Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uliquel und Lemiigsen

Für das untiouale deutsche Leben wäre es besser gewesen, locum diese
geschlossene Einheit der beiden auch fürder ungetrübt lieblichen wäre, aber das
Einlenken Bismarcks in die Schutzzollpolitik brachte auch hier die Störung.
Wer nun schuld an dieser Trennung ist, und ob überhaupt vou einer Schuld
die Rede sein kann, mag unerörtert bleiben. Rudolf vou Bennigsen ist der
Führer der nationallibernlen Partei geblieben, während Miquel sich mehr und
mehr von der Gebundenheit der Parteimnxime frei gemacht hat. Diese Ver¬
schiebung in der Stellung beider zu einander muß dahin präzisicrt tverdcn, daß
der eine, der früher immer an zweiter Stelle genannt wurde, jetzt über den
Freund hinausgewachsen lind der erste geworden ist. Nicht bloß äußerlich,
weil der eine später Minister wurde, und der andre bloß Oberpräsident ge¬
wesen ist, sondern deshalb, weil in Wirklichkeit der freiere Geistesflug diesen
über jenen hinausgetragen hat.

Auch Bennigsen sollte einmal Minister werden, aber ihn hielt die Partei-
doktriu zurück, nicht einmal die Staatsraison eines Bismarck konnte ihn von
der klebenden Zähigkeit der Parteischolle los machen. Wer es liest, was der
große Kanzler in den Gedanken und Erinnerungen darüber schreibt,*) der
kann sich nicht genug darüber wundern, wie sich der heiß umworbne Staats¬
mann den ihm von Bismarck vorgetragnen Gründen hat versagen können.
Hier liegt das Schiff um Laude, bei dessen Steuerung du mir helfen sollst.
Steig ein, die Zeit drängt! So sprach der, der besser als jeder andre wußte,
was der Inhalt dieser Zeit war, aber Bennigsen erkannte den Angellblick nicht
und ließ ihn vorübergehn. Er selbst machte die Bedingung, daß Stauffenberg
und Forckenbeck mit ihm übernommen würden. Das war nicht möglich, aber
es drängt sich von selbst ein andrer Gedanke ans. Der Berufung Bennigsens
wäre im Laufe der Zeit ganz von selbst die von Miquel gefolgt, und damit
hätte sich am Steuerruder des Fahrzeugs ein Trio vereinigt, das vielen
Stürmen hätte gebieten können. Aber es ist umsonst, dergleichen Gedanken
"achzuhangen.

Noch ein andermal ist Bennigsen nicht ans der Höhe des Verständnisses
gewesen, das die Zeit verlangte. Die Frage der Flottenverstärtnng war
genau vou derselbe" Bedeutung, die einstmals die der Heeresorganisation ge¬
habt hatte. Aber wo war das heiße Pathos jener Tage, in denen die han-
noverschen Liberalen das Wort fanden, daß sie bessere Patrioten seien als
ihre in der Parteidisziplin verstrickte,: preußischen Gesinnungsgenossen? Nun
steckte Vennigsen selbst in den Maschen desselben Fraktionsuetzes und ließ dem
Zentrum den Vortritt in einer Frage, die auf dem Repertoire der National¬
liberalen an erster Stelle hätte stehn müssen.

Soll das nnn ein Tadel oder gar ein Vorwurf sein? Jedenfalls nicht
w höherm Maße, als in den eignen Worten des Redners am Grabe liegt,
der mit der Hervorhebung des fremden Verdienstes das ihm selbst gebührende
zurückstellt. Die Grabrede Beuuigsens hat keineswegs die Billigung aller



Otto von Bisinnrck, Gedanken und Ennnenmgen, >>, Seite und folgende,
tzwttzl'oder IV 1901
Uliquel und Lemiigsen

Für das untiouale deutsche Leben wäre es besser gewesen, locum diese
geschlossene Einheit der beiden auch fürder ungetrübt lieblichen wäre, aber das
Einlenken Bismarcks in die Schutzzollpolitik brachte auch hier die Störung.
Wer nun schuld an dieser Trennung ist, und ob überhaupt vou einer Schuld
die Rede sein kann, mag unerörtert bleiben. Rudolf vou Bennigsen ist der
Führer der nationallibernlen Partei geblieben, während Miquel sich mehr und
mehr von der Gebundenheit der Parteimnxime frei gemacht hat. Diese Ver¬
schiebung in der Stellung beider zu einander muß dahin präzisicrt tverdcn, daß
der eine, der früher immer an zweiter Stelle genannt wurde, jetzt über den
Freund hinausgewachsen lind der erste geworden ist. Nicht bloß äußerlich,
weil der eine später Minister wurde, und der andre bloß Oberpräsident ge¬
wesen ist, sondern deshalb, weil in Wirklichkeit der freiere Geistesflug diesen
über jenen hinausgetragen hat.

Auch Bennigsen sollte einmal Minister werden, aber ihn hielt die Partei-
doktriu zurück, nicht einmal die Staatsraison eines Bismarck konnte ihn von
der klebenden Zähigkeit der Parteischolle los machen. Wer es liest, was der
große Kanzler in den Gedanken und Erinnerungen darüber schreibt,*) der
kann sich nicht genug darüber wundern, wie sich der heiß umworbne Staats¬
mann den ihm von Bismarck vorgetragnen Gründen hat versagen können.
Hier liegt das Schiff um Laude, bei dessen Steuerung du mir helfen sollst.
Steig ein, die Zeit drängt! So sprach der, der besser als jeder andre wußte,
was der Inhalt dieser Zeit war, aber Bennigsen erkannte den Angellblick nicht
und ließ ihn vorübergehn. Er selbst machte die Bedingung, daß Stauffenberg
und Forckenbeck mit ihm übernommen würden. Das war nicht möglich, aber
es drängt sich von selbst ein andrer Gedanke ans. Der Berufung Bennigsens
wäre im Laufe der Zeit ganz von selbst die von Miquel gefolgt, und damit
hätte sich am Steuerruder des Fahrzeugs ein Trio vereinigt, das vielen
Stürmen hätte gebieten können. Aber es ist umsonst, dergleichen Gedanken
«achzuhangen.

Noch ein andermal ist Bennigsen nicht ans der Höhe des Verständnisses
gewesen, das die Zeit verlangte. Die Frage der Flottenverstärtnng war
genau vou derselbe» Bedeutung, die einstmals die der Heeresorganisation ge¬
habt hatte. Aber wo war das heiße Pathos jener Tage, in denen die han-
noverschen Liberalen das Wort fanden, daß sie bessere Patrioten seien als
ihre in der Parteidisziplin verstrickte,: preußischen Gesinnungsgenossen? Nun
steckte Vennigsen selbst in den Maschen desselben Fraktionsuetzes und ließ dem
Zentrum den Vortritt in einer Frage, die auf dem Repertoire der National¬
liberalen an erster Stelle hätte stehn müssen.

Soll das nnn ein Tadel oder gar ein Vorwurf sein? Jedenfalls nicht
w höherm Maße, als in den eignen Worten des Redners am Grabe liegt,
der mit der Hervorhebung des fremden Verdienstes das ihm selbst gebührende
zurückstellt. Die Grabrede Beuuigsens hat keineswegs die Billigung aller



Otto von Bisinnrck, Gedanken und Ennnenmgen, >>, Seite und folgende,
tzwttzl'oder IV 1901
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236463"/>
          <fw type="header" place="top"> Uliquel und Lemiigsen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2420"> Für das untiouale deutsche Leben wäre es besser gewesen, locum diese<lb/>
geschlossene Einheit der beiden auch fürder ungetrübt lieblichen wäre, aber das<lb/>
Einlenken Bismarcks in die Schutzzollpolitik brachte auch hier die Störung.<lb/>
Wer nun schuld an dieser Trennung ist, und ob überhaupt vou einer Schuld<lb/>
die Rede sein kann, mag unerörtert bleiben. Rudolf vou Bennigsen ist der<lb/>
Führer der nationallibernlen Partei geblieben, während Miquel sich mehr und<lb/>
mehr von der Gebundenheit der Parteimnxime frei gemacht hat. Diese Ver¬<lb/>
schiebung in der Stellung beider zu einander muß dahin präzisicrt tverdcn, daß<lb/>
der eine, der früher immer an zweiter Stelle genannt wurde, jetzt über den<lb/>
Freund hinausgewachsen lind der erste geworden ist. Nicht bloß äußerlich,<lb/>
weil der eine später Minister wurde, und der andre bloß Oberpräsident ge¬<lb/>
wesen ist, sondern deshalb, weil in Wirklichkeit der freiere Geistesflug diesen<lb/>
über jenen hinausgetragen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2421"> Auch Bennigsen sollte einmal Minister werden, aber ihn hielt die Partei-<lb/>
doktriu zurück, nicht einmal die Staatsraison eines Bismarck konnte ihn von<lb/>
der klebenden Zähigkeit der Parteischolle los machen. Wer es liest, was der<lb/>
große Kanzler in den Gedanken und Erinnerungen darüber schreibt,*) der<lb/>
kann sich nicht genug darüber wundern, wie sich der heiß umworbne Staats¬<lb/>
mann den ihm von Bismarck vorgetragnen Gründen hat versagen können.<lb/>
Hier liegt das Schiff um Laude, bei dessen Steuerung du mir helfen sollst.<lb/>
Steig ein, die Zeit drängt! So sprach der, der besser als jeder andre wußte,<lb/>
was der Inhalt dieser Zeit war, aber Bennigsen erkannte den Angellblick nicht<lb/>
und ließ ihn vorübergehn. Er selbst machte die Bedingung, daß Stauffenberg<lb/>
und Forckenbeck mit ihm übernommen würden. Das war nicht möglich, aber<lb/>
es drängt sich von selbst ein andrer Gedanke ans. Der Berufung Bennigsens<lb/>
wäre im Laufe der Zeit ganz von selbst die von Miquel gefolgt, und damit<lb/>
hätte sich am Steuerruder des Fahrzeugs ein Trio vereinigt, das vielen<lb/>
Stürmen hätte gebieten können. Aber es ist umsonst, dergleichen Gedanken<lb/>
«achzuhangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2422"> Noch ein andermal ist Bennigsen nicht ans der Höhe des Verständnisses<lb/>
gewesen, das die Zeit verlangte. Die Frage der Flottenverstärtnng war<lb/>
genau vou derselbe» Bedeutung, die einstmals die der Heeresorganisation ge¬<lb/>
habt hatte. Aber wo war das heiße Pathos jener Tage, in denen die han-<lb/>
noverschen Liberalen das Wort fanden, daß sie bessere Patrioten seien als<lb/>
ihre in der Parteidisziplin verstrickte,: preußischen Gesinnungsgenossen? Nun<lb/>
steckte Vennigsen selbst in den Maschen desselben Fraktionsuetzes und ließ dem<lb/>
Zentrum den Vortritt in einer Frage, die auf dem Repertoire der National¬<lb/>
liberalen an erster Stelle hätte stehn müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2423" next="#ID_2424"> Soll das nnn ein Tadel oder gar ein Vorwurf sein? Jedenfalls nicht<lb/>
w höherm Maße, als in den eignen Worten des Redners am Grabe liegt,<lb/>
der mit der Hervorhebung des fremden Verdienstes das ihm selbst gebührende<lb/>
zurückstellt.  Die Grabrede Beuuigsens hat keineswegs die Billigung aller</p><lb/>
          <note xml:id="FID_57" place="foot"> Otto von Bisinnrck, Gedanken und Ennnenmgen, &gt;&gt;, Seite und folgende,</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> tzwttzl'oder IV 1901</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0641] Uliquel und Lemiigsen Für das untiouale deutsche Leben wäre es besser gewesen, locum diese geschlossene Einheit der beiden auch fürder ungetrübt lieblichen wäre, aber das Einlenken Bismarcks in die Schutzzollpolitik brachte auch hier die Störung. Wer nun schuld an dieser Trennung ist, und ob überhaupt vou einer Schuld die Rede sein kann, mag unerörtert bleiben. Rudolf vou Bennigsen ist der Führer der nationallibernlen Partei geblieben, während Miquel sich mehr und mehr von der Gebundenheit der Parteimnxime frei gemacht hat. Diese Ver¬ schiebung in der Stellung beider zu einander muß dahin präzisicrt tverdcn, daß der eine, der früher immer an zweiter Stelle genannt wurde, jetzt über den Freund hinausgewachsen lind der erste geworden ist. Nicht bloß äußerlich, weil der eine später Minister wurde, und der andre bloß Oberpräsident ge¬ wesen ist, sondern deshalb, weil in Wirklichkeit der freiere Geistesflug diesen über jenen hinausgetragen hat. Auch Bennigsen sollte einmal Minister werden, aber ihn hielt die Partei- doktriu zurück, nicht einmal die Staatsraison eines Bismarck konnte ihn von der klebenden Zähigkeit der Parteischolle los machen. Wer es liest, was der große Kanzler in den Gedanken und Erinnerungen darüber schreibt,*) der kann sich nicht genug darüber wundern, wie sich der heiß umworbne Staats¬ mann den ihm von Bismarck vorgetragnen Gründen hat versagen können. Hier liegt das Schiff um Laude, bei dessen Steuerung du mir helfen sollst. Steig ein, die Zeit drängt! So sprach der, der besser als jeder andre wußte, was der Inhalt dieser Zeit war, aber Bennigsen erkannte den Angellblick nicht und ließ ihn vorübergehn. Er selbst machte die Bedingung, daß Stauffenberg und Forckenbeck mit ihm übernommen würden. Das war nicht möglich, aber es drängt sich von selbst ein andrer Gedanke ans. Der Berufung Bennigsens wäre im Laufe der Zeit ganz von selbst die von Miquel gefolgt, und damit hätte sich am Steuerruder des Fahrzeugs ein Trio vereinigt, das vielen Stürmen hätte gebieten können. Aber es ist umsonst, dergleichen Gedanken «achzuhangen. Noch ein andermal ist Bennigsen nicht ans der Höhe des Verständnisses gewesen, das die Zeit verlangte. Die Frage der Flottenverstärtnng war genau vou derselbe» Bedeutung, die einstmals die der Heeresorganisation ge¬ habt hatte. Aber wo war das heiße Pathos jener Tage, in denen die han- noverschen Liberalen das Wort fanden, daß sie bessere Patrioten seien als ihre in der Parteidisziplin verstrickte,: preußischen Gesinnungsgenossen? Nun steckte Vennigsen selbst in den Maschen desselben Fraktionsuetzes und ließ dem Zentrum den Vortritt in einer Frage, die auf dem Repertoire der National¬ liberalen an erster Stelle hätte stehn müssen. Soll das nnn ein Tadel oder gar ein Vorwurf sein? Jedenfalls nicht w höherm Maße, als in den eignen Worten des Redners am Grabe liegt, der mit der Hervorhebung des fremden Verdienstes das ihm selbst gebührende zurückstellt. Die Grabrede Beuuigsens hat keineswegs die Billigung aller Otto von Bisinnrck, Gedanken und Ennnenmgen, >>, Seite und folgende, tzwttzl'oder IV 1901

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/641
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/641>, abgerufen am 28.07.2024.