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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe

meisten zu statten, die sich am kräftigsten bethätigt. Und das ist jetzt die
polnische. Darum lieber erst das Deutschtum unsrer Ostprovinzen stärken!
Ist das in ausreichender Weise geschehn, so wird damit die allgemeine Kultur¬
hebung schon von selbst kommen. Und was etwa noch zu wünschen übrig
bleibt, kann auch dann noch in Angriff genommen werden.

Eine nationale Sprachen- und Schulpolitik kann im fremden Sprach¬
gebiete keine selbständigen Erfolge erringen. Die in der Schule erlernte
Staatssprache ist für viele totes Kapital und geht in spätern Jahren wieder
verloren, wenn nicht die Anforderungen des praktischen Lebens ihre Kenntnis
und Handhabung gebieterisch verlangen. Deshalb ist es wichtiger als die
Schuldressur, die Verhältnisse des wirtschaftlichen und überhaupt des öffent¬
lichen Lebens so zu gestalten, daß in ihnen der Gebrauch der deutschen Sprache
mehr und mehr zur Notwendigkeit wird, daß durch ihre Nichtkenntnis wirt¬
schaftliche und andre Nachteile entstehn. Darauf kann z. B. dadurch hin¬
gewirkt werden, daß für alle solche Versammlungen, deren staatliche Beauf¬
sichtigung gesetzlich vorgeschrieben ist, die Staatssprache als alleinige Ver¬
handlungssprache festgesetzt wird; oder daß vor Gericht die eines Dolmetschers
bedürftige Partei ihn anch bezahlen muß. Eine Verlängerung der Dienstzeit
für Soldaten, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, würde
auch uicht ohne Erfolg sein. Am kräftigsten wird aber auch in dieser Richtung
eine unaufhaltsam fortschreitende deutsche Besiedlung wirken. Indem durch sie
die jetzt noch überwiegend polnischen Gebietsteile mehr und mehr in zwei¬
sprachige verwandelt werden, wird anch die Notwendigkeit der Kenntnis der
deutschen Sprache immer zwingender werden.

Gestützt durch einen solchen Entwicklungsgang kann auch die Schule sehr
wertvolle Dienste leisten, nur dürfte es notwendig sein, das Deutsche immer
mehr zur alleinigen Unterrichtssprache, einschließlich der Religion, zu machen-
Noch förderlicher würde es für das Deutschtum und für eine friedlichere Ge¬
staltung der Dinge im Osten sein, wenn der Staat sich entschlösse, unter
keinen Umständen polnischen Geistlichen die Erteilung des Religionsunterrichts
oder irgend welche Rechte der Schulaufsicht anzuvertrauen.




Wenu uicht alle Anzeichen trügen, so stehn wir jetzt vor einem ent¬
scheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Wandrungen dentschen Volks-
tums. Anfänglich waren diese Wandrungcn durchaus uach Westen und Sude"
gerichtet, bis sie in der Völkerwaudrung ihren Höhepunkt erreichten, und in
ihrem Gefolge eine neue feste Abgrenzung gegen das Romanentum bewirkten
Denn folgte das gewaltige Zurückströmen deutscher Volkskraft uach Osten,
das den Wiedergewinn weiter ostelbischer Gebiete zur Folge hatte, ohne jedoch
eine Abgrenzung gegen das Slawentum herbeizuführen, die als endgiltig oder
doch nur für längere Zeit dauernd angesehen werden kann. In den Blut-
strömen des Dreißigjährige!: Krieges war die Kraft des deutschen Volkstums,
die diesen Abschluß im Osten hätte herbeiführe" können, bis zur vollsten Er¬
schöpfung aufgebraucht worden. Als sich das deutsche Volk soweit erholt hatte,


Nationalitätskämpfe

meisten zu statten, die sich am kräftigsten bethätigt. Und das ist jetzt die
polnische. Darum lieber erst das Deutschtum unsrer Ostprovinzen stärken!
Ist das in ausreichender Weise geschehn, so wird damit die allgemeine Kultur¬
hebung schon von selbst kommen. Und was etwa noch zu wünschen übrig
bleibt, kann auch dann noch in Angriff genommen werden.

Eine nationale Sprachen- und Schulpolitik kann im fremden Sprach¬
gebiete keine selbständigen Erfolge erringen. Die in der Schule erlernte
Staatssprache ist für viele totes Kapital und geht in spätern Jahren wieder
verloren, wenn nicht die Anforderungen des praktischen Lebens ihre Kenntnis
und Handhabung gebieterisch verlangen. Deshalb ist es wichtiger als die
Schuldressur, die Verhältnisse des wirtschaftlichen und überhaupt des öffent¬
lichen Lebens so zu gestalten, daß in ihnen der Gebrauch der deutschen Sprache
mehr und mehr zur Notwendigkeit wird, daß durch ihre Nichtkenntnis wirt¬
schaftliche und andre Nachteile entstehn. Darauf kann z. B. dadurch hin¬
gewirkt werden, daß für alle solche Versammlungen, deren staatliche Beauf¬
sichtigung gesetzlich vorgeschrieben ist, die Staatssprache als alleinige Ver¬
handlungssprache festgesetzt wird; oder daß vor Gericht die eines Dolmetschers
bedürftige Partei ihn anch bezahlen muß. Eine Verlängerung der Dienstzeit
für Soldaten, die der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sind, würde
auch uicht ohne Erfolg sein. Am kräftigsten wird aber auch in dieser Richtung
eine unaufhaltsam fortschreitende deutsche Besiedlung wirken. Indem durch sie
die jetzt noch überwiegend polnischen Gebietsteile mehr und mehr in zwei¬
sprachige verwandelt werden, wird anch die Notwendigkeit der Kenntnis der
deutschen Sprache immer zwingender werden.

Gestützt durch einen solchen Entwicklungsgang kann auch die Schule sehr
wertvolle Dienste leisten, nur dürfte es notwendig sein, das Deutsche immer
mehr zur alleinigen Unterrichtssprache, einschließlich der Religion, zu machen-
Noch förderlicher würde es für das Deutschtum und für eine friedlichere Ge¬
staltung der Dinge im Osten sein, wenn der Staat sich entschlösse, unter
keinen Umständen polnischen Geistlichen die Erteilung des Religionsunterrichts
oder irgend welche Rechte der Schulaufsicht anzuvertrauen.




Wenu uicht alle Anzeichen trügen, so stehn wir jetzt vor einem ent¬
scheidenden Wendepunkt in der Geschichte der Wandrungen dentschen Volks-
tums. Anfänglich waren diese Wandrungcn durchaus uach Westen und Sude»
gerichtet, bis sie in der Völkerwaudrung ihren Höhepunkt erreichten, und in
ihrem Gefolge eine neue feste Abgrenzung gegen das Romanentum bewirkten
Denn folgte das gewaltige Zurückströmen deutscher Volkskraft uach Osten,
das den Wiedergewinn weiter ostelbischer Gebiete zur Folge hatte, ohne jedoch
eine Abgrenzung gegen das Slawentum herbeizuführen, die als endgiltig oder
doch nur für längere Zeit dauernd angesehen werden kann. In den Blut-
strömen des Dreißigjährige!: Krieges war die Kraft des deutschen Volkstums,
die diesen Abschluß im Osten hätte herbeiführe» können, bis zur vollsten Er¬
schöpfung aufgebraucht worden. Als sich das deutsche Volk soweit erholt hatte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/716>, abgerufen am 19.10.2024.