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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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seinein wirklichen Lebeusdrauge entsprechende Richtung gebracht hat, ist ihm
von den Lobrednern einer starren Moral niemals verziehn worden, Ihr sitt¬
licher Unwille -- oder war es nebenbei noch etwas andres? -- hielt sich
hinter der gegen ihn gerichteten Anklage versteckt, daß er an der Verräterei
des Pausanias Anteil gehabt habe. Wein kommt hierbei nicht die Feindschaft
in die Erinnerung, mit der nach dein siegreichen Kriege mit Frankreich die
konservative Partei in Preußen den Fürsten Bismarck") verfolgte? Konservative
Leute, die die persönliche Gereiztheit und das Parteiinteresse von ihren reli¬
giösen und moralischen Überzeugungen nicht zu trennen verstanden, sondern im
politischen Kampfe munter das eine für das andre ausspielten. In Athen
war dies für Themistokles insofern viel schlimmer, als sich die am Alten
Hangende Partei nicht erst von ihm loszusagen brauchte, sondern mit dein Vor¬
teil althergebrachter Gegnerschaft die groben und die feinen Register der Ver¬
leumdung gegen ihn ziehn konnte.

Themistokles hatte das Geld, weil er es auf verfassungsmäßigen Wege
in seiner Vaterstadt nicht bekommen konnte, bei der Gelegenheit genommen, wo
es zu haben, und keine parlamentarische Kontrolle zu besorget! war. Er hatte
es nötig, um den Wagen zu schmieren, auf dessen Bock er saß, und der sonst
schwer ans der Stelle zu bringen gewesen wäre. Aber ist denn dies mit den
Gesetzen des Staats im besondern und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit
im allgemeinen vereinbar? Auch dann vereinbar, wenn der Vorteil des Staats
dafür spricht, und wenn die widerrechtlich cingezogucn Gelder nur zu dessen
Nutzen verwandt wurden? Es wäre besser gewesen, wenn die Athener den
Unregelmüsu'gleiten ihres damaligen größten Staatsmannes nachträglich In¬
demnität verliehen hätten, aber sie bestanden ans ihrem Schein und wunderten
sich über das große Vermögen, das er besaß, während er im Beginn seiner
Laufbahn über nichts zu verfüge,: gehabt hatte. Hat man nicht anch in unsern
Tagen die Verdächtigung gehört, daß die Erhöhung gewisser Zölle mir dem
Umstande das Leben verdankte, daß sie dem Waldreichtum eines Fürsten von
Salamis zu gute kam?

Vielleicht wäre es klüger von Themistokles gewesen, den Unmut seiner
Mitbürger nicht durch die Schaustellung seines Reichtums zu reizen, aber
ob ihm andrerseits die Enthaltsamkeit und die Armut des Aristides über die
Fährlichkeiten seines Lebens hinweggeholfen hätten? Alles das sind müßige
Fragen, weil sie keine Wirklichkeit hinter sich haben. Themistokles hatte einmal
seine Freude an materiellem Besitz. Ohne sie kann er gar nicht gedacht werden,
weil er deu starken Sinn für die Realitäten des Daseins hatte und ihren
Wert besser als ein andrer zu schätzen wußte. Muß denn immer und überall
der Reichtum der Tugendübung im Wege sein? Oder liegt es an euerm
moralischen Maßstabe, den ihr wie ein Szepter in der Hand tragt, und der
hier soweit reichen soll wie dort?

In der französischen Geschichte macht sich die Tugendlehre moralisierender



"> Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II, Seite 142 bis 161.

seinein wirklichen Lebeusdrauge entsprechende Richtung gebracht hat, ist ihm
von den Lobrednern einer starren Moral niemals verziehn worden, Ihr sitt¬
licher Unwille — oder war es nebenbei noch etwas andres? — hielt sich
hinter der gegen ihn gerichteten Anklage versteckt, daß er an der Verräterei
des Pausanias Anteil gehabt habe. Wein kommt hierbei nicht die Feindschaft
in die Erinnerung, mit der nach dein siegreichen Kriege mit Frankreich die
konservative Partei in Preußen den Fürsten Bismarck") verfolgte? Konservative
Leute, die die persönliche Gereiztheit und das Parteiinteresse von ihren reli¬
giösen und moralischen Überzeugungen nicht zu trennen verstanden, sondern im
politischen Kampfe munter das eine für das andre ausspielten. In Athen
war dies für Themistokles insofern viel schlimmer, als sich die am Alten
Hangende Partei nicht erst von ihm loszusagen brauchte, sondern mit dein Vor¬
teil althergebrachter Gegnerschaft die groben und die feinen Register der Ver¬
leumdung gegen ihn ziehn konnte.

Themistokles hatte das Geld, weil er es auf verfassungsmäßigen Wege
in seiner Vaterstadt nicht bekommen konnte, bei der Gelegenheit genommen, wo
es zu haben, und keine parlamentarische Kontrolle zu besorget! war. Er hatte
es nötig, um den Wagen zu schmieren, auf dessen Bock er saß, und der sonst
schwer ans der Stelle zu bringen gewesen wäre. Aber ist denn dies mit den
Gesetzen des Staats im besondern und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit
im allgemeinen vereinbar? Auch dann vereinbar, wenn der Vorteil des Staats
dafür spricht, und wenn die widerrechtlich cingezogucn Gelder nur zu dessen
Nutzen verwandt wurden? Es wäre besser gewesen, wenn die Athener den
Unregelmüsu'gleiten ihres damaligen größten Staatsmannes nachträglich In¬
demnität verliehen hätten, aber sie bestanden ans ihrem Schein und wunderten
sich über das große Vermögen, das er besaß, während er im Beginn seiner
Laufbahn über nichts zu verfüge,: gehabt hatte. Hat man nicht anch in unsern
Tagen die Verdächtigung gehört, daß die Erhöhung gewisser Zölle mir dem
Umstande das Leben verdankte, daß sie dem Waldreichtum eines Fürsten von
Salamis zu gute kam?

Vielleicht wäre es klüger von Themistokles gewesen, den Unmut seiner
Mitbürger nicht durch die Schaustellung seines Reichtums zu reizen, aber
ob ihm andrerseits die Enthaltsamkeit und die Armut des Aristides über die
Fährlichkeiten seines Lebens hinweggeholfen hätten? Alles das sind müßige
Fragen, weil sie keine Wirklichkeit hinter sich haben. Themistokles hatte einmal
seine Freude an materiellem Besitz. Ohne sie kann er gar nicht gedacht werden,
weil er deu starken Sinn für die Realitäten des Daseins hatte und ihren
Wert besser als ein andrer zu schätzen wußte. Muß denn immer und überall
der Reichtum der Tugendübung im Wege sein? Oder liegt es an euerm
moralischen Maßstabe, den ihr wie ein Szepter in der Hand tragt, und der
hier soweit reichen soll wie dort?

In der französischen Geschichte macht sich die Tugendlehre moralisierender



"> Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II, Seite 142 bis 161.
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[0582] seinein wirklichen Lebeusdrauge entsprechende Richtung gebracht hat, ist ihm von den Lobrednern einer starren Moral niemals verziehn worden, Ihr sitt¬ licher Unwille — oder war es nebenbei noch etwas andres? — hielt sich hinter der gegen ihn gerichteten Anklage versteckt, daß er an der Verräterei des Pausanias Anteil gehabt habe. Wein kommt hierbei nicht die Feindschaft in die Erinnerung, mit der nach dein siegreichen Kriege mit Frankreich die konservative Partei in Preußen den Fürsten Bismarck") verfolgte? Konservative Leute, die die persönliche Gereiztheit und das Parteiinteresse von ihren reli¬ giösen und moralischen Überzeugungen nicht zu trennen verstanden, sondern im politischen Kampfe munter das eine für das andre ausspielten. In Athen war dies für Themistokles insofern viel schlimmer, als sich die am Alten Hangende Partei nicht erst von ihm loszusagen brauchte, sondern mit dein Vor¬ teil althergebrachter Gegnerschaft die groben und die feinen Register der Ver¬ leumdung gegen ihn ziehn konnte. Themistokles hatte das Geld, weil er es auf verfassungsmäßigen Wege in seiner Vaterstadt nicht bekommen konnte, bei der Gelegenheit genommen, wo es zu haben, und keine parlamentarische Kontrolle zu besorget! war. Er hatte es nötig, um den Wagen zu schmieren, auf dessen Bock er saß, und der sonst schwer ans der Stelle zu bringen gewesen wäre. Aber ist denn dies mit den Gesetzen des Staats im besondern und mit den Grundsätzen der Gerechtigkeit im allgemeinen vereinbar? Auch dann vereinbar, wenn der Vorteil des Staats dafür spricht, und wenn die widerrechtlich cingezogucn Gelder nur zu dessen Nutzen verwandt wurden? Es wäre besser gewesen, wenn die Athener den Unregelmüsu'gleiten ihres damaligen größten Staatsmannes nachträglich In¬ demnität verliehen hätten, aber sie bestanden ans ihrem Schein und wunderten sich über das große Vermögen, das er besaß, während er im Beginn seiner Laufbahn über nichts zu verfüge,: gehabt hatte. Hat man nicht anch in unsern Tagen die Verdächtigung gehört, daß die Erhöhung gewisser Zölle mir dem Umstande das Leben verdankte, daß sie dem Waldreichtum eines Fürsten von Salamis zu gute kam? Vielleicht wäre es klüger von Themistokles gewesen, den Unmut seiner Mitbürger nicht durch die Schaustellung seines Reichtums zu reizen, aber ob ihm andrerseits die Enthaltsamkeit und die Armut des Aristides über die Fährlichkeiten seines Lebens hinweggeholfen hätten? Alles das sind müßige Fragen, weil sie keine Wirklichkeit hinter sich haben. Themistokles hatte einmal seine Freude an materiellem Besitz. Ohne sie kann er gar nicht gedacht werden, weil er deu starken Sinn für die Realitäten des Daseins hatte und ihren Wert besser als ein andrer zu schätzen wußte. Muß denn immer und überall der Reichtum der Tugendübung im Wege sein? Oder liegt es an euerm moralischen Maßstabe, den ihr wie ein Szepter in der Hand tragt, und der hier soweit reichen soll wie dort? In der französischen Geschichte macht sich die Tugendlehre moralisierender "> Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II, Seite 142 bis 161.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/582>, abgerufen am 29.07.2024.