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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Michol und der Michaelskultus

der Eroberer verband sie aber schon bald danach mit dem Mutterkloster, das
ihm für seinen Eroberungszug sechs Schiffe gestellt hatte. Und dies blieb auch
unter den folgenden englischen Königen normannischen Geschlechts das verehrte
Hauptheiligtum. Seine Blüte beginnt nnter der langen Verwaltung des Abts
Robert von Thorignh oder Du Mont (1154 bis 1186). Vor allem herrscht
rege Bauthätigkeit, ermöglicht durch reiches Einkommen. Glanzvoll verlief im
Jahre 1158 der Besuch der Könige von Frankreich und England, Ludwigs VII.
und Heinrichs III., sowie des Kardinals Roland unmittelbar vor seiner Er¬
hebung auf den päpstlichen Stuhl als Alexander III. (1159). Der Chronist
berichtet erstaunt, daß die hohen Herren im Refektorium ihre Mahlzeit mit den
Mönchen hielten.

Je mehr sich die Gegensätze zwischen den Herrschern beider Länder ver¬
schärften, desto mehr wuchs die politische und strategische Bedeutung des Platzes,
der schon während der Kämpfe zwischen den Herzögen der Normandie und der
Bretagne befestigt worden war. Endlich gelangte 1203 in den Kämpfen
zwischen Philipp August II. und Johann ohne Land die Normandie und damit
der Mont Se. Michel an die französische Krone. Da bei der Einnahme
durch die Bretonen die Abtei ein Raub der Flammen geworden war, begann
sofort der Neubau und die Errichtung von Vcfestigungswerken unter dem Abt
Jourdain um 1210. In deren Schutz und nnter der dauernden Gunst der
französischen Könige erfreute sich das Kloster einer mehr als hundertjährigen
Friedens- und Glanzperiode. Die Bauthätigkeit fand einen gewissen Abschluß
durch Vollendung der Merveille bis zum .Kreuzgang in den Jahren 1215 bis
1228. Die Päpste bekundete" ihr Wohlwollen durch zahlreiche Jndnlgenzen
und Bestätigungen, die Könige durch Besuche und Privilegien. Für die wirt¬
schaftliche Entwicklung war die Gründung zweier jährlicher Messen wichtig (am
Dienstag nach Ostern und am 8. September).

Daß aber zugleich die geistigen Interessen nicht vernachlässigt wurden,
beweisen die schönen Manuskripte aus diesen Jahrhunderten, wissenschaftliche
Ausarbeitungen und chronikalische Aufzeichnungen. Die Aufstellung von Statuten
zwecks Entsendung von Mönchen zum Studium nach Paris (1337) läßt erkennen,
daß man sich der modernsten Bildungsmittel der Zeit bediente.

Während dieser Zeit entwickelte sich in Frankreich der Kult des Erzengels
mehr und mehr zum Nativnalkult, je mehr sein Sitz an Ansehen wuchs. Bis
Ludwig XIII. das Königreich nnter den Schutz einer Höher", der heilige"
Jungfrau, stellte, galt Se. Michael als Verteidiger Frankreichs. Zahlreich sind
deshalb die Michaelskirchen und Michaelsberge, und zwar hauptsächlich im
Norte" Frankreichs. Hier erwachte in dein hundertjährigen Kampfe gegen
England erst eigentlich das französische Nationalgefühl, denn nur die Liebe zu
dem schönen Vaterland zitterte durch, wenn im Nolandslied die heimkehrenden
Helden beim ersten Blick auf die fruchtbaren Gefilde des Adour gerührt die Heimat
als "das süße Frankreich" begrüßten. Jetzt aber, als bei Crecy 1346 die Blüte
der französischen Ritterschaft den Pfeilen der englischen Bogenschützen erlegen,


Mont Se. Michol und der Michaelskultus

der Eroberer verband sie aber schon bald danach mit dem Mutterkloster, das
ihm für seinen Eroberungszug sechs Schiffe gestellt hatte. Und dies blieb auch
unter den folgenden englischen Königen normannischen Geschlechts das verehrte
Hauptheiligtum. Seine Blüte beginnt nnter der langen Verwaltung des Abts
Robert von Thorignh oder Du Mont (1154 bis 1186). Vor allem herrscht
rege Bauthätigkeit, ermöglicht durch reiches Einkommen. Glanzvoll verlief im
Jahre 1158 der Besuch der Könige von Frankreich und England, Ludwigs VII.
und Heinrichs III., sowie des Kardinals Roland unmittelbar vor seiner Er¬
hebung auf den päpstlichen Stuhl als Alexander III. (1159). Der Chronist
berichtet erstaunt, daß die hohen Herren im Refektorium ihre Mahlzeit mit den
Mönchen hielten.

Je mehr sich die Gegensätze zwischen den Herrschern beider Länder ver¬
schärften, desto mehr wuchs die politische und strategische Bedeutung des Platzes,
der schon während der Kämpfe zwischen den Herzögen der Normandie und der
Bretagne befestigt worden war. Endlich gelangte 1203 in den Kämpfen
zwischen Philipp August II. und Johann ohne Land die Normandie und damit
der Mont Se. Michel an die französische Krone. Da bei der Einnahme
durch die Bretonen die Abtei ein Raub der Flammen geworden war, begann
sofort der Neubau und die Errichtung von Vcfestigungswerken unter dem Abt
Jourdain um 1210. In deren Schutz und nnter der dauernden Gunst der
französischen Könige erfreute sich das Kloster einer mehr als hundertjährigen
Friedens- und Glanzperiode. Die Bauthätigkeit fand einen gewissen Abschluß
durch Vollendung der Merveille bis zum .Kreuzgang in den Jahren 1215 bis
1228. Die Päpste bekundete» ihr Wohlwollen durch zahlreiche Jndnlgenzen
und Bestätigungen, die Könige durch Besuche und Privilegien. Für die wirt¬
schaftliche Entwicklung war die Gründung zweier jährlicher Messen wichtig (am
Dienstag nach Ostern und am 8. September).

Daß aber zugleich die geistigen Interessen nicht vernachlässigt wurden,
beweisen die schönen Manuskripte aus diesen Jahrhunderten, wissenschaftliche
Ausarbeitungen und chronikalische Aufzeichnungen. Die Aufstellung von Statuten
zwecks Entsendung von Mönchen zum Studium nach Paris (1337) läßt erkennen,
daß man sich der modernsten Bildungsmittel der Zeit bediente.

Während dieser Zeit entwickelte sich in Frankreich der Kult des Erzengels
mehr und mehr zum Nativnalkult, je mehr sein Sitz an Ansehen wuchs. Bis
Ludwig XIII. das Königreich nnter den Schutz einer Höher», der heilige»
Jungfrau, stellte, galt Se. Michael als Verteidiger Frankreichs. Zahlreich sind
deshalb die Michaelskirchen und Michaelsberge, und zwar hauptsächlich im
Norte» Frankreichs. Hier erwachte in dein hundertjährigen Kampfe gegen
England erst eigentlich das französische Nationalgefühl, denn nur die Liebe zu
dem schönen Vaterland zitterte durch, wenn im Nolandslied die heimkehrenden
Helden beim ersten Blick auf die fruchtbaren Gefilde des Adour gerührt die Heimat
als „das süße Frankreich" begrüßten. Jetzt aber, als bei Crecy 1346 die Blüte
der französischen Ritterschaft den Pfeilen der englischen Bogenschützen erlegen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/95>, abgerufen am 28.07.2024.