Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Doktor Duttmüller und sein Freund Drillhose, sagte Wandrer, ein ordentlicher Kerl hilft sich selber. Drillhose sah Wandrer fragend an, worauf Wandrer ein paarmal nachdrücklich Inzwischen fuhr Kümmelmüller fort zu schimpfen über den Hungerlohn, den Halten Sie das Maul, schnäuzte ihn Drillhose im Unteroffizierstone an, und Wild? Maulhalten? Hier? Ick? Vor wem denn? Vor Ihnen? Sie Drillhose wurde blau im Gesicht vor Wut, er bezwang sich aber. Am Abend Am nächsten Morgen erschien er, ein Bild des Elends, mit steifen Gliedern Unvernünftig, Herr Wandrer, krumm und lahm hat er mich gehauen. Nun sehen Sie mal. Ja da ist nichts zu machen. Das ist eine Privatsache Auch diese Abfertigung war ungenügend. Darum ging Duttmüller zum Nach vierzehn Tagen kam er schmutzig und heruntergekommen, wie nie, wieder Doktor Duttmüller und sein Freund Drillhose, sagte Wandrer, ein ordentlicher Kerl hilft sich selber. Drillhose sah Wandrer fragend an, worauf Wandrer ein paarmal nachdrücklich Inzwischen fuhr Kümmelmüller fort zu schimpfen über den Hungerlohn, den Halten Sie das Maul, schnäuzte ihn Drillhose im Unteroffizierstone an, und Wild? Maulhalten? Hier? Ick? Vor wem denn? Vor Ihnen? Sie Drillhose wurde blau im Gesicht vor Wut, er bezwang sich aber. Am Abend Am nächsten Morgen erschien er, ein Bild des Elends, mit steifen Gliedern Unvernünftig, Herr Wandrer, krumm und lahm hat er mich gehauen. Nun sehen Sie mal. Ja da ist nichts zu machen. Das ist eine Privatsache Auch diese Abfertigung war ungenügend. Darum ging Duttmüller zum Nach vierzehn Tagen kam er schmutzig und heruntergekommen, wie nie, wieder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0283" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237569"/> <fw type="header" place="top"> Doktor Duttmüller und sein Freund</fw><lb/> <p xml:id="ID_1452"> Drillhose, sagte Wandrer, ein ordentlicher Kerl hilft sich selber.</p><lb/> <p xml:id="ID_1453"> Drillhose sah Wandrer fragend an, worauf Wandrer ein paarmal nachdrücklich<lb/> mit dem Kopfe nickte, worauf Drillhose ebenso nickte, worauf sie sich verstanden<lb/> hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1454"> Inzwischen fuhr Kümmelmüller fort zu schimpfen über den Hungerlohn, den<lb/> er verdiene, und daß er sich zu Schanden arbeiten müsse, und daß das eine<lb/> menschenunwürdige Existenz sei, und daß er sich fünfundzwanzig Jahre als Arbeiter<lb/> in der Welt herumgetrieben habe, und daß er Anspruch auf die Alters- und<lb/> Invalidenrente habe, und daß, wenn er reden dürfte, mancher vor ihm den Hut<lb/> abnehmen würde, der jetzt den Großmogul spiele.</p><lb/> <p xml:id="ID_1455"> Halten Sie das Maul, schnäuzte ihn Drillhose im Unteroffizierstone an, und<lb/> thun Sie Ihre Arbeit.</p><lb/> <p xml:id="ID_1456"> Wild? Maulhalten? Hier? Ick? Vor wem denn? Vor Ihnen? Sie<lb/> ruppiger Blechtuter, Sie Maschinennachtwächter Sie, Sie Jammerlappen mit der<lb/> zersprungnen Stimmritze! Mich anschnauzen? Hier? Wo ick Herr und Vater bin?</p><lb/> <p xml:id="ID_1457"> Drillhose wurde blau im Gesicht vor Wut, er bezwang sich aber. Am Abend<lb/> jedoch ereigneten sich merkwürdige Dinge. Riemer hatte sechs Uhr gepfiffen, die<lb/> Arbeiter waren abgezogen, und Kümmelmüller, der wieder sein volles Teil hatte,<lb/> taumelte allein hinterher. Da ergriff ihn von hinten eine kräftige Faust am Rock¬<lb/> kragen und zog ihn trotz seines Widerstrebend in einen verschwiegnen Schuppen.<lb/> Bald darauf erklangen aus dem Schuppen jammervolle Töne, es war jedoch niemand<lb/> da, dessen Herz sie hätten rühren können, und so verhallten sie wirkungslos. Der<lb/> Klagegesnng wollte kein Ende nehmen, er erhob sich immer von neuem, als ob zur<lb/> Kompletierung Nachtragszahlnngen geleistet würden. Dann öffnete sich die Thür,<lb/> >ab Kümmelmüller flog bears, blieb stöhnend auf einem Häuser Asche liegen und<lb/> schlief ein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1458"> Am nächsten Morgen erschien er, ein Bild des Elends, mit steifen Gliedern<lb/> und behaftet mit innern, und äußerm Jammer beim Obersteiger und führte Klage,<lb/> daß er von Drillhose verhauen worden sei. Rummel schmunzelte und fragte, ob<lb/> ihn denn Drillhose feste versuum habe. Halb zu schänden habe er ihn geschlagen,<lb/> erwiderte Müller. — Na dann sein Sie zufrieden, sagte Rummel, dann haben Sie<lb/> gekriegt, was Sie brauchten. Müller war verdutzt und zog schimpfend ab. Was<lb/> das für eine Wirtschaft sei. Er als deutscher Staatsbürger müßte sein Recht haben,<lb/> und wenn man ihm sein Recht nicht gebe, dann gehe er bis an den Kaiser.<lb/> Diesesmal ging er jedoch nur bis zu Wandrer und brachte seine Klage an. — Hat<lb/> denn Drillhose sehr zugeschlagen? fragte Wandrer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1459"> Unvernünftig, Herr Wandrer, krumm und lahm hat er mich gehauen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1460"> Nun sehen Sie mal. Ja da ist nichts zu machen. Das ist eine Privatsache<lb/> zwischen Ihnen und Drillhose. Höchstens können Sie ihn verklagen — voraus¬<lb/> gesetzt, daß Sie Zeugen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1461"> Auch diese Abfertigung war ungenügend. Darum ging Duttmüller zum<lb/> Direktor, der ihn gar nicht vorließ, sondern sagen ließ, er möchte sich gefälligst<lb/> zum Teufel scheren. Da stand nnn Duttmüller mit seiner gekränkten Menschen¬<lb/> würde, die verfolgte Unschuld, der ungerecht behandelte deutsche Staatsbürger. Was<lb/> blieb ihm übrig als die Welt zu verfluchen? Dies that er. Darauf betraut er<lb/> sich fürchterlich, schlief aus und ging auf die Walze.</p><lb/> <p xml:id="ID_1462"> Nach vierzehn Tagen kam er schmutzig und heruntergekommen, wie nie, wieder<lb/> an, lungerte um des Doktors Haus herum, schlüpfte, nachdem er bemerkt hatte, daß<lb/> Frau Duttmüller ausgegangen war, hinein, öffnete ohne weiteres die Thür zu des<lb/> Doktors Studierzimmer und setzte sich auf den Stuhl neben der Thür. Der Doktor<lb/> war eben damit beschäftigt, seine ärztlichen Honornrforderuugen in das Hauptbuch<lb/> einzutragen und zu überrechnen, eine Beschäftigung, die ihm lieb war, und bei der<lb/> er sich nicht gern stören ließ. Als er aufblickte, sah er seinen Erzeuger in ab¬<lb/> gerissenster und lumpigster Gestalt vor sich. Er war davon keineswegs erbaut und<lb/> fragte in mürrischem Tone: Was willst du denn schon wieder?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0283]
Doktor Duttmüller und sein Freund
Drillhose, sagte Wandrer, ein ordentlicher Kerl hilft sich selber.
Drillhose sah Wandrer fragend an, worauf Wandrer ein paarmal nachdrücklich
mit dem Kopfe nickte, worauf Drillhose ebenso nickte, worauf sie sich verstanden
hatten.
Inzwischen fuhr Kümmelmüller fort zu schimpfen über den Hungerlohn, den
er verdiene, und daß er sich zu Schanden arbeiten müsse, und daß das eine
menschenunwürdige Existenz sei, und daß er sich fünfundzwanzig Jahre als Arbeiter
in der Welt herumgetrieben habe, und daß er Anspruch auf die Alters- und
Invalidenrente habe, und daß, wenn er reden dürfte, mancher vor ihm den Hut
abnehmen würde, der jetzt den Großmogul spiele.
Halten Sie das Maul, schnäuzte ihn Drillhose im Unteroffizierstone an, und
thun Sie Ihre Arbeit.
Wild? Maulhalten? Hier? Ick? Vor wem denn? Vor Ihnen? Sie
ruppiger Blechtuter, Sie Maschinennachtwächter Sie, Sie Jammerlappen mit der
zersprungnen Stimmritze! Mich anschnauzen? Hier? Wo ick Herr und Vater bin?
Drillhose wurde blau im Gesicht vor Wut, er bezwang sich aber. Am Abend
jedoch ereigneten sich merkwürdige Dinge. Riemer hatte sechs Uhr gepfiffen, die
Arbeiter waren abgezogen, und Kümmelmüller, der wieder sein volles Teil hatte,
taumelte allein hinterher. Da ergriff ihn von hinten eine kräftige Faust am Rock¬
kragen und zog ihn trotz seines Widerstrebend in einen verschwiegnen Schuppen.
Bald darauf erklangen aus dem Schuppen jammervolle Töne, es war jedoch niemand
da, dessen Herz sie hätten rühren können, und so verhallten sie wirkungslos. Der
Klagegesnng wollte kein Ende nehmen, er erhob sich immer von neuem, als ob zur
Kompletierung Nachtragszahlnngen geleistet würden. Dann öffnete sich die Thür,
>ab Kümmelmüller flog bears, blieb stöhnend auf einem Häuser Asche liegen und
schlief ein.
Am nächsten Morgen erschien er, ein Bild des Elends, mit steifen Gliedern
und behaftet mit innern, und äußerm Jammer beim Obersteiger und führte Klage,
daß er von Drillhose verhauen worden sei. Rummel schmunzelte und fragte, ob
ihn denn Drillhose feste versuum habe. Halb zu schänden habe er ihn geschlagen,
erwiderte Müller. — Na dann sein Sie zufrieden, sagte Rummel, dann haben Sie
gekriegt, was Sie brauchten. Müller war verdutzt und zog schimpfend ab. Was
das für eine Wirtschaft sei. Er als deutscher Staatsbürger müßte sein Recht haben,
und wenn man ihm sein Recht nicht gebe, dann gehe er bis an den Kaiser.
Diesesmal ging er jedoch nur bis zu Wandrer und brachte seine Klage an. — Hat
denn Drillhose sehr zugeschlagen? fragte Wandrer.
Unvernünftig, Herr Wandrer, krumm und lahm hat er mich gehauen.
Nun sehen Sie mal. Ja da ist nichts zu machen. Das ist eine Privatsache
zwischen Ihnen und Drillhose. Höchstens können Sie ihn verklagen — voraus¬
gesetzt, daß Sie Zeugen haben.
Auch diese Abfertigung war ungenügend. Darum ging Duttmüller zum
Direktor, der ihn gar nicht vorließ, sondern sagen ließ, er möchte sich gefälligst
zum Teufel scheren. Da stand nnn Duttmüller mit seiner gekränkten Menschen¬
würde, die verfolgte Unschuld, der ungerecht behandelte deutsche Staatsbürger. Was
blieb ihm übrig als die Welt zu verfluchen? Dies that er. Darauf betraut er
sich fürchterlich, schlief aus und ging auf die Walze.
Nach vierzehn Tagen kam er schmutzig und heruntergekommen, wie nie, wieder
an, lungerte um des Doktors Haus herum, schlüpfte, nachdem er bemerkt hatte, daß
Frau Duttmüller ausgegangen war, hinein, öffnete ohne weiteres die Thür zu des
Doktors Studierzimmer und setzte sich auf den Stuhl neben der Thür. Der Doktor
war eben damit beschäftigt, seine ärztlichen Honornrforderuugen in das Hauptbuch
einzutragen und zu überrechnen, eine Beschäftigung, die ihm lieb war, und bei der
er sich nicht gern stören ließ. Als er aufblickte, sah er seinen Erzeuger in ab¬
gerissenster und lumpigster Gestalt vor sich. Er war davon keineswegs erbaut und
fragte in mürrischem Tone: Was willst du denn schon wieder?
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |