
nicht von einem Worte des Protestes, das von einem holländischen Unter¬
händler ausgegangen wäre.

Freilich, was half die beredteste Erörterung der Gesandten, wenn man
nicht den Mut hatte, ihren Worten mit dem Donner der Kanonen Nachdruck
zu verleihen? Nicht einmal den Franzosen gegenüber war die Verbindung
mit England stark genug. Während dieses damals begann, seine Polhpenarme
um die ganze Welt zu legen, und in der Nahe und in der Ferne anch seinen
Verbündeten deu Atem zu verkümmern, waren die Holländer der Hauptsache
nach damit beschäftigt, den Franzosen blutige Schlachten zu Lande zu liefern.
Als ob das feste Land ihr Lebenselement und als ob es ihre Schicksals¬
bestimmung gewesen wäre, für die Engländer die Vorpostenstellung einzu¬
nehmen, ließen sie die Kraft ihrer reichen Mittel in die Aufstellung von Land¬
heeren fließen, verteidigten leblose steinerne Grcnzwälle gegen die Franzosen
und hatten keine Sorge, daß ihre lebendigen hölzernen Mauern ans dem Meere
verfielen.

Der Lebensstrom der Niederlande ging durch die Rheinmündungen und
die Zuidersec aufs Weltmeer hinaus; wo die Engländer draußen waren, da
mußten sie auch sein, um sich die Luftzugänge offen zu halten. Obgleich dies
eine Wahrheit war, deren Predigt auf deu Lippen der Unmündigen zum Sturm
aufrufen mußte, sorgte die Regierung kaum für den Schutz ihres notwendigsten
Handels. Schon im Jahre 1703 konnte es vorkommen, daß eine Kauffahrrei¬
flotte von hundertdreißig Schiffen und in einem andern Falle eine Herings¬
flotte nur mit genauer Not den Franzosen entrannen, während die unge¬
nügenden Konvois nach tapferer Gegenwehr entweder sanken oder eine Beute
der Feinde wurden. Es ist in der That eine Wahrheit, die irgendwo anders
ausgesprochen worden ist, daß die Holländer ihr bestes Blut haben umsonst
ins'Meer fließen lasten.

Das ist eine schreckliche Wahrheit, und um so schrecklicher, als sie die
Folgen noch jeden Tag an ihrem Leibe fühlen, und sie aus dem Ver-
zweifluugsschrei der Bnrenfrauen und Bnrenkinder an ihre Ohren schallen
hören, ohne helfen zu können. Denn was nützen moralische Vorhaltungen
und Boykotts gegen englische Schiffe, was helfen Friedenskongresse, und was
hilft das Herz einer jungen edeln Königin, deren Augen von Thränen über¬
fließen, aber deren Hände ins Leere fassen? Was half Heknba all ihr Jammer
und ihre Not, als die Fehler ihrer Söhne nicht mehr gut gemacht werden


Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Schatten des Trompschcn Besens wagte man auf die englische Wand fallen
zu lassen. Im Jahre 1704 eroberte holländische Tapferkeit Gibraltar. Dem
aus der Schule de Nuyters stammenden Admiral Calleuberg, der die Stadt
zur Übergabe gezwungen hatte, wurde deshalb vom König Karl ein eigen¬
händiges Dankschreiben zu teil, das in den Ausdrücken wärmster Anerkennung
abgefaßt war. Auch erklärte die Königin Anna dem holländischen Gesandten
van Vrhbergen, daß die Erhaltung der „gemeinsamen Eroberung" ein Gegen¬
stand ihrer Unterhandlungen mit den Generalstaaten sein werde. Seitdem ist
diese wichtige Festung in den alleinigen Besitz Großbritanniens übergegangen;
in den Verhandlungen aber, die zum Utrechter Frieden führten, hört man auch
nicht von einem Worte des Protestes, das von einem holländischen Unter¬
händler ausgegangen wäre.

Freilich, was half die beredteste Erörterung der Gesandten, wenn man
nicht den Mut hatte, ihren Worten mit dem Donner der Kanonen Nachdruck
zu verleihen? Nicht einmal den Franzosen gegenüber war die Verbindung
mit England stark genug. Während dieses damals begann, seine Polhpenarme
um die ganze Welt zu legen, und in der Nahe und in der Ferne anch seinen
Verbündeten deu Atem zu verkümmern, waren die Holländer der Hauptsache
nach damit beschäftigt, den Franzosen blutige Schlachten zu Lande zu liefern.
Als ob das feste Land ihr Lebenselement und als ob es ihre Schicksals¬
bestimmung gewesen wäre, für die Engländer die Vorpostenstellung einzu¬
nehmen, ließen sie die Kraft ihrer reichen Mittel in die Aufstellung von Land¬
heeren fließen, verteidigten leblose steinerne Grcnzwälle gegen die Franzosen
und hatten keine Sorge, daß ihre lebendigen hölzernen Mauern ans dem Meere
verfielen.

Der Lebensstrom der Niederlande ging durch die Rheinmündungen und
die Zuidersec aufs Weltmeer hinaus; wo die Engländer draußen waren, da
mußten sie auch sein, um sich die Luftzugänge offen zu halten. Obgleich dies
eine Wahrheit war, deren Predigt auf deu Lippen der Unmündigen zum Sturm
aufrufen mußte, sorgte die Regierung kaum für den Schutz ihres notwendigsten
Handels. Schon im Jahre 1703 konnte es vorkommen, daß eine Kauffahrrei¬
flotte von hundertdreißig Schiffen und in einem andern Falle eine Herings¬
flotte nur mit genauer Not den Franzosen entrannen, während die unge¬
nügenden Konvois nach tapferer Gegenwehr entweder sanken oder eine Beute
der Feinde wurden. Es ist in der That eine Wahrheit, die irgendwo anders
ausgesprochen worden ist, daß die Holländer ihr bestes Blut haben umsonst
ins'Meer fließen lasten.

Das ist eine schreckliche Wahrheit, und um so schrecklicher, als sie die
Folgen noch jeden Tag an ihrem Leibe fühlen, und sie aus dem Ver-
zweifluugsschrei der Bnrenfrauen und Bnrenkinder an ihre Ohren schallen
hören, ohne helfen zu können. Denn was nützen moralische Vorhaltungen
und Boykotts gegen englische Schiffe, was helfen Friedenskongresse, und was
hilft das Herz einer jungen edeln Königin, deren Augen von Thränen über¬
fließen, aber deren Hände ins Leere fassen? Was half Heknba all ihr Jammer
und ihre Not, als die Fehler ihrer Söhne nicht mehr gut gemacht werden


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[0359] Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands Schatten des Trompschcn Besens wagte man auf die englische Wand fallen zu lassen. Im Jahre 1704 eroberte holländische Tapferkeit Gibraltar. Dem aus der Schule de Nuyters stammenden Admiral Calleuberg, der die Stadt zur Übergabe gezwungen hatte, wurde deshalb vom König Karl ein eigen¬ händiges Dankschreiben zu teil, das in den Ausdrücken wärmster Anerkennung abgefaßt war. Auch erklärte die Königin Anna dem holländischen Gesandten van Vrhbergen, daß die Erhaltung der „gemeinsamen Eroberung" ein Gegen¬ stand ihrer Unterhandlungen mit den Generalstaaten sein werde. Seitdem ist diese wichtige Festung in den alleinigen Besitz Großbritanniens übergegangen; in den Verhandlungen aber, die zum Utrechter Frieden führten, hört man auch nicht von einem Worte des Protestes, das von einem holländischen Unter¬ händler ausgegangen wäre. Freilich, was half die beredteste Erörterung der Gesandten, wenn man nicht den Mut hatte, ihren Worten mit dem Donner der Kanonen Nachdruck zu verleihen? Nicht einmal den Franzosen gegenüber war die Verbindung mit England stark genug. Während dieses damals begann, seine Polhpenarme um die ganze Welt zu legen, und in der Nahe und in der Ferne anch seinen Verbündeten deu Atem zu verkümmern, waren die Holländer der Hauptsache nach damit beschäftigt, den Franzosen blutige Schlachten zu Lande zu liefern. Als ob das feste Land ihr Lebenselement und als ob es ihre Schicksals¬ bestimmung gewesen wäre, für die Engländer die Vorpostenstellung einzu¬ nehmen, ließen sie die Kraft ihrer reichen Mittel in die Aufstellung von Land¬ heeren fließen, verteidigten leblose steinerne Grcnzwälle gegen die Franzosen und hatten keine Sorge, daß ihre lebendigen hölzernen Mauern ans dem Meere verfielen. Der Lebensstrom der Niederlande ging durch die Rheinmündungen und die Zuidersec aufs Weltmeer hinaus; wo die Engländer draußen waren, da mußten sie auch sein, um sich die Luftzugänge offen zu halten. Obgleich dies eine Wahrheit war, deren Predigt auf deu Lippen der Unmündigen zum Sturm aufrufen mußte, sorgte die Regierung kaum für den Schutz ihres notwendigsten Handels. Schon im Jahre 1703 konnte es vorkommen, daß eine Kauffahrrei¬ flotte von hundertdreißig Schiffen und in einem andern Falle eine Herings¬ flotte nur mit genauer Not den Franzosen entrannen, während die unge¬ nügenden Konvois nach tapferer Gegenwehr entweder sanken oder eine Beute der Feinde wurden. Es ist in der That eine Wahrheit, die irgendwo anders ausgesprochen worden ist, daß die Holländer ihr bestes Blut haben umsonst ins'Meer fließen lasten. Das ist eine schreckliche Wahrheit, und um so schrecklicher, als sie die Folgen noch jeden Tag an ihrem Leibe fühlen, und sie aus dem Ver- zweifluugsschrei der Bnrenfrauen und Bnrenkinder an ihre Ohren schallen hören, ohne helfen zu können. Denn was nützen moralische Vorhaltungen und Boykotts gegen englische Schiffe, was helfen Friedenskongresse, und was hilft das Herz einer jungen edeln Königin, deren Augen von Thränen über¬ fließen, aber deren Hände ins Leere fassen? Was half Heknba all ihr Jammer und ihre Not, als die Fehler ihrer Söhne nicht mehr gut gemacht werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/359>, abgerufen am 28.09.2024.