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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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vom ehemaligen Königreich Hannover

Sitzungen des Gesamtministcrinms gab es kaum noch; im Palais fanden Ver¬
sammlungen eines Konsens statt, zu denen der König berief, wen er wollte, und
wo er selbst präsidierte. Von allen Ministern, die er gehabt hat, hatte er
doch eigentlich nur zu diesem einen ein Vertrauen ohne Rückhalt, und es
schien auf eiuer geheimen Anziehung zu beruhn, die der bäurisch aussehende
kleine Mann mit den plebejischen Manieren auf den Monarchen ausübte, der
doch jeder Zoll ein Aristokrat war. Borries war ein Despot, und sein Einfluß
so verderblich, daß ihm Unzählige in der Stille ihres Herzens geflucht haben
mögen. Er war sehr klug, produktiv in Gedanken und von praktischem Blick in
allen Verwaltungssachen, während sein Schwager, der steife, herrische Bureau¬
krat Lütcken, nur einen kritischen Verstand hatte. Beide waren die Leiter
eines "ritterschaftlichen" Ministeriums, beide wurden von dem Volke als
Paschas gefühlt und später im Gedächtnis behalten, sodaß man noch lange
sagen hören konnte, Borries würde wohl nicht zu ertragen gewesen sein, wenn
man nicht durch Lütcken auf ihn vorbereitet worden wäre. Aber eins muß
gesagt werden, weil in dem Andenken an gehaßte oder nicht geliebte Männer
das Gute nur zu leicht verschwindet. Das Gefühl der Bitterkeit wird hier
nicht verstärkt durch persönliche Flecken, Handlungen wider besseres Wissen und
Selbstsucht, denu für ihre Person wollten diese Männer gar nichts, nur als
königliche Diener ausführen, was sie für recht hielten. Borries, dessen auf¬
richtiges Ideal die absolute Erbmonarchie war, ging in der Disziplinierung
der Beamten, womit Lütcken begonnen hatte, viel weiter und bekam zum Lohn
für seine gehässige Arbeit doch nichts als den Grafentitel, der schlecht genug
zu ihm paßte. schlicht und anspruchslos in seinen persönlichen Bedürfnissen,
bethätigte er nach seinem Rücktritt sein lebhaftes Interesse für Landwirtschaft
und Viehzucht, und wie der Ägypter dem Krokodil, das ihn hätte fressen
können, seine Verehrung bezeugt, so war der einst gefürchtete Mann namentlich
bei den Bauern seiner Heimatsprovinz Bremen beliebt und auch übrigens
nicht eigentlich gehaßt; mit dem Fall von seiner Höhe schien er die Verfehlungen
der Jahre seiner Macht gesühnt zu haben. Nach der Annexion berief ihn der
König von Preußen in das Herrenhaus. Er nahm an den Sitzungen teil,
ergriff auch das Wort, was Hasselt entgangen ist, und starb einundachtzig
Jahre alt 1883.

Alle diese Vorgänge der innern Geschichte Hannovers werden in dem
Werke Hassells mit eingehender Ausführlichkeit behandelt, klar und anziehend
in der Schildrung und mit einem Blick für Recht und Unrecht, der uns zeigt,
daß sich der Verfasser von den Vorurteilen vieler seiner Standesgenossen frei
gemacht hat, und daß seine Sympathien dem Fortschritt zugewandt sind. Ganz
besonders scheint uns auch seine Beurteilung der Persönlichkeiten, soweit wir
sie an unsern eignen Erinnerungen haben prüfen können, zutreffend und ge¬
recht. Das ändert sich freilich, sobald in die hannoverschen Verhältnisse die
preußische und die deutsche Frage hin einspielen, dann verschieben sich für seinen
Blick von seinem politischen Standpunkt aus Persönlichkeiten und Sachen-
Wir wählen als ein Beispiel dafür aus vielen seine Behandlung Rudolf
von Vennigsens und der Lage in Deutschland vor und nach dem Frieden von


vom ehemaligen Königreich Hannover

Sitzungen des Gesamtministcrinms gab es kaum noch; im Palais fanden Ver¬
sammlungen eines Konsens statt, zu denen der König berief, wen er wollte, und
wo er selbst präsidierte. Von allen Ministern, die er gehabt hat, hatte er
doch eigentlich nur zu diesem einen ein Vertrauen ohne Rückhalt, und es
schien auf eiuer geheimen Anziehung zu beruhn, die der bäurisch aussehende
kleine Mann mit den plebejischen Manieren auf den Monarchen ausübte, der
doch jeder Zoll ein Aristokrat war. Borries war ein Despot, und sein Einfluß
so verderblich, daß ihm Unzählige in der Stille ihres Herzens geflucht haben
mögen. Er war sehr klug, produktiv in Gedanken und von praktischem Blick in
allen Verwaltungssachen, während sein Schwager, der steife, herrische Bureau¬
krat Lütcken, nur einen kritischen Verstand hatte. Beide waren die Leiter
eines „ritterschaftlichen" Ministeriums, beide wurden von dem Volke als
Paschas gefühlt und später im Gedächtnis behalten, sodaß man noch lange
sagen hören konnte, Borries würde wohl nicht zu ertragen gewesen sein, wenn
man nicht durch Lütcken auf ihn vorbereitet worden wäre. Aber eins muß
gesagt werden, weil in dem Andenken an gehaßte oder nicht geliebte Männer
das Gute nur zu leicht verschwindet. Das Gefühl der Bitterkeit wird hier
nicht verstärkt durch persönliche Flecken, Handlungen wider besseres Wissen und
Selbstsucht, denu für ihre Person wollten diese Männer gar nichts, nur als
königliche Diener ausführen, was sie für recht hielten. Borries, dessen auf¬
richtiges Ideal die absolute Erbmonarchie war, ging in der Disziplinierung
der Beamten, womit Lütcken begonnen hatte, viel weiter und bekam zum Lohn
für seine gehässige Arbeit doch nichts als den Grafentitel, der schlecht genug
zu ihm paßte. schlicht und anspruchslos in seinen persönlichen Bedürfnissen,
bethätigte er nach seinem Rücktritt sein lebhaftes Interesse für Landwirtschaft
und Viehzucht, und wie der Ägypter dem Krokodil, das ihn hätte fressen
können, seine Verehrung bezeugt, so war der einst gefürchtete Mann namentlich
bei den Bauern seiner Heimatsprovinz Bremen beliebt und auch übrigens
nicht eigentlich gehaßt; mit dem Fall von seiner Höhe schien er die Verfehlungen
der Jahre seiner Macht gesühnt zu haben. Nach der Annexion berief ihn der
König von Preußen in das Herrenhaus. Er nahm an den Sitzungen teil,
ergriff auch das Wort, was Hasselt entgangen ist, und starb einundachtzig
Jahre alt 1883.

Alle diese Vorgänge der innern Geschichte Hannovers werden in dem
Werke Hassells mit eingehender Ausführlichkeit behandelt, klar und anziehend
in der Schildrung und mit einem Blick für Recht und Unrecht, der uns zeigt,
daß sich der Verfasser von den Vorurteilen vieler seiner Standesgenossen frei
gemacht hat, und daß seine Sympathien dem Fortschritt zugewandt sind. Ganz
besonders scheint uns auch seine Beurteilung der Persönlichkeiten, soweit wir
sie an unsern eignen Erinnerungen haben prüfen können, zutreffend und ge¬
recht. Das ändert sich freilich, sobald in die hannoverschen Verhältnisse die
preußische und die deutsche Frage hin einspielen, dann verschieben sich für seinen
Blick von seinem politischen Standpunkt aus Persönlichkeiten und Sachen-
Wir wählen als ein Beispiel dafür aus vielen seine Behandlung Rudolf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/420>, abgerufen am 27.09.2024.