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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Riedel und der Mchaelskultns

als König Johaiin zehn Jahre später bei Manpertuis gefangen und dann nach
London geführt worden war, als die Engländer fast alle Küsten von Calais
bis Bayonne besetzt hielten und in den schönsten Provinzen Frankreichs als
Herren schälkelen -- erst da kam allmählich allen Söhnen der cloues Kranes
das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit zum Bewußtsein. Instinktiv fühlte
man, daß Frankreich untergehn oder sich der Umklammerung erwehren müsse.
In der Bretagne begann der Widerstand. Das wellige, von tief einschneidenden
Flüssen und Bächen durchfurchte Hügelland, wo nach alter Sitte die meisten
Acker mit Erdwällen oder Hecken umgeben sind, eignete sich gleich den Heiden
und Wäldern der Nachbarprvvinzen Maine und Anjou vortrefflich zum Partei¬
gängerkrieg. Der Vorläufer der Jemine Dare in dein Befreiungskampf der
Franzose", Bertrand du Guesclin, organisierte ihn. Durch Überrumpelung
und Erstürmung einzelner Schlösser vertrieb er die Engländer fast völlig aus
diesen Landschaften und ging dann, zum Kapitän von Pontorson und Mont
Se. Michel ernannt, in der Normandie gegen sie vor. Noch zeigt mau unter¬
halb der Abtei das bescheidne Hans seiner Frau, Madame Tiphaigne Raguenel
I". äoueo los.

In dem folgenden Kampfe wurde das Hauptheiligtum des heiligen Michael
das Vollwerk der Normandie. Inzwischen hatte nämlich der König von Frank¬
reich die Vasallen von dreizehn Lehen uuter die Kapitulierte des Berges ge¬
stellt. Trotzdem gingen anfangs die Engländer bei ihrem erneuten Vordringen
schonend vor, denn päpstliche Exkommunikation stand auf die Beschädigung des
Heiligtums. Es wurde den Kämpfenden mehrfach die Achtung "für einen so
heiligen Ort" eingeschärft, "daß er nicht die Beute der Flammen werden sollte."
Bald ließen sie so zarte Rücksichten beiseite. Dreimal belagerten sie ihn. Um
ihn zu bezwingen, verschanzten sie sich 1419 ans dem 2,5 Kilometer entfernten
niedrigen Felsen Tombelaine, wo einst Philipp August ein Fort zum Schutze
des Klosters hatte errichten lassen, und begannen eine regelrechte Blockade,
Beschießung und Sturmangriffe. Der Berg aber verdiente sich den Namen
des mons virAO, den ihm spätere Annalisten beilegen. Er konnte nicht ge¬
nommen werden. Die hartnäckige Verteidigung unter Louis D'Estouteville in
den Jahren 1421 bis 1427 und die Zurückweisung des stärksten Sturmangriffs
durch seine hundertneunzehn Ritter, deren Namen zum Gedächtnis in Stein
gegraben wurden, sind ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Klosterfestnng.
Aber erst 1449 zogen sich die Engländer ans der Umgebung des Berges zurück,
deu sie nur noch einmal, 1474, bedrohten.

Noch erinnern an diese glanzvolle Episode zwei gewaltige eiserne Vom-
barden von mehr als 3 Meter Länge, die die Engländer hatten zurücklassen
müssen, die "Michelettes." Sie begrüßen den Ankömmling am Eingang der
Stube, geschützt durch ein Gitter, weil audenkenwütige englische Reisende Stücke
vou "ihren" Kanonen mit Eifer und Erfolg losgesplittert haben sollen.

Welchen begeisternden Eindruck aber die Verteidigung in günz Frankreich
machte, ergiebt sich am besten daraus, daß sich bald darauf Jemine Dare für


Mont Se. Riedel und der Mchaelskultns

als König Johaiin zehn Jahre später bei Manpertuis gefangen und dann nach
London geführt worden war, als die Engländer fast alle Küsten von Calais
bis Bayonne besetzt hielten und in den schönsten Provinzen Frankreichs als
Herren schälkelen — erst da kam allmählich allen Söhnen der cloues Kranes
das Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit zum Bewußtsein. Instinktiv fühlte
man, daß Frankreich untergehn oder sich der Umklammerung erwehren müsse.
In der Bretagne begann der Widerstand. Das wellige, von tief einschneidenden
Flüssen und Bächen durchfurchte Hügelland, wo nach alter Sitte die meisten
Acker mit Erdwällen oder Hecken umgeben sind, eignete sich gleich den Heiden
und Wäldern der Nachbarprvvinzen Maine und Anjou vortrefflich zum Partei¬
gängerkrieg. Der Vorläufer der Jemine Dare in dein Befreiungskampf der
Franzose», Bertrand du Guesclin, organisierte ihn. Durch Überrumpelung
und Erstürmung einzelner Schlösser vertrieb er die Engländer fast völlig aus
diesen Landschaften und ging dann, zum Kapitän von Pontorson und Mont
Se. Michel ernannt, in der Normandie gegen sie vor. Noch zeigt mau unter¬
halb der Abtei das bescheidne Hans seiner Frau, Madame Tiphaigne Raguenel
I». äoueo los.

In dem folgenden Kampfe wurde das Hauptheiligtum des heiligen Michael
das Vollwerk der Normandie. Inzwischen hatte nämlich der König von Frank¬
reich die Vasallen von dreizehn Lehen uuter die Kapitulierte des Berges ge¬
stellt. Trotzdem gingen anfangs die Engländer bei ihrem erneuten Vordringen
schonend vor, denn päpstliche Exkommunikation stand auf die Beschädigung des
Heiligtums. Es wurde den Kämpfenden mehrfach die Achtung „für einen so
heiligen Ort" eingeschärft, „daß er nicht die Beute der Flammen werden sollte."
Bald ließen sie so zarte Rücksichten beiseite. Dreimal belagerten sie ihn. Um
ihn zu bezwingen, verschanzten sie sich 1419 ans dem 2,5 Kilometer entfernten
niedrigen Felsen Tombelaine, wo einst Philipp August ein Fort zum Schutze
des Klosters hatte errichten lassen, und begannen eine regelrechte Blockade,
Beschießung und Sturmangriffe. Der Berg aber verdiente sich den Namen
des mons virAO, den ihm spätere Annalisten beilegen. Er konnte nicht ge¬
nommen werden. Die hartnäckige Verteidigung unter Louis D'Estouteville in
den Jahren 1421 bis 1427 und die Zurückweisung des stärksten Sturmangriffs
durch seine hundertneunzehn Ritter, deren Namen zum Gedächtnis in Stein
gegraben wurden, sind ein Ruhmesblatt in der Geschichte der Klosterfestnng.
Aber erst 1449 zogen sich die Engländer ans der Umgebung des Berges zurück,
deu sie nur noch einmal, 1474, bedrohten.

Noch erinnern an diese glanzvolle Episode zwei gewaltige eiserne Vom-
barden von mehr als 3 Meter Länge, die die Engländer hatten zurücklassen
müssen, die „Michelettes." Sie begrüßen den Ankömmling am Eingang der
Stube, geschützt durch ein Gitter, weil audenkenwütige englische Reisende Stücke
vou „ihren" Kanonen mit Eifer und Erfolg losgesplittert haben sollen.

Welchen begeisternden Eindruck aber die Verteidigung in günz Frankreich
machte, ergiebt sich am besten daraus, daß sich bald darauf Jemine Dare für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/96>, abgerufen am 28.07.2024.