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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Über die Germania des u.annus

von der Voraussetzung aus, die allerdings der Gewißheit nahezu gleichkommt,
daß die Germania im Jahre 98 veröffentlicht worden ist. Am 27. Januar
dieses Jahres war Kaiser Nerva aus dem Leben geschieden, nachdem er den
Spanier Trajan adoptiert, zum Mitregenten ernannt und zum Konsul designiert
hatte. Zu der Zeit des Regierungswechsels hielt sich der neue Imperator an
der Ostgrenze des Reiches, in Köln auf, weil die Verhältnisse hier infolge
der Mißregierung Domitians in arge Verwirrung geraten waren. Abhilfe zu
schaffen war allerdings Trajan der rechte Man". Er stellte vor allein die
unter Domitian gänzlich verfallne Mannszucht bei den Truppen wieder her
und erreichte ohne größere kriegerische Unternehmungen, daß sich die aufsässigen
Germauenstämme der Autorität des römischen Namens wieder fügten und, wie
Plinius in seiner Lobrede auf den Kaiser Trajan hervorhebt, vor dein Tribunal
des römischen Imperators erschienen, um seine Entscheidungen entgegenzunehmen.
Die Befestigungen der Rheinstädte wurden verstärkt, und die volonis, Dmjan",
das jetzige Xanten, gegründet, die Anzahl der Legionen um zwei vermehrt,
und die schon von Domitian begonnene Grenzsperre energisch weiter geführt.
Alle diese Maßnahmen hielten den Cäsar einstweilen am Rhein fest. Inzwischen
trug man aber in Rom sehnliches Verlangen nach seiner Rückkehr. Denn auch
hier gab es mancherlei zu thun und zu ordnen. Mit welcher Ungeduld die
Ankunft des neuen Imperators erwartet wurde, zeigen besonders zwei um diese
Zeit verfaßte Epigramme des Martial. Das eine lautet:


Den preis ich glücklich, dein vergönnt, zu schauen
Im Glanz der nordschen Sonne Romas Held.
Wann kommt der Tag, wo sich des Marsselds Plan
Mit Menschen füllt, die Bäume man erklimmt,
Aus allen Fenstern Weibertöpfe schaun?
Wann wird des Stands zu harren Wonne sein,
Der in der Ferne wirbelt, wann ganz Rom
Auf der Flaumfeder Straße wartend stehn?
Wann naht der Reiter und im bunten Kleid
Des Nils braunfnrbger Sohn, wann wird das Volk
Einstimmig rufen- "Sehet her, er kommt"?

Und in dem andern ruft der Dichter den Vater Rhein an, er möge nicht dulden,
daß aufsässige barbarische Hirten ihre Karren über seinen Nacken führten, sondern
da er einmal die goldnen Hörner wiedergewonnen habe, als Römer an beiden
Ufern dahinbrauscn, den Trajan aber - so wolle es sein Herr, der Tiber --
seinem harrenden Volke nach Rom zurückführen.

Nun schließt Müllenhoff so: Wenn Taeitus, der sich als Staatsmann in
verschiednen hohen Stellungen bewährt hatte er hatte eben erst im Jahre 97
nach dem Tode des als Krieger wie als Staatsmann und als Mensch gleich
hochgeschätzten Virginius Ursus mit dem Nerva zusammen das Kousulat be¬
kleidet, der überdies zu Trajan mindestens gute Beziehungen hatte, wenn
er ihm nicht gar persönlich nahe stand --, wenn Taeitus gerade in dieser
einigermaßen kritischen Zeit es unternahm, eine Schrift über Deutschland zu
veröffentlichen, so müssen es schwerwiegende Gründe gewesen sein, die ihn dazu


Über die Germania des u.annus

von der Voraussetzung aus, die allerdings der Gewißheit nahezu gleichkommt,
daß die Germania im Jahre 98 veröffentlicht worden ist. Am 27. Januar
dieses Jahres war Kaiser Nerva aus dem Leben geschieden, nachdem er den
Spanier Trajan adoptiert, zum Mitregenten ernannt und zum Konsul designiert
hatte. Zu der Zeit des Regierungswechsels hielt sich der neue Imperator an
der Ostgrenze des Reiches, in Köln auf, weil die Verhältnisse hier infolge
der Mißregierung Domitians in arge Verwirrung geraten waren. Abhilfe zu
schaffen war allerdings Trajan der rechte Man». Er stellte vor allein die
unter Domitian gänzlich verfallne Mannszucht bei den Truppen wieder her
und erreichte ohne größere kriegerische Unternehmungen, daß sich die aufsässigen
Germauenstämme der Autorität des römischen Namens wieder fügten und, wie
Plinius in seiner Lobrede auf den Kaiser Trajan hervorhebt, vor dein Tribunal
des römischen Imperators erschienen, um seine Entscheidungen entgegenzunehmen.
Die Befestigungen der Rheinstädte wurden verstärkt, und die volonis, Dmjan»,
das jetzige Xanten, gegründet, die Anzahl der Legionen um zwei vermehrt,
und die schon von Domitian begonnene Grenzsperre energisch weiter geführt.
Alle diese Maßnahmen hielten den Cäsar einstweilen am Rhein fest. Inzwischen
trug man aber in Rom sehnliches Verlangen nach seiner Rückkehr. Denn auch
hier gab es mancherlei zu thun und zu ordnen. Mit welcher Ungeduld die
Ankunft des neuen Imperators erwartet wurde, zeigen besonders zwei um diese
Zeit verfaßte Epigramme des Martial. Das eine lautet:


Den preis ich glücklich, dein vergönnt, zu schauen
Im Glanz der nordschen Sonne Romas Held.
Wann kommt der Tag, wo sich des Marsselds Plan
Mit Menschen füllt, die Bäume man erklimmt,
Aus allen Fenstern Weibertöpfe schaun?
Wann wird des Stands zu harren Wonne sein,
Der in der Ferne wirbelt, wann ganz Rom
Auf der Flaumfeder Straße wartend stehn?
Wann naht der Reiter und im bunten Kleid
Des Nils braunfnrbger Sohn, wann wird das Volk
Einstimmig rufen- „Sehet her, er kommt"?

Und in dem andern ruft der Dichter den Vater Rhein an, er möge nicht dulden,
daß aufsässige barbarische Hirten ihre Karren über seinen Nacken führten, sondern
da er einmal die goldnen Hörner wiedergewonnen habe, als Römer an beiden
Ufern dahinbrauscn, den Trajan aber - so wolle es sein Herr, der Tiber —
seinem harrenden Volke nach Rom zurückführen.

Nun schließt Müllenhoff so: Wenn Taeitus, der sich als Staatsmann in
verschiednen hohen Stellungen bewährt hatte er hatte eben erst im Jahre 97
nach dem Tode des als Krieger wie als Staatsmann und als Mensch gleich
hochgeschätzten Virginius Ursus mit dem Nerva zusammen das Kousulat be¬
kleidet, der überdies zu Trajan mindestens gute Beziehungen hatte, wenn
er ihm nicht gar persönlich nahe stand —, wenn Taeitus gerade in dieser
einigermaßen kritischen Zeit es unternahm, eine Schrift über Deutschland zu
veröffentlichen, so müssen es schwerwiegende Gründe gewesen sein, die ihn dazu


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[0646] Über die Germania des u.annus von der Voraussetzung aus, die allerdings der Gewißheit nahezu gleichkommt, daß die Germania im Jahre 98 veröffentlicht worden ist. Am 27. Januar dieses Jahres war Kaiser Nerva aus dem Leben geschieden, nachdem er den Spanier Trajan adoptiert, zum Mitregenten ernannt und zum Konsul designiert hatte. Zu der Zeit des Regierungswechsels hielt sich der neue Imperator an der Ostgrenze des Reiches, in Köln auf, weil die Verhältnisse hier infolge der Mißregierung Domitians in arge Verwirrung geraten waren. Abhilfe zu schaffen war allerdings Trajan der rechte Man». Er stellte vor allein die unter Domitian gänzlich verfallne Mannszucht bei den Truppen wieder her und erreichte ohne größere kriegerische Unternehmungen, daß sich die aufsässigen Germauenstämme der Autorität des römischen Namens wieder fügten und, wie Plinius in seiner Lobrede auf den Kaiser Trajan hervorhebt, vor dein Tribunal des römischen Imperators erschienen, um seine Entscheidungen entgegenzunehmen. Die Befestigungen der Rheinstädte wurden verstärkt, und die volonis, Dmjan», das jetzige Xanten, gegründet, die Anzahl der Legionen um zwei vermehrt, und die schon von Domitian begonnene Grenzsperre energisch weiter geführt. Alle diese Maßnahmen hielten den Cäsar einstweilen am Rhein fest. Inzwischen trug man aber in Rom sehnliches Verlangen nach seiner Rückkehr. Denn auch hier gab es mancherlei zu thun und zu ordnen. Mit welcher Ungeduld die Ankunft des neuen Imperators erwartet wurde, zeigen besonders zwei um diese Zeit verfaßte Epigramme des Martial. Das eine lautet: Den preis ich glücklich, dein vergönnt, zu schauen Im Glanz der nordschen Sonne Romas Held. Wann kommt der Tag, wo sich des Marsselds Plan Mit Menschen füllt, die Bäume man erklimmt, Aus allen Fenstern Weibertöpfe schaun? Wann wird des Stands zu harren Wonne sein, Der in der Ferne wirbelt, wann ganz Rom Auf der Flaumfeder Straße wartend stehn? Wann naht der Reiter und im bunten Kleid Des Nils braunfnrbger Sohn, wann wird das Volk Einstimmig rufen- „Sehet her, er kommt"? Und in dem andern ruft der Dichter den Vater Rhein an, er möge nicht dulden, daß aufsässige barbarische Hirten ihre Karren über seinen Nacken führten, sondern da er einmal die goldnen Hörner wiedergewonnen habe, als Römer an beiden Ufern dahinbrauscn, den Trajan aber - so wolle es sein Herr, der Tiber — seinem harrenden Volke nach Rom zurückführen. Nun schließt Müllenhoff so: Wenn Taeitus, der sich als Staatsmann in verschiednen hohen Stellungen bewährt hatte er hatte eben erst im Jahre 97 nach dem Tode des als Krieger wie als Staatsmann und als Mensch gleich hochgeschätzten Virginius Ursus mit dem Nerva zusammen das Kousulat be¬ kleidet, der überdies zu Trajan mindestens gute Beziehungen hatte, wenn er ihm nicht gar persönlich nahe stand —, wenn Taeitus gerade in dieser einigermaßen kritischen Zeit es unternahm, eine Schrift über Deutschland zu veröffentlichen, so müssen es schwerwiegende Gründe gewesen sein, die ihn dazu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/646>, abgerufen am 27.07.2024.