Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Hermann Allmors er doch nicht genügende Vorkenntnisse. Ohne lehrhaft und systematisch zu sein, Doch in seinem Autor lebte noch ganz etwas andres als Heimatkunde. Es war in den fünfziger Jahren, in der vollsten Reaktion nach Olmütz, Hermann Allmors er doch nicht genügende Vorkenntnisse. Ohne lehrhaft und systematisch zu sein, Doch in seinem Autor lebte noch ganz etwas andres als Heimatkunde. Es war in den fünfziger Jahren, in der vollsten Reaktion nach Olmütz, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237502"/> <fw type="header" place="top"> Hermann Allmors</fw><lb/> <p xml:id="ID_1106" prev="#ID_1105"> er doch nicht genügende Vorkenntnisse. Ohne lehrhaft und systematisch zu sein,<lb/> vielmehr in freier, man kann wohl sagen künstlerischer Form schildert Allmers<lb/> Land und Leute der Marschen, ihr alltägliches Ringen mit den Hochwasser¬<lb/> gefahren, die furchtbaren Deichbruchkatastrophen, das Erwerbsleben des reichen<lb/> Marschbauern, des Stromfischers, des Tagelöhners usw,, das Gemütsleben,<lb/> die Häuslichkeit, die Sitten, die Pflanzen- und Tierwelt. Was heutzutage<lb/> einen so breiten (zu breiten) Raum in gewissen Zweigen der Litteratur ein¬<lb/> nimmt, der Kultus der engsten Heimat, das tritt uus in den hingebungsvollen<lb/> Schilderungen des Marschenbnchs in liebenswürdigster Weise entgegen. Es<lb/> war ein „Erfolg." Allmers war ein berühmter Mann. Und der Erfolg be¬<lb/> hauptete sich, wie wiederholte Auflage» des Buchs beweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1107"> Doch in seinem Autor lebte noch ganz etwas andres als Heimatkunde.<lb/> Zunächst ein Dichter. Allerdings hat Allmers am kastalischen Quell nnr<lb/> genippt. Sehr produktiv ist er niemals gewesen, und daß auch nur einzelne<lb/> seiner Schöpfungen unsterblich seien, ist wenig wahrscheinlich. Aber wem auch<lb/> nnr einige Tropfen des olympischen Wassers über die Lippen gelaufen sind,<lb/> in dem leuchtet doch gelegentlich die poetische Empfindung so stark auf, das;<lb/> daneben alle matte, angelernte Kunst der Versifexe verblaßt. Die Liebe hat<lb/> sein Gemüt wenig gestört, und er hatte deshalb keinen Grund, sich mit Liebes¬<lb/> liedern an ihr zu rächen. Aber er hat wundervolle Balladen gemacht; die<lb/> des Thorbarden Bernolcf, der zum Christentum übergetreten war und im<lb/> Gewitter auf dein Hüneustein in weiter Heide seinen alten Heidengvtt wieder<lb/> zu erkennen glaubt, ihn mit einer schwungvollen Ode ansinge und vom Blitz¬<lb/> strahl getroffen zu Boden stürzt, ist doch eine wahre Perle echter Balladen¬<lb/> kunst. Stark ausgebildet war des Dichters Sinn für das Sentenziöse, sei es<lb/> in eignen Sprüchen, sei es in größerm Zusammenhange. Den alten friesischen<lb/> Spruch: „Lieber tot als Sklav," der ihn, wenn er darauf zu reden kam, bis<lb/> zur höchsten Begeistrung hinreißen konnte, hat er wiederholt behandelt.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_1108" next="#ID_1109"> Es war in den fünfziger Jahren, in der vollsten Reaktion nach Olmütz,<lb/> als Allmers so sang. Mächtig ergriff ihn auch der tragische Heldenknmpf der<lb/> Stedinger, seiner friesischen Stammesgenossen ant andern Weserufer in der<lb/> Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Die Dominikaner waren ins Land ge¬<lb/> kommen, um überall der Ketzerei nachzuspüren und die unbedingte Herrschaft<lb/> der Kirche herzustellen. Wegen einer lächerlichen Lappalie wurde der Kirchen¬<lb/> bann über das Stediugerland verhängt, und als die trotzigen Bauern noch<lb/> nicht nachgaben, vom Erzbischof von Bremen der Kreuzzug gegen sie gepredigt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0216]
Hermann Allmors
er doch nicht genügende Vorkenntnisse. Ohne lehrhaft und systematisch zu sein,
vielmehr in freier, man kann wohl sagen künstlerischer Form schildert Allmers
Land und Leute der Marschen, ihr alltägliches Ringen mit den Hochwasser¬
gefahren, die furchtbaren Deichbruchkatastrophen, das Erwerbsleben des reichen
Marschbauern, des Stromfischers, des Tagelöhners usw,, das Gemütsleben,
die Häuslichkeit, die Sitten, die Pflanzen- und Tierwelt. Was heutzutage
einen so breiten (zu breiten) Raum in gewissen Zweigen der Litteratur ein¬
nimmt, der Kultus der engsten Heimat, das tritt uus in den hingebungsvollen
Schilderungen des Marschenbnchs in liebenswürdigster Weise entgegen. Es
war ein „Erfolg." Allmers war ein berühmter Mann. Und der Erfolg be¬
hauptete sich, wie wiederholte Auflage» des Buchs beweisen.
Doch in seinem Autor lebte noch ganz etwas andres als Heimatkunde.
Zunächst ein Dichter. Allerdings hat Allmers am kastalischen Quell nnr
genippt. Sehr produktiv ist er niemals gewesen, und daß auch nur einzelne
seiner Schöpfungen unsterblich seien, ist wenig wahrscheinlich. Aber wem auch
nnr einige Tropfen des olympischen Wassers über die Lippen gelaufen sind,
in dem leuchtet doch gelegentlich die poetische Empfindung so stark auf, das;
daneben alle matte, angelernte Kunst der Versifexe verblaßt. Die Liebe hat
sein Gemüt wenig gestört, und er hatte deshalb keinen Grund, sich mit Liebes¬
liedern an ihr zu rächen. Aber er hat wundervolle Balladen gemacht; die
des Thorbarden Bernolcf, der zum Christentum übergetreten war und im
Gewitter auf dein Hüneustein in weiter Heide seinen alten Heidengvtt wieder
zu erkennen glaubt, ihn mit einer schwungvollen Ode ansinge und vom Blitz¬
strahl getroffen zu Boden stürzt, ist doch eine wahre Perle echter Balladen¬
kunst. Stark ausgebildet war des Dichters Sinn für das Sentenziöse, sei es
in eignen Sprüchen, sei es in größerm Zusammenhange. Den alten friesischen
Spruch: „Lieber tot als Sklav," der ihn, wenn er darauf zu reden kam, bis
zur höchsten Begeistrung hinreißen konnte, hat er wiederholt behandelt.
Es war in den fünfziger Jahren, in der vollsten Reaktion nach Olmütz,
als Allmers so sang. Mächtig ergriff ihn auch der tragische Heldenknmpf der
Stedinger, seiner friesischen Stammesgenossen ant andern Weserufer in der
Mitte des dreizehnten Jahrhunderts. Die Dominikaner waren ins Land ge¬
kommen, um überall der Ketzerei nachzuspüren und die unbedingte Herrschaft
der Kirche herzustellen. Wegen einer lächerlichen Lappalie wurde der Kirchen¬
bann über das Stediugerland verhängt, und als die trotzigen Bauern noch
nicht nachgaben, vom Erzbischof von Bremen der Kreuzzug gegen sie gepredigt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |