Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.thun? Hülle einen Staat in den besten Tugendmantel, den ihr auftreiben Der Mann des Staats, der das ihm untergebne Ganze nicht zu irgend Was wollt ihr Prediger einer "unentwegter" Moral, die hier gelten soll, Daß Themistokles den Staat der Athener dnrch eine Täuschung in die thun? Hülle einen Staat in den besten Tugendmantel, den ihr auftreiben Der Mann des Staats, der das ihm untergebne Ganze nicht zu irgend Was wollt ihr Prediger einer „unentwegter" Moral, die hier gelten soll, Daß Themistokles den Staat der Athener dnrch eine Täuschung in die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0581" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236403"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2226" prev="#ID_2225"> thun? Hülle einen Staat in den besten Tugendmantel, den ihr auftreiben<lb/> könnt, trotzdem wird sein Nachbar, der noch nicht ganz die Bestie in sich unter¬<lb/> drückt hat, bei aller Vewundrnng, die er für die fremde Vortrefflichkeit hegt,<lb/> ohne einen Angenblick zu zaudern, wenn die Gelegenheit da ist, zermalmend<lb/> über den Kopf des Thoren wegschreiten. Ob ein solcher Gewaltstaat nicht<lb/> Wohl hinterher anch noch die moralische Formel finden würde, wonach er so<lb/> habe handeln müssen, wie er gethan hat?</p><lb/> <p xml:id="ID_2227"> Der Mann des Staats, der das ihm untergebne Ganze nicht zu irgend<lb/> welcher seelischen Beruhigung zu führen hat, sondern unter allen Umständen<lb/> dessen irdische Wohlfahrt sicherm soll, darf nicht von den Bedingungen jener,<lb/> sondern muß von den Voraussetzungen dieser ausgehn, Als Themistokles mi'<lb/> gesichts des drohenden Perserkriegs die Priesterschaft des delphischen Tempels<lb/> durch geschickte Anwendung von schnöden: Gelde veranlaßt hatte, den der athe¬<lb/> nischen Politik gewiesenen Rat, den er selbst auf dem Wege der Hintertreppe<lb/> sehr formlos in das Heiligtum hineingeschafft hatte, vorn in aller Form wieder<lb/> herauszulassen, da war sein Verfahren ein solches, wie es ihm durch die Lage<lb/> der Welt im allgemeinen und seiner Vaterstadt im besondern vorgeschrieben<lb/> war. Hatte er seine Mitbürger anders als auf dem Wege der Bestechung<lb/> dahin bringen können, die Zeichen der Zeit zu verstehn, ihre Zukunft aufs<lb/> Meer zu legen und in die Weltstellung einzurücken, so hätte er gewiß den<lb/> geraden Pfad nicht verlassen, um zum Ziele zu gelangen. Es war nicht seine<lb/> Schuld, daß zwischen einer hilfsbedürftigen Priesterschaft und einer unver¬<lb/> ständigen Bürgerschaft der Weg krumm ging. Hätte er trotzdem geradeaus<lb/> gehn wollen, so wäre seine Thorheit so groß gewesen wie die seiner altgläubigen<lb/> Mitbürger, die den Bnrgfelsen uns den Rat des Orakels mit einem hölzernen<lb/> Pfahlwerk verschanzten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2228"> Was wollt ihr Prediger einer „unentwegter" Moral, die hier gelten soll,<lb/> was sie dort gilt? Was im rein persönlichen Verhältnis vom Themistokles<lb/> gut gehandelt gewesen wäre, das wäre in seiner Vertretung des athenischen<lb/> Staats nicht bloß eine Dummheit, sondern ein Verbrechen gewesen. Wenn ihr<lb/> über alle andern hinaus die höhere Einsicht vom Besten des euch anvertrauten<lb/> Gemeinwesens habt, so sollt ihr euch dnrch nichts, anch durch den krummsten<lb/> Weg nicht abhalten lassen, die Gedanken, die ihr habt, in die Wirklichkeit um¬<lb/> zusetzen. Die Gründe, die den Staatsmann zwingen, sich im Gedränge des<lb/> Politischen Lebens nicht von den Sätzen der Moral umstoßen zu lassen, sind<lb/> dieselben, von denen der Privatmann gehalten wird, sich in den Auseinander¬<lb/> setzungen mit seinesgleichen nicht um eines Haares Breite von ihren Vor¬<lb/> schriften zu entfernen. Von den gegenüberliegenden Endpunkten sichern beide<lb/> durch ihr Verhalten die Festigkeit der Grundlage, worauf die Menschen stehn.<lb/> Denn mit der Staaten bildenden Kraft in der Menschheit ist überhaupt erst die<lb/> Möglichkeit einer allgemein verpflichtenden Sittlichkeit gegeben, und nur durch<lb/> das Beispiel, das der Einzelne mit dem Verzicht ans das eigne Begehren giebt,<lb/> wird der starke Anstoß zu moralischem Fortschreiten ins Leben hineingetragen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2229" next="#ID_2230"> Daß Themistokles den Staat der Athener dnrch eine Täuschung in die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0581]
thun? Hülle einen Staat in den besten Tugendmantel, den ihr auftreiben
könnt, trotzdem wird sein Nachbar, der noch nicht ganz die Bestie in sich unter¬
drückt hat, bei aller Vewundrnng, die er für die fremde Vortrefflichkeit hegt,
ohne einen Angenblick zu zaudern, wenn die Gelegenheit da ist, zermalmend
über den Kopf des Thoren wegschreiten. Ob ein solcher Gewaltstaat nicht
Wohl hinterher anch noch die moralische Formel finden würde, wonach er so
habe handeln müssen, wie er gethan hat?
Der Mann des Staats, der das ihm untergebne Ganze nicht zu irgend
welcher seelischen Beruhigung zu führen hat, sondern unter allen Umständen
dessen irdische Wohlfahrt sicherm soll, darf nicht von den Bedingungen jener,
sondern muß von den Voraussetzungen dieser ausgehn, Als Themistokles mi'
gesichts des drohenden Perserkriegs die Priesterschaft des delphischen Tempels
durch geschickte Anwendung von schnöden: Gelde veranlaßt hatte, den der athe¬
nischen Politik gewiesenen Rat, den er selbst auf dem Wege der Hintertreppe
sehr formlos in das Heiligtum hineingeschafft hatte, vorn in aller Form wieder
herauszulassen, da war sein Verfahren ein solches, wie es ihm durch die Lage
der Welt im allgemeinen und seiner Vaterstadt im besondern vorgeschrieben
war. Hatte er seine Mitbürger anders als auf dem Wege der Bestechung
dahin bringen können, die Zeichen der Zeit zu verstehn, ihre Zukunft aufs
Meer zu legen und in die Weltstellung einzurücken, so hätte er gewiß den
geraden Pfad nicht verlassen, um zum Ziele zu gelangen. Es war nicht seine
Schuld, daß zwischen einer hilfsbedürftigen Priesterschaft und einer unver¬
ständigen Bürgerschaft der Weg krumm ging. Hätte er trotzdem geradeaus
gehn wollen, so wäre seine Thorheit so groß gewesen wie die seiner altgläubigen
Mitbürger, die den Bnrgfelsen uns den Rat des Orakels mit einem hölzernen
Pfahlwerk verschanzten.
Was wollt ihr Prediger einer „unentwegter" Moral, die hier gelten soll,
was sie dort gilt? Was im rein persönlichen Verhältnis vom Themistokles
gut gehandelt gewesen wäre, das wäre in seiner Vertretung des athenischen
Staats nicht bloß eine Dummheit, sondern ein Verbrechen gewesen. Wenn ihr
über alle andern hinaus die höhere Einsicht vom Besten des euch anvertrauten
Gemeinwesens habt, so sollt ihr euch dnrch nichts, anch durch den krummsten
Weg nicht abhalten lassen, die Gedanken, die ihr habt, in die Wirklichkeit um¬
zusetzen. Die Gründe, die den Staatsmann zwingen, sich im Gedränge des
Politischen Lebens nicht von den Sätzen der Moral umstoßen zu lassen, sind
dieselben, von denen der Privatmann gehalten wird, sich in den Auseinander¬
setzungen mit seinesgleichen nicht um eines Haares Breite von ihren Vor¬
schriften zu entfernen. Von den gegenüberliegenden Endpunkten sichern beide
durch ihr Verhalten die Festigkeit der Grundlage, worauf die Menschen stehn.
Denn mit der Staaten bildenden Kraft in der Menschheit ist überhaupt erst die
Möglichkeit einer allgemein verpflichtenden Sittlichkeit gegeben, und nur durch
das Beispiel, das der Einzelne mit dem Verzicht ans das eigne Begehren giebt,
wird der starke Anstoß zu moralischem Fortschreiten ins Leben hineingetragen.
Daß Themistokles den Staat der Athener dnrch eine Täuschung in die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |