Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das englische Königtum

können, von der Königin Viktoria konnte man eine persönliche Überwachung
des Heerwesens nicht verlangen. Aber eine gänzlich unverantwortliche Heeres¬
leitung ging nicht langer an, und so machte man es mit ihr wie mit andern
Sachen und stellte sie unter das Parlament. Man schuf den neuen Posten
eines dem Parlament verantwortlichen und von der jeweilig herrschenden
Partei bestellten Staatssekretärs für den Krieg und zog den alten des Kriegs¬
sekretärs ein.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint damit die königliche Gewalt über
das Heer gänzlich in die Hunde des Parlaments gefallen zu sein. Aber die
Befugnis des dem Parlament entnvmmnen zivilistischen Staatssekretärs er¬
streckte sich gesetzlich nur auf die Verwaltung, nicht auf Kommando, Manns-
zucht und Beförderung. Diese Dinge sind der Krone vorbehalten, und nur ein
Kabinettbefehl vom ZI. Oktober 1861 verfügt, daß sie unter der Verantwort¬
lichkeit des Staatssekretärs zu versehen seien. Danach hat zwar der Staats¬
sekretär die ausschlaggebende Stimme in allem, was das Heer angeht, und der
Oberbefehlshaber, gegenwärtig Earl Roberts, ist sein Untergebner, aber nur
solange, als ein neuer Kabinettbefehl nicht etwas andres anordnet. Das
Parlament hat nichts damit zu thun, wie sich 1870 zeigte, als aus königlicher
Machtvollkommenheit, dem Parlament zuwider, die Käuflichkeit der Ofsizier-
stellen abgeschafft wurde.

Mit nichten also verzichtete die Königin Viktoria auf das königliche Recht
des Oberbefehls, und daß sie es auch nicht als durch Nichtgebrauch eingerostet
und erloschen betrachtete, das bewies sie durch die letztwillige Anordnung eines
militärischen Leichenbegüuguisfes auf einer Knnonenlafette. Als Haupt der
bewaffneten Macht wollte sie zu Grabe getragen werden, mit allen dem Haupte
des Heeres gebührenden Förmlichkeiten, die sonst ihrem Wesen so wenig zu¬
sagten. Ihr Begräbnis war eine feierliche Wahrung der königlichen Rechte
über das Heer.

Ihr Nachfolger kann sich nun als Haupt des Heeres und der Flotte be¬
thätigen -- wenn er will. Dem Heere könnte es jedenfalls nicht schaden,
wenn er es thäte. Die parlamentarische Verwaltung hat dem Heere keines¬
wegs den Segen gebracht, den man von ihr erwartete. Unter ihr kann sich
Unfähigkeit ebenso breit machen wie früher, nur daß die Behandlung militä¬
rischer Angelegenheiten vom parteipolitischer Standpunkt aus der Unfähigkeit
einen noch weitern Spielraum läßt. Das hat der gegenwärtige, schon ein
halb Dutzend mal für beendet erklärte und doch nicht zu Ende kommende Krieg
in Südafrika schlagend bewiesen. Die Offiziere des Nachrichtendienstes hatten
dein Minister sehr genaue Aufschlüsse über die Stärke der Buren, die Anzahl
und Art ihrer Geschütze gegeben. Aber aus parteipolitischer Gründen verschloß
sich die Regierung der Einsicht und begann den Krieg mit völlig unzureichenden
Mitteln, in der eiteln Hoffnung, den Gegner durch eine militärische Parade
einzuschüchtern, und als dies nicht verfing, da zeigte sich, wie wenig die
Heeresverwaltung auf einen ernsten Wassergang vorbereitet war, in wie leicht¬
sinniger Weise sie ihre eigne Kraft überschützt, die des Feindes unterschützt


Das englische Königtum

können, von der Königin Viktoria konnte man eine persönliche Überwachung
des Heerwesens nicht verlangen. Aber eine gänzlich unverantwortliche Heeres¬
leitung ging nicht langer an, und so machte man es mit ihr wie mit andern
Sachen und stellte sie unter das Parlament. Man schuf den neuen Posten
eines dem Parlament verantwortlichen und von der jeweilig herrschenden
Partei bestellten Staatssekretärs für den Krieg und zog den alten des Kriegs¬
sekretärs ein.

Bei oberflächlicher Betrachtung scheint damit die königliche Gewalt über
das Heer gänzlich in die Hunde des Parlaments gefallen zu sein. Aber die
Befugnis des dem Parlament entnvmmnen zivilistischen Staatssekretärs er¬
streckte sich gesetzlich nur auf die Verwaltung, nicht auf Kommando, Manns-
zucht und Beförderung. Diese Dinge sind der Krone vorbehalten, und nur ein
Kabinettbefehl vom ZI. Oktober 1861 verfügt, daß sie unter der Verantwort¬
lichkeit des Staatssekretärs zu versehen seien. Danach hat zwar der Staats¬
sekretär die ausschlaggebende Stimme in allem, was das Heer angeht, und der
Oberbefehlshaber, gegenwärtig Earl Roberts, ist sein Untergebner, aber nur
solange, als ein neuer Kabinettbefehl nicht etwas andres anordnet. Das
Parlament hat nichts damit zu thun, wie sich 1870 zeigte, als aus königlicher
Machtvollkommenheit, dem Parlament zuwider, die Käuflichkeit der Ofsizier-
stellen abgeschafft wurde.

Mit nichten also verzichtete die Königin Viktoria auf das königliche Recht
des Oberbefehls, und daß sie es auch nicht als durch Nichtgebrauch eingerostet
und erloschen betrachtete, das bewies sie durch die letztwillige Anordnung eines
militärischen Leichenbegüuguisfes auf einer Knnonenlafette. Als Haupt der
bewaffneten Macht wollte sie zu Grabe getragen werden, mit allen dem Haupte
des Heeres gebührenden Förmlichkeiten, die sonst ihrem Wesen so wenig zu¬
sagten. Ihr Begräbnis war eine feierliche Wahrung der königlichen Rechte
über das Heer.

Ihr Nachfolger kann sich nun als Haupt des Heeres und der Flotte be¬
thätigen — wenn er will. Dem Heere könnte es jedenfalls nicht schaden,
wenn er es thäte. Die parlamentarische Verwaltung hat dem Heere keines¬
wegs den Segen gebracht, den man von ihr erwartete. Unter ihr kann sich
Unfähigkeit ebenso breit machen wie früher, nur daß die Behandlung militä¬
rischer Angelegenheiten vom parteipolitischer Standpunkt aus der Unfähigkeit
einen noch weitern Spielraum läßt. Das hat der gegenwärtige, schon ein
halb Dutzend mal für beendet erklärte und doch nicht zu Ende kommende Krieg
in Südafrika schlagend bewiesen. Die Offiziere des Nachrichtendienstes hatten
dein Minister sehr genaue Aufschlüsse über die Stärke der Buren, die Anzahl
und Art ihrer Geschütze gegeben. Aber aus parteipolitischer Gründen verschloß
sich die Regierung der Einsicht und begann den Krieg mit völlig unzureichenden
Mitteln, in der eiteln Hoffnung, den Gegner durch eine militärische Parade
einzuschüchtern, und als dies nicht verfing, da zeigte sich, wie wenig die
Heeresverwaltung auf einen ernsten Wassergang vorbereitet war, in wie leicht¬
sinniger Weise sie ihre eigne Kraft überschützt, die des Feindes unterschützt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0538" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236360"/>
          <fw type="header" place="top"> Das englische Königtum</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2052" prev="#ID_2051"> können, von der Königin Viktoria konnte man eine persönliche Überwachung<lb/>
des Heerwesens nicht verlangen. Aber eine gänzlich unverantwortliche Heeres¬<lb/>
leitung ging nicht langer an, und so machte man es mit ihr wie mit andern<lb/>
Sachen und stellte sie unter das Parlament. Man schuf den neuen Posten<lb/>
eines dem Parlament verantwortlichen und von der jeweilig herrschenden<lb/>
Partei bestellten Staatssekretärs für den Krieg und zog den alten des Kriegs¬<lb/>
sekretärs ein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2053"> Bei oberflächlicher Betrachtung scheint damit die königliche Gewalt über<lb/>
das Heer gänzlich in die Hunde des Parlaments gefallen zu sein. Aber die<lb/>
Befugnis des dem Parlament entnvmmnen zivilistischen Staatssekretärs er¬<lb/>
streckte sich gesetzlich nur auf die Verwaltung, nicht auf Kommando, Manns-<lb/>
zucht und Beförderung. Diese Dinge sind der Krone vorbehalten, und nur ein<lb/>
Kabinettbefehl vom ZI. Oktober 1861 verfügt, daß sie unter der Verantwort¬<lb/>
lichkeit des Staatssekretärs zu versehen seien. Danach hat zwar der Staats¬<lb/>
sekretär die ausschlaggebende Stimme in allem, was das Heer angeht, und der<lb/>
Oberbefehlshaber, gegenwärtig Earl Roberts, ist sein Untergebner, aber nur<lb/>
solange, als ein neuer Kabinettbefehl nicht etwas andres anordnet. Das<lb/>
Parlament hat nichts damit zu thun, wie sich 1870 zeigte, als aus königlicher<lb/>
Machtvollkommenheit, dem Parlament zuwider, die Käuflichkeit der Ofsizier-<lb/>
stellen abgeschafft wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2054"> Mit nichten also verzichtete die Königin Viktoria auf das königliche Recht<lb/>
des Oberbefehls, und daß sie es auch nicht als durch Nichtgebrauch eingerostet<lb/>
und erloschen betrachtete, das bewies sie durch die letztwillige Anordnung eines<lb/>
militärischen Leichenbegüuguisfes auf einer Knnonenlafette. Als Haupt der<lb/>
bewaffneten Macht wollte sie zu Grabe getragen werden, mit allen dem Haupte<lb/>
des Heeres gebührenden Förmlichkeiten, die sonst ihrem Wesen so wenig zu¬<lb/>
sagten. Ihr Begräbnis war eine feierliche Wahrung der königlichen Rechte<lb/>
über das Heer.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2055" next="#ID_2056"> Ihr Nachfolger kann sich nun als Haupt des Heeres und der Flotte be¬<lb/>
thätigen &#x2014; wenn er will. Dem Heere könnte es jedenfalls nicht schaden,<lb/>
wenn er es thäte. Die parlamentarische Verwaltung hat dem Heere keines¬<lb/>
wegs den Segen gebracht, den man von ihr erwartete. Unter ihr kann sich<lb/>
Unfähigkeit ebenso breit machen wie früher, nur daß die Behandlung militä¬<lb/>
rischer Angelegenheiten vom parteipolitischer Standpunkt aus der Unfähigkeit<lb/>
einen noch weitern Spielraum läßt. Das hat der gegenwärtige, schon ein<lb/>
halb Dutzend mal für beendet erklärte und doch nicht zu Ende kommende Krieg<lb/>
in Südafrika schlagend bewiesen. Die Offiziere des Nachrichtendienstes hatten<lb/>
dein Minister sehr genaue Aufschlüsse über die Stärke der Buren, die Anzahl<lb/>
und Art ihrer Geschütze gegeben. Aber aus parteipolitischer Gründen verschloß<lb/>
sich die Regierung der Einsicht und begann den Krieg mit völlig unzureichenden<lb/>
Mitteln, in der eiteln Hoffnung, den Gegner durch eine militärische Parade<lb/>
einzuschüchtern, und als dies nicht verfing, da zeigte sich, wie wenig die<lb/>
Heeresverwaltung auf einen ernsten Wassergang vorbereitet war, in wie leicht¬<lb/>
sinniger Weise sie ihre eigne Kraft überschützt, die des Feindes unterschützt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0538] Das englische Königtum können, von der Königin Viktoria konnte man eine persönliche Überwachung des Heerwesens nicht verlangen. Aber eine gänzlich unverantwortliche Heeres¬ leitung ging nicht langer an, und so machte man es mit ihr wie mit andern Sachen und stellte sie unter das Parlament. Man schuf den neuen Posten eines dem Parlament verantwortlichen und von der jeweilig herrschenden Partei bestellten Staatssekretärs für den Krieg und zog den alten des Kriegs¬ sekretärs ein. Bei oberflächlicher Betrachtung scheint damit die königliche Gewalt über das Heer gänzlich in die Hunde des Parlaments gefallen zu sein. Aber die Befugnis des dem Parlament entnvmmnen zivilistischen Staatssekretärs er¬ streckte sich gesetzlich nur auf die Verwaltung, nicht auf Kommando, Manns- zucht und Beförderung. Diese Dinge sind der Krone vorbehalten, und nur ein Kabinettbefehl vom ZI. Oktober 1861 verfügt, daß sie unter der Verantwort¬ lichkeit des Staatssekretärs zu versehen seien. Danach hat zwar der Staats¬ sekretär die ausschlaggebende Stimme in allem, was das Heer angeht, und der Oberbefehlshaber, gegenwärtig Earl Roberts, ist sein Untergebner, aber nur solange, als ein neuer Kabinettbefehl nicht etwas andres anordnet. Das Parlament hat nichts damit zu thun, wie sich 1870 zeigte, als aus königlicher Machtvollkommenheit, dem Parlament zuwider, die Käuflichkeit der Ofsizier- stellen abgeschafft wurde. Mit nichten also verzichtete die Königin Viktoria auf das königliche Recht des Oberbefehls, und daß sie es auch nicht als durch Nichtgebrauch eingerostet und erloschen betrachtete, das bewies sie durch die letztwillige Anordnung eines militärischen Leichenbegüuguisfes auf einer Knnonenlafette. Als Haupt der bewaffneten Macht wollte sie zu Grabe getragen werden, mit allen dem Haupte des Heeres gebührenden Förmlichkeiten, die sonst ihrem Wesen so wenig zu¬ sagten. Ihr Begräbnis war eine feierliche Wahrung der königlichen Rechte über das Heer. Ihr Nachfolger kann sich nun als Haupt des Heeres und der Flotte be¬ thätigen — wenn er will. Dem Heere könnte es jedenfalls nicht schaden, wenn er es thäte. Die parlamentarische Verwaltung hat dem Heere keines¬ wegs den Segen gebracht, den man von ihr erwartete. Unter ihr kann sich Unfähigkeit ebenso breit machen wie früher, nur daß die Behandlung militä¬ rischer Angelegenheiten vom parteipolitischer Standpunkt aus der Unfähigkeit einen noch weitern Spielraum läßt. Das hat der gegenwärtige, schon ein halb Dutzend mal für beendet erklärte und doch nicht zu Ende kommende Krieg in Südafrika schlagend bewiesen. Die Offiziere des Nachrichtendienstes hatten dein Minister sehr genaue Aufschlüsse über die Stärke der Buren, die Anzahl und Art ihrer Geschütze gegeben. Aber aus parteipolitischer Gründen verschloß sich die Regierung der Einsicht und begann den Krieg mit völlig unzureichenden Mitteln, in der eiteln Hoffnung, den Gegner durch eine militärische Parade einzuschüchtern, und als dies nicht verfing, da zeigte sich, wie wenig die Heeresverwaltung auf einen ernsten Wassergang vorbereitet war, in wie leicht¬ sinniger Weise sie ihre eigne Kraft überschützt, die des Feindes unterschützt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/538
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/538>, abgerufen am 01.09.2024.