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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

1857 England von der Notwendigkeit einheitlicher Gewalt im indischen Reiche.
Dasselbe Verfahren wurde beobachtet, und das Parlament ließ sich die Ge¬
legenheit nicht entgehn, anch Indien unter seinen unmittelbaren Einfluß zu
bringen. Mit der Kompagnie trat auch die von der Krone ernannte Aufsichts¬
behörde vom Schauplatz ab, und beider Befugnisse wurden 1858 einem Staats¬
sekretär und einem unter diesem stehenden indischen Rate (Lonneil c"k Irnlich
übertragen.

Fürs erste scheint das Staatssckretaricit mit der Ausdehnung auf die
indischen Angelegenheiten seinen Abschluß erreicht zu haben, doch nur fürs
erste. Die Entwicklung der Ämter neuern Ursprungs dürfte in nicht allzu¬
langer Zeit dazu führen, ihren Spitzen den Rang und die Bedeutung eines
Staatssekretärs zu geben. Für das Handelsamt ist eine solche Forderung
schon offen ausgesprochen worden. Selbstverständlich gehören die Staats¬
sekretäre ebenso wie die Unterstaatssekretäre dem Parlament an, doch ist es
nicht gleichgiltig, welchem Hause. Nach dem Gesetze von 1858, das ihre Zahl
auf fünf erhöhte, dürfen höchstens vier Staatssekretäre im Unterhause sitzen.
Nach altem Herkommen wird der Staatssekretär für das Innere immer dem
Unterhause entnommen; dagegen pflegt, aus naheliegender Rücksicht auf den
Verkehr mit den Vertretern monarchischer Staaten, im Auswärtigen Amt ein
Mitglied des Oberhauses zu walten. Bei den andern Staarssekretären über¬
wiegt das Unterhaus.

Von einer Seemacht wie Großbritannien würde man erwarten, daß es
der Flotte einen hervorragenden Platz in seiner Regierung einräumte. Dem
ist jedoch nicht so. Der Marineminister nimmt eine verhältnismüßig unter¬
geordnete Stellung ein. Mit dem Wachstum der Flotte ist die Rangstellnng
ihres Hauptes eingeschrumpft. Im fernen Mittelalter, als der König von
England nur wenig eigne Schiffe besaß, und die Schlachtflvtte hauptsächlich
aus den Fahrzeugen der Seestädte bestand, dn gab es einen Großadmiral.
Die Würde erhielt sich, solange England auf dem Meere hinter den Hansen
und Holländern stand. Geleistet haben die alten Großadmirale wenig, außer
in der Fürsorge für ihre guten Freunde, die mit der Führung von Schiffen
betraut wurden, ohne vom Seewesen etwas zu verstehn. Schon im siebzehnten
Jahrhundert war die Wahrnehmung des Amts des Großadmirals mehreremnl
einer kollegialischer Behörde übertragen worden, die aus "Personen von be¬
kannter Erfahrung in Seeangelegenheiten" bestand. Wiederholt kam man auf
den Großadmiral zurück, aber nach dem Tode des Prinzen Georg von Düne¬
mark, des Gemahls der Königin Anna, wurde die Admiralitätsbehörde dauernd,
und uur auf kurze Zeit ist 1827 zu Gunsten des Herzogs von Clarence noch
einmal eine Ausnahme gemacht worden.

Die Behörde hat an der Spitze den ersten Lord der Admiralität, der
einen Sitz im Parlament hat, bloß Politiker ist und vom Seewesen nichts zu
verstehn braucht. Der gegenwärtige Inhaber des Postens, Lord Selbvurne,
Salisburys Schwiegersohn, ist eine Landratte wie sein Vorgänger Goschen.
Unter dem ersten Lord stehn die fünf Lords der Admiralität, von denen vier
Seeoffiziere sind. Das Amt des Großadmirals hat also seinerzeit eine ähnliche


Die britische Regierung

1857 England von der Notwendigkeit einheitlicher Gewalt im indischen Reiche.
Dasselbe Verfahren wurde beobachtet, und das Parlament ließ sich die Ge¬
legenheit nicht entgehn, anch Indien unter seinen unmittelbaren Einfluß zu
bringen. Mit der Kompagnie trat auch die von der Krone ernannte Aufsichts¬
behörde vom Schauplatz ab, und beider Befugnisse wurden 1858 einem Staats¬
sekretär und einem unter diesem stehenden indischen Rate (Lonneil c»k Irnlich
übertragen.

Fürs erste scheint das Staatssckretaricit mit der Ausdehnung auf die
indischen Angelegenheiten seinen Abschluß erreicht zu haben, doch nur fürs
erste. Die Entwicklung der Ämter neuern Ursprungs dürfte in nicht allzu¬
langer Zeit dazu führen, ihren Spitzen den Rang und die Bedeutung eines
Staatssekretärs zu geben. Für das Handelsamt ist eine solche Forderung
schon offen ausgesprochen worden. Selbstverständlich gehören die Staats¬
sekretäre ebenso wie die Unterstaatssekretäre dem Parlament an, doch ist es
nicht gleichgiltig, welchem Hause. Nach dem Gesetze von 1858, das ihre Zahl
auf fünf erhöhte, dürfen höchstens vier Staatssekretäre im Unterhause sitzen.
Nach altem Herkommen wird der Staatssekretär für das Innere immer dem
Unterhause entnommen; dagegen pflegt, aus naheliegender Rücksicht auf den
Verkehr mit den Vertretern monarchischer Staaten, im Auswärtigen Amt ein
Mitglied des Oberhauses zu walten. Bei den andern Staarssekretären über¬
wiegt das Unterhaus.

Von einer Seemacht wie Großbritannien würde man erwarten, daß es
der Flotte einen hervorragenden Platz in seiner Regierung einräumte. Dem
ist jedoch nicht so. Der Marineminister nimmt eine verhältnismüßig unter¬
geordnete Stellung ein. Mit dem Wachstum der Flotte ist die Rangstellnng
ihres Hauptes eingeschrumpft. Im fernen Mittelalter, als der König von
England nur wenig eigne Schiffe besaß, und die Schlachtflvtte hauptsächlich
aus den Fahrzeugen der Seestädte bestand, dn gab es einen Großadmiral.
Die Würde erhielt sich, solange England auf dem Meere hinter den Hansen
und Holländern stand. Geleistet haben die alten Großadmirale wenig, außer
in der Fürsorge für ihre guten Freunde, die mit der Führung von Schiffen
betraut wurden, ohne vom Seewesen etwas zu verstehn. Schon im siebzehnten
Jahrhundert war die Wahrnehmung des Amts des Großadmirals mehreremnl
einer kollegialischer Behörde übertragen worden, die aus „Personen von be¬
kannter Erfahrung in Seeangelegenheiten" bestand. Wiederholt kam man auf
den Großadmiral zurück, aber nach dem Tode des Prinzen Georg von Düne¬
mark, des Gemahls der Königin Anna, wurde die Admiralitätsbehörde dauernd,
und uur auf kurze Zeit ist 1827 zu Gunsten des Herzogs von Clarence noch
einmal eine Ausnahme gemacht worden.

Die Behörde hat an der Spitze den ersten Lord der Admiralität, der
einen Sitz im Parlament hat, bloß Politiker ist und vom Seewesen nichts zu
verstehn braucht. Der gegenwärtige Inhaber des Postens, Lord Selbvurne,
Salisburys Schwiegersohn, ist eine Landratte wie sein Vorgänger Goschen.
Unter dem ersten Lord stehn die fünf Lords der Admiralität, von denen vier
Seeoffiziere sind. Das Amt des Großadmirals hat also seinerzeit eine ähnliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/206>, abgerufen am 23.07.2024.