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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Eigentum, grüßte reich rechts und links und wies seine Schreibtataren an. Natür¬
lich waren es unabweisbare Pflichten gewesen, die die Herren ferngehalten hatten.
Pflichten gegen sich selbst, schrieb das Braunfelser Kreisblatt am andern Tage
und behauptete, aus bester Quelle, nämlich aus dem Munde des Oberkellners
des Goldner Ringes, wo Herr Doktor Limburg abgestiegen war, zu wissen, daß
die Herren sich dort festgekneipt gehabt hätten. Der "Volksherold" verfehlte nicht,
darauf zu antworten, daß es das Braunfelser Tintenkuliorgan wieder einmal nicht
habe unterlassen können, sich unsterblich zu blamieren, indem es sich von Ober¬
kellnern habe Märchen aufbinden lassen. Wenn die sozialistische Presse geheime
Vorgänge bei den Regierungen aufgedeckt habe, so habe sie dazu noch niemals mit
Kellnern Freundschaft geschlossen. Mau gratuliere zu der Seelenverwandtschaft des
Tintenkulivrgans mit klatschenden Oberkellnern usw. Das Tintenkuliorgan hatte
den Herren wirklich Unrecht gethan. Man hatte mit seinem Erscheinen gezögert,
nicht, weil man sich festgekneipt hatte, sondern weil dies zum festen Bestand ihrer
Versammlungstechnik gehörte. Man ließ die Arbeiter warten, damit sie durch Bier,
Tabak, Ungeduld und Gedränge in die rechte Stimmung kommen möchten.

Nachdem die Herren also eingetroffen waren, schritt man zur Bildung des
Bureaus. Die Liste der Herren, die das Bureau bilden sollten, und die schon an
den Tischen Platz genommen hatten, wurde vorgelesen und mit brüllender Zu¬
stimmung angenommen. Die Sache der Arbeiter war also in den Händen eines
Berufspolitikers, eines Zeitungsverlegers, eines Bierwirth, eines Zignrrenhändlers
und einiger Agitatoren und damit in den besten Händen. Nach einem Hoch auf
die Parteigrößen begann der einleitende Vortrag. Dieser wurde von dem schon
erwähnten jungen Manne mit dem dürftigen Bart und borstigen Haarbusche ge¬
halten.

Der Redner sagte, was auf hundert Versammlungen schon gesagt und in
hundert Leitartikeln und Flugschriften schon gedruckt worden war, wie die Nachtigall,
die wiederkehrend nichts neues gelernt hat, sondern die alten lieben Lieder singt.
Und die Versammlung hörte andächtig zu; gerade darum, weil es die alten lieben
Lieder waren. Gleich Kindern, die es am liebsten haben, wenn die alten Märchen
ganz genau mit den alten Worten erzählt werden, und die sich schon im voraus
auf den goldnen Schatz im Zauberberg freuen, der zum Schluß gehoben wird.

Das Ange des Gesetzes wachte und wurde während der Rede immer größer.
Da kam eine besonders gepfefferte Wendung. Der Mann des Gesetzes erhob sich.
Er war im Begriff, die Versammlung aufzulösen, aber man fiel ihm in die Arme
und wies nach, daß ganz genan dasselbe, was der junge Mann gesagt hatte, schon
wiederholt unbeanstandet gesagt und gedruckt worden sei. So mußte er sich wieder
setzen, und der Redner fuhr fort, während die Schreibtataren des Herrn Redakteur
Lautsch die Köpfe auf ihre Papiere hängen ließen. Der Redner redete sich all¬
mählich in Wut, wurde erst rot und dann blau im Gesicht, bearbeitete die Tisch¬
platte vor sich mit der Faust und schloß: Nieder mit der Ausbeutung der Arbeit,
nieder mit den Zwingburgen wirtschaftlicher und politischer Macht, den Kasernen
und Gefängnissen, nieder mit den verruchten Fabrikdespotcn, deren Freude es ist,
über Sklaven die Peitsche zu schwingen, nieder mit den Versuchen der Reaktion,
euch eure Koalitionsfreiheit zu nehmen, nieder rin dem Militarismus, nieder mit
den Brotwucherern, nieder mit der kapitalistischen Korruption, nieder mit der de¬
generierten herrschenden Klasse, nieder mit der verbrecherischen Politik der Volks¬
bedrücker.

Als er dies alles "nieder" hatte, setzte er sich selbst nieder, wischte sich mit
dem Handrücken die Stirn und stürzte ein Glas Bier hinunter. Ein dumpfes
Bravo ans der Versammlung folgte seiner Rede. Sonst kümmerte man sich nicht
um deu Redner. Man behandelte ihn etwa so, wie wenn er ein Nedekuli gewesen
wäre. Jedenfalls war er noch nicht in die höhern Grade aufgerückt, er gehörte
noch nicht zu den Parteigrößen, die ihre feste Stellung errungen hatten, er wollte


Doktor Duttmüller und sein Freund

Eigentum, grüßte reich rechts und links und wies seine Schreibtataren an. Natür¬
lich waren es unabweisbare Pflichten gewesen, die die Herren ferngehalten hatten.
Pflichten gegen sich selbst, schrieb das Braunfelser Kreisblatt am andern Tage
und behauptete, aus bester Quelle, nämlich aus dem Munde des Oberkellners
des Goldner Ringes, wo Herr Doktor Limburg abgestiegen war, zu wissen, daß
die Herren sich dort festgekneipt gehabt hätten. Der „Volksherold" verfehlte nicht,
darauf zu antworten, daß es das Braunfelser Tintenkuliorgan wieder einmal nicht
habe unterlassen können, sich unsterblich zu blamieren, indem es sich von Ober¬
kellnern habe Märchen aufbinden lassen. Wenn die sozialistische Presse geheime
Vorgänge bei den Regierungen aufgedeckt habe, so habe sie dazu noch niemals mit
Kellnern Freundschaft geschlossen. Mau gratuliere zu der Seelenverwandtschaft des
Tintenkulivrgans mit klatschenden Oberkellnern usw. Das Tintenkuliorgan hatte
den Herren wirklich Unrecht gethan. Man hatte mit seinem Erscheinen gezögert,
nicht, weil man sich festgekneipt hatte, sondern weil dies zum festen Bestand ihrer
Versammlungstechnik gehörte. Man ließ die Arbeiter warten, damit sie durch Bier,
Tabak, Ungeduld und Gedränge in die rechte Stimmung kommen möchten.

Nachdem die Herren also eingetroffen waren, schritt man zur Bildung des
Bureaus. Die Liste der Herren, die das Bureau bilden sollten, und die schon an
den Tischen Platz genommen hatten, wurde vorgelesen und mit brüllender Zu¬
stimmung angenommen. Die Sache der Arbeiter war also in den Händen eines
Berufspolitikers, eines Zeitungsverlegers, eines Bierwirth, eines Zignrrenhändlers
und einiger Agitatoren und damit in den besten Händen. Nach einem Hoch auf
die Parteigrößen begann der einleitende Vortrag. Dieser wurde von dem schon
erwähnten jungen Manne mit dem dürftigen Bart und borstigen Haarbusche ge¬
halten.

Der Redner sagte, was auf hundert Versammlungen schon gesagt und in
hundert Leitartikeln und Flugschriften schon gedruckt worden war, wie die Nachtigall,
die wiederkehrend nichts neues gelernt hat, sondern die alten lieben Lieder singt.
Und die Versammlung hörte andächtig zu; gerade darum, weil es die alten lieben
Lieder waren. Gleich Kindern, die es am liebsten haben, wenn die alten Märchen
ganz genau mit den alten Worten erzählt werden, und die sich schon im voraus
auf den goldnen Schatz im Zauberberg freuen, der zum Schluß gehoben wird.

Das Ange des Gesetzes wachte und wurde während der Rede immer größer.
Da kam eine besonders gepfefferte Wendung. Der Mann des Gesetzes erhob sich.
Er war im Begriff, die Versammlung aufzulösen, aber man fiel ihm in die Arme
und wies nach, daß ganz genan dasselbe, was der junge Mann gesagt hatte, schon
wiederholt unbeanstandet gesagt und gedruckt worden sei. So mußte er sich wieder
setzen, und der Redner fuhr fort, während die Schreibtataren des Herrn Redakteur
Lautsch die Köpfe auf ihre Papiere hängen ließen. Der Redner redete sich all¬
mählich in Wut, wurde erst rot und dann blau im Gesicht, bearbeitete die Tisch¬
platte vor sich mit der Faust und schloß: Nieder mit der Ausbeutung der Arbeit,
nieder mit den Zwingburgen wirtschaftlicher und politischer Macht, den Kasernen
und Gefängnissen, nieder mit den verruchten Fabrikdespotcn, deren Freude es ist,
über Sklaven die Peitsche zu schwingen, nieder mit den Versuchen der Reaktion,
euch eure Koalitionsfreiheit zu nehmen, nieder rin dem Militarismus, nieder mit
den Brotwucherern, nieder mit der kapitalistischen Korruption, nieder mit der de¬
generierten herrschenden Klasse, nieder mit der verbrecherischen Politik der Volks¬
bedrücker.

Als er dies alles „nieder" hatte, setzte er sich selbst nieder, wischte sich mit
dem Handrücken die Stirn und stürzte ein Glas Bier hinunter. Ein dumpfes
Bravo ans der Versammlung folgte seiner Rede. Sonst kümmerte man sich nicht
um deu Redner. Man behandelte ihn etwa so, wie wenn er ein Nedekuli gewesen
wäre. Jedenfalls war er noch nicht in die höhern Grade aufgerückt, er gehörte
noch nicht zu den Parteigrößen, die ihre feste Stellung errungen hatten, er wollte


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[0340] Doktor Duttmüller und sein Freund Eigentum, grüßte reich rechts und links und wies seine Schreibtataren an. Natür¬ lich waren es unabweisbare Pflichten gewesen, die die Herren ferngehalten hatten. Pflichten gegen sich selbst, schrieb das Braunfelser Kreisblatt am andern Tage und behauptete, aus bester Quelle, nämlich aus dem Munde des Oberkellners des Goldner Ringes, wo Herr Doktor Limburg abgestiegen war, zu wissen, daß die Herren sich dort festgekneipt gehabt hätten. Der „Volksherold" verfehlte nicht, darauf zu antworten, daß es das Braunfelser Tintenkuliorgan wieder einmal nicht habe unterlassen können, sich unsterblich zu blamieren, indem es sich von Ober¬ kellnern habe Märchen aufbinden lassen. Wenn die sozialistische Presse geheime Vorgänge bei den Regierungen aufgedeckt habe, so habe sie dazu noch niemals mit Kellnern Freundschaft geschlossen. Mau gratuliere zu der Seelenverwandtschaft des Tintenkulivrgans mit klatschenden Oberkellnern usw. Das Tintenkuliorgan hatte den Herren wirklich Unrecht gethan. Man hatte mit seinem Erscheinen gezögert, nicht, weil man sich festgekneipt hatte, sondern weil dies zum festen Bestand ihrer Versammlungstechnik gehörte. Man ließ die Arbeiter warten, damit sie durch Bier, Tabak, Ungeduld und Gedränge in die rechte Stimmung kommen möchten. Nachdem die Herren also eingetroffen waren, schritt man zur Bildung des Bureaus. Die Liste der Herren, die das Bureau bilden sollten, und die schon an den Tischen Platz genommen hatten, wurde vorgelesen und mit brüllender Zu¬ stimmung angenommen. Die Sache der Arbeiter war also in den Händen eines Berufspolitikers, eines Zeitungsverlegers, eines Bierwirth, eines Zignrrenhändlers und einiger Agitatoren und damit in den besten Händen. Nach einem Hoch auf die Parteigrößen begann der einleitende Vortrag. Dieser wurde von dem schon erwähnten jungen Manne mit dem dürftigen Bart und borstigen Haarbusche ge¬ halten. Der Redner sagte, was auf hundert Versammlungen schon gesagt und in hundert Leitartikeln und Flugschriften schon gedruckt worden war, wie die Nachtigall, die wiederkehrend nichts neues gelernt hat, sondern die alten lieben Lieder singt. Und die Versammlung hörte andächtig zu; gerade darum, weil es die alten lieben Lieder waren. Gleich Kindern, die es am liebsten haben, wenn die alten Märchen ganz genau mit den alten Worten erzählt werden, und die sich schon im voraus auf den goldnen Schatz im Zauberberg freuen, der zum Schluß gehoben wird. Das Ange des Gesetzes wachte und wurde während der Rede immer größer. Da kam eine besonders gepfefferte Wendung. Der Mann des Gesetzes erhob sich. Er war im Begriff, die Versammlung aufzulösen, aber man fiel ihm in die Arme und wies nach, daß ganz genan dasselbe, was der junge Mann gesagt hatte, schon wiederholt unbeanstandet gesagt und gedruckt worden sei. So mußte er sich wieder setzen, und der Redner fuhr fort, während die Schreibtataren des Herrn Redakteur Lautsch die Köpfe auf ihre Papiere hängen ließen. Der Redner redete sich all¬ mählich in Wut, wurde erst rot und dann blau im Gesicht, bearbeitete die Tisch¬ platte vor sich mit der Faust und schloß: Nieder mit der Ausbeutung der Arbeit, nieder mit den Zwingburgen wirtschaftlicher und politischer Macht, den Kasernen und Gefängnissen, nieder mit den verruchten Fabrikdespotcn, deren Freude es ist, über Sklaven die Peitsche zu schwingen, nieder mit den Versuchen der Reaktion, euch eure Koalitionsfreiheit zu nehmen, nieder rin dem Militarismus, nieder mit den Brotwucherern, nieder mit der kapitalistischen Korruption, nieder mit der de¬ generierten herrschenden Klasse, nieder mit der verbrecherischen Politik der Volks¬ bedrücker. Als er dies alles „nieder" hatte, setzte er sich selbst nieder, wischte sich mit dem Handrücken die Stirn und stürzte ein Glas Bier hinunter. Ein dumpfes Bravo ans der Versammlung folgte seiner Rede. Sonst kümmerte man sich nicht um deu Redner. Man behandelte ihn etwa so, wie wenn er ein Nedekuli gewesen wäre. Jedenfalls war er noch nicht in die höhern Grade aufgerückt, er gehörte noch nicht zu den Parteigrößen, die ihre feste Stellung errungen hatten, er wollte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/340>, abgerufen am 01.07.2024.