Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Miquel und BLiixigsoü

Nationalliberalen, hat aber wohl in ihren Reihen eine Erklärung gefunden.
Die Erzählung, die diese bringt, gipfelt darin, daß Bennigsen den Freund bei
einem Besuche, den er ihm nach langjähriger Entfremdung gemacht hätte, noch
unter dem starken Eindrucke seiner Entlassung angetroffen habe. Diese sei
ungemein ungnädig gewesen, Miquel habe das Palais des Kaisers als ge-
brochner Mann hinter sich gelassen. Das Nähere müsse noch Geheimnis
bleiben, aber Bennigsen, der die nötigen Aufzeichnungen gemacht habe, werde,
wenn es Zeit sei, nicht damit zurückhalten.

Diese Erzählung trügt, wenn auch nicht den Stempel der freien Er¬
findung, doch sehr den der tendenziösen Färbung an sich. Daß sich bei Ge¬
legenheit des Besuchs - oder wurde er gerade deshalb gemacht? -- die
beiden ausgesöhnt haben, ist selbstverständlich, ebenso, daß Miguel gerade dem
wiedergewonnenen Freunde das nötige Material zu geeigneter Veröffentlichung
Übermacht haben wird; aber der "gebrochne Mann" ist ein Unsinn. In diesem
Falle kann die "Gebrochenheit" nur zwei Voraussetzungen haben, entweder
einen Ehrgeiz, der sich nicht von der Sache habe leiten lassen, oder die direkte
Unredlichkeit, aber für Miquel ist weder die eine zutreffend noch die andre.
Auch eine über das Maß hinausgehende Erschütterung paßt nicht in das
Gemüt eines Mannes, der mehr, als man anzunehmen geneigt ist, durch
Philosophie gestählt war. Miquel spielte um einen großen Einsatz: daß dieses
Spiel für ihn verloren gehn konnte, dessen war er sich jeden Augenblick
gewärtig. Iinxg,viäuiu tsrieut ruir>g,6.

Unter diesen Umständen bleibt nichts andres übrig, als für den Zustand
der Gebrochenheit, der den Leuten nun einmal als thatsächlich gilt, aber es
in Wirklichkeit nicht zu sein braucht, eine andre Erklärung zu finden. Es ist
natürlich, daß die Aussöhnung der beiden Staatsmänner nach der Entlassung
Miquels ohne weiteres in der Partei nur wenig Entgegenkommen finden
mußte, und daß sich ein willigeres Verständnis für die Sache erst dann ein¬
stellen würde, wenn man der Meinung sein konnte, daß der Freund dem
Freunde in der Not zu Hilfe geeilt sei und seinem Seelenschmerze die auf¬
richtende Hand geboten habe. Nicht als ob damit der Glaube erweckt werden
sollte, daß hier eine Fiktion Bennigsens vorläge, aber es ist erklärlich, daß
er gern dem sich aufdrängenden Bedürfnis der Menschen entgegenkam, weil
es ihm in seiner Stellung zwischen dem Freunde und der Partei von Belang
war. Auch für die Grabrede, die für den Fraktivusgeist geradezu unver¬
ständlich ist, mochte die fromme Legende von der Hilfsbedürftigkeit des ge¬
wesenen Ministers rettend eintreten.

Eine Legende, die im Aberglauben und in der Unzulänglichkeit alles
Menschentmus ihren Grund hat, aber nichts andres als eine Legende. Gewiß
haben beide Freunde das Bedürfnis gehabt, sich wieder zu finden, und wie
bedauerlich sie an und für sich war, so gab doch die Entlassung Miquels dazu
den besten Anlaß. Der gewesene Minister hatte jetzt seine Erfahrung, wie
früher der Oberprüsident sie gemacht hatte; gleiches Geschick führt auch
weniger kongeniale Naturen zusammen. Daß aber in dein frischern Schmerz


Miquel und BLiixigsoü

Nationalliberalen, hat aber wohl in ihren Reihen eine Erklärung gefunden.
Die Erzählung, die diese bringt, gipfelt darin, daß Bennigsen den Freund bei
einem Besuche, den er ihm nach langjähriger Entfremdung gemacht hätte, noch
unter dem starken Eindrucke seiner Entlassung angetroffen habe. Diese sei
ungemein ungnädig gewesen, Miquel habe das Palais des Kaisers als ge-
brochner Mann hinter sich gelassen. Das Nähere müsse noch Geheimnis
bleiben, aber Bennigsen, der die nötigen Aufzeichnungen gemacht habe, werde,
wenn es Zeit sei, nicht damit zurückhalten.

Diese Erzählung trügt, wenn auch nicht den Stempel der freien Er¬
findung, doch sehr den der tendenziösen Färbung an sich. Daß sich bei Ge¬
legenheit des Besuchs - oder wurde er gerade deshalb gemacht? — die
beiden ausgesöhnt haben, ist selbstverständlich, ebenso, daß Miguel gerade dem
wiedergewonnenen Freunde das nötige Material zu geeigneter Veröffentlichung
Übermacht haben wird; aber der „gebrochne Mann" ist ein Unsinn. In diesem
Falle kann die „Gebrochenheit" nur zwei Voraussetzungen haben, entweder
einen Ehrgeiz, der sich nicht von der Sache habe leiten lassen, oder die direkte
Unredlichkeit, aber für Miquel ist weder die eine zutreffend noch die andre.
Auch eine über das Maß hinausgehende Erschütterung paßt nicht in das
Gemüt eines Mannes, der mehr, als man anzunehmen geneigt ist, durch
Philosophie gestählt war. Miquel spielte um einen großen Einsatz: daß dieses
Spiel für ihn verloren gehn konnte, dessen war er sich jeden Augenblick
gewärtig. Iinxg,viäuiu tsrieut ruir>g,6.

Unter diesen Umständen bleibt nichts andres übrig, als für den Zustand
der Gebrochenheit, der den Leuten nun einmal als thatsächlich gilt, aber es
in Wirklichkeit nicht zu sein braucht, eine andre Erklärung zu finden. Es ist
natürlich, daß die Aussöhnung der beiden Staatsmänner nach der Entlassung
Miquels ohne weiteres in der Partei nur wenig Entgegenkommen finden
mußte, und daß sich ein willigeres Verständnis für die Sache erst dann ein¬
stellen würde, wenn man der Meinung sein konnte, daß der Freund dem
Freunde in der Not zu Hilfe geeilt sei und seinem Seelenschmerze die auf¬
richtende Hand geboten habe. Nicht als ob damit der Glaube erweckt werden
sollte, daß hier eine Fiktion Bennigsens vorläge, aber es ist erklärlich, daß
er gern dem sich aufdrängenden Bedürfnis der Menschen entgegenkam, weil
es ihm in seiner Stellung zwischen dem Freunde und der Partei von Belang
war. Auch für die Grabrede, die für den Fraktivusgeist geradezu unver¬
ständlich ist, mochte die fromme Legende von der Hilfsbedürftigkeit des ge¬
wesenen Ministers rettend eintreten.

Eine Legende, die im Aberglauben und in der Unzulänglichkeit alles
Menschentmus ihren Grund hat, aber nichts andres als eine Legende. Gewiß
haben beide Freunde das Bedürfnis gehabt, sich wieder zu finden, und wie
bedauerlich sie an und für sich war, so gab doch die Entlassung Miquels dazu
den besten Anlaß. Der gewesene Minister hatte jetzt seine Erfahrung, wie
früher der Oberprüsident sie gemacht hatte; gleiches Geschick führt auch
weniger kongeniale Naturen zusammen. Daß aber in dein frischern Schmerz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0642" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236464"/>
          <fw type="header" place="top"> Miquel und BLiixigsoü</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2424" prev="#ID_2423"> Nationalliberalen, hat aber wohl in ihren Reihen eine Erklärung gefunden.<lb/>
Die Erzählung, die diese bringt, gipfelt darin, daß Bennigsen den Freund bei<lb/>
einem Besuche, den er ihm nach langjähriger Entfremdung gemacht hätte, noch<lb/>
unter dem starken Eindrucke seiner Entlassung angetroffen habe. Diese sei<lb/>
ungemein ungnädig gewesen, Miquel habe das Palais des Kaisers als ge-<lb/>
brochner Mann hinter sich gelassen. Das Nähere müsse noch Geheimnis<lb/>
bleiben, aber Bennigsen, der die nötigen Aufzeichnungen gemacht habe, werde,<lb/>
wenn es Zeit sei, nicht damit zurückhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2425"> Diese Erzählung trügt, wenn auch nicht den Stempel der freien Er¬<lb/>
findung, doch sehr den der tendenziösen Färbung an sich. Daß sich bei Ge¬<lb/>
legenheit des Besuchs - oder wurde er gerade deshalb gemacht? &#x2014; die<lb/>
beiden ausgesöhnt haben, ist selbstverständlich, ebenso, daß Miguel gerade dem<lb/>
wiedergewonnenen Freunde das nötige Material zu geeigneter Veröffentlichung<lb/>
Übermacht haben wird; aber der &#x201E;gebrochne Mann" ist ein Unsinn. In diesem<lb/>
Falle kann die &#x201E;Gebrochenheit" nur zwei Voraussetzungen haben, entweder<lb/>
einen Ehrgeiz, der sich nicht von der Sache habe leiten lassen, oder die direkte<lb/>
Unredlichkeit, aber für Miquel ist weder die eine zutreffend noch die andre.<lb/>
Auch eine über das Maß hinausgehende Erschütterung paßt nicht in das<lb/>
Gemüt eines Mannes, der mehr, als man anzunehmen geneigt ist, durch<lb/>
Philosophie gestählt war. Miquel spielte um einen großen Einsatz: daß dieses<lb/>
Spiel für ihn verloren gehn konnte, dessen war er sich jeden Augenblick<lb/>
gewärtig.  Iinxg,viäuiu tsrieut ruir&gt;g,6.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2426"> Unter diesen Umständen bleibt nichts andres übrig, als für den Zustand<lb/>
der Gebrochenheit, der den Leuten nun einmal als thatsächlich gilt, aber es<lb/>
in Wirklichkeit nicht zu sein braucht, eine andre Erklärung zu finden. Es ist<lb/>
natürlich, daß die Aussöhnung der beiden Staatsmänner nach der Entlassung<lb/>
Miquels ohne weiteres in der Partei nur wenig Entgegenkommen finden<lb/>
mußte, und daß sich ein willigeres Verständnis für die Sache erst dann ein¬<lb/>
stellen würde, wenn man der Meinung sein konnte, daß der Freund dem<lb/>
Freunde in der Not zu Hilfe geeilt sei und seinem Seelenschmerze die auf¬<lb/>
richtende Hand geboten habe. Nicht als ob damit der Glaube erweckt werden<lb/>
sollte, daß hier eine Fiktion Bennigsens vorläge, aber es ist erklärlich, daß<lb/>
er gern dem sich aufdrängenden Bedürfnis der Menschen entgegenkam, weil<lb/>
es ihm in seiner Stellung zwischen dem Freunde und der Partei von Belang<lb/>
war. Auch für die Grabrede, die für den Fraktivusgeist geradezu unver¬<lb/>
ständlich ist, mochte die fromme Legende von der Hilfsbedürftigkeit des ge¬<lb/>
wesenen Ministers rettend eintreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2427" next="#ID_2428"> Eine Legende, die im Aberglauben und in der Unzulänglichkeit alles<lb/>
Menschentmus ihren Grund hat, aber nichts andres als eine Legende. Gewiß<lb/>
haben beide Freunde das Bedürfnis gehabt, sich wieder zu finden, und wie<lb/>
bedauerlich sie an und für sich war, so gab doch die Entlassung Miquels dazu<lb/>
den besten Anlaß. Der gewesene Minister hatte jetzt seine Erfahrung, wie<lb/>
früher der Oberprüsident sie gemacht hatte; gleiches Geschick führt auch<lb/>
weniger kongeniale Naturen zusammen.  Daß aber in dein frischern Schmerz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0642] Miquel und BLiixigsoü Nationalliberalen, hat aber wohl in ihren Reihen eine Erklärung gefunden. Die Erzählung, die diese bringt, gipfelt darin, daß Bennigsen den Freund bei einem Besuche, den er ihm nach langjähriger Entfremdung gemacht hätte, noch unter dem starken Eindrucke seiner Entlassung angetroffen habe. Diese sei ungemein ungnädig gewesen, Miquel habe das Palais des Kaisers als ge- brochner Mann hinter sich gelassen. Das Nähere müsse noch Geheimnis bleiben, aber Bennigsen, der die nötigen Aufzeichnungen gemacht habe, werde, wenn es Zeit sei, nicht damit zurückhalten. Diese Erzählung trügt, wenn auch nicht den Stempel der freien Er¬ findung, doch sehr den der tendenziösen Färbung an sich. Daß sich bei Ge¬ legenheit des Besuchs - oder wurde er gerade deshalb gemacht? — die beiden ausgesöhnt haben, ist selbstverständlich, ebenso, daß Miguel gerade dem wiedergewonnenen Freunde das nötige Material zu geeigneter Veröffentlichung Übermacht haben wird; aber der „gebrochne Mann" ist ein Unsinn. In diesem Falle kann die „Gebrochenheit" nur zwei Voraussetzungen haben, entweder einen Ehrgeiz, der sich nicht von der Sache habe leiten lassen, oder die direkte Unredlichkeit, aber für Miquel ist weder die eine zutreffend noch die andre. Auch eine über das Maß hinausgehende Erschütterung paßt nicht in das Gemüt eines Mannes, der mehr, als man anzunehmen geneigt ist, durch Philosophie gestählt war. Miquel spielte um einen großen Einsatz: daß dieses Spiel für ihn verloren gehn konnte, dessen war er sich jeden Augenblick gewärtig. Iinxg,viäuiu tsrieut ruir>g,6. Unter diesen Umständen bleibt nichts andres übrig, als für den Zustand der Gebrochenheit, der den Leuten nun einmal als thatsächlich gilt, aber es in Wirklichkeit nicht zu sein braucht, eine andre Erklärung zu finden. Es ist natürlich, daß die Aussöhnung der beiden Staatsmänner nach der Entlassung Miquels ohne weiteres in der Partei nur wenig Entgegenkommen finden mußte, und daß sich ein willigeres Verständnis für die Sache erst dann ein¬ stellen würde, wenn man der Meinung sein konnte, daß der Freund dem Freunde in der Not zu Hilfe geeilt sei und seinem Seelenschmerze die auf¬ richtende Hand geboten habe. Nicht als ob damit der Glaube erweckt werden sollte, daß hier eine Fiktion Bennigsens vorläge, aber es ist erklärlich, daß er gern dem sich aufdrängenden Bedürfnis der Menschen entgegenkam, weil es ihm in seiner Stellung zwischen dem Freunde und der Partei von Belang war. Auch für die Grabrede, die für den Fraktivusgeist geradezu unver¬ ständlich ist, mochte die fromme Legende von der Hilfsbedürftigkeit des ge¬ wesenen Ministers rettend eintreten. Eine Legende, die im Aberglauben und in der Unzulänglichkeit alles Menschentmus ihren Grund hat, aber nichts andres als eine Legende. Gewiß haben beide Freunde das Bedürfnis gehabt, sich wieder zu finden, und wie bedauerlich sie an und für sich war, so gab doch die Entlassung Miquels dazu den besten Anlaß. Der gewesene Minister hatte jetzt seine Erfahrung, wie früher der Oberprüsident sie gemacht hatte; gleiches Geschick führt auch weniger kongeniale Naturen zusammen. Daß aber in dein frischern Schmerz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/642
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/642>, abgerufen am 27.07.2024.