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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Front oder vor seiner Hinterhäuser Bürgerschaft gehaltein Hier war er aber doch
etwas in Zweifel, welchen Ton er anschlagen sollte, den militärischen oder den
zivilem, und wie er die Versammlung anreden sollte. "Genossen, Kameraden "
das ging nicht, ebensowenig "Freunde und Brüder." Sagen wir also "Leute."
Und der Ton? -- den Bergleuten da unten sah man es immer noch an, daß sie
beim Militär gestanden hatten. Wenden wir also eine militärisch-zivile Mischung
um, etwa den Ton des wohlwollenden Kompagniechefs bei nicht dienstlicher Ange¬
legenheit. Er begann also: Leute! (Unruhe. Rufe: Wir find Ihre Leute nicht.)
Ihr habt der großen Mehrzahl nach euers Königs Rock getragen. (Jawohl!)
Und ich glaube, daß ihr darum anständige Kerls seid. (Schwacher Beifall aus
dem Hintergründe.) Keine vaterlandslosen Gesellen, sondern Männer, die sich
erinnern, daß sie einst ihrem Könige den Fahneneid geschworen haben. (Unruhe
bei dem Chorus der Zielbewußten.) Diese Hohenzollernfahne weht heute noch.
Ein anständiger Kerl bricht sein Wort nicht, er beteiligt sich nicht daran, diese
Fahne herunter zu reißen. Ja, herunter zu reißen! Denn das wollen eure
Führer. Es ist ein verfluchter Unsinn, ein Verbrechen an der Weltgeschichte, jenen
stolzen Ban, den unsre Könige errichtet, unsre Väter ersehnt, unsre Brüder mit
ihrem Blute besiegelt haben, in Schutt und Trümmer zu legen, um darauf den
Herren Singer, Bebel und Aaron Lehnstühle zu errichten. (Große Unruhe, leiden¬
schaftlicher Widerspruch. Rufe: Unverschämtheit! Rumler mit dem Kerle!) Ja,
das wollen eure Führer. Leute, ich will euch sagen, was die sozialdemokratische
Partei ist: eine große Lotteriekollektion. (Gelächter.) Die Inhaber des Geschäfts
sind eure Führer, die von dem Geschäfte leben und euch anhalten, fleißig ein¬
zuzahlen. Aber ein Gewinn ist noch nie herausgekommen und wird nie heraus¬
kommen. Ja, wird nie herauskommen! (Der Chorus geriet in Pnroxysmus,
ballte die Fäuste und brüllte. Ju die ganze Versammlung kam eine Bewegung,
wie die einer unruhigen Wasserfläche.) Ihr gleicht den Leuten, die die Wirtschaft
aus dem Fenster werfen, ehe sie das große Los gewonnen haben. Rechnet doch
einmal zusammen, was euch die Partei an Beiträgen, Tcllersmnmlungen, Streik-
gelderu und Abonnements kostet. Dagegen sind die Staatsstenern eine Lumperei.
(Brüllender Widerspruch.) Wenn ihr das alles spartet, wäret ihr kluge Leute,
aber wer spart, wird ein Lump genannt. (Sehr richtig.) Und geschieht denn für
den Arbeiter nichts? Ihr habt freie Schule. Denn was ihr dazu an Steuern
zahlt, kommt nicht in Betracht. (Schallendes Hohngelächter.) Ihr habt die Alters¬
und Invalidenrente, ihr habt das Unfallgesetz, Gesetze, die die besitzenden Klassen
schwer belasten. (Heftiger Widerspruch.) Wo ist die Verelendung des Volkes? (Tumult.)

Weiter kam Onkel Alfons nicht. Der Chorus der Zielbewußten wütete und
ließ den Redner nicht wieder zum Worte gelangen. Und der Vorsitzende sah mit
lächelnder Geringschätzung zu. Onkel Alfons mußte abziehn, und er that es mit
verächtlichem Achselzucken. Darauf strich der Vorsitzende seinen roten Bart hoch,
legte sein Gesicht in seine niederträchtigsten Falten und sagte mit einer Stimme,
deren verhaltne Leidenschaft um so mehr wirkte, als ihr Ton eisig kalt war:
Genossen, wenn sich ein Spion aus dem feindlichen Heere ins Lager schleicht,
um die Soldaten gegen ihre Führer zu verhetzen, so schießt man den Kerl tot.
Das muß der Herr wissen, ders bis zur Majorsecke gebracht hat. Wenn wir
den Bürgermeister von Mottenburg in Hinterpommern laufen lassen, ohne ihm
etwas zu thun, so beweisen wir damit, daß wir wirklich die anständigen Kerls
sind, als die er uns bezeichnet hat. (Großer Beifall.) Wir sind nicht "vaterlands¬
lose Gesellen." Wir lieben Haus und Herd und Heimat. Aber unser Herd soll
"icht ein Herd für die Schwindsucht sein. (Jubclude Zustimmung.) Unsre Heimat
soll nicht in den Händen der Kornjunker und Zollbanditen liegen, die uns mit ehren
Kornwncher das tägliche Brot wegnehmen. Wir habe" kein Vertrauen zum kapi¬
talistischen Staate. Der Teufel hole die Geduld. (Großer Jubel.) Unser Recht,
das man uns verweigert, das nehmen wir uns. (Großer Beifall. Der Chorus


Doktor Duttmüller und sein Freund

Front oder vor seiner Hinterhäuser Bürgerschaft gehaltein Hier war er aber doch
etwas in Zweifel, welchen Ton er anschlagen sollte, den militärischen oder den
zivilem, und wie er die Versammlung anreden sollte. „Genossen, Kameraden "
das ging nicht, ebensowenig „Freunde und Brüder." Sagen wir also „Leute."
Und der Ton? — den Bergleuten da unten sah man es immer noch an, daß sie
beim Militär gestanden hatten. Wenden wir also eine militärisch-zivile Mischung
um, etwa den Ton des wohlwollenden Kompagniechefs bei nicht dienstlicher Ange¬
legenheit. Er begann also: Leute! (Unruhe. Rufe: Wir find Ihre Leute nicht.)
Ihr habt der großen Mehrzahl nach euers Königs Rock getragen. (Jawohl!)
Und ich glaube, daß ihr darum anständige Kerls seid. (Schwacher Beifall aus
dem Hintergründe.) Keine vaterlandslosen Gesellen, sondern Männer, die sich
erinnern, daß sie einst ihrem Könige den Fahneneid geschworen haben. (Unruhe
bei dem Chorus der Zielbewußten.) Diese Hohenzollernfahne weht heute noch.
Ein anständiger Kerl bricht sein Wort nicht, er beteiligt sich nicht daran, diese
Fahne herunter zu reißen. Ja, herunter zu reißen! Denn das wollen eure
Führer. Es ist ein verfluchter Unsinn, ein Verbrechen an der Weltgeschichte, jenen
stolzen Ban, den unsre Könige errichtet, unsre Väter ersehnt, unsre Brüder mit
ihrem Blute besiegelt haben, in Schutt und Trümmer zu legen, um darauf den
Herren Singer, Bebel und Aaron Lehnstühle zu errichten. (Große Unruhe, leiden¬
schaftlicher Widerspruch. Rufe: Unverschämtheit! Rumler mit dem Kerle!) Ja,
das wollen eure Führer. Leute, ich will euch sagen, was die sozialdemokratische
Partei ist: eine große Lotteriekollektion. (Gelächter.) Die Inhaber des Geschäfts
sind eure Führer, die von dem Geschäfte leben und euch anhalten, fleißig ein¬
zuzahlen. Aber ein Gewinn ist noch nie herausgekommen und wird nie heraus¬
kommen. Ja, wird nie herauskommen! (Der Chorus geriet in Pnroxysmus,
ballte die Fäuste und brüllte. Ju die ganze Versammlung kam eine Bewegung,
wie die einer unruhigen Wasserfläche.) Ihr gleicht den Leuten, die die Wirtschaft
aus dem Fenster werfen, ehe sie das große Los gewonnen haben. Rechnet doch
einmal zusammen, was euch die Partei an Beiträgen, Tcllersmnmlungen, Streik-
gelderu und Abonnements kostet. Dagegen sind die Staatsstenern eine Lumperei.
(Brüllender Widerspruch.) Wenn ihr das alles spartet, wäret ihr kluge Leute,
aber wer spart, wird ein Lump genannt. (Sehr richtig.) Und geschieht denn für
den Arbeiter nichts? Ihr habt freie Schule. Denn was ihr dazu an Steuern
zahlt, kommt nicht in Betracht. (Schallendes Hohngelächter.) Ihr habt die Alters¬
und Invalidenrente, ihr habt das Unfallgesetz, Gesetze, die die besitzenden Klassen
schwer belasten. (Heftiger Widerspruch.) Wo ist die Verelendung des Volkes? (Tumult.)

Weiter kam Onkel Alfons nicht. Der Chorus der Zielbewußten wütete und
ließ den Redner nicht wieder zum Worte gelangen. Und der Vorsitzende sah mit
lächelnder Geringschätzung zu. Onkel Alfons mußte abziehn, und er that es mit
verächtlichem Achselzucken. Darauf strich der Vorsitzende seinen roten Bart hoch,
legte sein Gesicht in seine niederträchtigsten Falten und sagte mit einer Stimme,
deren verhaltne Leidenschaft um so mehr wirkte, als ihr Ton eisig kalt war:
Genossen, wenn sich ein Spion aus dem feindlichen Heere ins Lager schleicht,
um die Soldaten gegen ihre Führer zu verhetzen, so schießt man den Kerl tot.
Das muß der Herr wissen, ders bis zur Majorsecke gebracht hat. Wenn wir
den Bürgermeister von Mottenburg in Hinterpommern laufen lassen, ohne ihm
etwas zu thun, so beweisen wir damit, daß wir wirklich die anständigen Kerls
sind, als die er uns bezeichnet hat. (Großer Beifall.) Wir sind nicht „vaterlands¬
lose Gesellen." Wir lieben Haus und Herd und Heimat. Aber unser Herd soll
»icht ein Herd für die Schwindsucht sein. (Jubclude Zustimmung.) Unsre Heimat
soll nicht in den Händen der Kornjunker und Zollbanditen liegen, die uns mit ehren
Kornwncher das tägliche Brot wegnehmen. Wir habe» kein Vertrauen zum kapi¬
talistischen Staate. Der Teufel hole die Geduld. (Großer Jubel.) Unser Recht,
das man uns verweigert, das nehmen wir uns. (Großer Beifall. Der Chorus


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[0343] Doktor Duttmüller und sein Freund Front oder vor seiner Hinterhäuser Bürgerschaft gehaltein Hier war er aber doch etwas in Zweifel, welchen Ton er anschlagen sollte, den militärischen oder den zivilem, und wie er die Versammlung anreden sollte. „Genossen, Kameraden " das ging nicht, ebensowenig „Freunde und Brüder." Sagen wir also „Leute." Und der Ton? — den Bergleuten da unten sah man es immer noch an, daß sie beim Militär gestanden hatten. Wenden wir also eine militärisch-zivile Mischung um, etwa den Ton des wohlwollenden Kompagniechefs bei nicht dienstlicher Ange¬ legenheit. Er begann also: Leute! (Unruhe. Rufe: Wir find Ihre Leute nicht.) Ihr habt der großen Mehrzahl nach euers Königs Rock getragen. (Jawohl!) Und ich glaube, daß ihr darum anständige Kerls seid. (Schwacher Beifall aus dem Hintergründe.) Keine vaterlandslosen Gesellen, sondern Männer, die sich erinnern, daß sie einst ihrem Könige den Fahneneid geschworen haben. (Unruhe bei dem Chorus der Zielbewußten.) Diese Hohenzollernfahne weht heute noch. Ein anständiger Kerl bricht sein Wort nicht, er beteiligt sich nicht daran, diese Fahne herunter zu reißen. Ja, herunter zu reißen! Denn das wollen eure Führer. Es ist ein verfluchter Unsinn, ein Verbrechen an der Weltgeschichte, jenen stolzen Ban, den unsre Könige errichtet, unsre Väter ersehnt, unsre Brüder mit ihrem Blute besiegelt haben, in Schutt und Trümmer zu legen, um darauf den Herren Singer, Bebel und Aaron Lehnstühle zu errichten. (Große Unruhe, leiden¬ schaftlicher Widerspruch. Rufe: Unverschämtheit! Rumler mit dem Kerle!) Ja, das wollen eure Führer. Leute, ich will euch sagen, was die sozialdemokratische Partei ist: eine große Lotteriekollektion. (Gelächter.) Die Inhaber des Geschäfts sind eure Führer, die von dem Geschäfte leben und euch anhalten, fleißig ein¬ zuzahlen. Aber ein Gewinn ist noch nie herausgekommen und wird nie heraus¬ kommen. Ja, wird nie herauskommen! (Der Chorus geriet in Pnroxysmus, ballte die Fäuste und brüllte. Ju die ganze Versammlung kam eine Bewegung, wie die einer unruhigen Wasserfläche.) Ihr gleicht den Leuten, die die Wirtschaft aus dem Fenster werfen, ehe sie das große Los gewonnen haben. Rechnet doch einmal zusammen, was euch die Partei an Beiträgen, Tcllersmnmlungen, Streik- gelderu und Abonnements kostet. Dagegen sind die Staatsstenern eine Lumperei. (Brüllender Widerspruch.) Wenn ihr das alles spartet, wäret ihr kluge Leute, aber wer spart, wird ein Lump genannt. (Sehr richtig.) Und geschieht denn für den Arbeiter nichts? Ihr habt freie Schule. Denn was ihr dazu an Steuern zahlt, kommt nicht in Betracht. (Schallendes Hohngelächter.) Ihr habt die Alters¬ und Invalidenrente, ihr habt das Unfallgesetz, Gesetze, die die besitzenden Klassen schwer belasten. (Heftiger Widerspruch.) Wo ist die Verelendung des Volkes? (Tumult.) Weiter kam Onkel Alfons nicht. Der Chorus der Zielbewußten wütete und ließ den Redner nicht wieder zum Worte gelangen. Und der Vorsitzende sah mit lächelnder Geringschätzung zu. Onkel Alfons mußte abziehn, und er that es mit verächtlichem Achselzucken. Darauf strich der Vorsitzende seinen roten Bart hoch, legte sein Gesicht in seine niederträchtigsten Falten und sagte mit einer Stimme, deren verhaltne Leidenschaft um so mehr wirkte, als ihr Ton eisig kalt war: Genossen, wenn sich ein Spion aus dem feindlichen Heere ins Lager schleicht, um die Soldaten gegen ihre Führer zu verhetzen, so schießt man den Kerl tot. Das muß der Herr wissen, ders bis zur Majorsecke gebracht hat. Wenn wir den Bürgermeister von Mottenburg in Hinterpommern laufen lassen, ohne ihm etwas zu thun, so beweisen wir damit, daß wir wirklich die anständigen Kerls sind, als die er uns bezeichnet hat. (Großer Beifall.) Wir sind nicht „vaterlands¬ lose Gesellen." Wir lieben Haus und Herd und Heimat. Aber unser Herd soll »icht ein Herd für die Schwindsucht sein. (Jubclude Zustimmung.) Unsre Heimat soll nicht in den Händen der Kornjunker und Zollbanditen liegen, die uns mit ehren Kornwncher das tägliche Brot wegnehmen. Wir habe» kein Vertrauen zum kapi¬ talistischen Staate. Der Teufel hole die Geduld. (Großer Jubel.) Unser Recht, das man uns verweigert, das nehmen wir uns. (Großer Beifall. Der Chorus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/343>, abgerufen am 01.07.2024.