Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Doktor Duttmüller und sein Freund Warum denn mit Thränen in den Augen? Warum empfand sie deun, als Richtig, sagte Wandrer, und dann kaun sie Aork uicht kriegen. Die Rechnung würde Ihnen giebt sie keinen. Ich weiß doch uicht. Gestern vielleicht nicht, aber heute steht die Fahne anders. Lieber Gott, was soll denn aber werden? Man muß es gehn lassen. Kein Mensch hat es in der Hand, eine solche Was Sie sagen, Herr Wandrer, ist sehr schön, aber -- denken Sie nicht Wandrer war sehr ernst geworden. Das ist freilich schlimm, sehr schlimm, Der Direktor sah sich suchend um. -- Wo ist Lydia? fragte er uicht ohne Dort geht sie mit Aork, erwiderte Ellen. Es wäre mir lieber, sagte der Direktor, Lydia wendete ihre Freundschaft Ihnen Ich will sie holen. Wandrer blieb allein zurück. Da hatte er ja merkwürdige Dinge erlebt. Das Doktor Duttmüller und sein Freund Warum denn mit Thränen in den Augen? Warum empfand sie deun, als Richtig, sagte Wandrer, und dann kaun sie Aork uicht kriegen. Die Rechnung würde Ihnen giebt sie keinen. Ich weiß doch uicht. Gestern vielleicht nicht, aber heute steht die Fahne anders. Lieber Gott, was soll denn aber werden? Man muß es gehn lassen. Kein Mensch hat es in der Hand, eine solche Was Sie sagen, Herr Wandrer, ist sehr schön, aber — denken Sie nicht Wandrer war sehr ernst geworden. Das ist freilich schlimm, sehr schlimm, Der Direktor sah sich suchend um. — Wo ist Lydia? fragte er uicht ohne Dort geht sie mit Aork, erwiderte Ellen. Es wäre mir lieber, sagte der Direktor, Lydia wendete ihre Freundschaft Ihnen Ich will sie holen. Wandrer blieb allein zurück. Da hatte er ja merkwürdige Dinge erlebt. Das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0229" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237515"/> <fw type="header" place="top"> Doktor Duttmüller und sein Freund</fw><lb/> <p xml:id="ID_1189"> Warum denn mit Thränen in den Augen? Warum empfand sie deun, als<lb/> sie das sagte, einen so merkwürdigen Schmerz, und warum war es ihr deun, als<lb/> wenn sie dabei etwas von sich selbst weggäbe? Aber sie war ein kleines tapfres<lb/> Mädchen, sie wollte nicht an sich denken, und so wiederholte sie: Nehmen Sie sie,<lb/> Herr Wandrer. Lydia ist ein gutes Mädchen, und Sie werden sie gewiß glücklich<lb/> machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1190"> Richtig, sagte Wandrer, und dann kaun sie Aork uicht kriegen. Die Rechnung würde<lb/> stimmen. Aber, Fräulein Ellen, sind deun das Necheugeschichten? Es giebt am<lb/> Ende noch altmodische Leute, die sich einbilden, so etwas zu bilden, was mau Herz<lb/> nennt, die sogar auf ihr Herz hören, ob es redet, und die es für eine Sünde halten<lb/> würden, zu einem Mädchen von Liebe zu reden, wo das Herz nicht mitspricht. Es<lb/> giebt altmodische Leute, die sich einbilden, es könne auch einmal vorkommen, daß<lb/> sich zwei Menschen aus wirklicher Liebe heiraten. Jawohl, Fräulein Lydia ist ein<lb/> gutes Mädchen, ein wenig oberflächlich, aber ein gutes Mädchen, und ich weiß, daß<lb/> ihr Vater es nicht ungern sehen würde, wenn wir zwei ein Paar würden. Und<lb/> viele an meiner Stelle würden unbedenklich zugreifen. Aber wenn ichs thäte, sagen<lb/> Sie mir, was wäre da zwischen Ihrem Herrn Bruder und mir für ein Unterschied?<lb/> Seien Sie mir nicht böse, ich will über Ihren Herrn Bruder nicht urteilen. Aber<lb/> hier, darüber sind wir ja einig, thut er wirklich unrecht, wenn er auch thut, was<lb/> alle seine Kameraden ebenso machen. Und . . . Fräulein Elleu ... ich möchte mir<lb/> auch nicht gern einen Korb holen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1191"> Ihnen giebt sie keinen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1192"> Ich weiß doch uicht. Gestern vielleicht nicht, aber heute steht die Fahne anders.<lb/> sehen Sie, da hinten gehn sie. Meinen Sie, daß die sich von Schiller und Goethe<lb/> unterhalten? Und es giebt Damen, für die ist das bunte Tuch, was für die<lb/> Magnetnadel der Nordpol ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1193"> Lieber Gott, was soll denn aber werden?</p><lb/> <p xml:id="ID_1194"> Man muß es gehn lassen. Kein Mensch hat es in der Hand, eine solche<lb/> Sache so oder so zu lenken. Hier kann auch keiner für den andern denken oder<lb/> entscheiden. Solche Dinge muß jeder mit sich selber ausmachen. Sie sind so fein<lb/> und verletzlich, daß man Schaden anrichtet, wenn man auch mit wohlmeinender<lb/> Hand eingreift.</p><lb/> <p xml:id="ID_1195"> Was Sie sagen, Herr Wandrer, ist sehr schön, aber — denken Sie nicht<lb/> schlimm von mir, daß ich mit Ihnen über meinen Bruder rede, ich habe ja niemand,<lb/> mit dem ich sprechen könnte. Jork spielt. Uork ist ein Verlorner Mensch. Er<lb/> wird Lydia in sein Verderben ziehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1196"> Wandrer war sehr ernst geworden. Das ist freilich schlimm, sehr schlimm,<lb/> sagte er. Still, da kommt der Direktor.</p><lb/> <p xml:id="ID_1197"> Der Direktor sah sich suchend um. — Wo ist Lydia? fragte er uicht ohne<lb/> Schärfe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1198"> Dort geht sie mit Aork, erwiderte Ellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1199"> Es wäre mir lieber, sagte der Direktor, Lydia wendete ihre Freundschaft Ihnen<lb/> als Ihrem Herrn Bruder zu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1200"> Ich will sie holen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1201" next="#ID_1202"> Wandrer blieb allein zurück. Da hatte er ja merkwürdige Dinge erlebt. Das<lb/> merkwürdigste aber war gewesen, daß er sich über Herzensangelegenheiten mit<lb/> einem jungen Mädchen unterhalten hatte, die er noch Vor wenig Monaten als<lb/> Backfisch höherer Ordnung behandelt hatte. Wandrer war in Herzensangelegen¬<lb/> heiten einigermaßen spröde und auch seiner Mutter gegenüber durchaus uicht red¬<lb/> selig. Hier hatte sich vou selbst der vertrauliche Ton gefunden. Das, was den<lb/> Menschen den Mund verschließt, sind die selbstsüchtigen Gedanken, die man entweder<lb/> selbst hat oder bei andern voraussetzt. Die fehlten hier gänzlich. Wandrer und<lb/> Ellen waren sich über ihre Lage vollkommen klar, er ein geborner Onkel und sie<lb/> eine geborne Tante. Warum aber sollen Onkel und Tante nicht gegeneinander</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0229]
Doktor Duttmüller und sein Freund
Warum denn mit Thränen in den Augen? Warum empfand sie deun, als
sie das sagte, einen so merkwürdigen Schmerz, und warum war es ihr deun, als
wenn sie dabei etwas von sich selbst weggäbe? Aber sie war ein kleines tapfres
Mädchen, sie wollte nicht an sich denken, und so wiederholte sie: Nehmen Sie sie,
Herr Wandrer. Lydia ist ein gutes Mädchen, und Sie werden sie gewiß glücklich
machen.
Richtig, sagte Wandrer, und dann kaun sie Aork uicht kriegen. Die Rechnung würde
stimmen. Aber, Fräulein Ellen, sind deun das Necheugeschichten? Es giebt am
Ende noch altmodische Leute, die sich einbilden, so etwas zu bilden, was mau Herz
nennt, die sogar auf ihr Herz hören, ob es redet, und die es für eine Sünde halten
würden, zu einem Mädchen von Liebe zu reden, wo das Herz nicht mitspricht. Es
giebt altmodische Leute, die sich einbilden, es könne auch einmal vorkommen, daß
sich zwei Menschen aus wirklicher Liebe heiraten. Jawohl, Fräulein Lydia ist ein
gutes Mädchen, ein wenig oberflächlich, aber ein gutes Mädchen, und ich weiß, daß
ihr Vater es nicht ungern sehen würde, wenn wir zwei ein Paar würden. Und
viele an meiner Stelle würden unbedenklich zugreifen. Aber wenn ichs thäte, sagen
Sie mir, was wäre da zwischen Ihrem Herrn Bruder und mir für ein Unterschied?
Seien Sie mir nicht böse, ich will über Ihren Herrn Bruder nicht urteilen. Aber
hier, darüber sind wir ja einig, thut er wirklich unrecht, wenn er auch thut, was
alle seine Kameraden ebenso machen. Und . . . Fräulein Elleu ... ich möchte mir
auch nicht gern einen Korb holen.
Ihnen giebt sie keinen.
Ich weiß doch uicht. Gestern vielleicht nicht, aber heute steht die Fahne anders.
sehen Sie, da hinten gehn sie. Meinen Sie, daß die sich von Schiller und Goethe
unterhalten? Und es giebt Damen, für die ist das bunte Tuch, was für die
Magnetnadel der Nordpol ist.
Lieber Gott, was soll denn aber werden?
Man muß es gehn lassen. Kein Mensch hat es in der Hand, eine solche
Sache so oder so zu lenken. Hier kann auch keiner für den andern denken oder
entscheiden. Solche Dinge muß jeder mit sich selber ausmachen. Sie sind so fein
und verletzlich, daß man Schaden anrichtet, wenn man auch mit wohlmeinender
Hand eingreift.
Was Sie sagen, Herr Wandrer, ist sehr schön, aber — denken Sie nicht
schlimm von mir, daß ich mit Ihnen über meinen Bruder rede, ich habe ja niemand,
mit dem ich sprechen könnte. Jork spielt. Uork ist ein Verlorner Mensch. Er
wird Lydia in sein Verderben ziehn.
Wandrer war sehr ernst geworden. Das ist freilich schlimm, sehr schlimm,
sagte er. Still, da kommt der Direktor.
Der Direktor sah sich suchend um. — Wo ist Lydia? fragte er uicht ohne
Schärfe.
Dort geht sie mit Aork, erwiderte Ellen.
Es wäre mir lieber, sagte der Direktor, Lydia wendete ihre Freundschaft Ihnen
als Ihrem Herrn Bruder zu.
Ich will sie holen.
Wandrer blieb allein zurück. Da hatte er ja merkwürdige Dinge erlebt. Das
merkwürdigste aber war gewesen, daß er sich über Herzensangelegenheiten mit
einem jungen Mädchen unterhalten hatte, die er noch Vor wenig Monaten als
Backfisch höherer Ordnung behandelt hatte. Wandrer war in Herzensangelegen¬
heiten einigermaßen spröde und auch seiner Mutter gegenüber durchaus uicht red¬
selig. Hier hatte sich vou selbst der vertrauliche Ton gefunden. Das, was den
Menschen den Mund verschließt, sind die selbstsüchtigen Gedanken, die man entweder
selbst hat oder bei andern voraussetzt. Die fehlten hier gänzlich. Wandrer und
Ellen waren sich über ihre Lage vollkommen klar, er ein geborner Onkel und sie
eine geborne Tante. Warum aber sollen Onkel und Tante nicht gegeneinander
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |