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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Vuttmuller und sein Freund

diesem Tage zu Hanse bleiben könnte? -- Nein, durchaus nicht, die Patienten
gingen vor, und wenn er nicht zur richtigen Zeit wieder da sei, so möchte man
ohne ihn taufen.

Alice war schmerzlich berührt. Nicht ihrer selbst wegen, sondern des armen
Kindes wegen, das an seinem Ehrentage halb verwaist sein sollte, und Ellen sagte
zu Pa, als sie es erfuhr: Ich habe es jn gesagt, er ißt mit dem Messer. -- Auch
Alice empfand etwas ähnliches, aber sie gestand es sich selbst nicht ein, vielmehr
rechtfertigte sie ihren Mann vor sich selber, indem sie dachte: Er ist Arzt. Sein
schöner Beruf ist es, Opfer zu bringen. Der Patient ruft, und der Arzt muß
kommen, und wenn er dabei die Taufe seines Kindes versäumt.

Aber mußte es sein, daß Duttmüller über KleimSiebendorf fuhr, um die alte
Klausewitzen zu besuchen, deren Krankheit in weiter nichts bestand, als daß sie alt
war, und die ärztlich weiter kein Interesse bot, als daß man ihr drei Mark für
den Besuch berechnete? Mußte es sein, daß er in Weuigeusteiu mit dem Herrn
Pastor ein endlos langes wissenschaftliches Gespräch über den Krebs und die
Heilungsaussichten bei dieser Krankheit hielt, während doch der Herr Pastor keine
Zeit hatte und über die Beharrlichkeit des Herrn Doktors schwer seufzte? Mußte
es sein, daß er in Asscboru fünfviertel Stunden brauchte, um einem Kinde die
Augen einzupinseln. Und mußte er auch noch den Umweg über Siebendvrf nehmen,
wo er eigentlich gar nichts zu suchen hatte?

Und so geschah es richtig, daß er zur Taufe nicht da war, und daß er damit
den alte" Herrn Pastor in Verlegenheit brachte. Denn der alte Herr hatte sich
vorgenommen, in der Taufe ganz besonders dem Doktor, der das ganze Jahr
weder in die Kirche noch zum Abendmahl gekommen war, ins Gewissen zu reden
und ihn an seine christlichen Vaterpflichten zu erinnern. Nun war er nicht da,
und da, was einmal aufgeschrieben war, auch gesagt werden mußte, so kriegte" die
Paten ab, was dem Taufvater zugedacht gewesen war.

Gott weiß, wie lange Zeit seit der Tnnfhandlung schon vergangen war. Die
Paten standen im Zimmer herum, hatten Hunger und hatten ihren Vorrat an
Gemeinplätzen schon vollständig ausgegeben. Duttmüller kam immer noch nicht.
Die alte Duttmüllern unten in der'Küche wollte verzweifeln. Der Braten war
schon mehr als einmal in Gefahr gewesen, anzubrennen, und was aus den .Kar¬
toffeln und dem Frikassee werden sollte, mochte Gott wissen. Alice stand an dem
Fenster des Hinterzimmers, von dem aus man über die Dächer des Dorfes hinweg
die Straße nach Assebvrn übersehen konnte, und schaute mit Thränen in den Augen
aus, ob nicht der wohlbekannte Doktorwagen zwischen den Bäumen auftauchen wollte.
Aber es war jedesmal ein fremder Wagen. Duttmüller kam nicht.

Ellen saß festlich geschmückt in einem Lehnstuhl und betrachtete das aus¬
gezeichnete Bouquet, das ihr Wandrer überreicht hatte. Hinter ihr saß Wandrer
und betrachtete seine Stiefelspitze. Beide dachten viel und sprachen wenig.

Haben Sie Hunger? fragte Ellen.

Ich kanns nicht leugnen, entgegnete Wandrer.

Ich auch. Sage" Sie, ist es uicht scheußlich von Duttmüller, uns so warten
zu lassen?

Einem andern Menschenkinde würde das allerdings nicht zu verzeihen sein,
aber ein Arzt darf es sich erlauben.

Aha! Sie meinen mit den Krankenbesuchen hätte es nicht solche Eile? Meine
ich auch. Ich bin überzeugt, dieser Mensch will sich nur wichtig machen, und damit
kränkt er seine Frau nud läßt uns hungern. Aber warte, Louis, ich Hetze dir deine
Mutter auf den Hals. Du sollst noch erfahren, was die nlle Duttmüllern bedeutet.

Onkel Alfons, der Bruder des Oberstleutnants und Bürgermeister in Hinter-
hauseu -- wir erinnern uns seiner von der Hochzeit her --, wurde jetzt ernstlich
ungehalten und sagte, so etwas sei ein Skandal und grenze an Tierquälerei. Harm¬
lose Menschen in der Patenfnlle einzufangen und hungern zu lassen wie die Rnnb-


Grenzlwten it 1905! 56
Doktor Vuttmuller und sein Freund

diesem Tage zu Hanse bleiben könnte? — Nein, durchaus nicht, die Patienten
gingen vor, und wenn er nicht zur richtigen Zeit wieder da sei, so möchte man
ohne ihn taufen.

Alice war schmerzlich berührt. Nicht ihrer selbst wegen, sondern des armen
Kindes wegen, das an seinem Ehrentage halb verwaist sein sollte, und Ellen sagte
zu Pa, als sie es erfuhr: Ich habe es jn gesagt, er ißt mit dem Messer. — Auch
Alice empfand etwas ähnliches, aber sie gestand es sich selbst nicht ein, vielmehr
rechtfertigte sie ihren Mann vor sich selber, indem sie dachte: Er ist Arzt. Sein
schöner Beruf ist es, Opfer zu bringen. Der Patient ruft, und der Arzt muß
kommen, und wenn er dabei die Taufe seines Kindes versäumt.

Aber mußte es sein, daß Duttmüller über KleimSiebendorf fuhr, um die alte
Klausewitzen zu besuchen, deren Krankheit in weiter nichts bestand, als daß sie alt
war, und die ärztlich weiter kein Interesse bot, als daß man ihr drei Mark für
den Besuch berechnete? Mußte es sein, daß er in Weuigeusteiu mit dem Herrn
Pastor ein endlos langes wissenschaftliches Gespräch über den Krebs und die
Heilungsaussichten bei dieser Krankheit hielt, während doch der Herr Pastor keine
Zeit hatte und über die Beharrlichkeit des Herrn Doktors schwer seufzte? Mußte
es sein, daß er in Asscboru fünfviertel Stunden brauchte, um einem Kinde die
Augen einzupinseln. Und mußte er auch noch den Umweg über Siebendvrf nehmen,
wo er eigentlich gar nichts zu suchen hatte?

Und so geschah es richtig, daß er zur Taufe nicht da war, und daß er damit
den alte» Herrn Pastor in Verlegenheit brachte. Denn der alte Herr hatte sich
vorgenommen, in der Taufe ganz besonders dem Doktor, der das ganze Jahr
weder in die Kirche noch zum Abendmahl gekommen war, ins Gewissen zu reden
und ihn an seine christlichen Vaterpflichten zu erinnern. Nun war er nicht da,
und da, was einmal aufgeschrieben war, auch gesagt werden mußte, so kriegte» die
Paten ab, was dem Taufvater zugedacht gewesen war.

Gott weiß, wie lange Zeit seit der Tnnfhandlung schon vergangen war. Die
Paten standen im Zimmer herum, hatten Hunger und hatten ihren Vorrat an
Gemeinplätzen schon vollständig ausgegeben. Duttmüller kam immer noch nicht.
Die alte Duttmüllern unten in der'Küche wollte verzweifeln. Der Braten war
schon mehr als einmal in Gefahr gewesen, anzubrennen, und was aus den .Kar¬
toffeln und dem Frikassee werden sollte, mochte Gott wissen. Alice stand an dem
Fenster des Hinterzimmers, von dem aus man über die Dächer des Dorfes hinweg
die Straße nach Assebvrn übersehen konnte, und schaute mit Thränen in den Augen
aus, ob nicht der wohlbekannte Doktorwagen zwischen den Bäumen auftauchen wollte.
Aber es war jedesmal ein fremder Wagen. Duttmüller kam nicht.

Ellen saß festlich geschmückt in einem Lehnstuhl und betrachtete das aus¬
gezeichnete Bouquet, das ihr Wandrer überreicht hatte. Hinter ihr saß Wandrer
und betrachtete seine Stiefelspitze. Beide dachten viel und sprachen wenig.

Haben Sie Hunger? fragte Ellen.

Ich kanns nicht leugnen, entgegnete Wandrer.

Ich auch. Sage» Sie, ist es uicht scheußlich von Duttmüller, uns so warten
zu lassen?

Einem andern Menschenkinde würde das allerdings nicht zu verzeihen sein,
aber ein Arzt darf es sich erlauben.

Aha! Sie meinen mit den Krankenbesuchen hätte es nicht solche Eile? Meine
ich auch. Ich bin überzeugt, dieser Mensch will sich nur wichtig machen, und damit
kränkt er seine Frau nud läßt uns hungern. Aber warte, Louis, ich Hetze dir deine
Mutter auf den Hals. Du sollst noch erfahren, was die nlle Duttmüllern bedeutet.

Onkel Alfons, der Bruder des Oberstleutnants und Bürgermeister in Hinter-
hauseu — wir erinnern uns seiner von der Hochzeit her —, wurde jetzt ernstlich
ungehalten und sagte, so etwas sei ein Skandal und grenze an Tierquälerei. Harm¬
lose Menschen in der Patenfnlle einzufangen und hungern zu lassen wie die Rnnb-


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[0289] Doktor Vuttmuller und sein Freund diesem Tage zu Hanse bleiben könnte? — Nein, durchaus nicht, die Patienten gingen vor, und wenn er nicht zur richtigen Zeit wieder da sei, so möchte man ohne ihn taufen. Alice war schmerzlich berührt. Nicht ihrer selbst wegen, sondern des armen Kindes wegen, das an seinem Ehrentage halb verwaist sein sollte, und Ellen sagte zu Pa, als sie es erfuhr: Ich habe es jn gesagt, er ißt mit dem Messer. — Auch Alice empfand etwas ähnliches, aber sie gestand es sich selbst nicht ein, vielmehr rechtfertigte sie ihren Mann vor sich selber, indem sie dachte: Er ist Arzt. Sein schöner Beruf ist es, Opfer zu bringen. Der Patient ruft, und der Arzt muß kommen, und wenn er dabei die Taufe seines Kindes versäumt. Aber mußte es sein, daß Duttmüller über KleimSiebendorf fuhr, um die alte Klausewitzen zu besuchen, deren Krankheit in weiter nichts bestand, als daß sie alt war, und die ärztlich weiter kein Interesse bot, als daß man ihr drei Mark für den Besuch berechnete? Mußte es sein, daß er in Weuigeusteiu mit dem Herrn Pastor ein endlos langes wissenschaftliches Gespräch über den Krebs und die Heilungsaussichten bei dieser Krankheit hielt, während doch der Herr Pastor keine Zeit hatte und über die Beharrlichkeit des Herrn Doktors schwer seufzte? Mußte es sein, daß er in Asscboru fünfviertel Stunden brauchte, um einem Kinde die Augen einzupinseln. Und mußte er auch noch den Umweg über Siebendvrf nehmen, wo er eigentlich gar nichts zu suchen hatte? Und so geschah es richtig, daß er zur Taufe nicht da war, und daß er damit den alte» Herrn Pastor in Verlegenheit brachte. Denn der alte Herr hatte sich vorgenommen, in der Taufe ganz besonders dem Doktor, der das ganze Jahr weder in die Kirche noch zum Abendmahl gekommen war, ins Gewissen zu reden und ihn an seine christlichen Vaterpflichten zu erinnern. Nun war er nicht da, und da, was einmal aufgeschrieben war, auch gesagt werden mußte, so kriegte» die Paten ab, was dem Taufvater zugedacht gewesen war. Gott weiß, wie lange Zeit seit der Tnnfhandlung schon vergangen war. Die Paten standen im Zimmer herum, hatten Hunger und hatten ihren Vorrat an Gemeinplätzen schon vollständig ausgegeben. Duttmüller kam immer noch nicht. Die alte Duttmüllern unten in der'Küche wollte verzweifeln. Der Braten war schon mehr als einmal in Gefahr gewesen, anzubrennen, und was aus den .Kar¬ toffeln und dem Frikassee werden sollte, mochte Gott wissen. Alice stand an dem Fenster des Hinterzimmers, von dem aus man über die Dächer des Dorfes hinweg die Straße nach Assebvrn übersehen konnte, und schaute mit Thränen in den Augen aus, ob nicht der wohlbekannte Doktorwagen zwischen den Bäumen auftauchen wollte. Aber es war jedesmal ein fremder Wagen. Duttmüller kam nicht. Ellen saß festlich geschmückt in einem Lehnstuhl und betrachtete das aus¬ gezeichnete Bouquet, das ihr Wandrer überreicht hatte. Hinter ihr saß Wandrer und betrachtete seine Stiefelspitze. Beide dachten viel und sprachen wenig. Haben Sie Hunger? fragte Ellen. Ich kanns nicht leugnen, entgegnete Wandrer. Ich auch. Sage» Sie, ist es uicht scheußlich von Duttmüller, uns so warten zu lassen? Einem andern Menschenkinde würde das allerdings nicht zu verzeihen sein, aber ein Arzt darf es sich erlauben. Aha! Sie meinen mit den Krankenbesuchen hätte es nicht solche Eile? Meine ich auch. Ich bin überzeugt, dieser Mensch will sich nur wichtig machen, und damit kränkt er seine Frau nud läßt uns hungern. Aber warte, Louis, ich Hetze dir deine Mutter auf den Hals. Du sollst noch erfahren, was die nlle Duttmüllern bedeutet. Onkel Alfons, der Bruder des Oberstleutnants und Bürgermeister in Hinter- hauseu — wir erinnern uns seiner von der Hochzeit her —, wurde jetzt ernstlich ungehalten und sagte, so etwas sei ein Skandal und grenze an Tierquälerei. Harm¬ lose Menschen in der Patenfnlle einzufangen und hungern zu lassen wie die Rnnb- Grenzlwten it 1905! 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/289>, abgerufen am 01.07.2024.