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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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die uns das, was in höhern Regionen vorgehn mag, nur menschlich näher rücken
sollen, und die auf die eine oder die andre Weise dem wahren Vorgang ebenso¬
wenig entsprechen, wie eine uns auf der Bühne vorgeführte Handlung das histo¬
rische Ereignis selbst ist. Wie der Rahme" der Bühne enger ist als die Wirklich¬
keit, und wie das, was sie uns zeigt, auf Konvention beruht, so find auch die
Vorstellungen, die wir uns vom Kampfe des Lichts und der Finsternis machen
können, nur herkömmliche Gleichnisse, die den wahren Verhält notwendigerweise
nur in sehr unvollkommner Masse wiederzugeben vermögen. Daß wir es auf der
Bühne nnr mit mangelhaften Andeutungen und vereinzelten Bruchstücken zu thun
haben, tritt noch mehr hervor, wenn wir bei dem uns Vorgeführten weniger auf
die handelnden Personen sehen als ans die geistigen Mächte, die sie für unser Auge
verkörpern, für unsre Phantasie wahrnehmbar machen sollen. Wenn jemand, der
einer Vorstellung von Schillers Don Carlos beigewohnt hätte, dann noch den kirch¬
lichen Fanatismus und den weltlichen Absolutismus abgelöst von jeder Personifikation
und als abstrakte ethische Erscheinungen und Mächte vorgeführt sehen wollte, so
würde man ihn, wie billig, darauf zu verweisen haben, daß Übersinnliches unserm
Verständnis nur andeutungsweise, im Bild, im Gleichnis, im Symbol, in der
Parabel näher gebracht werden kann, und daß es ihm, nachdem er den König und
den Kardinal-Großinquisitor gehört und gesehen hat, überlassen bleiben muß, sich
nach diese" beiden "Typen" eine allgemeine Vorstellung davon zu machen, was die
abstrakten Begriffe Fanatismus und Absolutismus zu bedeuten habe". Je höher
er geistig steht, um so besser wird er mit seiner Vorstellung den abstrakten Begriff,
eine der übersinnlichen Welt angehörige reine Idee, zu erfassen imstande sein.

In ähnlicher Weise sind natürlich auch unsre Vorstellungen vom Teufel nichts
als ein Notbehelf, da wir mit unsern für endliche Verhältnisse und Vorgänge be¬
rechneten Fähigkeiten das absolut Böse, das obendrein von Zeit und Raum un¬
abhängig zu sein und dem Allmächtigen vollbürtig gegenüberzustehn scheint, nicht
erfassen können. Jeder macht sich von dieser Riesenmacht und deren Äußerungen ein
seinem geistigen Standpunkt entsprechendes Lvtterbildchen, und man kann in diesem
Sinne sagen, daß jeder von uns den Teufel hat, deu er braucht und verdient.

Unser Teufel, der umhergeht, und vor dem wir nicht sicher sind, ob er nicht
rvtgekleidet ist und eine rote Hahnenfeder auf der Kappe trägt, würde Kant un¬
erträglich bäurisch und skurril erschienen sein, da sich der große Denker höchst
wahrscheinlich das absolut Böse in abstrakter Weise so lebhaft vorstellen konnte, daß
es dabei für ihn anthropomorvher Hilfsanschauungen schlechterdings nicht bedürfte.
Und wie ihm unser Teufel burlesk und banausisch vorkommen müßte, so macht uns der
Teufel der spanischen Pfaffen den Eindruck eines gemeinen, dummen Folterknechts,
was mit unsrer germanischen Auffassung, die in dem Teufel einen zwar gewissen¬
losen, aber witzigen und umgänglichen Pfiffikus sieht, ganz und gar nicht stimmt.

Wo die römisch-katholische Kirche oder streng orthodoxes Luthertum dem
Menschen jede Hoffnung rauben, mit Hilfe der ihm von Gott in die Wiege ge¬
legten natürlichen Fähigkeiten auch nur das mindeste zu leiste", herrscht der Teufel
als Popanz: was man für ihn empfindet ist Furcht. Auch Ludwig dem Vierzehnten,
der doch sonst nicht an Herzdrücken starb, und dem es auf ein Paar hundert ein¬
geäscherte Ortschaften mehr oder weniger nicht ankam, sobald es keine französischen
waren, scheinen die Beichtväter die Furcht vor dem Teufel, mit deren Hilfe sie
soviel erreichten, glücklich eingeimpft zu haben, und es nimmt sich besonders spaßig
aus, wenn der Herzog von Saint-Simon ganz ernsthaft berichtet, der König sei so eitel
und hochmütig gewesen, daß er sich würde göttliche Ehren haben erweisen lassen,
Wenn er sich nicht vor dem Teufel gefürchtet hätte (s'it n'a,van, su xsur ein all^dle).

Die in der Kunst vergangner Jahrhunderte sehr verbreitete Anschauung, daß
der Teufel Gott gewissermaßen ans Erden als Scherge und in der Hölle als Ober-
foltermeister diene, stammt aus romanischen Landen; wir Deutschen haben sie Von
da mit andern fanatischen Vorstellungen erhalten, und nachdem die lutherischen


Grenzboten II 1902 ^
Der Feind

die uns das, was in höhern Regionen vorgehn mag, nur menschlich näher rücken
sollen, und die auf die eine oder die andre Weise dem wahren Vorgang ebenso¬
wenig entsprechen, wie eine uns auf der Bühne vorgeführte Handlung das histo¬
rische Ereignis selbst ist. Wie der Rahme» der Bühne enger ist als die Wirklich¬
keit, und wie das, was sie uns zeigt, auf Konvention beruht, so find auch die
Vorstellungen, die wir uns vom Kampfe des Lichts und der Finsternis machen
können, nur herkömmliche Gleichnisse, die den wahren Verhält notwendigerweise
nur in sehr unvollkommner Masse wiederzugeben vermögen. Daß wir es auf der
Bühne nnr mit mangelhaften Andeutungen und vereinzelten Bruchstücken zu thun
haben, tritt noch mehr hervor, wenn wir bei dem uns Vorgeführten weniger auf
die handelnden Personen sehen als ans die geistigen Mächte, die sie für unser Auge
verkörpern, für unsre Phantasie wahrnehmbar machen sollen. Wenn jemand, der
einer Vorstellung von Schillers Don Carlos beigewohnt hätte, dann noch den kirch¬
lichen Fanatismus und den weltlichen Absolutismus abgelöst von jeder Personifikation
und als abstrakte ethische Erscheinungen und Mächte vorgeführt sehen wollte, so
würde man ihn, wie billig, darauf zu verweisen haben, daß Übersinnliches unserm
Verständnis nur andeutungsweise, im Bild, im Gleichnis, im Symbol, in der
Parabel näher gebracht werden kann, und daß es ihm, nachdem er den König und
den Kardinal-Großinquisitor gehört und gesehen hat, überlassen bleiben muß, sich
nach diese» beiden „Typen" eine allgemeine Vorstellung davon zu machen, was die
abstrakten Begriffe Fanatismus und Absolutismus zu bedeuten habe». Je höher
er geistig steht, um so besser wird er mit seiner Vorstellung den abstrakten Begriff,
eine der übersinnlichen Welt angehörige reine Idee, zu erfassen imstande sein.

In ähnlicher Weise sind natürlich auch unsre Vorstellungen vom Teufel nichts
als ein Notbehelf, da wir mit unsern für endliche Verhältnisse und Vorgänge be¬
rechneten Fähigkeiten das absolut Böse, das obendrein von Zeit und Raum un¬
abhängig zu sein und dem Allmächtigen vollbürtig gegenüberzustehn scheint, nicht
erfassen können. Jeder macht sich von dieser Riesenmacht und deren Äußerungen ein
seinem geistigen Standpunkt entsprechendes Lvtterbildchen, und man kann in diesem
Sinne sagen, daß jeder von uns den Teufel hat, deu er braucht und verdient.

Unser Teufel, der umhergeht, und vor dem wir nicht sicher sind, ob er nicht
rvtgekleidet ist und eine rote Hahnenfeder auf der Kappe trägt, würde Kant un¬
erträglich bäurisch und skurril erschienen sein, da sich der große Denker höchst
wahrscheinlich das absolut Böse in abstrakter Weise so lebhaft vorstellen konnte, daß
es dabei für ihn anthropomorvher Hilfsanschauungen schlechterdings nicht bedürfte.
Und wie ihm unser Teufel burlesk und banausisch vorkommen müßte, so macht uns der
Teufel der spanischen Pfaffen den Eindruck eines gemeinen, dummen Folterknechts,
was mit unsrer germanischen Auffassung, die in dem Teufel einen zwar gewissen¬
losen, aber witzigen und umgänglichen Pfiffikus sieht, ganz und gar nicht stimmt.

Wo die römisch-katholische Kirche oder streng orthodoxes Luthertum dem
Menschen jede Hoffnung rauben, mit Hilfe der ihm von Gott in die Wiege ge¬
legten natürlichen Fähigkeiten auch nur das mindeste zu leiste», herrscht der Teufel
als Popanz: was man für ihn empfindet ist Furcht. Auch Ludwig dem Vierzehnten,
der doch sonst nicht an Herzdrücken starb, und dem es auf ein Paar hundert ein¬
geäscherte Ortschaften mehr oder weniger nicht ankam, sobald es keine französischen
waren, scheinen die Beichtväter die Furcht vor dem Teufel, mit deren Hilfe sie
soviel erreichten, glücklich eingeimpft zu haben, und es nimmt sich besonders spaßig
aus, wenn der Herzog von Saint-Simon ganz ernsthaft berichtet, der König sei so eitel
und hochmütig gewesen, daß er sich würde göttliche Ehren haben erweisen lassen,
Wenn er sich nicht vor dem Teufel gefürchtet hätte (s'it n'a,van, su xsur ein all^dle).

Die in der Kunst vergangner Jahrhunderte sehr verbreitete Anschauung, daß
der Teufel Gott gewissermaßen ans Erden als Scherge und in der Hölle als Ober-
foltermeister diene, stammt aus romanischen Landen; wir Deutschen haben sie Von
da mit andern fanatischen Vorstellungen erhalten, und nachdem die lutherischen


Grenzboten II 1902 ^
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[0337] Der Feind die uns das, was in höhern Regionen vorgehn mag, nur menschlich näher rücken sollen, und die auf die eine oder die andre Weise dem wahren Vorgang ebenso¬ wenig entsprechen, wie eine uns auf der Bühne vorgeführte Handlung das histo¬ rische Ereignis selbst ist. Wie der Rahme» der Bühne enger ist als die Wirklich¬ keit, und wie das, was sie uns zeigt, auf Konvention beruht, so find auch die Vorstellungen, die wir uns vom Kampfe des Lichts und der Finsternis machen können, nur herkömmliche Gleichnisse, die den wahren Verhält notwendigerweise nur in sehr unvollkommner Masse wiederzugeben vermögen. Daß wir es auf der Bühne nnr mit mangelhaften Andeutungen und vereinzelten Bruchstücken zu thun haben, tritt noch mehr hervor, wenn wir bei dem uns Vorgeführten weniger auf die handelnden Personen sehen als ans die geistigen Mächte, die sie für unser Auge verkörpern, für unsre Phantasie wahrnehmbar machen sollen. Wenn jemand, der einer Vorstellung von Schillers Don Carlos beigewohnt hätte, dann noch den kirch¬ lichen Fanatismus und den weltlichen Absolutismus abgelöst von jeder Personifikation und als abstrakte ethische Erscheinungen und Mächte vorgeführt sehen wollte, so würde man ihn, wie billig, darauf zu verweisen haben, daß Übersinnliches unserm Verständnis nur andeutungsweise, im Bild, im Gleichnis, im Symbol, in der Parabel näher gebracht werden kann, und daß es ihm, nachdem er den König und den Kardinal-Großinquisitor gehört und gesehen hat, überlassen bleiben muß, sich nach diese» beiden „Typen" eine allgemeine Vorstellung davon zu machen, was die abstrakten Begriffe Fanatismus und Absolutismus zu bedeuten habe». Je höher er geistig steht, um so besser wird er mit seiner Vorstellung den abstrakten Begriff, eine der übersinnlichen Welt angehörige reine Idee, zu erfassen imstande sein. In ähnlicher Weise sind natürlich auch unsre Vorstellungen vom Teufel nichts als ein Notbehelf, da wir mit unsern für endliche Verhältnisse und Vorgänge be¬ rechneten Fähigkeiten das absolut Böse, das obendrein von Zeit und Raum un¬ abhängig zu sein und dem Allmächtigen vollbürtig gegenüberzustehn scheint, nicht erfassen können. Jeder macht sich von dieser Riesenmacht und deren Äußerungen ein seinem geistigen Standpunkt entsprechendes Lvtterbildchen, und man kann in diesem Sinne sagen, daß jeder von uns den Teufel hat, deu er braucht und verdient. Unser Teufel, der umhergeht, und vor dem wir nicht sicher sind, ob er nicht rvtgekleidet ist und eine rote Hahnenfeder auf der Kappe trägt, würde Kant un¬ erträglich bäurisch und skurril erschienen sein, da sich der große Denker höchst wahrscheinlich das absolut Böse in abstrakter Weise so lebhaft vorstellen konnte, daß es dabei für ihn anthropomorvher Hilfsanschauungen schlechterdings nicht bedürfte. Und wie ihm unser Teufel burlesk und banausisch vorkommen müßte, so macht uns der Teufel der spanischen Pfaffen den Eindruck eines gemeinen, dummen Folterknechts, was mit unsrer germanischen Auffassung, die in dem Teufel einen zwar gewissen¬ losen, aber witzigen und umgänglichen Pfiffikus sieht, ganz und gar nicht stimmt. Wo die römisch-katholische Kirche oder streng orthodoxes Luthertum dem Menschen jede Hoffnung rauben, mit Hilfe der ihm von Gott in die Wiege ge¬ legten natürlichen Fähigkeiten auch nur das mindeste zu leiste», herrscht der Teufel als Popanz: was man für ihn empfindet ist Furcht. Auch Ludwig dem Vierzehnten, der doch sonst nicht an Herzdrücken starb, und dem es auf ein Paar hundert ein¬ geäscherte Ortschaften mehr oder weniger nicht ankam, sobald es keine französischen waren, scheinen die Beichtväter die Furcht vor dem Teufel, mit deren Hilfe sie soviel erreichten, glücklich eingeimpft zu haben, und es nimmt sich besonders spaßig aus, wenn der Herzog von Saint-Simon ganz ernsthaft berichtet, der König sei so eitel und hochmütig gewesen, daß er sich würde göttliche Ehren haben erweisen lassen, Wenn er sich nicht vor dem Teufel gefürchtet hätte (s'it n'a,van, su xsur ein all^dle). Die in der Kunst vergangner Jahrhunderte sehr verbreitete Anschauung, daß der Teufel Gott gewissermaßen ans Erden als Scherge und in der Hölle als Ober- foltermeister diene, stammt aus romanischen Landen; wir Deutschen haben sie Von da mit andern fanatischen Vorstellungen erhalten, und nachdem die lutherischen Grenzboten II 1902 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/337>, abgerufen am 01.07.2024.