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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Historiker noch immer viel mit den, größten Manne der großen Revolution
zu schaffen. Der Graf Mirabeau stand sehr unter den: Druck der Lebens¬
bedürfnisse, von denen ein Diogenes in seiner Tonne keine Ahnung hat. Daß
Mirabeau sie hatte, macht freilich der Betrachtung Nieniger Beschwerde als die
Art und Weise, wie er während einer kritischen Wendung im Gange der Re¬
volution deu Forderungen des Tages gerecht zu werde" suchte. In dem starken
Geiste Mirabeaus allein lagen die Mittel, die der wilden nationalen Empörung
Frankreichs Halt zu gebieten vermochten, Halt mit dem Ergebnis, daß in
gleicher Weise dem Volk und dem Könige sein Recht wurde. War es ein
Unrecht, daß Mirabeau diese Mittel dein zur Verfügung stellte, der sie zu
seinem Vorteil und dem des Ganzen anwandte? Vielleicht könnte man auch
von einer Pflicht sprechen, aber mag das dahingestellt bleiben. Ob Pflicht
oder Recht, beide konnten dadurch nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden,
daß auf die Darbietung eines idealen Werth das materielle Äquivalent ge¬
leistet wurde.

Für Leute, die an einer gewissen Hypertrophie ihres moralischen Be¬
wußtseins leiden, hat vor allem die Thätigkeit des Handels etwas anstößiges.
Deshalb, weil sie nur ein den schnöden Gewinn denken, den der eine von den
an dein Geschäfte beteiligten in die Tasche steckt, und es nicht wissen oder ver¬
gessen haben, daß der Umtausch von Besitz das natürlichste Ding von der Welt
ist. Kein Mensch vermag ohne den Umsatz fertig zu werden, der etwas eignes
für etwas fremdes weggiebt. Sogar die Moralisten, die ihre Lehren auf dem
Markte des Lebens absetzen, heimsen für ihre Predigt mindestens Lob und
Bewundrung ein. Sokrates, der für seinen Unterricht keinen Lohn in Form
von klingender Münze nahm, blieb deshalb nicht ohne Bezahlung, und eine
Thorheit ist es, diese geringer einschätzen zu wollen als das Gold, das die
Sophisten einsackten.

Jeder nimmt für seine Ware das, was er für sich nötig hält, und Mirabeau
nahm für seine Geistesschätze das Gold des Königs hin. Nicht, als ob er sie
feil gestellt hätte, sondern es traf sich so, daß der eine dieses und der andre
jenes gebrauchen konnte. Ich kann euern, meinen, unser aller Staat in einem
Gründe verankern, der nicht nachgeben wird; wollt ihr mir dafür meine kleinen
Sorgen abnehmen, so soll euch das frei stehn. Niemand sonst hat ein Vor¬
kaufsrecht auf meine Habe. O der Thorheit, die in der Geschichtschreibung
"och immer davon spricht, daß Mirabeau nu einer bestimmten Ecke seines Lebens
seine Gesinnung geändert habe, daß er "ein Söldling des Hofes" geworden,
seinen "Patriotismus feilgeboten" habe, und was dergleichen Anschllldigungen
mehr siud. Als nach seinem Tode zuerst die Verbindung bekannt wurde, in
der er mit dem König gestanden hatte, da war es erklärlich, daß die Männer,
die mit ihm die Revolution heraufgeführt hatten, ihn des schnöden Verrath
an den gemeinsamen Grundsätzen ziehen und die Gebeine des "Abtrünnigen"
aus dem Grabe im Pantheon wegrissen. Aber seitdem sind die Leidenschaften
verraucht, und alle, die einst mit ihm gekämpft und sein Thun geschmäht
haben, sind ihm dahin nachgefolgt, wohin er so früh voran gegangen war.


Historiker noch immer viel mit den, größten Manne der großen Revolution
zu schaffen. Der Graf Mirabeau stand sehr unter den: Druck der Lebens¬
bedürfnisse, von denen ein Diogenes in seiner Tonne keine Ahnung hat. Daß
Mirabeau sie hatte, macht freilich der Betrachtung Nieniger Beschwerde als die
Art und Weise, wie er während einer kritischen Wendung im Gange der Re¬
volution deu Forderungen des Tages gerecht zu werde» suchte. In dem starken
Geiste Mirabeaus allein lagen die Mittel, die der wilden nationalen Empörung
Frankreichs Halt zu gebieten vermochten, Halt mit dem Ergebnis, daß in
gleicher Weise dem Volk und dem Könige sein Recht wurde. War es ein
Unrecht, daß Mirabeau diese Mittel dein zur Verfügung stellte, der sie zu
seinem Vorteil und dem des Ganzen anwandte? Vielleicht könnte man auch
von einer Pflicht sprechen, aber mag das dahingestellt bleiben. Ob Pflicht
oder Recht, beide konnten dadurch nicht in ihr Gegenteil verkehrt werden,
daß auf die Darbietung eines idealen Werth das materielle Äquivalent ge¬
leistet wurde.

Für Leute, die an einer gewissen Hypertrophie ihres moralischen Be¬
wußtseins leiden, hat vor allem die Thätigkeit des Handels etwas anstößiges.
Deshalb, weil sie nur ein den schnöden Gewinn denken, den der eine von den
an dein Geschäfte beteiligten in die Tasche steckt, und es nicht wissen oder ver¬
gessen haben, daß der Umtausch von Besitz das natürlichste Ding von der Welt
ist. Kein Mensch vermag ohne den Umsatz fertig zu werden, der etwas eignes
für etwas fremdes weggiebt. Sogar die Moralisten, die ihre Lehren auf dem
Markte des Lebens absetzen, heimsen für ihre Predigt mindestens Lob und
Bewundrung ein. Sokrates, der für seinen Unterricht keinen Lohn in Form
von klingender Münze nahm, blieb deshalb nicht ohne Bezahlung, und eine
Thorheit ist es, diese geringer einschätzen zu wollen als das Gold, das die
Sophisten einsackten.

Jeder nimmt für seine Ware das, was er für sich nötig hält, und Mirabeau
nahm für seine Geistesschätze das Gold des Königs hin. Nicht, als ob er sie
feil gestellt hätte, sondern es traf sich so, daß der eine dieses und der andre
jenes gebrauchen konnte. Ich kann euern, meinen, unser aller Staat in einem
Gründe verankern, der nicht nachgeben wird; wollt ihr mir dafür meine kleinen
Sorgen abnehmen, so soll euch das frei stehn. Niemand sonst hat ein Vor¬
kaufsrecht auf meine Habe. O der Thorheit, die in der Geschichtschreibung
"och immer davon spricht, daß Mirabeau nu einer bestimmten Ecke seines Lebens
seine Gesinnung geändert habe, daß er „ein Söldling des Hofes" geworden,
seinen „Patriotismus feilgeboten" habe, und was dergleichen Anschllldigungen
mehr siud. Als nach seinem Tode zuerst die Verbindung bekannt wurde, in
der er mit dem König gestanden hatte, da war es erklärlich, daß die Männer,
die mit ihm die Revolution heraufgeführt hatten, ihn des schnöden Verrath
an den gemeinsamen Grundsätzen ziehen und die Gebeine des „Abtrünnigen"
aus dem Grabe im Pantheon wegrissen. Aber seitdem sind die Leidenschaften
verraucht, und alle, die einst mit ihm gekämpft und sein Thun geschmäht
haben, sind ihm dahin nachgefolgt, wohin er so früh voran gegangen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/583>, abgerufen am 28.07.2024.