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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Uciquül und Bennigsen

ains die tiefere Kränkung gelegen habe, womit dann auch wieder die größere
Hilfsbedürftigkeit verbunden gewesen sei, das ist eine Annahme, die ebenso
willkürlich ist, wie ihr die psychologische Grundlage fehlt. Mag es dahin¬
gestellt bleiben, von woher der erste Anstoß gekommen ist, aber als Bennigsen
wenig Wochen vor dem Tode seines Freundes uach Frankfurt eilte, da fand
er wohl einen aus der Huld seines Herrn weggewicsenen Minister, aber nicht
einen Mnun, der von der Basis seiner geistigen Kraft gestürzt war. Diese
Kraft rüstete sich eben wieder, nu eiuer andern Stelle in die Arbeit und in
den Dienst am gemeinsamen Vaterlnndc einzutreten: wenn einer von beiden
vorzugsweise zum Empfangen da war, dann war es nicht Miquel, sondern
Bennigsen.

Die Rede, die der Freund am Grabe des Freundes gehalten hat, ist in
allen ihren Teilen der beredte Beweis dafür. Von den höchsten Dingen ist
in diesen Tagen der Wiedervereinigung die Rede gewesen. Der Nebel, der
zwischen ihnen lag, ist gesunken, und frei hat der Blick ihrer schauenden Geister
auf aller Zeit, wie auf einer Einheit, gelegen. Da ist kein Raum mehr, an
Einbildungen und Lieblingsvvrstelluugen festzuhalten, die die Eigenliebe und
der drängende Tag, der Beifall der Menge und der Widerstreit der Parteien
um Menschen groß ziehn. In weihevollen Stunden badet der Geist sich von
den Schlacken rein, die ihm noch anhaften, sein Blick dringt bis zum höchsten
Gipfel der Erkenntnis.

Was Bennigsen am Grabe seines Freundes Miqnel gesagt hat, ist der
reinste, der lauterste Abdruck dessen, was ihr letztes Zusammensein zu Tage
gefördert hat. Ein Abdruck in der Verkleinerung, aber deshalb nicht weniger
scharf. Von der Vergangenheit sagt Bennigsen, daß Miquel wie kein andrer
die Mittel in sich getragen habe, die Gegensätze der Überzeugungen in der
höhern Idee zu vereinigen, nud von der Gegenwart, daß er der größte Finanz-
minister gewesen sei, den Preußen bisher gehabt habe. Auch in die Zukunft
wirft er den Blick, aber wiewohl er hier von der Rücksicht auf die Partei
gehalten erscheint, so läßt er es doch nicht unklar, daß auch über das, was
jetzt noch zweifelhaft sei, die kommenden Tage zu Gunsten des Verstorbnen
Klärung bringen würden. Alles das sieht nicht danach aus, als ob Bennigsen
mit dem Bewußtsein eiues Trösters im Leid von Frankfurt zurückgekehrt sei,
sondern vielmehr danach, daß er sich selber dort Speise für den Docht seiner
Leuchte geholt hat. Bennigsen ist ein adlicher Mann, nicht von der Zufällig¬
keit der Geburt her, sondern aus der Gnadengabe einer unverfälschten Natur.
Seine Rede klingt wie ein Bekenntnis, wie eine Generalbeichte im letzten Akt
seines Lebensdramas, wo es niemand mehr nützt, Zweifel über den Dingen
zu lassen. Konnte man eine hochherzigere Anerkennung, ein vollwichtigeres
Zeugnis für die Superiorität seines dahingeschiednen Freundes erwarten?




Uciquül und Bennigsen

ains die tiefere Kränkung gelegen habe, womit dann auch wieder die größere
Hilfsbedürftigkeit verbunden gewesen sei, das ist eine Annahme, die ebenso
willkürlich ist, wie ihr die psychologische Grundlage fehlt. Mag es dahin¬
gestellt bleiben, von woher der erste Anstoß gekommen ist, aber als Bennigsen
wenig Wochen vor dem Tode seines Freundes uach Frankfurt eilte, da fand
er wohl einen aus der Huld seines Herrn weggewicsenen Minister, aber nicht
einen Mnun, der von der Basis seiner geistigen Kraft gestürzt war. Diese
Kraft rüstete sich eben wieder, nu eiuer andern Stelle in die Arbeit und in
den Dienst am gemeinsamen Vaterlnndc einzutreten: wenn einer von beiden
vorzugsweise zum Empfangen da war, dann war es nicht Miquel, sondern
Bennigsen.

Die Rede, die der Freund am Grabe des Freundes gehalten hat, ist in
allen ihren Teilen der beredte Beweis dafür. Von den höchsten Dingen ist
in diesen Tagen der Wiedervereinigung die Rede gewesen. Der Nebel, der
zwischen ihnen lag, ist gesunken, und frei hat der Blick ihrer schauenden Geister
auf aller Zeit, wie auf einer Einheit, gelegen. Da ist kein Raum mehr, an
Einbildungen und Lieblingsvvrstelluugen festzuhalten, die die Eigenliebe und
der drängende Tag, der Beifall der Menge und der Widerstreit der Parteien
um Menschen groß ziehn. In weihevollen Stunden badet der Geist sich von
den Schlacken rein, die ihm noch anhaften, sein Blick dringt bis zum höchsten
Gipfel der Erkenntnis.

Was Bennigsen am Grabe seines Freundes Miqnel gesagt hat, ist der
reinste, der lauterste Abdruck dessen, was ihr letztes Zusammensein zu Tage
gefördert hat. Ein Abdruck in der Verkleinerung, aber deshalb nicht weniger
scharf. Von der Vergangenheit sagt Bennigsen, daß Miquel wie kein andrer
die Mittel in sich getragen habe, die Gegensätze der Überzeugungen in der
höhern Idee zu vereinigen, nud von der Gegenwart, daß er der größte Finanz-
minister gewesen sei, den Preußen bisher gehabt habe. Auch in die Zukunft
wirft er den Blick, aber wiewohl er hier von der Rücksicht auf die Partei
gehalten erscheint, so läßt er es doch nicht unklar, daß auch über das, was
jetzt noch zweifelhaft sei, die kommenden Tage zu Gunsten des Verstorbnen
Klärung bringen würden. Alles das sieht nicht danach aus, als ob Bennigsen
mit dem Bewußtsein eiues Trösters im Leid von Frankfurt zurückgekehrt sei,
sondern vielmehr danach, daß er sich selber dort Speise für den Docht seiner
Leuchte geholt hat. Bennigsen ist ein adlicher Mann, nicht von der Zufällig¬
keit der Geburt her, sondern aus der Gnadengabe einer unverfälschten Natur.
Seine Rede klingt wie ein Bekenntnis, wie eine Generalbeichte im letzten Akt
seines Lebensdramas, wo es niemand mehr nützt, Zweifel über den Dingen
zu lassen. Konnte man eine hochherzigere Anerkennung, ein vollwichtigeres
Zeugnis für die Superiorität seines dahingeschiednen Freundes erwarten?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/643>, abgerufen am 27.07.2024.