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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Hermann Allmers

Nun witterten die Geier Aas. Das elendste Gesindel an Rittern und Mannen,
schon im voraus von der Kirche sündenfrei gesprochen, stellte sich dem Bischof
und den dominikanischen Eiferern zur Verfügung. Die benachbarten Grafen
waren auch dabei, um unter dein Segensspruch der Kirche freies Bciueruland
zu rauben. Dritthalb Jahre erwehrten sich die "Ketzer" in ihrem nassen, von
Gräben durchschnittnen Lande der fanatisierten Scharen. Am 27. Mai 1234
erlagen sie diesen, als sie auf eiuer Schiffbrücke den Fluß überschritten hatten.
Ein gräßliches Morden und Rauben begann; Frauen und Kinder wurden nicht
geschont; ein großer Teil der Bevölkerung wurde ausgerottet. Noch heute
kann man an diese That nicht denken, ohne das; sich einem vor Abscheu und
Empörung das Herz im Leibe umwendet. Das Ereignis ist mehrfach von
Dichtern behandelt worden, keinem ist es recht geglückt, ein Epos daraus zu
machen; auch Allmers uicht. Er kam auf deu sonderbaren Gedanken, die
Reden in plattdeutscher Sprache wiederzugeben, den verbindenden Text aber
hochdeutsch. Das floß und schmolz aber nicht recht zusammen. Wir geben
eine Probe.

Allmers hat sich selbst nicht getäuscht, daß die zweierlei Mundart doch ans
die Dauer uicht zu ertragen sei. Er hat das Epos nie vollendet, auch nie
den Versuch gemacht, es einheitlich umzugießen. Vielleicht ist ihm auch zum
Bewußtsein gekommen, daß ihm die Kraft, ein Epos im großen zu gestalten,
uicht ausreichend gegeben war.

Auch wenn er die Heimat ansinge, bleibt er mit seineu Gedanke" noch
in dein Bannkreise, den wir schon kennen. Prächtige Worte stehn ihm dafür
zu Gebote:

In dem Dichter Allmers steckte nicht bloß der Heimatdichter, sondern
namentlich auch ein Freidenker, ein Stück von einem Philosophen. Der
radikale Flügel des Hegelianismus hat auf ihn gewirkt, namentlich Arnold
Ruge; wenn ich nicht irre, hat er diesen 1849 vor seinen Verfolgern ver¬
argen gehalten, doch bin ich meiner Sache nicht sicher. Ebenso bedeutsam
'"ar die Freundschaft, die er im Winter 1858/59 in Rom mit dem Natur¬
forscher Ernst Hneckel schloß. Er kam sehr bald dazu, die Kirche völlig zu
legieren. Er geriet durch seine gänzlich sreigeistigen Gedichte, Schriften und
Handlungen schon in den fünfziger Jahren mit der intolerant orthodoxen
K'rede in Konflikt. Sie weigerte ihm das Abendmahl, was ihm natürlich


Grenzboten II 1902 27
Hermann Allmers

Nun witterten die Geier Aas. Das elendste Gesindel an Rittern und Mannen,
schon im voraus von der Kirche sündenfrei gesprochen, stellte sich dem Bischof
und den dominikanischen Eiferern zur Verfügung. Die benachbarten Grafen
waren auch dabei, um unter dein Segensspruch der Kirche freies Bciueruland
zu rauben. Dritthalb Jahre erwehrten sich die „Ketzer" in ihrem nassen, von
Gräben durchschnittnen Lande der fanatisierten Scharen. Am 27. Mai 1234
erlagen sie diesen, als sie auf eiuer Schiffbrücke den Fluß überschritten hatten.
Ein gräßliches Morden und Rauben begann; Frauen und Kinder wurden nicht
geschont; ein großer Teil der Bevölkerung wurde ausgerottet. Noch heute
kann man an diese That nicht denken, ohne das; sich einem vor Abscheu und
Empörung das Herz im Leibe umwendet. Das Ereignis ist mehrfach von
Dichtern behandelt worden, keinem ist es recht geglückt, ein Epos daraus zu
machen; auch Allmers uicht. Er kam auf deu sonderbaren Gedanken, die
Reden in plattdeutscher Sprache wiederzugeben, den verbindenden Text aber
hochdeutsch. Das floß und schmolz aber nicht recht zusammen. Wir geben
eine Probe.

Allmers hat sich selbst nicht getäuscht, daß die zweierlei Mundart doch ans
die Dauer uicht zu ertragen sei. Er hat das Epos nie vollendet, auch nie
den Versuch gemacht, es einheitlich umzugießen. Vielleicht ist ihm auch zum
Bewußtsein gekommen, daß ihm die Kraft, ein Epos im großen zu gestalten,
uicht ausreichend gegeben war.

Auch wenn er die Heimat ansinge, bleibt er mit seineu Gedanke» noch
in dein Bannkreise, den wir schon kennen. Prächtige Worte stehn ihm dafür
zu Gebote:

In dem Dichter Allmers steckte nicht bloß der Heimatdichter, sondern
namentlich auch ein Freidenker, ein Stück von einem Philosophen. Der
radikale Flügel des Hegelianismus hat auf ihn gewirkt, namentlich Arnold
Ruge; wenn ich nicht irre, hat er diesen 1849 vor seinen Verfolgern ver¬
argen gehalten, doch bin ich meiner Sache nicht sicher. Ebenso bedeutsam
'"ar die Freundschaft, die er im Winter 1858/59 in Rom mit dem Natur¬
forscher Ernst Hneckel schloß. Er kam sehr bald dazu, die Kirche völlig zu
legieren. Er geriet durch seine gänzlich sreigeistigen Gedichte, Schriften und
Handlungen schon in den fünfziger Jahren mit der intolerant orthodoxen
K'rede in Konflikt. Sie weigerte ihm das Abendmahl, was ihm natürlich


Grenzboten II 1902 27
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[0217] Hermann Allmers Nun witterten die Geier Aas. Das elendste Gesindel an Rittern und Mannen, schon im voraus von der Kirche sündenfrei gesprochen, stellte sich dem Bischof und den dominikanischen Eiferern zur Verfügung. Die benachbarten Grafen waren auch dabei, um unter dein Segensspruch der Kirche freies Bciueruland zu rauben. Dritthalb Jahre erwehrten sich die „Ketzer" in ihrem nassen, von Gräben durchschnittnen Lande der fanatisierten Scharen. Am 27. Mai 1234 erlagen sie diesen, als sie auf eiuer Schiffbrücke den Fluß überschritten hatten. Ein gräßliches Morden und Rauben begann; Frauen und Kinder wurden nicht geschont; ein großer Teil der Bevölkerung wurde ausgerottet. Noch heute kann man an diese That nicht denken, ohne das; sich einem vor Abscheu und Empörung das Herz im Leibe umwendet. Das Ereignis ist mehrfach von Dichtern behandelt worden, keinem ist es recht geglückt, ein Epos daraus zu machen; auch Allmers uicht. Er kam auf deu sonderbaren Gedanken, die Reden in plattdeutscher Sprache wiederzugeben, den verbindenden Text aber hochdeutsch. Das floß und schmolz aber nicht recht zusammen. Wir geben eine Probe. Allmers hat sich selbst nicht getäuscht, daß die zweierlei Mundart doch ans die Dauer uicht zu ertragen sei. Er hat das Epos nie vollendet, auch nie den Versuch gemacht, es einheitlich umzugießen. Vielleicht ist ihm auch zum Bewußtsein gekommen, daß ihm die Kraft, ein Epos im großen zu gestalten, uicht ausreichend gegeben war. Auch wenn er die Heimat ansinge, bleibt er mit seineu Gedanke» noch in dein Bannkreise, den wir schon kennen. Prächtige Worte stehn ihm dafür zu Gebote: In dem Dichter Allmers steckte nicht bloß der Heimatdichter, sondern namentlich auch ein Freidenker, ein Stück von einem Philosophen. Der radikale Flügel des Hegelianismus hat auf ihn gewirkt, namentlich Arnold Ruge; wenn ich nicht irre, hat er diesen 1849 vor seinen Verfolgern ver¬ argen gehalten, doch bin ich meiner Sache nicht sicher. Ebenso bedeutsam '"ar die Freundschaft, die er im Winter 1858/59 in Rom mit dem Natur¬ forscher Ernst Hneckel schloß. Er kam sehr bald dazu, die Kirche völlig zu legieren. Er geriet durch seine gänzlich sreigeistigen Gedichte, Schriften und Handlungen schon in den fünfziger Jahren mit der intolerant orthodoxen K'rede in Konflikt. Sie weigerte ihm das Abendmahl, was ihm natürlich Grenzboten II 1902 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/217>, abgerufen am 23.07.2024.