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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

Behandlung erfahren wie das des Lordschatzmcisters. Aber der erste Lord
des Schatzamts hat sich den Vorrang über die ihm beigeordneten Beamten
errungen, der Schatzkanzler ist zum Haupte der Finanzverwaltung geworden
und hat die jüngern Lords zu zierenden Schnörkeln heruntergedrückt. In der
Admiralität dagegen ist mit gutem Rechte der kollegialische Charakter dem
Nichtfachmann gegenüber bewährt geblieben, sodaß der erste Lord in allem,
was er anordnet, der Zustimmung der andern Lords bedarf, die das See¬
wesen verstehn. Auch abgesehen von der Unselbständigkeit ihres Hauptes er¬
scheint die Admiralität trotz ihrer Wichtigkeit für ein Inselreich als etwas
nebensächliches. Sie ist nur dazu da, die Flotte in gutem Zustande zu er¬
halten. Über die Art und Weise der Verwendung der Flotte steht ihr keine
Stimme zu. Die Flotte bedeutet für Englands Sicherheit unendlich viel mehr
als das Heer, und für das englische Weltreich, für Englands ganze aus¬
wärtige Politik hat das Heer seinen Wert nur durch die Flotte. Man denke
sich die Flotte weg, und England würde im Rate Europas nicht mehr
gelten als Portugal. Aber das Heer hat einen Oberbefehlshaber, und seine
Verwaltung hat um der Spitze einen Staatssekretär. Die Flotte hat keins
von beiden. Es ist die Pflicht der Admiralität, die Flotte zur Verfügung
des Auswärtigen Amts und des Kolonialamts bereit zu halten, und jeder der
Staatssekretäre darf, natürlich im Namen des Königs, d. h. des Kabinetts,
der Admiralität Befehle erteilen, denen sie unweigerlich nachkommen muß.
Die Abhängigkeit wird etwas gemildert dadurch, daß der erste Lord eiuen Sitz
im Kabinett hat, aber in mehr als einem Fall ist der Admiralität selbst die
Fühlung mit einem nusgescmdten Geschwader entzogen und der betreffende
Admiral angewiesen worden, mit Umgehung seiner natürlichen Vorgesetzten nur
den Befehlen des Staatssekretärs zu folgen. Neben dem ersten Lord ist das
Parlament in der Admiralität durch den zivilistischen jüngern Lord und den
Finanzsekretür vertreten. Die Fachleute gehören nicht zur Schar der Gesetz¬
geber in Westminster.

Von den alten hohen Negierungsämtern haben sich außer den schon er¬
wähnten noch die des Geheimsiegelbewahrers und des Lordpräsidenten des
Geheimen Rats im Kabinett erhalten. Bei ihnen ist ferner der Geueralpost-
meister zu erwähnen, der in seinen Anfängen auf die Zeit der Königin Anna
zurückgeht, doch erst im neunzehnten Jahrhundert zu Bedeutung gelangt ist.
Der Geheimsiegelbewahrcr wird von amtlichen Pflichten nicht sehr in Anspruch
genommen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, durch sein Siegel dem Lord¬
kanzler die gesetzliche Vollmacht für die Vollziehung von Staatsurkuuden zu
geben. Nicht schwerer ist die Aufgabe des Lordpräsidenten des Geheimen Rats,
der die Reihe der alten Kronbcainten schließt, aber auch zu einer Gruppe neuer
Unter hinüberleitet.

Oben sind die Ursachen geschildert worden, die den Übergang der Regierung
vom Geheimen Rat auf das Kabinett herbeiführten, ohne jedoch seine ver¬
fassungsmäßige Stellung als der allein gesetzlichen Regierungsbehörde zu be¬
rühren. Ebenso ist auch schou die Zunahme der Geschäfte erwähnt worden,
die sich aus dem Wachsen der Bevölkerung und der Ausdehnung des Reichs


Die britische Regierung

Behandlung erfahren wie das des Lordschatzmcisters. Aber der erste Lord
des Schatzamts hat sich den Vorrang über die ihm beigeordneten Beamten
errungen, der Schatzkanzler ist zum Haupte der Finanzverwaltung geworden
und hat die jüngern Lords zu zierenden Schnörkeln heruntergedrückt. In der
Admiralität dagegen ist mit gutem Rechte der kollegialische Charakter dem
Nichtfachmann gegenüber bewährt geblieben, sodaß der erste Lord in allem,
was er anordnet, der Zustimmung der andern Lords bedarf, die das See¬
wesen verstehn. Auch abgesehen von der Unselbständigkeit ihres Hauptes er¬
scheint die Admiralität trotz ihrer Wichtigkeit für ein Inselreich als etwas
nebensächliches. Sie ist nur dazu da, die Flotte in gutem Zustande zu er¬
halten. Über die Art und Weise der Verwendung der Flotte steht ihr keine
Stimme zu. Die Flotte bedeutet für Englands Sicherheit unendlich viel mehr
als das Heer, und für das englische Weltreich, für Englands ganze aus¬
wärtige Politik hat das Heer seinen Wert nur durch die Flotte. Man denke
sich die Flotte weg, und England würde im Rate Europas nicht mehr
gelten als Portugal. Aber das Heer hat einen Oberbefehlshaber, und seine
Verwaltung hat um der Spitze einen Staatssekretär. Die Flotte hat keins
von beiden. Es ist die Pflicht der Admiralität, die Flotte zur Verfügung
des Auswärtigen Amts und des Kolonialamts bereit zu halten, und jeder der
Staatssekretäre darf, natürlich im Namen des Königs, d. h. des Kabinetts,
der Admiralität Befehle erteilen, denen sie unweigerlich nachkommen muß.
Die Abhängigkeit wird etwas gemildert dadurch, daß der erste Lord eiuen Sitz
im Kabinett hat, aber in mehr als einem Fall ist der Admiralität selbst die
Fühlung mit einem nusgescmdten Geschwader entzogen und der betreffende
Admiral angewiesen worden, mit Umgehung seiner natürlichen Vorgesetzten nur
den Befehlen des Staatssekretärs zu folgen. Neben dem ersten Lord ist das
Parlament in der Admiralität durch den zivilistischen jüngern Lord und den
Finanzsekretür vertreten. Die Fachleute gehören nicht zur Schar der Gesetz¬
geber in Westminster.

Von den alten hohen Negierungsämtern haben sich außer den schon er¬
wähnten noch die des Geheimsiegelbewahrers und des Lordpräsidenten des
Geheimen Rats im Kabinett erhalten. Bei ihnen ist ferner der Geueralpost-
meister zu erwähnen, der in seinen Anfängen auf die Zeit der Königin Anna
zurückgeht, doch erst im neunzehnten Jahrhundert zu Bedeutung gelangt ist.
Der Geheimsiegelbewahrcr wird von amtlichen Pflichten nicht sehr in Anspruch
genommen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, durch sein Siegel dem Lord¬
kanzler die gesetzliche Vollmacht für die Vollziehung von Staatsurkuuden zu
geben. Nicht schwerer ist die Aufgabe des Lordpräsidenten des Geheimen Rats,
der die Reihe der alten Kronbcainten schließt, aber auch zu einer Gruppe neuer
Unter hinüberleitet.

Oben sind die Ursachen geschildert worden, die den Übergang der Regierung
vom Geheimen Rat auf das Kabinett herbeiführten, ohne jedoch seine ver¬
fassungsmäßige Stellung als der allein gesetzlichen Regierungsbehörde zu be¬
rühren. Ebenso ist auch schou die Zunahme der Geschäfte erwähnt worden,
die sich aus dem Wachsen der Bevölkerung und der Ausdehnung des Reichs


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[0207] Die britische Regierung Behandlung erfahren wie das des Lordschatzmcisters. Aber der erste Lord des Schatzamts hat sich den Vorrang über die ihm beigeordneten Beamten errungen, der Schatzkanzler ist zum Haupte der Finanzverwaltung geworden und hat die jüngern Lords zu zierenden Schnörkeln heruntergedrückt. In der Admiralität dagegen ist mit gutem Rechte der kollegialische Charakter dem Nichtfachmann gegenüber bewährt geblieben, sodaß der erste Lord in allem, was er anordnet, der Zustimmung der andern Lords bedarf, die das See¬ wesen verstehn. Auch abgesehen von der Unselbständigkeit ihres Hauptes er¬ scheint die Admiralität trotz ihrer Wichtigkeit für ein Inselreich als etwas nebensächliches. Sie ist nur dazu da, die Flotte in gutem Zustande zu er¬ halten. Über die Art und Weise der Verwendung der Flotte steht ihr keine Stimme zu. Die Flotte bedeutet für Englands Sicherheit unendlich viel mehr als das Heer, und für das englische Weltreich, für Englands ganze aus¬ wärtige Politik hat das Heer seinen Wert nur durch die Flotte. Man denke sich die Flotte weg, und England würde im Rate Europas nicht mehr gelten als Portugal. Aber das Heer hat einen Oberbefehlshaber, und seine Verwaltung hat um der Spitze einen Staatssekretär. Die Flotte hat keins von beiden. Es ist die Pflicht der Admiralität, die Flotte zur Verfügung des Auswärtigen Amts und des Kolonialamts bereit zu halten, und jeder der Staatssekretäre darf, natürlich im Namen des Königs, d. h. des Kabinetts, der Admiralität Befehle erteilen, denen sie unweigerlich nachkommen muß. Die Abhängigkeit wird etwas gemildert dadurch, daß der erste Lord eiuen Sitz im Kabinett hat, aber in mehr als einem Fall ist der Admiralität selbst die Fühlung mit einem nusgescmdten Geschwader entzogen und der betreffende Admiral angewiesen worden, mit Umgehung seiner natürlichen Vorgesetzten nur den Befehlen des Staatssekretärs zu folgen. Neben dem ersten Lord ist das Parlament in der Admiralität durch den zivilistischen jüngern Lord und den Finanzsekretür vertreten. Die Fachleute gehören nicht zur Schar der Gesetz¬ geber in Westminster. Von den alten hohen Negierungsämtern haben sich außer den schon er¬ wähnten noch die des Geheimsiegelbewahrers und des Lordpräsidenten des Geheimen Rats im Kabinett erhalten. Bei ihnen ist ferner der Geueralpost- meister zu erwähnen, der in seinen Anfängen auf die Zeit der Königin Anna zurückgeht, doch erst im neunzehnten Jahrhundert zu Bedeutung gelangt ist. Der Geheimsiegelbewahrcr wird von amtlichen Pflichten nicht sehr in Anspruch genommen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, durch sein Siegel dem Lord¬ kanzler die gesetzliche Vollmacht für die Vollziehung von Staatsurkuuden zu geben. Nicht schwerer ist die Aufgabe des Lordpräsidenten des Geheimen Rats, der die Reihe der alten Kronbcainten schließt, aber auch zu einer Gruppe neuer Unter hinüberleitet. Oben sind die Ursachen geschildert worden, die den Übergang der Regierung vom Geheimen Rat auf das Kabinett herbeiführten, ohne jedoch seine ver¬ fassungsmäßige Stellung als der allein gesetzlichen Regierungsbehörde zu be¬ rühren. Ebenso ist auch schou die Zunahme der Geschäfte erwähnt worden, die sich aus dem Wachsen der Bevölkerung und der Ausdehnung des Reichs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/207>, abgerufen am 23.07.2024.