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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Die Girondisten, Danton, Robespierre, alle von Ideen angefüllt, zu deren
Realisierung das Material entweder schwer aufzutreiben oder nur mit der
Willenskraft der einzelnen Persönlichkeit gegeben ist.

Dagegen setzte der Staatsgedanke, der im Gehirn Mirabeaus Form ge¬
wonnen hatte, weder Forderungen voraus, die überhaupt die Menschen nicht
leicht erfüllen können, noch den einzelnen Mann, der allein wie Cromwell
das Gebäude zu halten vermag. Mirabeaus Staat war auf Wirklichkeiten
aufgebaut, von deuen die Menschen überhaupt leben. Es ist eine müßige
Frage, ob er, wenn der Tod ihn nicht überrascht hätte, sein Werk durchgeführt
haben würde, aber es ist genug, zu wissen, daß es durchgeführt werden konnte,
so glänzend, wie nur jemals ein Gedanke lebensstark wie die Athene aus dem
Kopfe eines Menschen in die Realität des Lebens übergesprungen ist. Je
weiter die bewegliche Gegenwart von dem festliegenden Punkte damaliger Ver¬
gangenheit wegrückt, um so deutlicher drückt sich diese Wahrheit dem betrach¬
tenden Geiste ein; warum will er sie mit andern Betrachtungen trüben, die
deshalb unberechtigt sind, weil sie mit dein Gegenstande nichts zu thun haben?
Nur dieses eine mag noch gesagt sein:

Wenn Mirabeau über die Notwendigkeit des Anfangs der Revolution
mit andern in Übereinstimmung war, so war dieses Zusammentreffen für seine
Person etwas zufälliges und verpflichtete ihn keineswegs, in der Bestimmung
des Endes der Bewegung von ihnen abhängig zu sein. Wie er souverän in
der Ansage des Kriegs war, so war er selbstherrlich in der Ankündigung des
Friedens. Wenn denn nun einmal der Ausdruck gebraucht werden soll, so
gab Mirabeau eine Ware hin, die sein alleiniges Eigentum war, und an die
sonst niemand einen Anspruch machen konnte. Was er dafür einhandelte,
kann jedem und muß vor allem dem Historiker gleichgiltig sein, der seine Be¬
trachtung jenseits von Gut und Böse zu halten hat.

O ihr Trödler mit alten Kleidern, die ihr einem Themistokles und einem
Mirabeau die alte eingeschrumpfte Jacke über die gerade gewachsenen Glieder
ziehn wollt! Möchtet ihr nicht auch einem Robert Walpole an den Kragen
und ihn zum Stillsitzen zwingen, damit ihr ihm eure Zwangsstiefel anziehn
kommt? Wenn der griechische Staatsmann die Priester eines heidnischen Gottes
besticht, so ist es am Ende so schlimm nicht, aber der englische machte ehren¬
werte Mitglieder des Unterhauses dadurch in ihrer Überzeugung irre, daß er
ihnen Hundertpfundnoten unter die Servietten ihres Tischbestecks legte, und
höchst ehrwürdige Bischöfe der anglikanischen Kirche verlockte er zur Sünde
durch die schimmernde Aussicht auf den erzbischöflichen Stuhl von Canterbury.
Ja aber was sollte denn der Lenker der britischen Swapgeschäfte, die durch¬
aus von der Stelle mußten, in damaliger Zeit machen? War er denn für
die höchst irdischen Begierden unter der geistlichen Amtstracht der Bischöfe
verantwortlich, und wenn er es nicht war, sollte er denn die Rolle des
Predigers in der Wüste spielen? Sollte er diesen ehrwürdigen Hirten der
Herde zurufen: O ihr Otterngezüchte, die ihr das Heiligtum meines Vaters
zu einem Kanfhanse macht?


Die Girondisten, Danton, Robespierre, alle von Ideen angefüllt, zu deren
Realisierung das Material entweder schwer aufzutreiben oder nur mit der
Willenskraft der einzelnen Persönlichkeit gegeben ist.

Dagegen setzte der Staatsgedanke, der im Gehirn Mirabeaus Form ge¬
wonnen hatte, weder Forderungen voraus, die überhaupt die Menschen nicht
leicht erfüllen können, noch den einzelnen Mann, der allein wie Cromwell
das Gebäude zu halten vermag. Mirabeaus Staat war auf Wirklichkeiten
aufgebaut, von deuen die Menschen überhaupt leben. Es ist eine müßige
Frage, ob er, wenn der Tod ihn nicht überrascht hätte, sein Werk durchgeführt
haben würde, aber es ist genug, zu wissen, daß es durchgeführt werden konnte,
so glänzend, wie nur jemals ein Gedanke lebensstark wie die Athene aus dem
Kopfe eines Menschen in die Realität des Lebens übergesprungen ist. Je
weiter die bewegliche Gegenwart von dem festliegenden Punkte damaliger Ver¬
gangenheit wegrückt, um so deutlicher drückt sich diese Wahrheit dem betrach¬
tenden Geiste ein; warum will er sie mit andern Betrachtungen trüben, die
deshalb unberechtigt sind, weil sie mit dein Gegenstande nichts zu thun haben?
Nur dieses eine mag noch gesagt sein:

Wenn Mirabeau über die Notwendigkeit des Anfangs der Revolution
mit andern in Übereinstimmung war, so war dieses Zusammentreffen für seine
Person etwas zufälliges und verpflichtete ihn keineswegs, in der Bestimmung
des Endes der Bewegung von ihnen abhängig zu sein. Wie er souverän in
der Ansage des Kriegs war, so war er selbstherrlich in der Ankündigung des
Friedens. Wenn denn nun einmal der Ausdruck gebraucht werden soll, so
gab Mirabeau eine Ware hin, die sein alleiniges Eigentum war, und an die
sonst niemand einen Anspruch machen konnte. Was er dafür einhandelte,
kann jedem und muß vor allem dem Historiker gleichgiltig sein, der seine Be¬
trachtung jenseits von Gut und Böse zu halten hat.

O ihr Trödler mit alten Kleidern, die ihr einem Themistokles und einem
Mirabeau die alte eingeschrumpfte Jacke über die gerade gewachsenen Glieder
ziehn wollt! Möchtet ihr nicht auch einem Robert Walpole an den Kragen
und ihn zum Stillsitzen zwingen, damit ihr ihm eure Zwangsstiefel anziehn
kommt? Wenn der griechische Staatsmann die Priester eines heidnischen Gottes
besticht, so ist es am Ende so schlimm nicht, aber der englische machte ehren¬
werte Mitglieder des Unterhauses dadurch in ihrer Überzeugung irre, daß er
ihnen Hundertpfundnoten unter die Servietten ihres Tischbestecks legte, und
höchst ehrwürdige Bischöfe der anglikanischen Kirche verlockte er zur Sünde
durch die schimmernde Aussicht auf den erzbischöflichen Stuhl von Canterbury.
Ja aber was sollte denn der Lenker der britischen Swapgeschäfte, die durch¬
aus von der Stelle mußten, in damaliger Zeit machen? War er denn für
die höchst irdischen Begierden unter der geistlichen Amtstracht der Bischöfe
verantwortlich, und wenn er es nicht war, sollte er denn die Rolle des
Predigers in der Wüste spielen? Sollte er diesen ehrwürdigen Hirten der
Herde zurufen: O ihr Otterngezüchte, die ihr das Heiligtum meines Vaters
zu einem Kanfhanse macht?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/584>, abgerufen am 28.07.2024.