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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Duttmüller und sein Freund

Denn er hatte es doch nicht bloß mit den Herren Sozialen zu thun und durfte
es mit seinen übrigen Kunden nicht verderben. Und so nagelten die sozialistischen
Festordner ihre Sprüche und Embleme, die sie aus Braunsels mitgebracht hatten,
dazwischen. Man konnte also lesen: Seid willkommen, Sangesbrüder -- und
darunter: Religion ist Privatsache; Proletarier aller Länder, vereinigt euch -- und
daneben: Trinkt aus, schenkt ein, es lebe das Bier und der Wein; oder: Hoch lebe
die politisch organisierte Arbeiterschaft -- und daneben ein Bild, das einen Arbeiter
an der Pumpe darstellt mit der Unterschrift: Gepumpt wird nicht. Dasselbe Podium,
das bestimmt war, das Theater für die patriotischen Aufführungen zu tragen, wurde
nun die Unterlage für den Vorstandstisch, an dem die Größen der roten Umsturz-
Partei Platz nehmen sollten. Vor dem Podium war auf einem verhängten Tisch
eine Gipsbüste aufgestellt. Wer ist denn das? fragte Happich die Festordner. --
Das ist Lassalle, antwortete man. Damit wußte Happich nun zwar nicht mehr als
vorher, aber er konnte aus der tiefen Verehrung, die diesem Bildnis erwiesen wurde,
schließen, daß es sich um einen Heiligen oder Märtyrer der Parteireligion handle.
Hinter der Büste waren ein paar deutsche Fahnen aufgestellt und so geordnet, daß
man nur die roten Streifen sehen konnte.

Man hatte für diesesmal etwas ganz besondres vorbereitet. Kein geringerer
c>is der Rechtsanwalt Dr. Limburg, ein berühmter Agitator, hatte es übernommen,
den Vorsitz zu führen. Sein Stab kam in einem großen Omnibus schou gegen
Abend aus Braunfels an und nahm von dein Podium Besitz. Die dort auf¬
gestellten Tische wurden mit einer Fülle von Papieren bedeckt/ was sehr gelehrt
aussah. Die Arbeiter vom Werke, die gerade keinen Dienst hatten, aber auch solche,
die von der Arbeit weggegangen waren, kamen in hellen Haufen an. Dazu fanden
sich Knechte und kleine Leute aus dem Dorfe. Viele von ihnen bewiesen darum einen so
großen Eifer, weil sie das vorige mal gestört worden waren. Bald war der Saal
bis auf den letzten Platz gefüllt, der Vorstand saß am Tische, der Redner des
Abends, ein junger Mensch mit einem großen, borstigen Haarschopf, einem dürftigen
Bart und einem blassen Geficht, besah sich angelegentlich die Decke des Saals, und
im Hintergrund hatte die staatliche Ordnung in Gestalt eines Gendarmerie-
Wachtmeisters Platz genommen, wurde aber von den Herren am Tisch als Luft
augesehen.

Man wartete mehr als eine Stunde. Die Verhandlungen konnten immer
noch nicht beginnen, weil die Meister der Partei, der Herr Rechtsanwalt und sein
Adjutant, der Redakteur des Brnunfelser "Volksherolds," Lautsch, "och nicht erschienen
waren. Die Versammelten standen dicht gedrängt. Die in der Mitte des Saales
stehenden ertrugen Durst und Ungemach zu Ehren der Partei und in der Hoffnung
auf eine einstige gründliche Entschädigung. Die sich im Hintergrund des Saals auf¬
gestellt hatten, protestierten gegen die kapitalistische Weltordnung, indem sie unter
Aufopferung ihres eignen Kapitals foviel Bier vertilgten, als aus Happichs Faß
fließen wollte. Happich und sein künftiger Schwiegersohn arbeiteten mit Hochdruck,
und Dörcher hatte genug zu thun, Geld einzunehmen und die Arbeiter, die den
Schanktisch umstanden, anzuschreien.

Die Arbeitermassen, die sich versammelt hatten, waren keine Neulinge in der
sozialdemokratischen Welt. Sie alle hatten hier oder dort schon losere oder engere
Beziehungen zur Partei gehabt. Es fehlte aber uoch die Zusammenfassung, die
Organisation, das Aktionsobjekt. Das sollte nun gegeben werden, und die "politisch
reife" Arbeiterschaft war bereit, es sich geben zu küssen.

Endlich erschienen die Erwarteten. Sie drängten sich nicht etwa durch den
"frei zu haltenden" Mittelgang nach dem Podium durch, vielmehr tauchten sie wie
Theatergötter aus deu Kulissen auf, was mehr Eindruck macht, und nahmen Platz.
Der Rechtsanwalt setzte seinen goldnen Kneifer auf und ließ die Blicke mit gleich-
giltiger Miene über die Versammlung schweifen. Der Herr Redakteur, als Ge¬
schäftsmann, denn der "Volksherold" war nicht ein Parteiunternehmen, sondern sein


Doktor Duttmüller und sein Freund

Denn er hatte es doch nicht bloß mit den Herren Sozialen zu thun und durfte
es mit seinen übrigen Kunden nicht verderben. Und so nagelten die sozialistischen
Festordner ihre Sprüche und Embleme, die sie aus Braunsels mitgebracht hatten,
dazwischen. Man konnte also lesen: Seid willkommen, Sangesbrüder — und
darunter: Religion ist Privatsache; Proletarier aller Länder, vereinigt euch — und
daneben: Trinkt aus, schenkt ein, es lebe das Bier und der Wein; oder: Hoch lebe
die politisch organisierte Arbeiterschaft — und daneben ein Bild, das einen Arbeiter
an der Pumpe darstellt mit der Unterschrift: Gepumpt wird nicht. Dasselbe Podium,
das bestimmt war, das Theater für die patriotischen Aufführungen zu tragen, wurde
nun die Unterlage für den Vorstandstisch, an dem die Größen der roten Umsturz-
Partei Platz nehmen sollten. Vor dem Podium war auf einem verhängten Tisch
eine Gipsbüste aufgestellt. Wer ist denn das? fragte Happich die Festordner. —
Das ist Lassalle, antwortete man. Damit wußte Happich nun zwar nicht mehr als
vorher, aber er konnte aus der tiefen Verehrung, die diesem Bildnis erwiesen wurde,
schließen, daß es sich um einen Heiligen oder Märtyrer der Parteireligion handle.
Hinter der Büste waren ein paar deutsche Fahnen aufgestellt und so geordnet, daß
man nur die roten Streifen sehen konnte.

Man hatte für diesesmal etwas ganz besondres vorbereitet. Kein geringerer
c>is der Rechtsanwalt Dr. Limburg, ein berühmter Agitator, hatte es übernommen,
den Vorsitz zu führen. Sein Stab kam in einem großen Omnibus schou gegen
Abend aus Braunfels an und nahm von dein Podium Besitz. Die dort auf¬
gestellten Tische wurden mit einer Fülle von Papieren bedeckt/ was sehr gelehrt
aussah. Die Arbeiter vom Werke, die gerade keinen Dienst hatten, aber auch solche,
die von der Arbeit weggegangen waren, kamen in hellen Haufen an. Dazu fanden
sich Knechte und kleine Leute aus dem Dorfe. Viele von ihnen bewiesen darum einen so
großen Eifer, weil sie das vorige mal gestört worden waren. Bald war der Saal
bis auf den letzten Platz gefüllt, der Vorstand saß am Tische, der Redner des
Abends, ein junger Mensch mit einem großen, borstigen Haarschopf, einem dürftigen
Bart und einem blassen Geficht, besah sich angelegentlich die Decke des Saals, und
im Hintergrund hatte die staatliche Ordnung in Gestalt eines Gendarmerie-
Wachtmeisters Platz genommen, wurde aber von den Herren am Tisch als Luft
augesehen.

Man wartete mehr als eine Stunde. Die Verhandlungen konnten immer
noch nicht beginnen, weil die Meister der Partei, der Herr Rechtsanwalt und sein
Adjutant, der Redakteur des Brnunfelser „Volksherolds," Lautsch, »och nicht erschienen
waren. Die Versammelten standen dicht gedrängt. Die in der Mitte des Saales
stehenden ertrugen Durst und Ungemach zu Ehren der Partei und in der Hoffnung
auf eine einstige gründliche Entschädigung. Die sich im Hintergrund des Saals auf¬
gestellt hatten, protestierten gegen die kapitalistische Weltordnung, indem sie unter
Aufopferung ihres eignen Kapitals foviel Bier vertilgten, als aus Happichs Faß
fließen wollte. Happich und sein künftiger Schwiegersohn arbeiteten mit Hochdruck,
und Dörcher hatte genug zu thun, Geld einzunehmen und die Arbeiter, die den
Schanktisch umstanden, anzuschreien.

Die Arbeitermassen, die sich versammelt hatten, waren keine Neulinge in der
sozialdemokratischen Welt. Sie alle hatten hier oder dort schon losere oder engere
Beziehungen zur Partei gehabt. Es fehlte aber uoch die Zusammenfassung, die
Organisation, das Aktionsobjekt. Das sollte nun gegeben werden, und die „politisch
reife" Arbeiterschaft war bereit, es sich geben zu küssen.

Endlich erschienen die Erwarteten. Sie drängten sich nicht etwa durch den
„frei zu haltenden" Mittelgang nach dem Podium durch, vielmehr tauchten sie wie
Theatergötter aus deu Kulissen auf, was mehr Eindruck macht, und nahmen Platz.
Der Rechtsanwalt setzte seinen goldnen Kneifer auf und ließ die Blicke mit gleich-
giltiger Miene über die Versammlung schweifen. Der Herr Redakteur, als Ge¬
schäftsmann, denn der „Volksherold" war nicht ein Parteiunternehmen, sondern sein


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[0339] Doktor Duttmüller und sein Freund Denn er hatte es doch nicht bloß mit den Herren Sozialen zu thun und durfte es mit seinen übrigen Kunden nicht verderben. Und so nagelten die sozialistischen Festordner ihre Sprüche und Embleme, die sie aus Braunsels mitgebracht hatten, dazwischen. Man konnte also lesen: Seid willkommen, Sangesbrüder — und darunter: Religion ist Privatsache; Proletarier aller Länder, vereinigt euch — und daneben: Trinkt aus, schenkt ein, es lebe das Bier und der Wein; oder: Hoch lebe die politisch organisierte Arbeiterschaft — und daneben ein Bild, das einen Arbeiter an der Pumpe darstellt mit der Unterschrift: Gepumpt wird nicht. Dasselbe Podium, das bestimmt war, das Theater für die patriotischen Aufführungen zu tragen, wurde nun die Unterlage für den Vorstandstisch, an dem die Größen der roten Umsturz- Partei Platz nehmen sollten. Vor dem Podium war auf einem verhängten Tisch eine Gipsbüste aufgestellt. Wer ist denn das? fragte Happich die Festordner. — Das ist Lassalle, antwortete man. Damit wußte Happich nun zwar nicht mehr als vorher, aber er konnte aus der tiefen Verehrung, die diesem Bildnis erwiesen wurde, schließen, daß es sich um einen Heiligen oder Märtyrer der Parteireligion handle. Hinter der Büste waren ein paar deutsche Fahnen aufgestellt und so geordnet, daß man nur die roten Streifen sehen konnte. Man hatte für diesesmal etwas ganz besondres vorbereitet. Kein geringerer c>is der Rechtsanwalt Dr. Limburg, ein berühmter Agitator, hatte es übernommen, den Vorsitz zu führen. Sein Stab kam in einem großen Omnibus schou gegen Abend aus Braunfels an und nahm von dein Podium Besitz. Die dort auf¬ gestellten Tische wurden mit einer Fülle von Papieren bedeckt/ was sehr gelehrt aussah. Die Arbeiter vom Werke, die gerade keinen Dienst hatten, aber auch solche, die von der Arbeit weggegangen waren, kamen in hellen Haufen an. Dazu fanden sich Knechte und kleine Leute aus dem Dorfe. Viele von ihnen bewiesen darum einen so großen Eifer, weil sie das vorige mal gestört worden waren. Bald war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt, der Vorstand saß am Tische, der Redner des Abends, ein junger Mensch mit einem großen, borstigen Haarschopf, einem dürftigen Bart und einem blassen Geficht, besah sich angelegentlich die Decke des Saals, und im Hintergrund hatte die staatliche Ordnung in Gestalt eines Gendarmerie- Wachtmeisters Platz genommen, wurde aber von den Herren am Tisch als Luft augesehen. Man wartete mehr als eine Stunde. Die Verhandlungen konnten immer noch nicht beginnen, weil die Meister der Partei, der Herr Rechtsanwalt und sein Adjutant, der Redakteur des Brnunfelser „Volksherolds," Lautsch, »och nicht erschienen waren. Die Versammelten standen dicht gedrängt. Die in der Mitte des Saales stehenden ertrugen Durst und Ungemach zu Ehren der Partei und in der Hoffnung auf eine einstige gründliche Entschädigung. Die sich im Hintergrund des Saals auf¬ gestellt hatten, protestierten gegen die kapitalistische Weltordnung, indem sie unter Aufopferung ihres eignen Kapitals foviel Bier vertilgten, als aus Happichs Faß fließen wollte. Happich und sein künftiger Schwiegersohn arbeiteten mit Hochdruck, und Dörcher hatte genug zu thun, Geld einzunehmen und die Arbeiter, die den Schanktisch umstanden, anzuschreien. Die Arbeitermassen, die sich versammelt hatten, waren keine Neulinge in der sozialdemokratischen Welt. Sie alle hatten hier oder dort schon losere oder engere Beziehungen zur Partei gehabt. Es fehlte aber uoch die Zusammenfassung, die Organisation, das Aktionsobjekt. Das sollte nun gegeben werden, und die „politisch reife" Arbeiterschaft war bereit, es sich geben zu küssen. Endlich erschienen die Erwarteten. Sie drängten sich nicht etwa durch den „frei zu haltenden" Mittelgang nach dem Podium durch, vielmehr tauchten sie wie Theatergötter aus deu Kulissen auf, was mehr Eindruck macht, und nahmen Platz. Der Rechtsanwalt setzte seinen goldnen Kneifer auf und ließ die Blicke mit gleich- giltiger Miene über die Versammlung schweifen. Der Herr Redakteur, als Ge¬ schäftsmann, denn der „Volksherold" war nicht ein Parteiunternehmen, sondern sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/339>, abgerufen am 01.07.2024.