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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Moral und Politik

Zu einer Seelsorge in diesem höchste" Sinne fühlte Walpole weder den
Beruf in sich, noch hatte er in seiner amtlichen Stellung dazu die Verpflichtung,
Dagegen lag es ihm ob, den englischen Stacitswagen aus einem holprigen,
steilen Hohlwege auf die freie, ebne Fahrstraße zu bringen, Wenn christliche
Diener mir Wort in irdischem Lederzeug besser anzogen als in geistlichem Mist¬
zeug, dann waren sie als Borspann ebenso gilt zu gebrauchen wie die heid¬
nischen Worthalter im Tempel des Gottes Apollo. Laßt uns doch vorsichtig
ni der Handhabniig unsrer moralischen Meßrute sein. Im Privatleben wollen
wir sie nur um die eignen krummen Glieder legen, und ans den Notwendig¬
keiten der Politik, die aus einem andern Grunde auf ein andres Ziel gehn,
Wollen wir sie ganz weglassen. Wenn hier überhaupt ein Richter sein muß,
reichen denn da der Erfolg oder der Nichterfolg und das strafende Gewissen
nicht ans? Frei und selbstherrlich ist der Gang der Gedanken: mögen sie
einen Augenblick aus der englischen Geschichte in die der französischen Revo¬
lution zurückkehre!!. Als Danton in dein wilden Totentanz, dem er selbst
den beschleunigten Schritt gegeben hatte, in das Gefängnis geführt worden
war, von wo er den lange" Rückblick auf eine revolutionäre Thätigkeit und
den kurze" Ausblick ans das Schafott hatte, da sagte er: "Um diese Zeit habe
ich das Revvlutioiistribunal einsetzen lassen; ich bitte deshalb Gott und die
Menschen um Verzeihung; allein es lag nicht in meiner Absicht, es zur Geißel
der Menschheit zu machen." Sollen wir dein noch etwas hinzufügen und
diesem zuckenden Gewissen gar noch die moralische" Fußtritte gebe"? Besser
ist es zu schweigen. Schweigen ist häufig die beste Umgebung für die Not
unsers Daseins.

Den großen Männern der Staatskunst ist meistens das Dasein eine Not.
Das kommt von dein Zwiespalt, in den sie mit sich selber geraten, wen" sie
i" der ihnen obliegenden Vertretung der Gesaintiuteressen die Grundsätze
hintansetzen müsse", die in der Behauptung des eignen Ichs nicht vernach¬
lässigt werden dürfen. Voll Friedrich dem Großen weiß man zur Genüge,
daß er in den nach außen gerichteten gewaltsamen Anstrengungen für das
Gedeihen feines Staats keineswegs die Befriedigung gefunden hat, nach der
seine Seele dürstete. Ihm standen die Mittel, die er im Rat und im Felde
anwenden mußte, nicht im richtigen Verhältnis zu dein Zweck, den er im Auge
hatte. Aus zahlreichen Niederschriften und Briefen geht hervor, wie sehr er
unter diesem Gegensatz, für den es keine Lösung gab, litt. In seinen privaten
Bemühungen um das Wohl des ihm untergebnen Volks deckten sich im ganzen
Mittel und Zweck, aber in den Dingen der auswärtigen Politik und des
Kriegs tröstete er sich für die Notwendigkeit, in die er gestellt war, nur
mühsam mit dem Gedanken, daß er sich als Opfer auf dem Altare des
Vaterlands zu betrachten habe.

Ja, er und alle andern, die seinesgleichen sind, sind als Opfer dazu
ausgesucht, die Sünde derer, für die sie arbeiten, auf sich zu nehmen und sie
selber frei zu halten. Die harte Pflicht ist es, die uns hier oben hingestellt
hat und uns zwingt, auf steilem Pfade mit lauter" oder unlauter" Mitteln


Grenzboten IV 1901 7-!
Moral und Politik

Zu einer Seelsorge in diesem höchste» Sinne fühlte Walpole weder den
Beruf in sich, noch hatte er in seiner amtlichen Stellung dazu die Verpflichtung,
Dagegen lag es ihm ob, den englischen Stacitswagen aus einem holprigen,
steilen Hohlwege auf die freie, ebne Fahrstraße zu bringen, Wenn christliche
Diener mir Wort in irdischem Lederzeug besser anzogen als in geistlichem Mist¬
zeug, dann waren sie als Borspann ebenso gilt zu gebrauchen wie die heid¬
nischen Worthalter im Tempel des Gottes Apollo. Laßt uns doch vorsichtig
ni der Handhabniig unsrer moralischen Meßrute sein. Im Privatleben wollen
wir sie nur um die eignen krummen Glieder legen, und ans den Notwendig¬
keiten der Politik, die aus einem andern Grunde auf ein andres Ziel gehn,
Wollen wir sie ganz weglassen. Wenn hier überhaupt ein Richter sein muß,
reichen denn da der Erfolg oder der Nichterfolg und das strafende Gewissen
nicht ans? Frei und selbstherrlich ist der Gang der Gedanken: mögen sie
einen Augenblick aus der englischen Geschichte in die der französischen Revo¬
lution zurückkehre!!. Als Danton in dein wilden Totentanz, dem er selbst
den beschleunigten Schritt gegeben hatte, in das Gefängnis geführt worden
war, von wo er den lange» Rückblick auf eine revolutionäre Thätigkeit und
den kurze» Ausblick ans das Schafott hatte, da sagte er: „Um diese Zeit habe
ich das Revvlutioiistribunal einsetzen lassen; ich bitte deshalb Gott und die
Menschen um Verzeihung; allein es lag nicht in meiner Absicht, es zur Geißel
der Menschheit zu machen." Sollen wir dein noch etwas hinzufügen und
diesem zuckenden Gewissen gar noch die moralische» Fußtritte gebe»? Besser
ist es zu schweigen. Schweigen ist häufig die beste Umgebung für die Not
unsers Daseins.

Den großen Männern der Staatskunst ist meistens das Dasein eine Not.
Das kommt von dein Zwiespalt, in den sie mit sich selber geraten, wen» sie
i» der ihnen obliegenden Vertretung der Gesaintiuteressen die Grundsätze
hintansetzen müsse», die in der Behauptung des eignen Ichs nicht vernach¬
lässigt werden dürfen. Voll Friedrich dem Großen weiß man zur Genüge,
daß er in den nach außen gerichteten gewaltsamen Anstrengungen für das
Gedeihen feines Staats keineswegs die Befriedigung gefunden hat, nach der
seine Seele dürstete. Ihm standen die Mittel, die er im Rat und im Felde
anwenden mußte, nicht im richtigen Verhältnis zu dein Zweck, den er im Auge
hatte. Aus zahlreichen Niederschriften und Briefen geht hervor, wie sehr er
unter diesem Gegensatz, für den es keine Lösung gab, litt. In seinen privaten
Bemühungen um das Wohl des ihm untergebnen Volks deckten sich im ganzen
Mittel und Zweck, aber in den Dingen der auswärtigen Politik und des
Kriegs tröstete er sich für die Notwendigkeit, in die er gestellt war, nur
mühsam mit dem Gedanken, daß er sich als Opfer auf dem Altare des
Vaterlands zu betrachten habe.

Ja, er und alle andern, die seinesgleichen sind, sind als Opfer dazu
ausgesucht, die Sünde derer, für die sie arbeiten, auf sich zu nehmen und sie
selber frei zu halten. Die harte Pflicht ist es, die uns hier oben hingestellt
hat und uns zwingt, auf steilem Pfade mit lauter» oder unlauter» Mitteln


Grenzboten IV 1901 7-!
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[0585] Moral und Politik Zu einer Seelsorge in diesem höchste» Sinne fühlte Walpole weder den Beruf in sich, noch hatte er in seiner amtlichen Stellung dazu die Verpflichtung, Dagegen lag es ihm ob, den englischen Stacitswagen aus einem holprigen, steilen Hohlwege auf die freie, ebne Fahrstraße zu bringen, Wenn christliche Diener mir Wort in irdischem Lederzeug besser anzogen als in geistlichem Mist¬ zeug, dann waren sie als Borspann ebenso gilt zu gebrauchen wie die heid¬ nischen Worthalter im Tempel des Gottes Apollo. Laßt uns doch vorsichtig ni der Handhabniig unsrer moralischen Meßrute sein. Im Privatleben wollen wir sie nur um die eignen krummen Glieder legen, und ans den Notwendig¬ keiten der Politik, die aus einem andern Grunde auf ein andres Ziel gehn, Wollen wir sie ganz weglassen. Wenn hier überhaupt ein Richter sein muß, reichen denn da der Erfolg oder der Nichterfolg und das strafende Gewissen nicht ans? Frei und selbstherrlich ist der Gang der Gedanken: mögen sie einen Augenblick aus der englischen Geschichte in die der französischen Revo¬ lution zurückkehre!!. Als Danton in dein wilden Totentanz, dem er selbst den beschleunigten Schritt gegeben hatte, in das Gefängnis geführt worden war, von wo er den lange» Rückblick auf eine revolutionäre Thätigkeit und den kurze» Ausblick ans das Schafott hatte, da sagte er: „Um diese Zeit habe ich das Revvlutioiistribunal einsetzen lassen; ich bitte deshalb Gott und die Menschen um Verzeihung; allein es lag nicht in meiner Absicht, es zur Geißel der Menschheit zu machen." Sollen wir dein noch etwas hinzufügen und diesem zuckenden Gewissen gar noch die moralische» Fußtritte gebe»? Besser ist es zu schweigen. Schweigen ist häufig die beste Umgebung für die Not unsers Daseins. Den großen Männern der Staatskunst ist meistens das Dasein eine Not. Das kommt von dein Zwiespalt, in den sie mit sich selber geraten, wen» sie i» der ihnen obliegenden Vertretung der Gesaintiuteressen die Grundsätze hintansetzen müsse», die in der Behauptung des eignen Ichs nicht vernach¬ lässigt werden dürfen. Voll Friedrich dem Großen weiß man zur Genüge, daß er in den nach außen gerichteten gewaltsamen Anstrengungen für das Gedeihen feines Staats keineswegs die Befriedigung gefunden hat, nach der seine Seele dürstete. Ihm standen die Mittel, die er im Rat und im Felde anwenden mußte, nicht im richtigen Verhältnis zu dein Zweck, den er im Auge hatte. Aus zahlreichen Niederschriften und Briefen geht hervor, wie sehr er unter diesem Gegensatz, für den es keine Lösung gab, litt. In seinen privaten Bemühungen um das Wohl des ihm untergebnen Volks deckten sich im ganzen Mittel und Zweck, aber in den Dingen der auswärtigen Politik und des Kriegs tröstete er sich für die Notwendigkeit, in die er gestellt war, nur mühsam mit dem Gedanken, daß er sich als Opfer auf dem Altare des Vaterlands zu betrachten habe. Ja, er und alle andern, die seinesgleichen sind, sind als Opfer dazu ausgesucht, die Sünde derer, für die sie arbeiten, auf sich zu nehmen und sie selber frei zu halten. Die harte Pflicht ist es, die uns hier oben hingestellt hat und uns zwingt, auf steilem Pfade mit lauter» oder unlauter» Mitteln Grenzboten IV 1901 7-!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/585>, abgerufen am 28.07.2024.