Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Mont Se, Michel und der Michaelskultus

Michaelskirchen. Der geheimnisvolle Zauber der Örtlichkeit, die gefahrvolle
Lage inmitten der überraschend ansteigenden Fluten und die unsichern beweg¬
lichen Sandbänke verstärkten den wunderbaren Eindruck. Der Erzengel selbst
staute am Michaclsfest die Wogen zurück, daß zwischen den Wassermauern die
Pilger zum Heiligtum gelangen könnten,


Sie gehen mit trocknen Füße"
Wohl durch den Meeresgrund.

Mehrere Brände zerstörten die Kirche; geräumige Neubauten, auch zur
Aufnahme der Pilger, machten sich nötig. Als der Mönch Bernhard den
Wallfahrtsort im Jahre 870 besuchte, bot dieser gewiß einen stattlichen Anblick.
sende Geschicke interessierten damals sogar belgische Geschichtschreiber.

Unter den schwachen letzten Karolingern brachte es das ausgebildete
Feudalshstem mit sich, daß fortdauernd Bürgerkrieg herrschte. Die ver-
wüstenden Einfälle der Normannen vermehrten die Unsicherheit. Ein Punkt,
der als natürliche Festung gelten konnte, mußte friedlichen Mönchen doppelt
erwünscht sein. Aber auch die Normannen strebten nach seinein Besitz. In
denk Vertrage von Samt Clair sur Epee 912 erzwang Herzog Rollo die Ab¬
tretung des Gebiets zwischen dem Flüßchen Epee und "dem Meer über den
Mont Se. Michel hinaus," wie ausdrücklich ausgemacht würde. Zum Glück
für das Kloster kam es dadurch unter die Herrschaft der mächtigsten Vasallen
der Krone und des begabten normannischen Volksstamms, der dank der glück¬
lichen Mischung der verschiednen Stämme bald die Führung in der ritterlichen
Zivilisation übernahm. Einmal heimisch geworden bedeckten die Normannen
in anderthalb Jahrhunderten das Land mit großartigen Schlössern und reichen
.Kirchen und bedachten die Geistlichkeit in richtiger Erkenntnis ihrer Bedeutung
mit zahlreichen Schenkungen. Die Benennung der ersten Glocke des Berges
"Rollvu," die bestimmt war, mit mächtigem Klang die Vasallen von den nahen
Ufern zusammenzurufen, zeugt von der dankbaren Gesinnung der Mönche gegen
diesen ersten normännischen Herzog. Seine Nachfolger bewiesen dem Berge
fortdauernd ihre Gunst. Epochemachend wurde das Jahr 966, wo Richard I.
ohne Furcht das Kloster dem Benediktinerorden übergab und zugleich mit dem
Bau der Abtei begann, deren Grundmauern sich bis heute erhalten haben.
Häufig kamen die Herzöge dahin zu Festen und Besuchen, denn alle diese
kriegerischen Herren waren daraus bedacht, sich die Hilfe des Herrn der himm¬
lischen Heerscharen durch Privilegien und reiche Schenkungen an seinen Wohnsitz
hier auf Erden zu sichern.

Von der Normandie ans fand im elften Jahrhundert der Michaelskult
auch in England Eingang, als Eduard der Bekenner 1042 von dort aus den
Thron bestieg. Angeblich nach einer Erscheinung des Erzengels wurde in
völliger Anlehnung an das normännische Heiligtum und unter ganz ülnilichen
Verhältnissen auf einem hohen Felsen der flachen Mvunts Bai an der Küste
von Cornwallis die Benediktinerabtei Se. Michaels Mount begründet. Wilhelm


Mont Se, Michel und der Michaelskultus

Michaelskirchen. Der geheimnisvolle Zauber der Örtlichkeit, die gefahrvolle
Lage inmitten der überraschend ansteigenden Fluten und die unsichern beweg¬
lichen Sandbänke verstärkten den wunderbaren Eindruck. Der Erzengel selbst
staute am Michaclsfest die Wogen zurück, daß zwischen den Wassermauern die
Pilger zum Heiligtum gelangen könnten,


Sie gehen mit trocknen Füße»
Wohl durch den Meeresgrund.

Mehrere Brände zerstörten die Kirche; geräumige Neubauten, auch zur
Aufnahme der Pilger, machten sich nötig. Als der Mönch Bernhard den
Wallfahrtsort im Jahre 870 besuchte, bot dieser gewiß einen stattlichen Anblick.
sende Geschicke interessierten damals sogar belgische Geschichtschreiber.

Unter den schwachen letzten Karolingern brachte es das ausgebildete
Feudalshstem mit sich, daß fortdauernd Bürgerkrieg herrschte. Die ver-
wüstenden Einfälle der Normannen vermehrten die Unsicherheit. Ein Punkt,
der als natürliche Festung gelten konnte, mußte friedlichen Mönchen doppelt
erwünscht sein. Aber auch die Normannen strebten nach seinein Besitz. In
denk Vertrage von Samt Clair sur Epee 912 erzwang Herzog Rollo die Ab¬
tretung des Gebiets zwischen dem Flüßchen Epee und „dem Meer über den
Mont Se. Michel hinaus," wie ausdrücklich ausgemacht würde. Zum Glück
für das Kloster kam es dadurch unter die Herrschaft der mächtigsten Vasallen
der Krone und des begabten normannischen Volksstamms, der dank der glück¬
lichen Mischung der verschiednen Stämme bald die Führung in der ritterlichen
Zivilisation übernahm. Einmal heimisch geworden bedeckten die Normannen
in anderthalb Jahrhunderten das Land mit großartigen Schlössern und reichen
.Kirchen und bedachten die Geistlichkeit in richtiger Erkenntnis ihrer Bedeutung
mit zahlreichen Schenkungen. Die Benennung der ersten Glocke des Berges
„Rollvu," die bestimmt war, mit mächtigem Klang die Vasallen von den nahen
Ufern zusammenzurufen, zeugt von der dankbaren Gesinnung der Mönche gegen
diesen ersten normännischen Herzog. Seine Nachfolger bewiesen dem Berge
fortdauernd ihre Gunst. Epochemachend wurde das Jahr 966, wo Richard I.
ohne Furcht das Kloster dem Benediktinerorden übergab und zugleich mit dem
Bau der Abtei begann, deren Grundmauern sich bis heute erhalten haben.
Häufig kamen die Herzöge dahin zu Festen und Besuchen, denn alle diese
kriegerischen Herren waren daraus bedacht, sich die Hilfe des Herrn der himm¬
lischen Heerscharen durch Privilegien und reiche Schenkungen an seinen Wohnsitz
hier auf Erden zu sichern.

Von der Normandie ans fand im elften Jahrhundert der Michaelskult
auch in England Eingang, als Eduard der Bekenner 1042 von dort aus den
Thron bestieg. Angeblich nach einer Erscheinung des Erzengels wurde in
völliger Anlehnung an das normännische Heiligtum und unter ganz ülnilichen
Verhältnissen auf einem hohen Felsen der flachen Mvunts Bai an der Küste
von Cornwallis die Benediktinerabtei Se. Michaels Mount begründet. Wilhelm


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235916"/>
            <fw type="header" place="top"> Mont Se, Michel und der Michaelskultus</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_297" prev="#ID_296"> Michaelskirchen. Der geheimnisvolle Zauber der Örtlichkeit, die gefahrvolle<lb/>
Lage inmitten der überraschend ansteigenden Fluten und die unsichern beweg¬<lb/>
lichen Sandbänke verstärkten den wunderbaren Eindruck. Der Erzengel selbst<lb/>
staute am Michaclsfest die Wogen zurück, daß zwischen den Wassermauern die<lb/>
Pilger zum Heiligtum gelangen könnten,</p><lb/>
            <quote> Sie gehen mit trocknen Füße»<lb/>
Wohl durch den Meeresgrund.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_298"> Mehrere Brände zerstörten die Kirche; geräumige Neubauten, auch zur<lb/>
Aufnahme der Pilger, machten sich nötig. Als der Mönch Bernhard den<lb/>
Wallfahrtsort im Jahre 870 besuchte, bot dieser gewiß einen stattlichen Anblick.<lb/>
sende Geschicke interessierten damals sogar belgische Geschichtschreiber.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_299"> Unter den schwachen letzten Karolingern brachte es das ausgebildete<lb/>
Feudalshstem mit sich, daß fortdauernd Bürgerkrieg herrschte. Die ver-<lb/>
wüstenden Einfälle der Normannen vermehrten die Unsicherheit. Ein Punkt,<lb/>
der als natürliche Festung gelten konnte, mußte friedlichen Mönchen doppelt<lb/>
erwünscht sein. Aber auch die Normannen strebten nach seinein Besitz. In<lb/>
denk Vertrage von Samt Clair sur Epee 912 erzwang Herzog Rollo die Ab¬<lb/>
tretung des Gebiets zwischen dem Flüßchen Epee und &#x201E;dem Meer über den<lb/>
Mont Se. Michel hinaus," wie ausdrücklich ausgemacht würde. Zum Glück<lb/>
für das Kloster kam es dadurch unter die Herrschaft der mächtigsten Vasallen<lb/>
der Krone und des begabten normannischen Volksstamms, der dank der glück¬<lb/>
lichen Mischung der verschiednen Stämme bald die Führung in der ritterlichen<lb/>
Zivilisation übernahm. Einmal heimisch geworden bedeckten die Normannen<lb/>
in anderthalb Jahrhunderten das Land mit großartigen Schlössern und reichen<lb/>
.Kirchen und bedachten die Geistlichkeit in richtiger Erkenntnis ihrer Bedeutung<lb/>
mit zahlreichen Schenkungen. Die Benennung der ersten Glocke des Berges<lb/>
&#x201E;Rollvu," die bestimmt war, mit mächtigem Klang die Vasallen von den nahen<lb/>
Ufern zusammenzurufen, zeugt von der dankbaren Gesinnung der Mönche gegen<lb/>
diesen ersten normännischen Herzog. Seine Nachfolger bewiesen dem Berge<lb/>
fortdauernd ihre Gunst. Epochemachend wurde das Jahr 966, wo Richard I.<lb/>
ohne Furcht das Kloster dem Benediktinerorden übergab und zugleich mit dem<lb/>
Bau der Abtei begann, deren Grundmauern sich bis heute erhalten haben.<lb/>
Häufig kamen die Herzöge dahin zu Festen und Besuchen, denn alle diese<lb/>
kriegerischen Herren waren daraus bedacht, sich die Hilfe des Herrn der himm¬<lb/>
lischen Heerscharen durch Privilegien und reiche Schenkungen an seinen Wohnsitz<lb/>
hier auf Erden zu sichern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> Von der Normandie ans fand im elften Jahrhundert der Michaelskult<lb/>
auch in England Eingang, als Eduard der Bekenner 1042 von dort aus den<lb/>
Thron bestieg. Angeblich nach einer Erscheinung des Erzengels wurde in<lb/>
völliger Anlehnung an das normännische Heiligtum und unter ganz ülnilichen<lb/>
Verhältnissen auf einem hohen Felsen der flachen Mvunts Bai an der Küste<lb/>
von Cornwallis die Benediktinerabtei Se. Michaels Mount begründet. Wilhelm</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Mont Se, Michel und der Michaelskultus Michaelskirchen. Der geheimnisvolle Zauber der Örtlichkeit, die gefahrvolle Lage inmitten der überraschend ansteigenden Fluten und die unsichern beweg¬ lichen Sandbänke verstärkten den wunderbaren Eindruck. Der Erzengel selbst staute am Michaclsfest die Wogen zurück, daß zwischen den Wassermauern die Pilger zum Heiligtum gelangen könnten, Sie gehen mit trocknen Füße» Wohl durch den Meeresgrund. Mehrere Brände zerstörten die Kirche; geräumige Neubauten, auch zur Aufnahme der Pilger, machten sich nötig. Als der Mönch Bernhard den Wallfahrtsort im Jahre 870 besuchte, bot dieser gewiß einen stattlichen Anblick. sende Geschicke interessierten damals sogar belgische Geschichtschreiber. Unter den schwachen letzten Karolingern brachte es das ausgebildete Feudalshstem mit sich, daß fortdauernd Bürgerkrieg herrschte. Die ver- wüstenden Einfälle der Normannen vermehrten die Unsicherheit. Ein Punkt, der als natürliche Festung gelten konnte, mußte friedlichen Mönchen doppelt erwünscht sein. Aber auch die Normannen strebten nach seinein Besitz. In denk Vertrage von Samt Clair sur Epee 912 erzwang Herzog Rollo die Ab¬ tretung des Gebiets zwischen dem Flüßchen Epee und „dem Meer über den Mont Se. Michel hinaus," wie ausdrücklich ausgemacht würde. Zum Glück für das Kloster kam es dadurch unter die Herrschaft der mächtigsten Vasallen der Krone und des begabten normannischen Volksstamms, der dank der glück¬ lichen Mischung der verschiednen Stämme bald die Führung in der ritterlichen Zivilisation übernahm. Einmal heimisch geworden bedeckten die Normannen in anderthalb Jahrhunderten das Land mit großartigen Schlössern und reichen .Kirchen und bedachten die Geistlichkeit in richtiger Erkenntnis ihrer Bedeutung mit zahlreichen Schenkungen. Die Benennung der ersten Glocke des Berges „Rollvu," die bestimmt war, mit mächtigem Klang die Vasallen von den nahen Ufern zusammenzurufen, zeugt von der dankbaren Gesinnung der Mönche gegen diesen ersten normännischen Herzog. Seine Nachfolger bewiesen dem Berge fortdauernd ihre Gunst. Epochemachend wurde das Jahr 966, wo Richard I. ohne Furcht das Kloster dem Benediktinerorden übergab und zugleich mit dem Bau der Abtei begann, deren Grundmauern sich bis heute erhalten haben. Häufig kamen die Herzöge dahin zu Festen und Besuchen, denn alle diese kriegerischen Herren waren daraus bedacht, sich die Hilfe des Herrn der himm¬ lischen Heerscharen durch Privilegien und reiche Schenkungen an seinen Wohnsitz hier auf Erden zu sichern. Von der Normandie ans fand im elften Jahrhundert der Michaelskult auch in England Eingang, als Eduard der Bekenner 1042 von dort aus den Thron bestieg. Angeblich nach einer Erscheinung des Erzengels wurde in völliger Anlehnung an das normännische Heiligtum und unter ganz ülnilichen Verhältnissen auf einem hohen Felsen der flachen Mvunts Bai an der Küste von Cornwallis die Benediktinerabtei Se. Michaels Mount begründet. Wilhelm

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/94>, abgerufen am 29.07.2024.