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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Hermann Allmers

wenig ausmachte; bei seiner Neigung zu theatralischen Wesen "gab er sich
selbst das Abendmahl," was unter gewissen Bedingungen kirchenrechtlich zu¬
lässig sein soll. Er bekannte sich nicht etwa zu dem damals aufstrebende"
liberalen Protestantenverein, sondern machte, obwohl seiue Mutter eine
Pastorentochter war, reinen Schnitt. Darin hat er sich nie beirren lassen, so
viele Anstrengungen auch gemacht wurden, ihn wieder in den Schoß der
Kirche zurückzuführen. In der "Weihe eiues junge" Erdenbürgers" machte er
den Versuch, ungläubigen Familienkreisen einen Ersatz für die Taufe zu geben,
ein Versuch, der natürlich fehlschlagen mußte.

In den fünfziger und sechziger Jahren erregte diese Haltung Aufsehen.
Die politische und die geistige Entwicklung drängten die Gemüter in eine
andre Richtung. Das hat Allmers verkannt, als er noch 1889 mit derselbe"
Emanzipation von der Vormundschaft der Kirche Effekt zu machen glaubte.
Er gab ein Bündchen Gedichte "Fromm und frei" heraus, die aber ziemlich
spurlos vorübergingen. Zur Kennzeichnung seiner Ansichten geben wir daraus
ein Verslein wieder:

Ehe ich eine andre Seite der poetischen Natur unsers Freundes berühre,
muß ich etwas weiter aushole". Er war "iemals ein einseitiger Romantiker,
Germanist und Lobsüuger der Heimat. Schon in seinem ersten Münchner
Aufenthalt war er zu der bildenden Kunst in ein vertrautes Verhältnis ge¬
treten. Er umspannte alle ihre Perioden, uur hörte sein Interesse auf, wen"
man an die allerhöchsten Gipfel kam. Aber das Emporstreben zog ihn mächtig
an. An den kindlichen Ausdrucksmitteln, z. B. den Klobigkeiteu kleiner Kirche"
romanischen Stils, oder byzantinischer Freskomalereien, an den langen schmal-
schultrigen Gestalten der Gotik, an der Herbigkeit altflorcntinischer Malerei
konnte er ein unbezähmbares Gaudium haben. Und dann ahmte er mit
seinem großartige" mimische" Talent -- ausgebildet wahrscheinlich durch seineu
Mnndschaden und die Notwendigkeit, seinen Worten durch Gesten Nachdruck
zu geben -- und seiner grotesken Figur den Ausdruck byzantinischer und
gotischer Heiligen in einer Weise nach, daß die anspruchsvollste Gesellschaft
bis zum Bersten lachen mußte. Genug, schon die Antike begeisterte sein der
Begeisterung so sehr fähiges Gemüt. Zeitweilig lebte und webte er in ihr.
Dann schwelgte er wieder in andern Stilen. Für die ganze Kunstgeschichte
entbrannte sein Herz. Als er 1858 zum viertenmal in München weilte, ent¬
schloß er sich, über die Alpen zu gehn und einen Winter ii? Italien zu ver¬
weilen. Wenn mau ihn noch in spätern Jahren von Italien, von seinen
Lieblingsstüdten Verona, Bologna, Rom schwärmen hörte, so konnte man
über die tiefen, glühenden Eindrücke staunen. Und wie er damals auf der
Höhe seiner geselligen Talente stand, so fand er auch in Rom die beste und


Hermann Allmers

wenig ausmachte; bei seiner Neigung zu theatralischen Wesen „gab er sich
selbst das Abendmahl," was unter gewissen Bedingungen kirchenrechtlich zu¬
lässig sein soll. Er bekannte sich nicht etwa zu dem damals aufstrebende»
liberalen Protestantenverein, sondern machte, obwohl seiue Mutter eine
Pastorentochter war, reinen Schnitt. Darin hat er sich nie beirren lassen, so
viele Anstrengungen auch gemacht wurden, ihn wieder in den Schoß der
Kirche zurückzuführen. In der „Weihe eiues junge» Erdenbürgers" machte er
den Versuch, ungläubigen Familienkreisen einen Ersatz für die Taufe zu geben,
ein Versuch, der natürlich fehlschlagen mußte.

In den fünfziger und sechziger Jahren erregte diese Haltung Aufsehen.
Die politische und die geistige Entwicklung drängten die Gemüter in eine
andre Richtung. Das hat Allmers verkannt, als er noch 1889 mit derselbe»
Emanzipation von der Vormundschaft der Kirche Effekt zu machen glaubte.
Er gab ein Bündchen Gedichte „Fromm und frei" heraus, die aber ziemlich
spurlos vorübergingen. Zur Kennzeichnung seiner Ansichten geben wir daraus
ein Verslein wieder:

Ehe ich eine andre Seite der poetischen Natur unsers Freundes berühre,
muß ich etwas weiter aushole». Er war »iemals ein einseitiger Romantiker,
Germanist und Lobsüuger der Heimat. Schon in seinem ersten Münchner
Aufenthalt war er zu der bildenden Kunst in ein vertrautes Verhältnis ge¬
treten. Er umspannte alle ihre Perioden, uur hörte sein Interesse auf, wen»
man an die allerhöchsten Gipfel kam. Aber das Emporstreben zog ihn mächtig
an. An den kindlichen Ausdrucksmitteln, z. B. den Klobigkeiteu kleiner Kirche»
romanischen Stils, oder byzantinischer Freskomalereien, an den langen schmal-
schultrigen Gestalten der Gotik, an der Herbigkeit altflorcntinischer Malerei
konnte er ein unbezähmbares Gaudium haben. Und dann ahmte er mit
seinem großartige» mimische» Talent — ausgebildet wahrscheinlich durch seineu
Mnndschaden und die Notwendigkeit, seinen Worten durch Gesten Nachdruck
zu geben — und seiner grotesken Figur den Ausdruck byzantinischer und
gotischer Heiligen in einer Weise nach, daß die anspruchsvollste Gesellschaft
bis zum Bersten lachen mußte. Genug, schon die Antike begeisterte sein der
Begeisterung so sehr fähiges Gemüt. Zeitweilig lebte und webte er in ihr.
Dann schwelgte er wieder in andern Stilen. Für die ganze Kunstgeschichte
entbrannte sein Herz. Als er 1858 zum viertenmal in München weilte, ent¬
schloß er sich, über die Alpen zu gehn und einen Winter ii? Italien zu ver¬
weilen. Wenn mau ihn noch in spätern Jahren von Italien, von seinen
Lieblingsstüdten Verona, Bologna, Rom schwärmen hörte, so konnte man
über die tiefen, glühenden Eindrücke staunen. Und wie er damals auf der
Höhe seiner geselligen Talente stand, so fand er auch in Rom die beste und


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[0218] Hermann Allmers wenig ausmachte; bei seiner Neigung zu theatralischen Wesen „gab er sich selbst das Abendmahl," was unter gewissen Bedingungen kirchenrechtlich zu¬ lässig sein soll. Er bekannte sich nicht etwa zu dem damals aufstrebende» liberalen Protestantenverein, sondern machte, obwohl seiue Mutter eine Pastorentochter war, reinen Schnitt. Darin hat er sich nie beirren lassen, so viele Anstrengungen auch gemacht wurden, ihn wieder in den Schoß der Kirche zurückzuführen. In der „Weihe eiues junge» Erdenbürgers" machte er den Versuch, ungläubigen Familienkreisen einen Ersatz für die Taufe zu geben, ein Versuch, der natürlich fehlschlagen mußte. In den fünfziger und sechziger Jahren erregte diese Haltung Aufsehen. Die politische und die geistige Entwicklung drängten die Gemüter in eine andre Richtung. Das hat Allmers verkannt, als er noch 1889 mit derselbe» Emanzipation von der Vormundschaft der Kirche Effekt zu machen glaubte. Er gab ein Bündchen Gedichte „Fromm und frei" heraus, die aber ziemlich spurlos vorübergingen. Zur Kennzeichnung seiner Ansichten geben wir daraus ein Verslein wieder: Ehe ich eine andre Seite der poetischen Natur unsers Freundes berühre, muß ich etwas weiter aushole». Er war »iemals ein einseitiger Romantiker, Germanist und Lobsüuger der Heimat. Schon in seinem ersten Münchner Aufenthalt war er zu der bildenden Kunst in ein vertrautes Verhältnis ge¬ treten. Er umspannte alle ihre Perioden, uur hörte sein Interesse auf, wen» man an die allerhöchsten Gipfel kam. Aber das Emporstreben zog ihn mächtig an. An den kindlichen Ausdrucksmitteln, z. B. den Klobigkeiteu kleiner Kirche» romanischen Stils, oder byzantinischer Freskomalereien, an den langen schmal- schultrigen Gestalten der Gotik, an der Herbigkeit altflorcntinischer Malerei konnte er ein unbezähmbares Gaudium haben. Und dann ahmte er mit seinem großartige» mimische» Talent — ausgebildet wahrscheinlich durch seineu Mnndschaden und die Notwendigkeit, seinen Worten durch Gesten Nachdruck zu geben — und seiner grotesken Figur den Ausdruck byzantinischer und gotischer Heiligen in einer Weise nach, daß die anspruchsvollste Gesellschaft bis zum Bersten lachen mußte. Genug, schon die Antike begeisterte sein der Begeisterung so sehr fähiges Gemüt. Zeitweilig lebte und webte er in ihr. Dann schwelgte er wieder in andern Stilen. Für die ganze Kunstgeschichte entbrannte sein Herz. Als er 1858 zum viertenmal in München weilte, ent¬ schloß er sich, über die Alpen zu gehn und einen Winter ii? Italien zu ver¬ weilen. Wenn mau ihn noch in spätern Jahren von Italien, von seinen Lieblingsstüdten Verona, Bologna, Rom schwärmen hörte, so konnte man über die tiefen, glühenden Eindrücke staunen. Und wie er damals auf der Höhe seiner geselligen Talente stand, so fand er auch in Rom die beste und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/218>, abgerufen am 23.07.2024.